von Sylvia Thünemann und Anna-Luise Rehm
1. Einleitung
Forschendes Lernen hat in den letzten Jahren in den Seminaren der Universitäten und Hochschulen Aufwind erfahren und verfügt über einen umfangreichen theoretisch wie auch empirisch abgebildeten Diskurs (u. a. Basten et al. 2020; Hoffmeister et al. 2020; Huber/Reinmann 2019; Mieg/Lehmann 2017). Dabei verweisen die unterschiedlichen Begrifflichkeiten auf verschiedene Konnotationen, so verwendet die
bremische Forschungswerkstatt Erziehungswissenschaften den Begriff des Forschendes Studieren, um studentische Forschungsaktivitäten als hochschuldidaktisch aufbereiteten Bestandteil einer universitären Ausbildungsphase zu kennzeichnen (vgl. Thünemann et al. 2020). Soll Forschendes Studieren nicht nur auf der Ebene einzelner Lehrveranstaltungen stattfinden, sondern das Profil eines Studiengangs prägen – wie es im Projekt ForstAintegriert der Uni Bremen (ForstA) intendiert ist –, sind auf verschiedenen Ebenen ineinandergreifende Maßnahmen erforderlich: Es müssen didaktische Materialien für die Seminararbeit entwickelt und eine sinnvolle Chronologie für die curriculare Einbettung der Forschungsbezüge konzipiert, aber auch ein stetiger Dialog zum Forschenden Studieren über Modulgrenzen hinweg veranlasst werden. Zu Letzterem zählen Verständigungsprozesse unter den Lehrenden über die fachkulturelle
Ausgestaltung und angestrebte Art der curricularen Einbindung des Forschenden Studierens im Studiengang. Die Kommunikation über diese Eckdaten der Forschungsbezüge macht erst Forschendes Studieren zu einem Leitprofil des Studiengangs und lässt für die Studierenden eine spürbare Kohärenz entstehen.
In diesem Beitrag skizzieren wir entlang des Projekts Goresearch die curriculare Einbettung des Forschenden Studierens in den lehrerbildenden Studiengang Gy/OS. Wir gehen dabei insbesondere auf neu konzipierte modulübergreifende Maßnahmen ein, die eine Kohärenz schaffen sollen und für eine Nachhaltigkeit der Projektinhalte sorgen. Abschließend greifen wir die Fragen auf, mit welchen Herausforderungen die modulübergreifende Entwicklungsarbeit verbunden ist und was perspektivisch zu tun ist, damit das Projekt langfristig zu einer Profilschärfung des Studiengangs beiträgt.
2. Ausgangslage und Zielsetzung des Projekts GOresearch
Der Ausgangspunkt des Projekts „GOresearch – Forschende Haltung und Forschungskompetenz im erziehungswissenschaftlichen Lehramtsstudium GO (Gymnasium/ Oberschule)“ war die Erkenntnis, dass auf der Seminarebene des betreffenden Studiengangs zwar vielfältige Forschungsbezüge existierten, diese aber laut Aussage von Studierenden zu komplex und nicht systematisch aufeinander bezogen sind und für Studierende oft nicht als Teile einer Gesamtkomposition erkennbar aufbereitet sind. Der daraus resultierende Mangel an grundlegenden
Forschungskompetenzen stellt Studierende spätestens bei der Erstellung der forschungsbezogenen Masterarbeit vor große Herausforderungen. Das ergaben
Gruppendiskussionen mit Studierenden des betreffenden Studiengangs zu Beginn der Projektkonzeption (Thünemann et al. 2020: 127). Weiterhin wurde in den Diskussionen ersichtlich, dass Studierende nur über ein vages Wissen über die Ziele des Forschenden Studierens im Lehramtsstudium verfügen, wodurch ihnen die
Notwendigkeit von Forschungskompetenzen als Bestandteil eines professionellen Wissens nicht hinreichend bewusst ist. Laut Tremp/Hildbrand gehört zu jeder Curriculumentwicklung „die Klärung der Ausgangssituation sowie eine Zieldefinition, die bei den Dozierenden, die für das Curriculum oder Teile davon verantwortlich sind, möglichst breit abgestützt sein muss“ (Tremp/Hildbrand 2018: 178). Als Projektteam fragten wir uns: Wie kann der oben aufgeführte Befund im Studiengang Gy/OS aufgegriffen und bearbeitet werden? Welche Ebenen müssen wir bearbeiten? Als Ziel des Projekts GOresearch definierten wir, das Forschende Studieren systematisch curricular zu verankern und auch im Sinne einer Teamentwicklung auf der Vermittlungsseite eine modulübergreifende Kommunikation zum Forschenden Studieren im Lehramt anzuregen. Auf diese Weise soll dem Anspruch einer reflexiven Lehrer*innenbildung (u. a. Berndt et al. 2016) Rechnung getragen werden, die einerseits auf die Vermittlung von Forschungskompetenzen im Sinne der Aneignung eines spezifischen Professionswissens abzielt und andererseits das Ziel der Ausbildung eines forschenden Habitus verfolgt.
