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Diskriminierungserwartung ohne Diskriminierung? – Wenn soziale Identitäten zu Hindernissen werden

▶︎ von Ricarda Kochems, Vanessa Kranz, Lennart Kötschau und Lara Watermann

„Die denken doch, dass eine Frau das nicht kann…“ – Hattest du schon mal das Gefühl, dass dir dieser Gedanke im beruflichen Kontext Steine in den Weg gelegt hat? Auch wenn verstärkt Maßnahmen zur geschlechtlichen Gleichbehandlung (wie Frauenquote, Diversity Management etc.) in den (beruflichen) Alltag integriert werden, spielt unsere soziale Identität – unsere Gruppenzugehörigkeit – nach wie vor eine große Rolle in Bezug darauf, wie wir unsere Jobchancen ausrechnen.

Stell dir vor, du bist auf der Suche nach einer neuen Arbeitsstelle. Warum rechnest du dir hohe oder vielleicht auch niedrige Chancen für eine Einstellung aus? Viele Menschen setzen sich während der Jobsuche mit der Einschätzung auseinander, ob sie überhaupt grundsätzlich qualifiziert oder nicht qualifiziert sind. Doch was passiert, wenn Menschen in diesem Prozess auf Einflüsse stoßen, die sie nicht kontrollieren können? Zu diesen Menschen gehören häufig Frauen. Und warum? Na, weil sie sich mit der sozialen Gruppe „Frau“ identifizieren! Und das ist ein bedeutsamer Punkt: die eigene soziale Gruppenzugehörigkeit hat starke Auswirkungen auf die eigene Wahrnehmung. Um der Frage nachzugehen, inwiefern Gruppenprozesse die Überzeugung hinsichtlich der eigenen Jobchancen beeinflussen, bieten der Ansatz der sozialen Identität und die Selbstkategorisierungstheorie eine notwendige Grundlage.

“Wir sind besser als ihr…” oder: Die Theorien der sozialen Identität und der Selbstkategorisierung

Die Theorie der sozialen Identität erklärt, wie der soziale Kontext die Beziehungen zwischen Personengruppen beeinflusst. Sie blickt aus einer sozialpsychologischen Perspektive auf die Macht- und Verhaltensentwicklungen innerhalb von Gruppen. In den frühen 70er Jahren zeigten mehrere Experimente, dass Menschen Mitglieder der eigenen Gruppe (Ingroup) gegenüber Mitgliedern einer anderen Gruppe (Outgroup) bevorzugen. Der Sozialpsychologe Henri Tajfel und Kolleg:innen argumentierten, dass die Teilnehmer:innen einem auf Wettbewerb ausgerichteten Gruppenverhalten folgten. Darauf aufbauend entwickelten Tajfel und sein Kollege John Turner die “Social Identity Theory”. Demnach sind zwischenmenschliche Interaktionen, bei denen Menschen ausschließlich als Individuen auftreten, die Ausnahme. Vielmehr würden soziale Interaktionen gruppenübergreifend stattfinden, bei denen die Menschen sowohl als Individuum als auch als Mitglied einer sozialen Gruppe auftreten. Im Extremfall kann die Gruppenzugehörigkeit sogar individuelle Merkmale einer Person unbedeutend machen. Die sogenannte soziale Identität überlagert dann die persönliche Identität. Diese Kategorisierung verändert nicht nur die Art und Weise, wie Menschen andere Menschen beurteilen, sondern auch, wie sie sich selbst sehen (also ihr Selbstkonzept). Tajfel & Turner argumentierten, dass die Motivation für wettbewerbsorientiertes Verhalten zwischen Gruppen aus dem Bedürfnis nach einem positiven, stabilen Selbstkonzept resultiert. 

Die Selbstkategorisierungstheorie nach Turner besagt, dass Menschen sich immer situationsgerecht und subjektiv selbstkategorisieren. Je nach sozialem Kontext wählen sie also die persönliche oder soziale Identität, die für sie in einer Situation am passendsten erscheint.  Weist eine soziale Kategorie in einer bestimmten Situation eine hohe Passung auf, sehen Menschen sich selbst und andere Personen dieser Kategorie (Mitglieder der Ingroup) weniger als Individuen. Stattdessen sehen sie sich vielmehr als austauschbare Exemplare eines klischeehaften Gruppenmitglieds.

