Von Friedrich Schorb, Tim Ellermann, Nadine Ochmann, Martina Wachtlin und Karen Hentschel
Im Bachelorstudiengang Public Health/Gesundheitswissenschaften wurden erstmals im Wintersemester 2012/2013 zwei Module des Schwerpunktes „Prävention und Gesundheitsförderung“ projektorientiert ausgerichtet, die seither auf ein im dritten und vierten Semester durchzuführendes Forschungs- oder Praxisprojekt abzielen. Im Wintersemester 2012/2013 und im Wintersemester 2013/2014 starteten in diesem Rahmen sechs bzw. fünf Projektveranstaltungen mit einem Umfang von vier Semesterwochenstunden pro Semester.
Public Health ist eine multidisziplinäre anwendungsorientierte Studienrichtung. Die Seminare, die in Public Health angeboten werden, decken nicht nur eine Vielzahl von Themen ab, sondern haben auch eine besonders hohe Praxisrelevanz. Diese inhaltliche Praxisrelevanz steht allerdings oft im Widerspruch zur Struktur der Public Health Seminare, die aus der klassischen Aufteilung von inhaltlichem Input durch die Lehrenden auf der einen Seite und der Erbringung von standardisierten Prüfungsleistungen (Hausarbeit, mündliche Prüfung, Referat) durch die Studierenden andererseits, besteht. Das Auseinanderklaffen von Lehrinhalt und Lehrmethodik wurde von den Studierenden in Public Health wiederholt kritisiert und zugleich der Wunsch nach vermehrten Möglichkeiten, die Umsetzung der erlernten Inhalte eigenständig zu gestalten, geäußert. Dank der Unterstützung durch ForstA ist es nun möglich, diesem Anliegen nachzukommen.
Die angebotenen Projekte bilden sowohl die methodische als auch die inhaltliche Vielfalt von Public Health ab. Eine der Methoden war dabei die praktische Umsetzung von Partizipation. Der partizipative Ansatz innerhalb von Public Health geht über die Teilnahme an gesundheitsbezogenen Maßnahmen hinaus und hat die Teilhabe in Form von Mitbestimmung und Mitwirkung bei allen wesentlichen Fragen der Lebensgestaltung zum Ziel. In anderen Projekten stand der „Public Health Action Cycle“ im Vordergrund, welcher gesundheitsbezogene Maßnahmen von der Bedarfsanalyse über die Umsetzung bis zur Evaluation umfasst. Wieder andere Projekte beschäftigen sich mit Fragen der Evidenzbasierung mittels quantitativen und qualitativen Befragungen und deren Auswertung. Thematisch umfassen die im Projektmodul angebotenen Lehrveranstaltungen Bereiche wie den in Public Health weit verbreiteten Settingansatz, dem zufolge gesundheitsfördernde Maßnahmen dort stattfinden sollen, wo Menschen ihren Lebensmittelpunkt haben: im Beruf, in der Ausbildung, am Wohnort oder dort, wo sie ihre Freizeit verbringen. Weitere Seminare beschäftigten sich mit der Verbesserung der gesundheitlichen und sozialen Lage gesellschaftlich marginalisierter Gruppen, der biographischen Lebenslaufforschung, mit Möglichkeiten einer evidenzbasierten Patienteninformation oder mit Bewältigungsstrategien im Umgang mit chronischen Krankheiten. Zu den jeweiligen Oberthemen wurden innerhalb der Projektveranstaltungen Kleingruppen gebildet, in welchen die jeweiligen Projekte geplant, organisiert und letztendlich umgesetzt wurden. Dabei wurden in den Projektveranstaltungen generell in Forschungs- oder Praxisprojekte unterschieden: In einem Forschungsprojekt oblag den Studierenden die Bearbeitung des gesamten Prozesses, von der Erarbeitung der Fragestellung über die Auswahl der Methoden und die Durchführung der Untersuchung bis hin zur Auswertung der Daten. In einem Praxisprojekt führten die Studierenden die Planung und Umsetzung von gesundheitsbezogenen Maßnahmen von der Bedarfsanalyse über die Planung und Implementierung bis hin zur Evaluation entsprechender Maßnahmen durch.
Im Wintersemester wird der Schwerpunkt größtenteils auf die inhaltliche Aufbereitung der Themen gelegt. Dabei wechseln sich Input-Veranstaltungen, freies Arbeiten oder Reflexionstreffen ab, wobei den Studierenden die Möglichkeit zur Mitgestaltung der Seminarplanung ermöglicht wird. Im Sommersemester beginnt dann die eigentliche Feldarbeit, bei welcher die Projekte in die Praxis umgesetzt werden. Die Studierenden organisieren sich selbst in Arbeitsgruppen und legen auch ihre Arbeitsschritte und ihr Arbeitstempo weitgehend selbstständig fest. Die Dozenten wechseln von der Position der Expertinnen und Experten in die Rolle von Peer-Coaches. Sie stehen dort, wo es gewünscht und notwendig ist, mit Rat und Tat zur Seite, motivieren die Studierenden einerseits bei der Umsetzung ihrer Zielsetzung, „warnen“ aber andererseits auch vor zu hohen Ambitionen und Erwartungen. Im Folgenden sollen nun jeweils ein Praxis- und ein Forschungsprojekt näher vorgestellt werden.