3. Projektkonzeption und Ergebnisse
3.1 Phase 1: Curriculare Einbettung auf Ebene der Module
Ausgehend von der Rückmeldung der Studierenden, die Forschungsbezüge seien in den einzelnen Lehrveranstaltungen oft zu komplex und überfordernd, stellte sich im Sinne einer Klassifizierung von Huber/Reinmann (2019) das sequenzielle Muster der curricularen Einbettung, also eine Etappierung der Forschungsphasen entlang der Modulstruktur, als sinnvoll dar. Hierbei „wird ein Studiengang von einer Sequenz von Modulen durchzogen, die zwar insgesamt am forschungsnahen Lernen orientiert sind, aber nicht jedes (Mal, sic) den ganzen Zyklus des Forschens durchlaufen, sondern jeweils unterschiedliche Elemente oder ‚Phasen‘ […] besonders akzentuieren“ (Huber/Reinmann 2019: 136). Für diese Art der Verknüpfung von Forschung und Lehre liegt mit dem ‚Zürcher Framework‘ (Tremp/Hildbrand 2012) ein gutes Beispiel vor. Es bietet ein überdes Forschenden Studierens und nimmt auch die verschiedenen Ebenen einer curricularen Einbettung in den Blick, von der einzelnen Lehrveranstaltung bis hin zur Profilschärfung einer Universität.
Wir nahmen das Zürcher Framework als Orientierungsfolie für unser Vorhaben, modifizierten die Etappen des Forschungsprozesses und legten diese über die vorhandene Modulstruktur, sodass in jedem Modul einzelne Etappen des
Forschungsprozesses verstärkt thematisiert werden. Zur inhaltlichen Profilierung der Module wurden alle Module dem schematischen Vierschritt Annäherung – Überblick – Vertiefung – Anwendung zugeordnet. Ausgehend davon identifizierten wir zunächst in jedem Modul die bereits vorhandenen Forschungsbezüge (Abb.1). Ziel dieser Bestandsaufnahme war die Ermittlung des Status quo, um anschließend mit den Verantwortlichen eine forschungsbezogene Profilierung durchführen zu können.
3.2 Phase 2: Entwicklung einer modulübergreifenden Zusammenhangsperspektive
Huber/Reinmann sehen in sequenziellen Formen der curricularen Implementierung die Gefahr, dass „das Bewusstsein des Zusammenhangs zwischen ihnen [den Modulen, S. Th.] nicht entsteht, bevor günstigenfalls die Abschlussarbeit mit einem solchen Projekt verbunden wird“ (Huber/Reinmann 2019: 138). Diese Einschätzung deckt sich mit weiteren Ergebnissen unserer Gruppendiskussionen. Studierende klagten über verinselte Forschungserfahrungen und ein fehlendes Überblickswissen. Eine Zusammenhangsperspektive kann jedoch nicht durch ein einzelnes Projektteam entwickelt werden, sondern ist Aufgabe aller beteiligten Lehrenden. Für den notwendigen modulübergreifenden Verständigungsprozess konzipierten wir deshalb zwei Elemente, anhand derer im Studienverlauf ein Zusammenhang zwischen den einzelnen Forschungsbezügen hergestellt werden kann: für die Lehrenden den Begleittext ‚Begründungszusammenhang zum Forschen in den
Erziehungswissenschaften‘ und für die Studierenden eine visualisierte ‚Roadmap‘, also eine Landkarte zum Forschenden Studieren im Studiengang Lehramt Gy/Os.
Im Begründungszusammenhang wird mit Blick auf die verschiedenen Forschungsfelder und -traditionen der Erziehungswissenschaft erläutert, was es heißt, im Fachkontext der Erziehungs- und Bildungswissenschaften zu forschen. Das Konzept des Forschenden Studierens wird erläutert und für die reflexive Lehrer*innenbildung professionstheoretisch kontextualisiert. Ebenso wird die Etappierung des Forschenden Studierens entlang der Bachelor- und Mastermodule aufgezeigt (Abb. 2). Der Begründungszusammenhang stellt also eine Art Begleittext zur curricularen Einbettung dar und kann seitens der Dozierenden in allen Seminaren und insbesondere in den Vorlesungen aufgerufen werden, um den Studierenden aufzuzeigen, welche Etappe des Forschungszyklus in dem aktuellen Modul fokussiert wird und wie diese mit der Gesamtkomposition des Forschungsprozesses zusammenhängt.