Was dieser Kategorisierungsprozess für Mitglieder gesellschaftlich stigmatisierter Gruppen bedeuten kann, wird bei Betrachtung der nachfolgenden Studien deutlich.

“Ich denke, dass die denken, dass ich so bin…” oder: Metastereotype im Arbeitskontext

Unter Rückgriff auf den Ansatz der sozialen Identität untersuchten Owuamalam und Zagefka bei Mitgliedern stigmatisierter Gruppen, welche Auswirkungen Metastereotype auf die Überzeugung bezüglich der eigenen Beschäftigungsfähigkeit haben.

Beschäftigungsfähigkeit beschreibt dabei die Fähigkeit, am allgemeinen Arbeits- und Berufsleben teilnehmen zu können. Metastereotype sind stereotype Überzeugungen, dass Mitglieder einer bestimmten Outgroup eine stereotype Meinung über die eigene Ingroup haben. In anderen Worten sind Metastereotype die stereotype Erwartung von Stereotypen. Metastereotype sind häufig negativ, rufen Gefühle der Ablehnung hervor und sind insbesondere für historisch benachteiligte Gruppen mit negativen Konsequenzen verbunden. 

In diesem Zusammenhang ist das Selbstwertgefühl von Bedeutung, welches die Bewertung des eigenen Selbstkonzeptes umfasst und damit die grundlegende Einstellung einer Person gegenüber sich selbst beschreibt. Dabei kann zwischen dem allgemeinen Selbstwertgefühl (“von Natur aus”) und dem situationsspezifischen Selbstwertgefühl unterschieden werden.

Owuamalam und Zagefka führten 2008/9 eine Studie mit 80 britischen Studentinnen durch. Die Ergebnisse zeigten, dass je negativer ein bestimmtes Metastereotyp eingeschätzt worden ist, desto schlechter die Überzeugung bezüglich der eigenen Beschäftigungsfähigkeit ausfiel. Die Autor:innen führten dies auf eine Verringerung des situationsspezifischen Selbstwertgefühls nach Aktivierung der negativen Metastereotype zurück. Insbesondere bei Teilnehmerinnen, deren allgemeines Selbstwertgefühl hoch war, konnte der Effekt beobachtet werden. In einer zweiten Studie mit britischen Student:innen südasiatischer Herkunft konnten ähnliche Ergebnisse erzeugt werden.  

Die Studien von Owuamalam und Zagefka zeigen zusammenfassend, dass die stereotype Erwartung von negativen Stereotypisierungen durch eine gesellschaftlich dominante Outgroup die Überzeugung bezüglich der eigenen Beschäftigungsfähigkeit erheblich verschlechtert. Dieser Effekt wird durch Einbuße im situationsspezifischen Selbstwertgefühl bewirkt. Dies tritt insbesondere bei Personen auf, die ein hohes allgemeines Selbstwertgefühl haben. Im ersten Moment mag das überraschend klingen. Innerhalb der Studien wurde allerdings gezeigt, dass das sonst so hohe Selbstwertgefühl umso stärker geschwächt wird, wenn den Personen die Zugehörigkeit zu einer gesellschaftlich stigmatisierten Gruppe (z.B. ‘Frauen’, ‘Asiat:innen’ etc.) bewusst wird. Dann könnten diese Personen den Verdacht hegen, dass sie auf Grundlage von Stereotypen bewertet werden – und eben nicht auf Grundlage ihrer persönlichen Qualifikationen, die sie ja als grundsätzlich hoch einschätzen.

Erstaunlich ist dabei, dass auch negative Metastereotype aus arbeitsfernen Bereichen einen direkten Einfluss auf die Selbstwahrnehmung im Arbeitskontext zu haben scheinen. Die Erkenntnisse der Studien sind vor allem vor dem Hintergrund alarmierend, dass die Einstellung zur Arbeitssuche erwiesenermaßen Auswirkungen auf das Verhalten bei der Arbeitssuche haben kann. 

