Forschung zwischen Luxus und Notwendigkeit

von Simon Thoböll

Wenn ich über den Campus meiner Universität gehe, sehe ich Flecken und Löcher im Teppichboden, Putz bröckelt von den Wänden und durch die Fensterscheiben kann man kaum hindurchsehen. Es fehlt das Geld, um das alles zu reparieren und zu reinigen.

Beim Werben um Finanzierungmöglichkeiten für Forschung und Lehre müssen Forschende immer wieder die Relevanz ihres Forschungsziels darlegen, woraus sich schnell die Frage nach der Relevanz von Forschung generell oder einzelnen Wissenschaften ergibt: Ist Forschung notwendig für unsere Gesellschaft, oder eher ein Luxusgut, was sich reiche Nationen leisten können und wollen? Wie kann es gerechtfertigt werden, mit öffentlichen Geldern Institutionen für Forschung und Lehre zu unterhalten, die nur einem kleinen Teil der Gesellschaft nutzen werden?

Aber die Studierenden zahlen doch Semesterbeiträge, und es gibt Geld vom Land für Hochschulen und viele Drittmittel für die Forschung? Irgendwo muss dieses Geld doch geblieben sein, also gehe ich in den maroden Mauern auf die Suche nach dem Geld.

Vor allem bei den Naturwissenschaften werde ich fündig: in den Forschungslaboren stehen viele teure Gerätschaften, um den neugierigen Wissensdurst der Forscher zu stillen. Die meisten Geräte sehen sehr wichtig und kompliziert aus, und sind bestimmt gut, um z.B. die Heilung von Krankheiten zu erforschen.

Aber als ich weiter gehe, komme ich ins Zweifeln: eine Gruppe von kaum hüfthohen Robotern spielt Fußball. Das sieht schon verdammt niedlich aus, wie die mit ihren winzigen Schritten dem Ball hinterherlaufen… steckt dort jetzt mein Semesterbeitrag drin? Nein, das sind natürlich Forschungsgelder. Genauso wie bei diesen großen Teilchenbeschleunigern oder dem Fusionsreaktor. Viele Millionen Euro werden jedes Jahr in große und kleine Forschungsprojekte investiert, und gerade so große Projekte sind natürlich auch sehr teuer. Der ehemalige Rektor der TU Wien, Peter Skalicky betont, dass so große Projekte wie ein Teilchenbeschleuniger nun mal sehr teuer sind. Wenn man das Projekt nicht günstiger umsetzen kann, sei es notwendig, so viel Geld zu investieren. Es geht schließlich darum, den Erkenntnisgewinn der Gesellschaft zu fördern, und die Gesellschaft profitiert ja von neuen Entwicklungen und neuen Erkenntnissen. An dieser Stelle frage ich mich natürlich, ob der Erkenntnisgewinn, der nach einer milliardenschweren Forschungskampagne am Teilchenbeschleuniger und der Entdeckung eines neuen Teilchens die Gesellschaft so stark beeinflusst, dass der Einsatz von öffentlichen Geldern in dieser Größenordnung gerechtfertigt

ist, während offensichtlich drängendere Probleme, wie die Erforschung von seltenen Krankheiten und deren Heilung, mit weniger Geld auskommen müssen. Hier erscheint die Argumentation, es ginge halt manchmal nicht billiger und sonst müsste man Forschung ganz sein lassen, und diese Enthaltung wäre eine Fehlentwicklung, kaum gerechtfertigt.

Vielleicht müsste man abwägen, welche Forschung relevanter ist für die Gesellschaft und das Lösen gesellschaftlicher Probleme, und danach das Geld umverteilen? Dazu müsste der intrinsische Wert einer Forschungskampagne so eindeutig beschrieben werden können, dass er mit anderen Kampagnen oder anderen Stellen öffentlicher Finanzierung vergleichbar ist. Da die Relevanz einer Entdeckung aber unter Umständen erst mit weiterführenden Forschungen, die das Potential einer Entdeckung untersuchen, deutlich wird, ist es kaum möglich einen intrinsischen Wert so eindeutig zu formulieren. Und wenn die Rechtfertigung einen so großen Stellenwert in der Forschung einnimmt, würde es zum Stillstand der Forschung kommen, befürchtet Skalicky.

Mittlerweile bin ich auf meiner Suche bei den Geisteswissenschaften angekommen. Da Gedanken erstmal kein Geld kosten und Forschung in Germanistik noch keine Krankheit geheilt hat, scheint hier die Rechtfertigung der Wissenschaft durchaus als Existenzberechtigung relevant zu sein, um den Unterhalt der Institute zu rechtfertigen.