Ergänzend zum Begründungszusammenhang entwickelten wir eine Roadmap, die in Form einer Grafik den gesamten Forschungszyklus in Form einzelner Etappen abbildet.
Diese Übersichtsgrafik wird auf zwei verschiedene Weisen ausdifferenziert:
a) Als Roadmap für Studierende: Diese Version zeigt, in welchen Modulen welche Etappe fokussiert und bearbeitet wird. Die Abbildung 3 zeigt beispielhaft, in welchen Modulen auf welche Weise die Etappe „Präkonzepte explizieren“ thematisiert wird. Für jede Etappe wird darüber hinaus auf Literaturempfehlungen, Beratungsangebote, Handreichungen und Online-Materialien verwiesen.
b) Als Roadmap für Dozierende: Vor dem Hintergrund der Übersichtsgrafik wurden für alle Module Präsentationsfolien für die zu vertiefenden Forschungsetappen erstellt. Die Abbildung 4 zeigt beispielhaft die Folie für das Modul EWL GO1 und GO1P. Diese Folien dienen zusammen mit dem Begleittext ‚Begründungszusammenhang‘ dazu, in den Seminaren die zu vertiefende Forschungsetappe in den Gesamtzusammenhang eines Forschungsprozesses einordnen zu können.
3.3 Phase 3: Digitalisierung des Forschenden Studierens
Bei der Profilschärfung eines Studiengangs ist nicht eine Vielzahl nebeneinander bestehender Angebote erstrebenswert, sondern eine gegenseitige Bezugnahme von inhaltlich benachbarten Projekten. Die letzte Projektphase diente dazu, Kooperationsstrukturen mit der Online-Plattform BOOC (Blended Open Online Courses) aus dem Teilprojekt 1 der bremischen Qualitätsoffensive Lehrer*innenbildung ‚Schnittstellen gestalten‘ aufzubauen. Hierfür wurden die Materialien von GOresearch digital aufbereitet und auf der Online-Plattform eingestellt. Der Studiengang Gy/OS verfügt auf diese Weise über einen ‚Seiteneingang‘ auf BOOC, der Studierenden und Dozierenden nicht nur einen langfristigen Zugriff auf didaktisierte Materialien verschafft, sondern auch für einen höheren Bekanntheitsgrad der Plattform sorgt.
4. Abschließende Überlegungen und Ausblick
Im Bemühen, Forschendes Studieren als Profil eines Studiengangs einzubetten, ist es nicht damit getan, Forschungsbezüge systematisch herzustellen. Eine Profilschärfung zielt immer auch auf die Ebene der Teamentwicklung und benötigt umsichtige Verständigungsprozesse über Modulgrenzen hinweg. Dabei gilt es, die
fachkulturellen Ausprägungen und Denkrichtungen der einzelnen Module anzuerkennen. Mit GOresearch sind wichtige Schritte einer curricularen Einbettung des Forschenden Studierens gelungen: von einer dem Studiengang entsprechenden Etappierung der Forschungsbezüge über deren curriculare Implementierung bis hin zur digitalen Aufbereitung der Materialien. Doch damit ist GOresearch noch nicht vollendet. Huber nennt in seinen ‚Nachdenklichen Überlegungen eines ersten Lesers‘ (Huber 2020) als Gelingensbedingung sequenzieller curricularer Einbettungen, „dass die Lehrenden eines Studiengangs in lebhafter Kommunikation stehen müssen, gemeinsam Überzeugungen bezüglich der Forschungsnähe entwickeln und aus ihnen heraus sowohl ihre didaktischen Entscheidungen treffen als auch in ihrer Lehre immer wieder Bezüge zur Forschung, zu Wissenschaft als Prozess in einem für die Studierenden deutlichen Zusammenhang herstellen“ (Huber 2020: 329). GOresearch hat einen studiengangsweiten Austausch über das Forschende Studieren in die Wege geleitet. Die Profilschärfung des Studiengangs lebt jedoch von einer fortlaufenden „lebhaften Kommunikation“ (Huber 2020: 329) der Lehrenden über die Projektzeit hinaus. Geplant ist, auch zukünftig durch die Forschungswerkstatt Erziehungswissenschaft solche Anlässe zu schaffen, beispielsweise in Form von niedrigschwelligen Workshops für Studierende, Fortbildungen für neue Dozierende, virtuellen Führungen auf BOOC etc.