Long story short… was wir nun daraus mitnehmen können

Die Studienergebnisse sollten vor allem Personalverantwortliche in Organisationen sensibilisieren. Beim Aufbau diverser und inkludierender Teams muss beachtet werden, dass bereits die Erwartung einer Diskriminierung eine hemmende Wirkung auf Bewerber:innen haben kann. Gleichzeitig sollten sich Unternehmen aktiv für eine diverse Belegschaft aussprechen, um künftigen Bewerber:innen offen und einladend entgegen zu treten. 

Auf gesamtgesellschaftlicher Ebene liefern die Studien wichtige Erkenntnisse für Fachleute der Sozialfürsorge. Sie sollten die Resilienz, das heißt die psychische Widerstandsfähigkeit, von Mitgliedern stigmatisierter Gruppen bei der Arbeitssuche stärken – insbesondere bei Personen, die aufgrund ihres hohen allgemeinen Selbstwertgefühls nicht auf Unterstützung angewiesen zu sein scheinen. Besonders in der Förderung dieser Personengruppen und deren Bewältigungsstrategien liegt weiterer Forschungsbedarf. Gleichzeitig sollte die Ursache der Diskriminierungswahrnehmungen durch politische Maßnahmen zur Gleichbehandlung bekämpft werden. Für Frauen im Arbeitskontext könnte dies zum Beispiel durch die Schaffung von weiblichen Vorbildern oder die Etablierung einer entsprechenden Frauenquote erreicht werden. Jedoch sind auch solche Maßnahmen mit Vorsicht zu betrachten. So kann eine Frauenquote einerseits das Bild von Frauen in Führungspositionen normalisieren und somit Stereotypisierungen reduzieren, andererseits können mit solchen “künstlichen” Maßnahmen neue Stereotypisierungen angeregt werden (im Sinne “Die ist doch nur eine Quotenfrau!”).

Auch wenn die Aussagekraft der Experimente aus den 70er Jahren zur sozialen Identität häufig angezweifelt wurde, ist es heutzutage schwierig, über die Beziehungen zwischen Gruppen nachzudenken, ohne in irgendeiner Weise Macht, Status und Stabilität unberücksichtigt zu lassen. Reflektiere gerne beim nächsten Bewerbungsprozess dein Denken und Handeln: Ist dir deine eigene soziale Identität (un)bewusst zum Hindernis geworden? Lass‘ dich von bestehenden Stereotypen nicht unterkriegen, denn letztendlich beginnt vieles in unseren Köpfen! Wenn du dich in einer fairen Bewerbungssituation befindest, dann entscheide dich bewusst für die Selbstkategorisierung auf Grundlage deiner persönlichen Identität, anstatt mit dem Hintergrund deiner sozialen Identität(en) zu denken und zu handeln. 

Referenzen

Hornsey, M. J. (2008): Social Identity Theory and Self-categorization Theory – A Historical Review, Social and Personality Psychology Compass, 2(1), 204-222.

Owuamalam, C. K., & Zagefka, H. (2014): On the Psychological Barriers to the Workplace – When and Why Metastereotyping Undermines Employability Beliefs of Women and Ethnic Minorities, Cultural Diversity and Ethnic Minority Psychology, 20(4), 521-528.

 

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“Hilfe, mein Chef mobbt mich!” – Ist es Mobbing oder der fundamentale Attributionsfehler?

Laut ver.di sind in Deutschland rund 1,8 Millionen Erwerbstätige von Mobbing betroffen. Dabei sind in über 50% der Fälle Vorgesetzte dafür verantwortlich oder maßgeblich daran beteiligt (ver.di o.J.). Doch handelt es sich tatsächlich immer um Mobbing, wenn jemand dieses Wort in den Mund nimmt?

Mobbing findet heutzutage nicht nur in der Schule statt, sondern immer häufiger auch am Arbeitsplatz. Sei es ein herablassender Kommentar oder eine immer weiter anhaltende Ausgrenzung. Doch ob sich ein Mensch von seinem Umfeld gemobbt fühlt oder nicht, hängt von verschiedenen Faktoren ab. So nehmen Menschen Worte von anderen unterschiedlich wahr und schreiben dem Verhalten anderer unterschiedliche Ursachen zu. Einige sehen einen “negativen” Kommentar als direkten Angriff, während andere dies ganz anders wahrnehmen. Wie die Suche nach Ursachen für das Mobbing innerlich abläuft und wie gesammelte Vorerfahrungen mit dem Mobbenden diese beeinflussen, erfahrt ihr in diesem Beitrag.