Offensichtlich führt eine Wertung der Wissenschaften durch monetäre Werte oder intrinsische Werte anhand von konkreten Forschungsergebnissen nicht zu einer fundierten Beantwortung der Frage, ob Wissenschaft notwendig ist, oder ein gesellschaftlicher Luxus. Vielleicht sollte ich weniger anhand von konkreten Beispielen einzelner Wissenschaften und deren Vergleich nach einer Antwort suchen, sondern eher nach dem Ursprung und des wissen-schaffens. Liegt wohlmöglich die Rechtfertigung der Wissenschaften vielmehr – abseits von Geld – im Prozess des Suchens nach Antworten, als in der Antwort selbst?

Fündig werde ich bei Erhard Denninger, einem Philosophen aus Tübingen. Für Denninger ist die Frage der Rechtfertigung von Wissenschaft nicht mit dem Preis oder Nutzen von Forschung verbunden, sondern mit dem forschenden Menschen. Er argumentiert mit Humboldt und Fichte, dass die Notwendigkeit freier Forschung besteht, um jedem Menschen die Möglichkeit der freien Entfaltung seiner Persönlichkeit zu geben. Für Denninger ist die Neugier ein angeborenes menschliches Bedürfnis, dessen Befriedigung keiner gesonderten Rechtfertigung bedarf.

Wenn ich von dem Text von Denninger aufsehe, sehe ich immer noch den Fleck an der Wand, wo die Farbe langsam abblättert. Natürlich wird auch mit meinem Semesterbeitrag weder ein

Maler bezahlt, noch die Wissenschaftlerin im Labor. Aber vielleicht ist der Fleck an der Wand auch nicht so wichtig, solange hier jeder Mensch Antworten auf seine eigenen Fragen suchen kann.

 

Literatur:

Dennninger, E. (2012). Zur Rechtfertigung von Wisenschaft. Archiv für Rechts- und Sozialphilosophie, 98(4).

Skalicky, P. (03. 05 2012). Wissenschaft: Notwendigkeit oder Luxus?

Art and creative thinking as functional human behavior

by Isabella Schomborg

Something that all cultures have in common is Art, language and religion. The first humans, like homo Neandertalis, left caves full of paintings. Cultures across the Globus decorate themselves with paint, tattoos and ornaments. Moreover, all cultures developed some form of Art at one point or another. Even cultures with no contact with others know of artistic concepts; therefore, Art cannot be simplified by saying it was passed on or stolen. Instead, Art seems to be bred to the bone—something deeply ingrained in humanhood. But as with almost every human characteristic, it has to have a survivalist reason. The question is: How could that be? Isn’t Art just a simple tool to pass the time with? This is not the only reason because Art has biobehavioral roots and possesses nurturing and beneficial features.

Edward Wilson¹, a Havard entomologist, suggests that genetics also affect psychological traits, meaning that sleeping, vomiting or scratching are not the only instincts. Following his theory of social behaviour, he also believes Lust, Maternity and Aggression are inborn traits. Thus one can Suggest that Art, or rather creative thinking, can be part of human behaviour. However, what is it capable of?

Creative thinking brings new ideas and thus advancement. For example, using herbs for health benefits might stem from logic, but without imagination, someone would never have tried it. Also, using a circular shape to ease transportation would not have been palpable without thinking about using everyday objects differently. Furthermore, creative thinking is in every way a result of human intelligence, but it also furthers it by training the brain. It builds cognitive abilities, and in a way, one can say that the development of creativity furthered human evolution, i.e. by making it bigger through use. Moreover, thinking creatively leads to assumptions and reflections. Humans can think ahead without previous experiences simply by imagining what might happen. This undoubtedly has a considerable impact on planning and coordination, which are human survivalist’s skills. Another way Art furthered humanity is through music. By singing and dancing, not only social life is enhanced but also coordination. Messages are orally distributed like in myths, but the most remarkable example is found in slavery, where work songs were used to make working easier, keep a rhythm for organisation, and circulate hidden messages to plan without being found out.

But As many people can live without the fine arts, not engaging with it in any way in everyday life, the idea of Art as a functionality seems to come to an end. However, it actually does not if the narrative is slightly shifted to a broader sense. In a way in which Art matters personally to someone and is not made to enhance the community. Perhaps it offers a way of being able to not think about one’s environment, to be able to escape worries and responsibilities for a moment to refresh the mind. However, Art can also echo and reflect the natural world humans are surrounded by. It can, therefore, also help process reality by giving specific problems a face, a visualisation to help overcome non-tangible things like death, guilt or loss. Consequently, it can be therapeutic to classify and categorise matters.

All in All, Art is quite beneficial other than being fun. It builds community, aids coordination and helps us navigate this big world by giving us the apparatus to visualise abstract concepts. Although in the end, Art should not be protected because people think it is useless. Can’t things be enough and be important by simply existing? By merely being fun? Doodling or whistling might not be the things that help save the world, but by amusing just one person, its existence is already valid.