Beispiel Praxisprojekt
Im Praxisprojekt mit dem Titel „Maßnahmen zur Verbesserung der gesundheitlichen Lage von Menschen mit ungesichertem Aufenthaltsstatus“ sollen in Zusammenarbeit mit den Betroffenen sowie den Anbietern professioneller und ehrenamtlicher Versorgungsstrukturen in Bremen sowohl der Zugang zu medizinischen und psychologischen Versorgungsstrukturen als auch der Zugang zu gesundheitsförderlichen Wohn- und Lebensbedingungen sowie zu sozialer und materieller Teilhabe verbessert werden.
Im ersten der beiden Forschungssemester besteht die Aufgabe der Studierenden darin, Informationen zur rechtlichen, sozialen und gesundheitlichen Lage von Menschen ohne gesicherten Aufenthaltsstatus sowie Informationen zu Angeboten für Menschen mit ungesicherten Aufenthaltsstatus in Bremen zu recherchieren, zu referieren und zu verschriftlichen. Darüber hinaus knüpfen die Studierenden erste Kontakte zu Organisationen und Betroffenen. Der inhaltlichen Vertiefung dienen Gastvorträge von Mitgliedern von Flüchtlingsorganisationen sowie von (ehrenamtlichen) MitarbeiterInnen in Beratungsorganisationen für Flüchtlinge und Migranten. Im ersten Durchgang des Seminars wurden durch die Studierenden unter anderem Projekte wie die Organisation eines Sprachtandems zwischen BremerInnen und BewohnerInnen eines Flüchtlingsheims im Bremer Viertel organisiert. Dieses Sprachtandemprojekt wurde im Anschluss von Studierenden aus dem Fachbereich in Eigeninitiative weitergeführt.
Darauf aufbauend ist dieses Jahr unter anderem vorgesehen, Mustermedikamente für die gesundheitliche Versorgung von Menschen ohne Papiere zu organisieren. Des Weiteren soll in Zusammenarbeit mit Werder Bremen ein regelmäßiges Fußballtraining mit unbegleiteten minderjährigen Flüchtlingen abgehalten werden. An voraussichtlich zwei Bremer Schulen soll zudem ein Projekttag durchgeführt werden, bei dem Bremer Jugendliche aus erster Hand über die soziale und rechtliche Lage von Flüchtlingen informiert werden.
Beispiel Forschungsprojekt
Im Forschungsprojekt „evidenzbasierte Patienteninformation“ haben die Studierenden die Aufgabe, in Kleingruppen eine Patienteninformation vor dem Hintergrund der Evidenzbasierung selbständig zu planen, zu organisieren und schließlich umzusetzen. Die Lehrenden übernehmen maßgeblich eine unterstützende Rolle und leiten die Studierenden an, ihre entsprechenden Themen zunächst systematisch zu erforschen und die potentiellen Inhalte der Patienteninformation hinsichtlich der wissenschaftlichen Evidenz kritisch zu überprüfen. Das Wintersemester ist somit eher durch forschungsrelevante und inhaltliche Aspekte geprägt, während im darauffolgenden Semester die Schwerpunkte auf der Konzeption und praktischen Umsetzung der Patienteninformation liegen. In diesem Zusammenhang bemühen sich die Studierenden um mögliche Kooperationspartner (wie z.B. die AIDS-Hilfe Bremen e.V.) und setzen die im vorigen Semester erarbeiteten Inhalte in der Patienteninformation um. Die regelmäßigen Seminare begleiten die Erstellung der Patienteninformationsmaterialien mit einer inhaltlichen Struktur, welche dem Fortschritt der Planung angepasst ist und somit in der Reihenfolge aufeinander aufbaut. Die einzelnen Einheiten umfassen zum Beispiel die Grundlagen zur Themenfindung und des Projektmanagements, die kritische Beurteilung von (wissenschaftlicher) Evidenz, die Erfassung und Erreichbarkeit von Zielgruppen sowie deren Möglichkeiten zur Partizipation. Bei den zu Beginn des Semesters festgelegten Fortschrittstreffen bekommen die Studierenden die Möglichkeit, ihre bisher erreichten (und noch zu erreichenden) „Meilensteine“ beim Projekt dem Plenum zu präsentieren und diese konstruktiv zu besprechen. Gegebenenfalls bestehende Probleme, jedoch auch Erfolge bei der Umsetzung, können somit zwischen den verschiedenen Kleingruppen ausgetauscht und deren weiterer Umgang damit diskutiert werden. Gesundheitswissenschaftlich „entferntere“ Themenblöcke werden mit Hilfe von externen ReferentInnen behandelt; so fanden u.a. auf Wunsch der Studierenden eine Veranstaltung zum Thema „rechtliche Aspekte bei der Gestaltung von Patienteninformationen“ und ein Visualisierungs-Workshop statt. Die zum Ende des Sommersemesters fertiggestellten evidenzbasierten Informationen umfassten bisher beispielsweise die Erstellung einer Informationsseite im Internet für erwachsene Betroffene von ADHS, eine Informationsbroschüre zu automatisierten externen Defibrillatoren oder eine an Kinder gerichtete Comicgeschichte zum Umgang mit Stottern.
