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Weltgesellschaft, Migration und Schule (RV02)

1. Was ist gemeint mit einer ’nationalen Orientierung des Bildungssystems‘? Woran kann das festgemacht werden im Hinblick auf seine Zielgruppen, Inhalte/Fächer, Strukturen? (denken Sie hier auch an ihre eigenen Erfahrungen aus der Schulzeit zurück)

Ein national orientiertes Bildungssystem kann als ein System verstanden werden, in dem das Bildungswesen auf die Aufrechterhaltung und das Wachstum der Nation zielt. Schüler/innen mit einem Immigrationshintergrund gehören damit zunächst nicht in die Zielgruppe. Dies bedeutet weiter, dass sich die unterrichteten Fächer auf Themen konzentrieren, die für die Nation von großem Wert sind.

Zum Beispiel konzentrieren sich deutsche Schulen auf deutsche und europäische Geschichte. Den deutschen Schüler/innen werden wenig Kenntnisse über die Geschichte der anderen Kontinente und deren Kulturen vermittelt.

Dahingegend konzentrieren sich Schulen im islamisch geprägten Mittelmeergebiet auf Religionsgeschichte, die sehr eng mit der Geschichte der dort lebenden Menschen verbunden wird. In der Religionsgeschichte wird wenig über die europäische Geschichte und Kultur informiert.

Aufgrund meiner persönlichen Erfahrung als Schülerin mit Migrationshintergrund stimme ich grundsätzlich der Aussage zu, dass das deutsche Bildungssystem eine sehr nationale Orientierung hat.

Während meines Schulbesuchs in Mecklenburg-Vorpommern habe ich die mangelnde Vielfalt des in der Schule gelehrten Themenkanons festgestellt. Zum Beispiel in den Fächern wie Geschichte, Sozialkunde, Philosophie und Geographie waren die Themen und das Material, das während des Unterrichts verwendet wurde, vorrangig deutsch- oder europaorientiert.

Außerdem wurden Schüler/innen, die die deutsche Sprache nicht beherrschten, von den deutschsprachigen Schüler/innen getrennt, um an einem sehr intensiven Sprachkurs teilzunehmen, damit sie dem an deutschen Schulen üblichen Unterricht folgen können. Die Integration der Schüler/innen mit Migrationshintergrund in das nationale Bildungssystem war offensichtlich das Ziel.

Trotz der großen Zuwanderungsquoten in den letzten Jahren gibt es kaum Anzeichen dafür, dass das Schulcurriculum an die Vielfalt der Gesellschaft angenähert oder gar angepasst wurde.  

Allerdings ist eine nationale Orientierung des Bildungssystems nicht nur in Deutschland, sondern in wohl allen Ländern zu finden, die ein Bildungssystem aufgebaut haben. Da jede Nation ihren zukünftigen Generationen die für sie wichtigen Werte vermitteln will.

2. Was nehmen Sie aus dem öffentlichen Diskurs über ‚Migration als Herausforderung für die Schule‘ und über sog. ‚Schüler mit Migrationshintergrund‘ als Informationen wahr und welche (neuen?) Perspektiven hat die Vorlesung dazu für Sie eröffnet?

Aus dem öffentlichen Diskurs über „Migration als Herausforderung für die Schule“ und meinen persönlichen Erfahrungen lassen sich die großen Schwierigkeiten im Umgang mit nichtdeutschen Schüler/innen ableiten.

Es beginnt schon bei der Ausbildung zum Lehramt. Lehrer an deutschen Hochschulen und Universitäten werden mit Blick auf die nationale Orientierung des Bildungssystems ausgebildet. Denn „in Nationalgesellschaften wird stillschweigend davon ausgegangen, dass Kinder, Jugendliche und Erwachsene ein einziges Bildungssystem – nämlich das des Landes der Geburt – durchlaufen.“ (Schroeder, Joachim/ Seukwa, Louis Henri 2018, S. 141)

Hinzu kommt die Gefahr einer bewussten oder auch unbewussten Diskriminierung während und auch außerhalb des Unterrichts. Daher könnten sich nichtdeutsche Schüler/innen diskriminiert, stereotypisiert und gelegentlich auch missachtet fühlen.

Die Vorlesung bot neue Informationen, die eine Perspektive hervorheben, die mir nicht bekannt war. Beispielsweise, ist die fehlende Unterscheidung zwischen den Begriffen „Ausländer“, „Fremde“ „Migranten“ und „Menschen mit Migrationshintergrund“ in analytischen Schulbüchern und ihre Verwendung als Synonyme für einander sehr problematisch.

3. Inwiefern kann das folgende Beispiel (nächste Folie) von Betül
(Interviewausschnitt aus einer qualitativen Studie von Martina Weber) als Ausdruck von ‚DoingCulture‘ durch Lehrer*innen handeln im Unterricht herangezogen werden? Erinnern Sie sich aus ihrer eigenen Schulzeit an ein Beispiel für ‚DoingCulture‘ im Lehrer*innenhandeln?

Die Interaktion zwischen Betül und ihre Deutschlehrerin ist ein Beispiel für „DoingCulture“, denn die Lehrerin ordnet Betül bestimmte Eigenschaften aufgrund ihres Migrationshintergrunds zu. Insbesondere die Annahme fehlender Entscheidungskraft der Frau in der islamistischen Kultur hat einen starken stereotypisierenden Effekt und durch die Übertragung auf die Schülerin, nimmt sie diese nicht mehr in ihrer Persönlichkeit wahr.

Das Verhalten der Lehrerin wird dadurch sehr ignorant und auch unprofessionell, da ihr Feedback an Betül ausschließlich auf diesem Stereotyp basiert, mit dem sich Betül jedoch nicht identifizieren kann. Darüber hinaus wird die sehr konservative Meinung der Lehrerin zur nationalen Identität sehr klar. Es scheint, als ob sie die Möglichkeit einer multikulturellen Identität grundsätzlich ausschließt. Die Lehrerin hat Betül zuerst stereotypisiert und ihr dann ein negatives Feedback gegeben, weil sie sich in ihrem Aufsatz nicht wie ein „typisches“ türkisches Mädchen artikuliert hat.

Die Situation wäre besser geregelt worden, hätte die Lehrerin Betül ermutigt, über ihre Wurzeln zu schreiben und darüber, wie eine Frau, deren Geschichte in der Türkei wurzelt, mit diesem Thema umgehen kann. Die Situation hätte auf beiden Seiten viel Lernpotential. Die Klasse und die Lehrerin hätten durch die Einbindung von Aspekten der türkischen Kultur einen zusätzlichen Blick auf die deutsche und europäische Kultur erhalten und Betül hätte mehr über ihre Wurzeln erfahren.

Ich habe während meiner Schulzeit einige Interaktionen mit Lehrern erlebt, die diesem Beispiel ähnlich sind. Beispielsweise haben Gespräche sowie Diskussionen über das Tragen eines Kopftuchs, die Ausübung bestimmter Religionen und die dazu gehörigen Rituale, gezeigt, wie die persönlichen Überzeugungen der Lehrer den Umgang mit ihren Schüler/innen beeinflussen können. 

So zeigten manche Lehrer wenig Verständnis für das Tragen eines Kopftuches während des Sportunterrichts und auch nicht für die fehlende Energie der Schüler/innen während der Fastenzeit –„Ramadan“.  „DoingCulture“ wurde auch dann sichtbar, wenn Lehrer/innen nichtdeutsche Schüler/innen als konservativ und dogmatisch statt religiös kategorisierten