 

1 Wilson, Edward : Sociology. The new synthesis. 2 edition: Harvard, Harvard university Press, 2000

Eine Theorie der (Klima-)Gerechtigkeit: Die Klimapolitik unter den Bedingungen der Rawlsschen Verteilungsgerechtigkeit

von Anonym

In der nunmehr sechsundzwanzigsten Auflage der UN-Klimakonferenz arbeiteten die 192 Teilnehmerstaaten im schottischen Glasgow weitere Beschlüsse aus, welche den Kampf gegen die globale Erderwärmung effektiv angehen sollen. Ein zentrales Verhandlungsthema, welches auf den Klimakonferenzen seit ihren anfänglichen Iterationen behandelt wird, stellt die Lastenteilung zwischen den Mitgliedsstaaten dar. Gemäß einer ‚fairen‘ Lastenverteilung sind nationale Emissionsziele zu erfüllen, wobei wirtschaftlich schwache Staaten in ihren Anpassungsmaßnahmen und in ihrer Mitigation-Kompensation zu unterstützen sind. Eine Übereinkunft in gemeinsamen Absprachen und internationalen Verträgen sind durch stark divergierende Interessen der Nationalstaaten nur schwierig zu erlangen, sowie deren Umsetzung schwer kontrollierbar, weshalb erzielte Klimaverträge nur geringe juristische Bindlichkeiten aufweisen, und eher stärkere prozedurale Verbindlichkeiten mit ihnen einhergehen. Damit fortwährend die Entwicklung zur Emissionsreduzierung gewährleistet werden kann gilt es, den Fokus der Verträge von prozeduralen Verpflichtungen auf juristischen Verbindlichkeiten zu lenken und dadurch zu verstärken. Dies kann jedoch nur gelingen, sollten die beteiligten Akteure die beschlossenen Verträge, in welchen politische und moralische Verantwortung übernommen wird, als fair und gerecht anerkennen – gleichgültig ob nach einem polluter pays oder beneficiary pays Prinzip.

Doch neben der Bindungswirkung von Verträgen, gilt es die Herausforderungen des Klimawandels nicht isoliert von ihren gesamtgesellschaftlichen Auswirkungen zu betrachten, sondern
in Belangen der Lastenverteilung, vor allem bezüglich der sozialen Gerechtigkeitsaspekte. Zur Aufschlüsselung dieses Verständnisses ist die prominente Gerechtigkeitstheorie von John Rawls anzuführen, welcher die Herleitung seiner Gerechtigkeitsgrundsätze durch Gerechtigkeit als Fairness¹ begründet. Hierbei leiten sich die beiden von Rawls vorgeschlagenen Gerechtigkeitsgrundsätze aus einem Gedankenexperiment ab, nach welchem die Akteure in einem Urzustand² sich auf Prinzipien einigen, die Grundfreiheiten maximieren, und wirtschaftliche Ungleichheiten nur den langfristigen Interessen der am wenigsten bestgestellten Mitgliedern der Gesellschaft dienen. Die Wahl der Gerechtigkeitsgrundsätze wird unter der angenommenenBedingung des Schleiers des Nichtwissens durchgeführt, nach welchem verschiedene Wirkungen von Zufälligkeiten im Formulierungsprozess beseitigt werden. In dieser Bedingung sind unter anderem Einzeltatsachen wie der eigene Platz in der Gesellschaft oder allgemeine Tatsachen wie Kenntnisse über die Wirtschaftsform nicht bekannt, sodass das Übereinkommen im
Urzustand zur Wahl von fairen Gerechtigkeitsgrundsätzen führt. In abgeänderter Form wird diese Gerechtigkeitstheorie ebenso zur Herleitung von Gerechtigkeitsgrundsätzen in Staatenbeziehungen
in Betracht gezogen, dementsprechend bestehen die Akteure im Urzustand nicht aus Vertretern von Individuen, sondern aus demokratisch-liberalen Staatsvölkern, die in diesem hypothetischen Naturzustand zusammenkommen. Hierbei unterliegen diese Akteure ebenso dem Schleier des Nichtwissens, sodass keine Kenntnisse über die Staatsform, oder der Wirtschaftskraft gegeben ist.

