Spekulationen, Preisblasen und Zusammenbrüche: Hörsaal-Experimente veranschaulichen ökonomische Theorien

Von Stefan Traub

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Die Volkswirtschaftslehre galt in der eigenen Zunft für eine lange Zeit als nicht-experimentelle Wissenschaft und konzentrierte sich vorwiegend auf die modelltheoretische Betrachtung von Problemen. Mittlerweile hat die Experimentalökonomik nicht nur große wissenschaftliche Erfolge bis hin zu Nobelpreisen gefeiert, sondern auch das ökonomische Denken nachhaltig beeinflusst. Die Untersuchung beispielsweise von begrenzt rationalem Verhalten, von sozialen Präferenzen und von Reziprozität in ökonomischen Entscheidungssituationen hat die Volkswirtschaftslehre in vielen Bereichen wieder näher an die Sozial- und Verhaltenswissenschaften herangeführt. Ökonomische Laborexperimente dienen zunehmend aber auch als Ausgangsbasis für die Lösung von vielerlei praktischen Problemen bis hin zur Allokation von Transplantationsorganen (Rees et al., 2009). Es ist naheliegend, Laborexperimente auch in der Lehre einzusetzen, um ökonomische Theorien und deren empirischen Gehalt zu veranschaulichen. Das Team des Lehrstuhls für Volkswirtschaftslehre, insbesondere Finanzwissenschaft, vollzieht unter der Leitung von Lehrstuhlinhaber Stefan Traub und Postdoktorand Fabian Paetzel seit einigen Jahren in der Makroökonomie-Vorlesung im Bachelor Wirtschaftswissenschaft gemeinsam mit den Studierenden die Entstehung von Finanzkrisen mit Hilfe eines Hörsaalexperiments nach.Als am 15. September 2008 die US-amerikanische Investmentbank Lehman Brothers Inc. nach massiven Milliardenverlusten Insolvenz beantragen musste, schwappte die Finanzmarktkrise, die zuerst als „Crash“ auf dem US-amerikanischen Immobilienmarkt begonnenen hatte, endgültig auf Europa und den Rest der Welt über. Das ohnehin bereits seit August 2007 als angeknackst geltende Vertrauen der Banken untereinander war nun völlig zerstört und der internationale Kreditmarkt zwischen den Banken trocknete quasi über Nacht aus. Das brachte immer mehr Finanzinstitute in Bedrängnis, denn eine der volkswirtschaftlichen Grundfunktionen des Banksektors ist die Fristentransformation genannte Umwandlung von kurzfristigen Geldanlagen in langfristige Kredite zur Finanzierung von Unternehmens- und Infrastrukturinvestitionen. Banken, die noch über die dringend benötigte Liquidität verfügten, legten diese nun lieber gegen vergleichsweise niedrige Zinsen bei den Zentralbanken auf die „hohe Kante“, als sie unter Inkaufnahme eines Verlustrisikos anderen Banken zur Verfügung zu stellen. Der Rest der Geschichte ist bekannt: Die betroffenen Regierungen mussten zahlreiche Banken und Versicherungen unter Aufwendung von Steuergeldern „retten“. Die trotzdem entstandene Kreditunterversorgung der Realwirtschaft führte 2009 zu einem weltweiten massiven Einbruch der Wirtschaftsleistung (allein in Deutschland von 5,1% des Bruttoinlandsprodukts oder ca. 100 Mrd. €) und der Rückgang der Produktion zu anschwellender Arbeitslosigkeit (in Deutschland nur durch sehr großzügige Kurzarbeitsregeln abgefedert). Rezession und Arbeitslosigkeit versuchten die Regierungen wiederum mit Konjunkturprogrammen zu bekämpfen. Das alles überforderte so manchen Staat mit aufgeblähtem Immobilien- oder Finanzsektor finanziell und schließlich mussten Länder wie Griechenland, Irland, Portugal und Spanien ihrerseits unter „Rettungsschirme“ schlüpfen, weil ansonsten Staatsinsolvenzen drohten (die Schuldenschnitte für Griechenland sind als faktische Teilinsolvenz zu werten). Für eine lesenswerte Auseinandersetzung mit der Finanzkrise siehe Sinn (2009).

