Wissenschaft und Schulpraxis systematisch und nachhaltig verschränken – das Kooperationsprojekt Duale Promotion

von Sabine Doff, Andreas Grünewald und Nina Sørensen

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In Bremen gibt es seit Oktober 2016 die Möglichkeit, in einem integrierten Graduiertenprogramm eine fachdidaktische Promotion mit dem Referendariat zu kombinieren. Dieses Ziel verfolgen derzeit sechs Doktorandinnen und Doktoranden, welche die erste Kohorte des Programms „Duale Promotion“ bilden. Ihre Stipendien werden von der Zentralen Forschungsförderung der Universität Bremen finanziert; zu diesem Eigenanteil hat die Universität Bremen sich im Rahmen der Antragstellung in der „Qualitätsoffensive Lehrerbildung“ verpflichtet. Aus diesem Grund ist das Qualifizierungsprogramm „Duale Promotion“ inzwischen ein Kooperationsprojekt von „Schnittstellen gestalten“.

Abgeschlossen wird dieser vierjährige Qualifizierungsweg mit Promotion und dem Zweiten Staatsexamen. Die „Duale Promotion“ hat folgende Haupt-Zielsetzungen:

  • Stärkung des Theorie-Praxis-Bezugs durch gemeinsame Schul- und Unterrichtsentwicklung: Wissenschaft und Praxis werden bedarfsorientiert (d. h. an Fragen, die auf/von beiden Seiten entstehen und gemeinsam weiterentwickelt werden), systematisch und nachhaltig miteinander verknüpft,
  • Nachwuchsqualifizierung für Schule und Wissenschaft: Besonders geeignetem Nachwuchs wird eine herausragende Qualifizierungsmöglichkeit geboten mit der gleichzeitig mehrere Berufswege gefördert und offengehalten werden, d. h. sowohl eine Karriere in der Wissenschaft als auch in einer (Führungs-)Position in der Schule.
Abbildung 1: Visual Duale Promotion

Abbildung 1: Visual Duale Promotion

Was war der Ausgangspunkt für die „Duale Promotion“?

Ausgelöst durch die Einführung der flächendeckenden Inklusion zusammen mit einer grundlegenden Schulreform im Bundesland Bremen, die faktisch eine Zweigliedrigkeit im Sekundarschulwesen etablierte, war der Ausgangspunkt der Überlegungen die Suche nach Gestaltungsmöglichkeiten für eine Schule der Vielfalt. Darüber hinaus bot der Stadtstaat Bremen aufgrund seiner Größe die idealen Voraussetzungen für eine enge Verzahnung aller relevanten Institutionen und Beteiligten. Festzuhalten ist, dass der produktive Umgang mit Heterogenität im Bremer Schulsystem derzeit die zentrale Herausforderung für Lehrerinnen und Lehrer darstellt. Um dieser professionell zu begegnen ist es notwendig, dass (zukünftige) Lehrkräfte ein Berufsverständnis entwickeln, das innovatives berufliches Handeln grundlegend einschließt; denn wie die Herausforderungen der nächsten Jahre und Jahrzehnte aussehen werden, weiß derzeit noch niemand.

 

Wie ist die „Duale Promotion“ aufgebaut? Das Qualifizierungsprinzip – von der Theorie in/für die Praxis (und zurück)

Basierend auf diesen Überlegungen wurde an der Universität Bremen innerhalb einer durch das Zukunftskonzept im Rahmen der Exzellenzinitiative geförderten interdisziplinären fachdidaktischen Forschungsgruppe  das Qualifizierungskonzept „Duale Promotion“ entwickelt (vgl. Creative Unit FaBiT 2016). In der „Dualen Promotion“ wird der Vorbereitungsdienst (Referendariat) mit einer fachdidaktischen Promotion verknüpft. Das Land Bremen ist das erste Bundesland, in dem diese Option ab dem Wintersemester 2016/17 angeboten wird. Die „Duale Promotion“ dauert regulär vier Jahre. Sie beinhaltet den 18-monatigen Vorbereitungsdienst, in dem zugleich die Hauptphase der Datenerhebung für die empirisch basierten Dissertationen liegt („Dual Use“). Die promovierenden Referendarinnen und Referendare bleiben in einem Graduiertenprogramm eingebunden, in dem das Promotionsvorhaben wissenschaftlich begleitet wird.