Zur besseren Verständlichkeit werfen wir einen Blick auf Sabine. Sabine ist Mitarbeiterin bei einem Versicherungsmakler. Seit einiger Zeit kommt Sabine nicht mehr gerne zur Arbeit. Der Grund dafür ist ihr direkter Vorgesetzter, Wolfgang. Sie hat das Gefühl, von ihm nicht ernst genommen zu werden und gezielt aus den Vertriebskampagnen ausgeschlossen zu werden. Es kommt sogar vor, dass er sauer wird und gemeine Kommentare ablässt, was sich Sabine aber nicht traut anzusprechen. Den Kolleg:innen fällt das nicht mal mehr auf, solche Äußerungen sind für sie nichts Neues. 

Wird Sabine von Wolfgang gemobbt? Oder meint Wolfgang das alles gar nicht böse?

 

Mobbing am Arbeitsplatz

Mobbing ist ein ernstzunehmendes Problem innerhalb von Organisationen. Viel zu häufig ist es die Ursache für Kündigungen oder Burnouts. Doch was genau ist eigentlich Mobbing?

Entscheidend ist die Dauer des Mobbings. Erst wenn Anfeindungen verschiedener Art über einen längeren Zeitraum immer wieder stattfinden, spricht man von Mobbing (Steensman und Dijke, 2006). Doch häufig sind Aussagen oder Verhaltensweisen nicht eindeutig einzuschätzen. Ob eine Aussage als Mobbing verstanden wird, hängt davon ab, ob wir ihr eine böse Absicht unterstellen. Somit hängt Sabines Einschätzung, ob Wolfgang sie mobbt davon ab, welche Ursache sie seinem Verhalten zuschreibt.

 

Attribution und wie wir uns Selbst an der Nase herumführen

Wenn Sabine sich Gedanken darüber macht, welche Absichten Wolfgang mit seinem Verhalten ihr gegenüber verfolgt, nennt man das Attribution. Ganz allgemein bezeichnet es die Suche nach Ursachen für eine Handlung oder ein Ereignis. Unser Verstand spielt uns aber auch in Sachen Attribution gerne mal etwas vor. Es gibt einige Denkfehler, die uns zu falschen Ergebnissen führen. Einer ist der fundamentale Attributionsfehler. Dabei kommen wir fälschlicherweise zu dem Schluss, die Ursache eines Verhaltens liege in dem/der Akteur:in selbst. Also in seinen/ihren Werten und Eigenschaften. Äußere, also situative Faktoren, lassen wir dabei unberücksichtigt (Reeder, 2013). Beispielsweise ist Sabine sich sicher, dass Wolfgang sie nicht mag und ein unfreundlicher Mensch ist, weil er sie nicht gegrüßt hat, obwohl er lediglich heiser war oder sie sein Winken nicht gesehen hat.

Speziell hinsichtlich Mobbing ist die sog. Selbstwertdienliche Verzerrung interessant. Dabei handelt es sich um die Tendenz, positiven Ereignissen (gute Leistung) eher internale Faktoren zuzuschreiben (gute Kenntnisse/Anstrengungen) und negativen Ereignissen eher externale Faktoren (Situation, Zufall, Kolleg:innen). Eine Studie von Steensman und Dijke (2006), die sich mit dem Attributionsverhalten von Mobbing-Opfern beschäftigt, stützt sich auf eben diese Verzerrung, um ihre Ergebnisse zu begründen. Denn entgegen ihrer Annahmen haben Mobbing-Opfer überwiegend situationsbedingte Faktoren des jeweiligen Kontextes  als Ursache für das Mobbing gesehen.