Literatur:
• Basten, Melanie; Mertens, Claudia; Schöning, Anke; Wolf, Eike (Hrsg.) (2020): Forschendes Lernen in der Lehrer/innenbildung. Implikationen für Wissenschaft und Praxis, Münster: Waxmann.
• Berndt, Constanze; Häcker, Thomas; Leonhard, Tobias (Hrsg.) (2016): Reflexive LehrerInnenbildung revisited. Traditionen – Zugänge – Perspektiven, Bad Heilbrunn: Verlag Julius Klinkhardt.
• BOOC (Blended Open Online Courses). Online: https://booc.uni-bremen.de
• ForstA (Forschend studieren von Anfang an – Heterogenität als Potenzial). Online: https://www.uni-bremen.de/fb12/fachbereich/forsta.html
• Hoffmeister, Thomas.; Koch, Henning.; Tremp, Peter (Hrsg.) (2020): Forschendes Lernen als Studiengangsprofil. Zum Lehrprofil einer Universität, Wiesbaden: Springer VS.
• Huber, Ludwig; Reinmann, Gabi (2019): Vom forschungsnahen zum forschenden Lernen an Hochschulen. Wege der Bildung durch Wissenschaft, Wiesbaden: Springer VS.
• Huber, Ludwig: Nachdenkliche Überlegungen eines ersten Lesers. In: Thomas Hoffmeister, Henning Koch, Peter Tremp (Hrsg.) (2020): Forschendes Lernen als Studiengangsprofil. Zum Lehrprofil einer Universität, Wiesbaden: Springer VS, S. 321-332.
• Huber, Ludwig: Warum Forschendes Lernen nötig und möglich ist. In: Ludwig Huber, Julia Hellmer, Friederike Schneider (Hrsg.) (2009): Forschendes Lernen im Studium. Aktuelle Konzepte und Erfahrungen, Bielefeld: UVW Universitäts Verlag Webler, S. 9-35.
• Mieg, Harald A.; Lehmann, Judith (Hrsg.) (2017): Forschendes Lernen: wie die Lehre in Universität und Fachhochschule erneuert werden kann, Frankfurt am Main: Campus-Verlag.
• Neuber, Nils; Paravicini, Walther; Stein, Martin (Hrsg.) (2018): Forschendes Lernen –The Wider View, Münster: WTM.
• Qualitätsoffensive Lehrer*innenbildung ‚Schnittstellen gestalten‘ an der Universität Bremen. Online: https://www.uni-bremen.de/zflb/projekte-forschung/schnittstellen-gestalten-qualitaetsoffensive-lehrerbildung.html
• Thünemann, Silvia; Schütz, Anna; Dogmus, Aysun: GOresearch – Konzeptionelle Zugänge zum Forschenden Studieren im erziehungswissenschaftlichen Lehramtsstudium. In: Thomas Hoffmeister, Peter Tremp, Henning Koch (Hrsg.) (2020): Forschendes Lernen als Studiengangsprofil – Zum Lehrprofil einer Universität, Wiesbaden: Springer VS, S. 123-136.
• Tremp, Peter; Hildbrand, Thomas: Forschungsorientiertes Studium – universitäre Lehre: Das „Zürcher Framework“ zur Verknüpfung von Forschung und Lehre. In: Tobina Brinker, Peter Tremp (Hrsg.) (2012): Einführung in die Studiengangentwicklung (Blickpunkt Hochschuldidaktik, Bd. 122), Bielefeld: Bertelsmann, S. 101-116.
• Tremp, Peter; Hildbrand, Thomas: Forschungsorientierung und Berufsbezug: Studiengangentwicklung mit dem ‚Zürcher Framework‘. In: Nils Neuber, Walther Paravicini, Martin Stein (Hrsg.) (2018): Forschendes Lernen – The Wider View, Münster: WTM, S. 175-178.
Über die Autorinnen:
Thünemann, Silvia, Dr., Leiterin der Forschungswerkstatt Erziehungswissenschaft
am Fachbereich Erziehungs- und Bildungswissenschaften an der Universität Bremen. Schwerpunkte in Forschung und Lehre: Methoden der Qualitativen Sozialforschung, Forschendes Studieren, Forschungsberatung sowie Professionalität im Lehramt. Kontakt: sithuene@uni-bremen.de
Rehm, Anna-Luise, M. Ed. Wissenschaftliche Mitarbeiterin im Projekt GOresearch und im Arbeitsbereich Schultheorie und empirische Schulforschung. Kontakt: rehm@uni-bremen.de
Bildnachweise:
Autorinnenfotos und Abbildung 1 bis 4: Anna Rehm; Silvia Thünemann