Ein solches Qualifizierungsmodell setzt eine enge Kooperation zwischen den Partnern (Universität, Schulen, Landesinstitut, Behörden) voraus, und bleibt auch dann noch eine große Herausforderung für alle Beteiligten, insbesondere für die Dual Promovierenden selbst. Um deren Perspektive zu erheben und das Qualifizierungskonzept daran orientiert weiter zu entwickeln, findet eine wissenschaftliche Begleitforschung zu der derzeit laufenden ersten Kohorte (statt (vgl. Creative Unit FaBiT 2017). Den Absolventinnen und Absolventen der „Dualen Promotion“ stehen nach erfolgreichem Abschluss des Qualifizierungsprogramms alle Wege offen: Sie können als Lehrkräfte mit einer besonderen Expertise für Schul- und Unterrichtsentwicklung in die Praxis gehen oder eine wissenschaftliche Karriere anstreben.

Abbildung 2: Ablauf der „Dualen Promotion“

Abbildung 2: Ablauf der „Dualen Promotion“

Da die „Duale Promotion“ an die Promovierenden sowohl zeitlich als auch inhaltlich hohe Anforderungen stellt, sind die Referendarinnen und Referendare zur Unterstützung und wissenschaftlichen Begleitung ihrer Promotionsprojekte in ein Graduiertenprogramm eingebunden. Dieses umfasst neben den Säulen „Forschungsmethoden“ und „Methodologie“ sowie „Wissenschaftlichem Arbeiten“ ein Forschungskolloquium und individuelle Coaching Angebote. Abgerundet wird dieses Graduiertenprogramm durch eine jährlich stattfindende „Summer School“ mit Beiträgen zur Schul- und Unterrichtsentwicklung. Hier werden vielfältige Kontakte zu Akteuren und Entscheidungsträgern aus Schule und Schulverwaltung sowie Vertreterinnen und Vertreter verschiedenster Forschungsrichtungen und der Lehrerbildung ermöglicht. Die Stipendiatinnen und Stipendiaten werden auf diese Weise in der Netzwerkbildung unterstützt, die den Promotionsprozess entscheidend voranbringt.

 

Wie entsteht ein Projekt in der „Dualen Promotion“?

In den Promotionsprojekten wird die Gestaltung von Lehr- und Lernprozessen im Unterricht untersucht. Die Projekte setzen dabei an Situationen des unterrichtlichen Handelns an, in denen deutlich wird, dass bisherige Konzepte nicht mehr greifen. In Abstimmung mit den Lehrkräften an den Schulen werden für diese Situationen Lernarrangements konzipiert und weiterentwickelt. Dieser enge Kontakt zur schulischen Praxis stellt damit sicher, dass relevante Fragen der Schul- und Unterrichtsentwicklung erforscht werden und die Ergebnisse wiederum in den schulischen Alltag einfließen.

Auf diese Art findet Unterrichtsentwicklung, eines der sechs zentralen schulgestalterischen Handlungsfelder nach Huber et al. im Rahmen der aktuellen Kohorte der „Dualen Promotion“ (Wissenschaftliche Leitung: Prof. Dr. Andreas Grünewald) in sechs unterschiedlichen Fächern statt (vgl. Huber et al. 2015). Damit decken die Forschungsprojekte ein breites Fächerspektrum ab und erlauben neben den fachspezifischen Erkenntnissen auch interdisziplinäre Vernetzungen.

Stipendiatinnen und Stipendiaten der aktuellen Kohorte der „Dualen Promotion“ und ihre Dissertationsprojekte

Abbildung 3: Stipendiatinnen und Stipendiaten der aktuellen Kohorte der „Dualen Promotion“ und ihre Dissertationsprojekte

Was sind Ziele und Schritte bei der gemeinsamen Gestaltung von Schule?

Notwendige Voraussetzung für den Erfolg des seit Anfang November 2017 am ZfLB angesiedelten Qualifizierungsprogramms „Duale Promotion“ ist die enge Kooperation zwischen Universität (erste Phase der Lehrerbildung), Landesinstitut (zweite Phase) und Schulen. Die Kooperationspartnerinnen und -partner arbeiten gemeinsam an der Gestaltung von Schule. Das geschieht im Einzelnen durch:

  • die Generierung wichtiger Fragen von gesellschaftlicher Relevanz sowie Beiträge zu deren Lösung (u. a. in den Bereichen Migration, Inklusion, Chancengleichheit, Digitalisierung);
  • die Nutzbarmachung dieser Beiträge für die Schul- und Unterrichtsentwicklung, aber auch für die Theoriebildung an der Universität (Transfer der Erkenntnisse in die Schulen und aus Schulen an die Universität, u. a. durch direkte Kooperationen, Lehrer- und Schulfortbildungen etc.);
  • die aktive Gestaltung von Schule durch die Promovendinnen und Promovenden und die Netzwerke, in denen sie agieren (d. h. die Verknüpfung von Forschung mit Schule an konkreten Projekten);
  • die Förderung besonders engagierter und motivierter Absolventinnen und Absolventen der lehrerbildenden Studiengänge, die ein Interesse an Forschung und eine Motivation für den Lehrberuf mitbringen;
  • die Verbesserung der Lehrerbildung durch phasenübergreifende Zusammenarbeit.