Evaluation der Projekte
Die neue projektorientierte Veranstaltungsform wurde von den Studierenden insgesamt sehr positiv aufgenommen, auch wenn es gerade zu Beginn des Wintersemesters noch Missverständnisse über den Charakter der Veranstaltung gab und der Unterschied zur klassischen Seminarform nicht allen Studierenden von Anfang an deutlich wurde. Positiv wurde durch die Studierenden aufgefasst, dass eine intensive Auseinandersetzung mit einem spezifischen Thema/einer spezifischen Zielgruppe möglich ist, zudem konnte die gelernte Theorie aus dem Studium in die Praxis umgesetzt werden. Gleichzeitig stellte diese Art von Lehrveranstaltung eine Herausforderung an die Eigenverantwortung und an die Selbstorganisation der Studierenden dar. Insbesondere zu Beginn der Projektveranstaltungen empfanden die Studierenden und Lehrenden eine gewisse Orientierungslosigkeit. Diese Ambivalenz spiegelte sich auch in den Aussagen der Studierenden wider. Einerseits wurde das freie Arbeiten positiv empfunden, andererseits waren viele der Beteiligten, insbesondere in den praxisorientierten Projekten, auch zunächst damit überfordert, den Zugang zum Feld selbst zu initiieren. Als hilfreich für das schlussendliche Gelingen der Projekte wurden die Ideenwertschätzung, der Raum für Kreativität und die gute Betreuung durch die Dozentinnen und Dozenten hervorgehoben.
Die Projektveranstaltungen erforderten aber nicht nur von den Studierenden, sondern auch von den Lehrenden besondere Kompetenzen. Durch regelmäßige Modultreffen wurde ein ständiger Austausch zwischen den Lehrenden angeregt, um mögliche Probleme und Herausforderungen anzugehen und seminarübergreifende Absprachen zu treffen. Beispielsweise wurden hier auch die Ergebnisse der moderierten Lehrevaluationen diskutiert und reflektiert. Bei der dialogischen Lehrevaluation handelt es sich um ein Instrument des Fachbereichs 11, das sowohl im Wintersemester als auch im Sommersemester durchgeführt wurde und sich als sehr tauglich erwiesen hat.
Beim „Gesundheits-und Psychologie-Tag“ im Rahmen der Septemberakademie am 10.10.2013 wurden die Ergebnisse der Projektveranstaltungen und die abschließenden Projektberichte den neuen Erstsemestern vorgestellt, was den Beteiligten einerseits die Möglichkeit bot, ihr Projekt zu präsentieren und andererseits den Studienanfängern die Möglichkeit gab, die Praxis ihres Studienfachs in lebendiger Form kennenzulernen. Nach der erfolgreichen Evaluation des „Gesundheits- und Psychologie-Tages“ wurde beschlossen, diesen im kommenden Semester erneut durchzuführen.
Über die AutorInnen:
Friedrich Schorb ist Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Fachbereich 11 und mit verantwortlich für das Säule 2-Projekt Forschend Studieren in Gesundheitsförderung und Prävention.
Tim Ellermann ist Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Fachbereich 11.
Nadine Ochmann ist Wissenschaftliche Mitarbeiterin am Fachbereich 11 und verantwortlich für das ForstA-Qualitätsmanagement.
Martina Wachtlin ist Wissenschaftliche Mitarbeiterin am Fachbereich 11 und mit verantwortlich für das Säule 2-Projekt Forschend Studieren in Gesundheitsförderung und Prävention.
Karen Hentschel war Wissenschaftliche Mitarbeiterin am Fachbereich 11 und mit verantwortlich für das Säule 2-Projekt Forschend Studieren in Gesundheitsförderung und Prävention.
Bildnachweis
- AutorInnenfotos: privat