 

Wie Moral unsere Attribution beeinflusst

Noch bevor wir attribuieren findet eine Beurteilung der beobachteten Situation statt. Ob wir etwas als richtig, falsch, nett oder böse erachten, hängt von unseren moralischen Wertvorstellungen ab. Im Bruchteil einer Sekunde merken wir, ob das beobachtete Verhalten im Einklang mit unseren Wertvorstellungen steht oder diesen widerstrebt. Erachten wir das Verhalten nicht als moralisch fragwürdig, schreiben wir ihm keine böse Absicht zu. Wenn wir allerdings ein Verhalten, z.B. eine Aussage, als nicht nett oder fies wahrnehmen, gehen wir häufig davon aus, dass diesem Verhalten eine bestimmte Absicht zugrunde liegt (Zedlacher, Salin, 2021). Dabei stellen wir uns bspw. die Frage: „Konnte der oder die Agierende frei handeln, oder wurde das Verhalten durch bestimmte Rahmenbedingungen vorgegeben?“ Im Beruf könnte es z.B. sein, dass aus Sicherheitsgründen eine Ermahnung, sich an gewisse Vorschriften zu halten, unbedingt notwendig ist. Interessant ist auch ein Blick auf unser Rollenverständnis. In der zitierten Studie hat sich herausgestellt, dass wir Führungskräfte generell moralisch strenger beurteilen, als Mitarbeiter:innen ohne leitende Funktion. Zusätzlich fällt unser Urteil eher auf langfristige Eigenschaften, sobald wir empfinden, dass die Führungskraft ihre Rolle nicht gut ausfüllt. Wenn also Sabines Erwartungen an Wolfgang als Führungskraft in vorherigen Situationen enttäuscht wurden, kann das dazu führen, dass sie ihn allgemein als schlechten Chef sieht. Diese empfundene Rollenverletzung führt dann dazu, dass Sabine die Ursache in Wolfgangs Verhalten eher in Eigenschaften wie Ungeduld und Unfreundlichkeit sucht, als in Faktoren der Situation, oder seiner aktuellen Laune. Es ist somit auch von Bedeutung, was für Vorerfahrungen wir mit der Person, deren Verhalten wir einschätzen, bereits gesammelt haben.

 

Der Einfluss von Vorerfahrungen mit dem Täter

Häufig lassen sich Aussagen oder Verhaltensweisen moralisch nicht eindeutig zuordnen. Hier spielen eine Reihe weiterer Faktoren eine Rolle, wie bspw. die Vorerfahrungen, die wir mit der beobachteten Person gemacht haben. Laut des Kovariationsprinzips von Kelley (1973) sind vor allem drei Aspekte entscheidend. Erstens geht es um die Konsistenz des gezeigten Verhaltens: „Reagiert Wolfgang auch in anderen Situationen so?“. Wenn das Verhalten auch in anderen Situationen gezeigt wird, dann ist es für diese Person offensichtlich ein übliches Verhalten und wirkt daher beim Schließen auf eine bestimmte Absicht mindernd (Zedlacher, Salin, 2021). Ganz nach dem Motto: „Der macht das halt immer so.“. Zweitens ist die Distinktheit für das Ergebnis unserer Attribution ausschlaggebend. Hierbei stellt sich die Frage, ob das gezeigte Verhalten ausschließlich gegenüber Sabine gezeigt wird oder auch gegenüber anderen Personen. Drittens ist der Konsens mit anderen Personen entscheidend. Nehmen andere das Verhalten ähnlich wahr, dann herrscht hoher Konsens über die Wahrnehmung des Verhaltens vor. Je nach Ausprägung dieser drei Aspekte schließen wir eher auf innere oder auf äußere Ursachen für das beobachtete Verhalten.