Entstehung der Preisblase

Wie aber lassen sich Finanzkrisen erklären? Die Beschreibung und modellhafte Erklärung solcher Krisen ist in der Volkswirtschaftslehre vorwiegend Gegenstand der Makroökonomik und einiger benachbarter Gebiete wie der Finanzmarktökonomik. In einem viel beachteten Buch haben Reinhart und Rogoff (2009) Beispiele von Finanzkrisen aus nicht weniger als acht Jahrhunderten zusammengetragen und dabei trotz aller scheinbaren Unterschiedlichkeit (der Titel des Buches beginnt mit einem ironisch gemeinten „This Time is Different“) der z.B. durch Staatsschulden oder Bankenzusammenbrüche ausgelösten Krisen erstaunliche Ähnlichkeiten identifiziert. Bei der letzten Finanzkrise war der US-Immobilienmarkt der Ausgangspunkt, auf dem sich seit Anfang der 2000er Jahre, befeuert durch sehr niedrige Zinsen und einige politische Begleitmaßnahmen, die den Erwerb von Häusern auch für wenig solvente Käufer erleichterten, eine Preisblase („Bubble“) gebildet hatte. Der Begriff der Preisblase deutet an, dass sich die Preise in dem entsprechenden Markt deutlich über das durch Fundamentaldaten angebrachte Niveau hinaus aufgebläht haben. Der Fundamentalwert könnte z.B. durch die langfristigen Gewinnerwartungen gegeben sein – auf dem Immobilienmarkt also durch den Wiederverkaufswert des Hauses, der in etwa den auf die Gegenwart abgezinsten zukünftigen Mietwerten entsprechen sollte. Als im Jahr 2006 die Zinsen in den USA stark anstiegen, konnten sich viele Eigenheimbesitzer ihre Häuser nicht mehr leisten, die Immobilienpreise fielen ins Bodenlose und die Krise nahm ihren Lauf. Die US-Zinsen hatten übrigens seit dem Jahr 2000 auf extrem niedrigem Niveau verharrt, weil im März 2000 eine andere Preisblase geplatzt war, die „Dotcom-Blase“, und das Wirtschaftswachstum ähnlich bedrohte. Mit dem kleinen Unterschied, dass es hier nicht um Immobilienpreise ging, sondern um die Bewertung der Aktien der damals neu gegründeten Internetunternehmen.

Gerade diese Preisblasen – selbst Tulpen wurden einst (1636-1637) in den Niederlanden wie Gold gehandelt – haben etwas Faszinierendes an sich: Im Nachhinein, wenn die Preisblase erst einmal geplatzt ist, scheint es dem Betrachter offensichtlich und klar zu sein, dass es sich bei der vorherigen Preisentwicklung um eine irrationale Übertreibung gehandelt haben muss, deren Korrektur lange überfällig war. Hinterher ist man bekanntlich immer schlauer. Aber wie kommt es dann überhaupt dazu, dass sich so eine Preisblase bilden kann? Hätte man die nicht vorhersagen und verhindern müssen? Um diese wichtigen Fragen anschaulich zu beantworten, veranstalten wir seit einigen Jahren in jeder grundständigen Makroökonomie-Vorlesung ein Hörsaalexperiment.

Das Hörsaalexperiment

Das Hörsaalexperiment läuft wie folgt ab: Während einer Vorlesungsstunde wird ein einfacher Wertpapierhandel installiert. Im Mittelpunkt des Wertpapierhandels stehen „Anleihen“. Die Anleihen haben einen Nennwert von 600 Talern. Diese 600 Taler werden am Ende der Laufzeit der Anleihe von 10 Runden an den Besitzer ausbezahlt. Zudem erbringt die Anleihe in jeder Runde einen festen Zins von 1/6 des Nennwertes, also exakt 100 Talern für den gegenwärtigen Besitzer. Die Anleihe birgt aber auch ein Risiko in sich: Mit einer Wahrscheinlichkeit von 1/6, festgestellt durch einen Würfelwurf, fällt die Anleihe nach Zinszahlung aus und wird dann vom Spielleiter aus dem Handel entfernt. Somit hat die Anleihe in jeder Runde einen konstanten Fundamentalwert von 600 Talern, wie man durch Rückwärts-Berechnung des mathematischen Erwartungswerts ermitteln kann. Mit anderen Worten: Ein risikoneutraler Investor würde maximal 600 Taler für die Anleihe bezahlen, wenn er sie erwerben will, und mindestens 600 Taler für die Anleihe fordern, wenn er sie verkaufen will. Wäre der Anleihemarkt also „effizient“ in dem Sinne, dass alle Informationen rational verarbeitet werden, würde gar kein Handel zustande kommen.