Das Qualifizierungsprogramm „Duale Promotion“ wurde vom Stifterverband für die Deutsche Wissenschaft als „Hochschulperle“ des Monats Juni 2017 ausgezeichnet (vgl. Stifterverband 2017). „Hochschulperlen“ sind innovative, beispielhafte Projekte, die an einer Hochschule realisiert werden. Mit der Auszeichnung möchte der Stifterverband die vielfältigen und innovativen Schnittstellen von Hochschulen zu gesellschaftlichen Partnerschaften sichtbar werden lassen und einer interessierten Öffentlichkeit vorstellen. „Hochschulperlen“ sind beispielhafte Projekte, die einen Beitrag zur Kultur einer „kooperativen Hochschule“ leisten: „Ein schönes Projekt, das Praxis und Theorie der Lehrerausbildung auf vorbildliche Weise miteinander verbindet. Die Stipendiaten sind hinterher für beide Berufswelten qualifiziert und tragen mit ihrer Arbeit zu einem regen Austausch zwischen Hochschule und Schule bei“, begründet die Jury des Stifterverbandes die Entscheidung für die Auszeichnung der „Dualen Promotion“ mit dem Prädikat (Stifterverband für die Deutsche Wissenschaft 2017).

 

Gemeinsam Innovationsexpertinnen und -experten für Schule und Unterricht ausbilden

Von den Promotionsvorhaben profitieren nicht nur die Promovendinnen und Promovenden sondern auch die beteiligten Kooperationsschulen. Die Universität gewinnt Erkenntnisse über Kompetenzen, die Lehrpersonen benötigen, um mit aktuellen und zukünftigen Herausforderungen umzugehen. Diese Erkenntnisse fließen in die Gestaltung einer zukunftsfähigen Lehrerbildung ein. Darüber hinaus wird eine partnerschaftliche Kooperation zwischen Schule und Universität etabliert, die langfristig der Lehrerbildung ebenfalls zugutekommt. Mit der „Dualen Promotion“ werden auf diese Weise Innovationsexpertinnen und -experten für Schule und Lehrerbildung ausgebildet.

Schulen haben durch sich laufend wandelnde Herausforderungen einen hohen Bedarf an wissenschaftlich fundierter Schul- und Unterrichtsentwicklung und damit an Lehrkräften in Funktionsstellen, die in der Lage sind, einen nachhaltigen Beitrag zur schulinternen Qualitätsverbesserung zu leisten. Aktuell besteht in den Schulen insbesondere die Problematik des Lehrermangels, der sich bis in viele verwaiste Stellen für Schulleiterinnen und Schulleiter spiegelt.

Die „Duale Promotion“ zielt u. a. darauf ab, besonders kompetente Lehramtsabsolventinnen und -absolventen auf „Leadership Aufgaben“ frühzeitig und systematisch vorzubereiten, denn auch in Leitungspositionen muss ein Wissen um systematische Schulentwicklung vorhanden sein. Ziel der „Dualen Promotion“ ist es u. a., Innovationsexpertinnen und -experten nicht nur für Schulleitungs-, sondern auch für Fachleitungsaufgaben oder Steuerungsgruppen auszubilden und angehende Lehrkräfte mit fundierter Fachkenntnis als Grundlage für solche Aufgaben auszustatten.

Aktuelle Informationen zur „Dualen Promotion“ finden Sie immer unter folgendem Link: www.uni-bremen.de/zfl/projekte/duale-promotion.

 

Über die Autor_innen:

Prof. Dr. Sabine Doff ist wissenschaftliche Direktorin im ZfLB.

Prof. Dr. Andreas Grünewald ist wissenschaftlicher Leiter in der aktuellen Kohorte.

Dr. Nina Sørensen ist Koordinatorin des Programms „Duale Promotion“.

 

Bildnachweis:

  • Autor_innenfotos: Harald Rehling; Andreas Grünewald (privat); Nina Sørensen (privat)
  • Abb. 1, 2, 3: Universität Bremen

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