 

Was wir daraus lernen können

Ob es sich bei Sabine um Mobbing handelt oder um den fundamentalen Attributionsfehler lässt sich nicht generalisierbar beantworten. Denn viele unterschiedliche Aspekte sorgen dafür, ob wir Verhalten als Mobbing wahrnehmen oder nicht. Sei es nun aufgrund unterschiedlicher Wertvorstellungen, einem anderen Rollenverständnis oder der Vorerfahrung mit einem Menschen. Dabei ist es theoretisch auch egal, wenn unsere Wahrnehmung durch eine Verzerrung (wie dem fundamentalen Attributionsfehler) von der Wirklichkeit abweicht. Letztendlich führt die Wahrnehmung zu Gefühlen, die sich negativ auf Sabines Psyche und ihre Arbeitsleistung auswirken und sollten allein deswegen thematisiert werden. Doch auch Sabine kann und sollte hinterfragen, ob sie die Situationen mit Wolfgang bei der Arbeit eventuell zu kritisch wahrgenommen hat. Denn jeder – auch der/die Chef:in – kann mal einen schlechten Tag haben oder eben einfach falsch verstanden werden. Zu wissen, dass es vorkommen kann, dass wir bestimmten Verhaltensweisen eine falsche Ursache zuschreiben und somit eine Person falsch einschätzen, kann neue Perspektiven eröffnen. Probier es doch selbst mal aus!

 

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Work it, Mama! – Warmherzige Mutter oder kaltherzige Karrierefrau?

Auch wenn Männer und Frauen eigentlich gleichberechtigt sein sollten, sehen sich Mütter und Väter jedoch unterschiedlichen Stereotypen ausgesetzt. Doch worauf basieren diese unterschiedlichen Annahmen und die Ungleichbehandlung zu Lasten von Müttern im Arbeitsalltag? Das Stereotype Content Model von Fiske et al. (2002) liefert dafür einen Erklärungsansatz.

Karriere und Kinder – (k)ein Widerspruch?

Mütter sind Superheld:innen, oder? Sie wissen immer, wohin man den eigenen Impfpass verlegt hat und sind wahre Organisationstalente. Das Bild der fürsorglichen und unerschrockenen Löwenmutter ist sicherlich den meisten ein Begriff. Berufstätige Mütter meistern zusätzlich den Spagat zwischen Beruf und Familie. Dennoch kommt immer wieder die Frage auf, ob sie wirklich Kindererziehung und Beruf parallel bewältigen können. Dementsprechend ergibt sich in den Köpfen vieler der hartnäckige Widerspruch warmherzige Mutter versus kaltherzige Karrierefrau. Unter Umständen können solche Stereotype zu sozialer Ausgrenzung führen und diskriminierende Folgen haben. Aber woher kommen diese Einstellungen und das daraus resultierende Verhalten Müttern gegenüber im Arbeitskontext? Hierzu lohnt es sich das sozialpsychologische Stereotype Content Model (SCM) von Fiske, Cuddy, Glick und Xu (2002) heranzuziehen. Das Modell erklärt, dass Individuen soziale Gruppen anhand der zwei Dimensionen Wärme und Kompetenz einschätzen. Vor diesem Hintergrund lassen sich auch geschlechtsspezifische Stereotype auf den beiden Dimensionen abbilden.