Wertpapierhandel im Hörsaal

Die Studierenden werden in fünf Händlergruppen eingeteilt. Am Anfang erhält jede Händlergruppe drei Anleihen und etwas Spielgeld. Jede Händlergruppe ernennt einen Sprecher (wir benutzen den generischen Maskulin) und ein Buchhaltungsteam. Der Sprecher annonciert, ob und zu welchem Preis die Gruppe ein Wertpapier kaufen oder verkaufen will. Die Buchhaltung überprüft, ob genügend Geld bzw. Anleihen vorhanden sind, und verbucht die Transaktionen. Das Lehrstuhlteam überwacht dann den in zehn Runden ablaufenden Anleihehandel, wobei jede Runde 3 Minuten dauert und beliebig viele Wertpapiere ihren Besitzer wechseln dürfen. Zwischen den Runden spielt das Lehrstuhlteam dann „Schicksal“ und würfelt für jede Anleihe aus, ob sie ausfällt oder nicht. Am Ende gewinnt dann das Händlerteam, das nach Rückerstattung des Nennwertes der noch vorhandenen Anleihen über am meisten Bargeld in Talern verfügt. Die tatsächliche Entlohnung der Händlerteams erfolgt schließlich in Form von reichlich Schokoladenriegeln für die Teams, streng gestaffelt nach Erfolg natürlich.

Abbildung der entstandenen Preisblase auf dem Hörsaal-Anleihemarkt als Diagramm

Abbildung: Eine Preisblase auf dem Hörsaal-Anleihemarkt. Insgesamt wurden 10 Runden gespielt, in denen jeweils bis zu zwei erfolgreiche Transaktionen getätigt wurden (schwarze Punkte). In Runde 7 lag der geforderte Verkaufspreis (oberer Kreis) oberhalb des gebotenen Kaufpreises (unterer Kreis) und es kam kein Handel zustande. Der sich aus der Endauszahlung in Runde 10 und dem Risiko ergebende Fundamentalwert der Anleihe ist als gestrichelte Linie eingezeichnet.

Die Abbildung zeigt den für so ein Hörsaalexperiment repräsentativen Verlauf des Anleihehandels in einem bestimmten Wintersemester. Schon ganz am Anfang des Handels, in der ersten Runde, kommt es zu zwei Transaktionen zu völlig überhöhten Preisen von 900 bzw. 1.000 Talern. Das Preisniveau stagniert kurz, um gegen Mitte des Experiments auf fast 1.100 Taler zu steigen – das ist fast das Doppelte des Fundamentalwerts einer Anleihe! Sobald sich das Spiel dem Ende nähert, ergibt sich das typische Bild von angebotenen Anleihen, die plötzlich keine Abnehmer mehr finden (Runde 7). In den folgenden drei Runden brechen die Preise drastisch ein, bis sie am Ende fast das Fundamentalniveau erreicht haben. Im Gesamtbild resultiert ein wunderschöner „Bubble“, gefolgt von einem heftigen „Crash“, bei dem viel Buchgeld vernichtet wird.