Das Stereotype Content Model als Erklärungsansatz

Das SCM von Fiske et al. aus dem Jahre 2002 bietet einen theoretischen Rahmen für die Erklärung und Einordnung von unterschiedlichen Stereotypen. Im Gegensatz zu der herkömmlichen Annahme, dass Stereotype tendenziell negativ behaftet sind, geht das SCM von einem vielschichtigen Bild aus und betrachtet Gruppen differenziert. So können verschiedene stereotype Gruppen anhand von zwei Dimensionen unterschieden werden: Wärme und Kompetenz. Haben Sie sich schon mal die Frage gestellt, ob die fremde Person oder Gruppe Ihnen gegenüber gute oder schlechte Absichten hat? Menschen wollen erst einmal die Intention des Gegenübers in Erfahrung bringen. Die wahrgenommene Wärme hängt nämlich von der wahrgenommenen Konkurrenz ab, die von der Person bzw. Gruppe ausgeht. Oder haben Sie sich gefragt, ob Ihr Gegenüber die Kompetenz hat, um ihre Ziele auch zu erreichen? Über die Kompetenzdimension wird abgebildet, ob die andere Person überhaupt dazu fähig ist, die Intention auszuüben. Die Bewertung der Kompetenz stützt sich auf den wahrgenommenen Status der Person bzw. Gruppe. Gruppen werden also anhand dessen bewertet, inwiefern sie Einfluss auf einen selbst oder die eigene Gruppe ausüben können. Zwar stellen wir uns im Alltag vermutlich nicht aktiv diese Fragen, wenn wir Gruppen bewerten. Dennoch beruht der Inhalt von Stereotypen nach dem SCM auf diesen beiden Aspekten. Aus den zwei Dimensionen und der jeweils hohen beziehungsweise niedrigen Ausprägung lassen sich vier verschiedene Kombinationen von Stereotypgruppen ableiten. Jedem Stereotyp bringen wir verschiedene Emotionen entgegen. Gruppen, denen wir uns zugehörig fühlen, schreiben wir oftmals eine hohe Wärme sowie eine hohe Kompetenz zu. Die Gruppen lösen dabei das Gefühl der Bewunderung in uns aus. Es gibt aber auch Gruppen, denen wir weder Wärme noch Kompetenz zuschreiben; wir schreiben Ihnen weder zu fähig zu sein noch finden wir diese Gruppen nett. Solchen Gruppen wird eher Verachten entgegengebracht. Zudem gibt es zwei Stereotypgruppen, die auf der einen Dimension als hoch und auf der anderen als niedrig eingestuft werden. Manche Gruppen werden wahrgenommen, als ob sie weder die Intention noch das Vermögen hätten, einem selbst oder der eigenen Gruppe zu schaden. Solche Gruppen werden als warm, aber nicht als kompetent wahrgenommen. Dadurch bringen Personen diesen Gruppen eher Mitleid entgegen. Im Gegensatz dazu können wir Gruppen auch als kompetent, aber nicht als warm empfinden. Diesen Gruppen bringen wir eher Neid entgegen.

Berufstätige Eltern im Stereotype Content Model

Eine Folgestudie von Cuddy, Fiske und Glick (2004), die auf dem SCM aufbaut, untersucht die Einordnung von berufstätigen Müttern auf den Dimensionen des SCM und vergleicht diese mit den von berufstätigen Vätern. Dabei wurden vier verschiedene Gruppen untersucht, in der jeweils das Geschlecht (weiblich, männlich) und Elternschaft (Kind, kein Kind) kombiniert wurden. Die Teilnehmer:innen wurden gebeten Profile fiktiver Berater:innen durchzulesen und hinsichtlich Wärme, Kompetenz sowie beruflicher Wertschätzung oder Diskriminierung (Einstellung, Beförderung, Weiterbildung) zu bewerten. Die Teilnehmer:innen sahen ein Profil, bei dem entweder eine männliche oder weibliche beratende Person (Dan oder Kate) mit identischer Berufserfahrung und der aktuellen Tätigkeit beschrieben wurde. Außerdem wurde lediglich beim Vorliegen einer Elternschaft der Satz eingefügt, dass der:die Berater:in und seine:ihre Partner:in vor kurzem ihr erstes Baby bekommen haben. So gelang es den Autor:innen eine sehr niederschwellige, aber aussagekräftige Unterscheidung zu schaffen. An der Studie nahmen insgesamt 122 Studierende der Princeton Universität teil (72 Frauen, 50 Männer, zwei Drittel weiß).

Kompetenzverlust durch Muttersein

Berufstätige Mütter könnten dem SCM entsprechend auf einen von zwei möglichen Stereotypen reduziert werden: die „Nestbauerin“ – warm aber inkompetent, oder die „Karrierefrau“ – kompetent aber kühl. Die Studienergebnisse sind schmerzlich wenig überraschend: Wenn Frauen Mütter werden, tauschen sie einen Teil ihrer wahrgenommenen Kompetenz gegen Wärme ein. Für berufstätige Väter galt dies innerhalb der Studie allerdings nicht. Sie werden im selben Maße als kompetent wahrgenommen wie kinderlose Berufstätige und gewinnen sogar noch an wahrgenommener Wärme dazu – win win für die Papas also. Die Wahrnehmung auf der Wärme-Kompetenz-Skala fällt zu Ungunsten der berufstätigen Mütter aus. Es besteht weniger Interesse daran, Mütter einzustellen, zu befördern oder aus- bzw. weiterzubilden als kinderlose Arbeitnehmer:innen. Aber warum ist das so? Mithilfe des SCM haben wir bereits erfahren, wie Stereotype entstehen und was sie in uns auslösen. Die Theorie geht aber noch weiter und spricht Stereotypen die Vorhersage von Mustern diskriminierender Verhaltensintentionen zu, konkret: von aktiven Angriffen, über passiven sozialen Ausschluss bis hin zu Hilfe oder Kooperation. Wer als stark warm wahrgenommen wird, dem wird eher Hilfe angeboten und wird seltener Opfer aktiver Angriffe. Wer hingegen als stark kompetent wahrgenommen wird, der erntet Anerkennung und vermeidet so die soziale Exklusion. Frauen werden in dem SCM in gemischte Stereotyp-Cluster und eher zwiespältig eingeordnet. Entweder werden sie als kühle Wettbewerberinnen respektiert und beneidet (Karrierefrauen) oder sie werden gemocht aber wenig anerkannt (Hausfrauen). Es erscheint entsprechend der Logik des SCM schier unmöglich, dass Frauen auf beiden Dimensionen hoch eingeschätzt werden. Die Studie von Cuddy et al. (2004) zeigt, dass die Teilnehmenden lieber Beratende befördern, die als kompetent wahrgenommen werden. Der Anstieg an wahrgenommener Wärme bringt berufstätigen Müttern folglich keinen Vorteil im Berufsleben. Wenn Mütter nach der Geburt wieder an den Arbeitsplatz zurückkehren, haben sie vermutlich an wahrgenommener Kompetenz verloren und werden zudem seltener am Arbeitsplatz gefördert. Dies lässt wiederum die Schlussfolgerung zu, dass die wahrgenommene Wärme als irrelevant zur Beurteilung der Arbeitsleistung angesehen wird. Für berufstätige Väter gilt das nicht. Die Autor:innen gehen davon aus, dass die stärker wahrgenommene Wärme bei Müttern schlichtweg die wahrgenommene Kompetenz überstrahlt.

Aktuelle Benachteiligung von Müttern am Arbeitsplatz

Das klingt alles ziemlich unfair, oder? Die Studie von Cuddy et al. stammt bereits aus dem Jahr 2004 und stützt sich auf ein scheinbar vereinfachtes Stereotypmodell. Trotzdem fühlt sich das Thema Diskriminierung von Müttern am Arbeitsplatz auch heute noch aktuell an. Auch wenn die Entwicklung hin zu mehr Gleichberechtigung in allen Lebensbereichen stetig voranschreitet, sind viele Einstellungen zu Frauen noch immer geprägt von veralteten Vorurteilen im Job, wie eine Umfrage von 2018 zeigt (Initiative Chefsache, o.D.). Insbesondere berufstätige Mütter spüren die riesigen Hürden, die es zukünftig noch zu bewältigen gilt. Das SCM kann uns dabei helfen, unsere ambivalenten Gefühle zu verstehen und unsere Voreingenommenheit und Vorurteile bewusst abzubauen. Dieses Wissen könnte auch für Organisationen zur Gestaltung von Präventionsmaßnahmen, wie beispielsweise Trainings zur unbewussten Voreingenommenheit, hilfreich sein. Denn so kann sich die Art und Weise, wie wir unsere Mitmenschen einschätzen, nachhaltig verändern.

Die Veränderung beginnt also – wie so oft – im Kopf jedes Einzelnen.

 

Quellen

Cuddy, A. J. C., Fiske, S. T., & Glick, P. (2004). When professionals become mothers, warmth doesn’t cut the ice. Journal of Social Issues, 60(4), 701-718. https://doi.org/10.1111/j.0022-4537.2004.00381.x

Fiske, S. T., Cuddy, A. J., Glick, P., & Xu, J. (2002). A model of (often mixed) stereotype content: Competence and warmth respectively follow from perceived status and competition. Journal of Personality and Social Psychology, 82(6), 878-902. https://doi.org/10.1037/0022-3514.82.6.878

Initiative Chefsache (o.D). Repräsentative Umfrage: Vorurteile gegen Frauen im Job nehmen zu. https://initiative-chefsache.de/vorurteile-gegen-frauen-im-job-nehmen-zu/

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