In der Nachbesprechung zum Experiment werden die Studierenden nach ihren Handelsstrategien gefragt. Zunächst einmal ist wissenswert, dass die meisten Händlerteams zumindest erahnen, dass die Anleihe einen Fundamentalwert besitzt. Einige Teams können diesen Wert sogar exakt ermitteln. Trotzdem artet das Hörsaalexperiment nicht in Langeweile aus (eigentlich dürfte es ja, wie oben gesagt, mit dem Wissen um den Fundamentalwert gar keinen Handel geben). Dies liegt zum einen an Teams, die tatsächlich anfangs den Fundamentalwert drastisch überschätzen, auf Glück hoffen oder sich an anderen orientieren, sich also „irrational“ verhalten. Zum andern liegt es an Teams die „rational“ darauf setzen, dass das auf Finanzmärkten typische Herdenverhalten der Anleger genügend andere Teams dazu bringt, tatsächlich übertriebene Preise zu zahlen. Steigt man dann selbst rechtzeitig aus, kann ein großer Gewinn resultieren. Teilweise liegt es aber auch an den institutionellen Gegebenheiten, d.h., die Studierenden handeln allein schon deswegen, weil ihnen der Anleihemarkt dies ermöglicht oder weil sie denken, dass von ihnen erwartet wird „Geld zu machen“ (genauso wie ein Banker). Es ist also das Zusammenspiel aus eher unüberlegtem und eher überlegtem Handeln im Rahmen einer bestimmten Institution, das die Preisblase und den folgenden Zusammenbruch möglich macht, und zumindest ein Teil der Marktteilnehmer ist sich durchaus des Risikos einer Übertreibung bewusst. Finanzkrisen werden sich, das ist eine der Lehren des Experiments, auch zukünftig weder komplett verhindern noch korrekt „vorhersagen“ lassen (dazu ist menschliches Verhalten viel zu komplex). Allerdings können transparente Marktstrukturen (also z.B. durchschaubare Finanzprodukte) und gute Institutionen (also z.B. eine funktionierende Bankenaufsicht) das mögliche Ausmaß der Auswirkungen solcher Krisen eindämmen.

Eine Besonderheit dieses von Ball und Holt (1998) entwickelten Experiments ist, dass es sich mit den makroökonomischen, also gesamtwirtschaftlichen, Auswirkungen individuellen Verhaltens auseinandersetzt (weitere Experimente mit ähnlichem Fokus, z.B. zum Thema Inflation, finden sich bei Duffy, 1998). Ein Großteil der Laborexperimente testet hingegen Hypothesen, die sich direkt auf das individuelle Verhalten in strategischen Entscheidungssituationen („Spieltheorie“) oder unter Unsicherheit („Erwartungsnutzentheorie“) beziehen. Auch derartige Experimente eignen sich hervorragend als Hörsaalexperimente, um grundlegende theoretische Konzepte wie das berühmte Nash-Gleichgewicht (ein Spielergebnis, bei dem beide Spieler die wechselseitig beste Antwort spielen und es daher keinen Anreiz mehr zur nachträglichen Verhaltensänderung gibt) zu erläutern (für einen Überblick siehe z.B. Holt, 1999).

Über den Autor:

Stefan Traub ist Inhaber des Lehrstuhls für VWL, insb. Finanzwissenschaften, an der Uni Bremen und seit 2009 Abteilungsleiter der Wirtschaftswissenschaftlichen Abteilung am Zentrum für Sozialpolitik.

Literatur:

Ball, Sheryl B., und Holt, Charles A.: Speculation and bubbles in an asset market, in: Journal of Economic Perspectives 12 (1998), 207-218.

Duffy, John.: Monetary theory in the laboratory, in: Federal Reserve Bank of St. Louis Review 8 (1998), 9-26.

Holt, Charles A.: Teaching economics with classroom experiments, in: Southern Economic Journal 65 (1999), 603-610.

Rees, Michael. A., Kopke, Jonathan E., Pelletier, Ronald P., Segev, Dorry L., Rutter, Matthew E., Fabrega, Alfredo J., Rogers, Jeffrey, Pankewycz, Oleh G., Hiller, Janet, Roth, Alvin E., Sandholm, Tuomas, Ünver, M. Utku, und Montgomery, Robert A.: A nonsimultaneous, extended, altruistic-donor chain, in: New England Journal of Medicine 360 (2009), 1096-1101.

Reinhart, Carmen M., und Rogoff, Kenneth: This time is different. Eight centuries of financial folly. Princeton 2009.

Sinn, Hans-Werner: Kasinokapitalismus. Wie es zur Finanzkrise kam und was jetzt zu tun ist. Berlin 2009.

 

 

Bildnachweis:

  • Autorfoto: David Ausserhofer
  • Abb. 1: Stefan Traub

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