Als ein Problem in dieser abgeänderten Form des Urzustandes, in Belangen der sozialen Gerechtigkeit der Klimakrise, ist hervorzuheben, dass durch die Unkenntnis über die derzeitige Tatsachgrundlagen, ebenso keine zukünftigen Interessen in diesen Überlegungen mit einfließen können. Insbesondere durch die Beschaffenheit des Klimawandels sind die Auswirkungen von
getroffenen Entscheidungen nicht nur auf einen begrenzten Zeitraum zu beziehen, sondern können zugleich kommende Generationen beeinflussen. Dieser Umstand ist also auf die teilnehmenden
staatlichen Akteure im Urzustand zu beziehen, welche lediglich über die Interessen ihres eigenen Volkes im Bilde sind, und ebenso nur diese vertreten. Allerdings sind Klimaauswirkungen nicht an nationalstaatliche Grenzen gebunden, weshalb die Schlussfolgerung aufzustellen ist, dass der Urzustand nur in einem Ansatz einer Weltgesellschaft angenommen werden kann. Dies hätte zur Folge, dass die Akteure die Interessen von Individuen verfolgen, ungebunden
von sozioökonomischen Status, Geschlecht, Generationen oder staatlicher Zugehörigkeit. In der Auseinandersetzung mit Fragen der Lastenverteilung, wie beispielsweise der totalen Menge an ausgestoßenen Treibhausgasen, der Verteilung der Treibhausgasemissionen zwischen den Staaten, oder der staatlichen Schädigung oder Nutzen durch Emissionen wird deutlich, dass eine Beurteilung dieser Fragen anhand der zu erwartenden Auswirkungen beurteilt werden sollte. Dementsprechend ist festzuhalten, dass eine Minimierung der Auswirkungen anzustreben, und ein Festhalten an dem 2-Grad-Ziel zu erwarten wäre. Dieses Ergebnis wird insbesondere durch den Umstand deutlich, dass eine gerechte und faire Verteilung von Überschwemmungen und Unwetterereignissen nur schwer zu realisieren ist, unerheblich ob diese durch einen bestimmten Staat begünstigt wurden, oder dieser einen historischen Anspruch auf seine hohen Emissionswerte fordert.

1 Gerechtigkeit als Fairness bezeichnet die Annahme, dass die Gerechtigkeitsgrundsätze aus einer fairen Ausgangssituation hervorgehen.

2 Der Urzustand bezeichnet das Prinzip eines hypothetischen Naturzustandes, in welchem sich vernünftige Akteure in einer Vertragssituation auf Gerechtigkeitsprinzipien einigen.

Literaturverzeichnis

Berger, Hartwig (2008): Gerechtigkeit im Klimawandel — eine sozialphilosophische Betrachtung. In: Leviathan, Nomos Verlagsgesellschaft mbH, 36 (2), 212–228.

Braun, Florian/Baatz, Christian (2016): Klimaverantwortung. In: Heidbrink, Ludger/Langbehn, Claus/Sombetzki, Janina (Hrsg.), Handbuch Verantwortung. Wiesbaden: Springer Fachmedien, 1–32.

Clements, Paul (2015): Rawlsian Ethics of Climate Change. In: Critical Criminology, 23 (4), 461–471.

Dietz, Matthias/Garrelts, Heiko (Hrsg.) (2013): Die internationale Klimabewegung. Wiesbaden: Springer Fachmedien Wiesbaden.

Harsanyi, John C. (1975): Can the Maximin Principle Serve as a Basis for Morality? A Critique of John Rawls’s Theory. In: Rawls, John (Hrsg.), The American Political Science Review, 69 (2), 594–606.

Hinsch, Wilfried (2012): 3. Kapitel: Die Begründung des Differenzprinzips bei Rawls. In: Gerechtfertigte Ungleichheiten. De Gruyter, 51–100.

Höffe, Otfried (2013): Einführung in Rawls’: Theorie der Gerechtigkeit. In: John Rawls: Eine Theorie der Gerechtigkeit. Akademie Verlag, 1–24.

Leist, Anton (2015): Schadenverursachen und Kooperation beim Klimawandel: Zwei Weisen, auf das Ende zu sehen. In: Klimagerechtigkeit und Klimaethik. De Gruyter, 107–134.

Rawls, John (1979): Eine Theorie der Gerechtigkeit. 21. Auflage. Frankfurt am Main: Suhrkamp.

Rawls, John (1999): The Law of Peoples. 5. Auflage. Cambridge: Harvard University Press.

Warum stehen rote Rosen für Liebe?

von Vivien Bauer

Roland Barthes ermöglicht mit seinem Text „Der Mythos heute“ einen Anhaltspunkt zur Beantwortung von Fragen dieser Art. Doch was ist dieser sogenannte „Mythos heute“ und was hat er mit Rosen zu tun?

Roland Barthes bezieht sich mit dem Wort „Mythos“ nicht auf das eher geläufige Verständnis dieses Wortes bezieht. Dementsprechend ist der Mythos in seinem Text nicht eine überlieferte Erzählung oder Ähnliches, welche irgendein Ereignis oder Phänomen zu erklären versucht und welcher eher wenig Glauben geschenkt werden kann, sondern eine Aussage, die gleichzeitig als Mitteilungssystem und kommunizierte Botschaft fungiere (vgl. ebd., S. 85). Laut Barthes könne Alles Bestandteil eines Mythos werden, weil dieser nicht durch ein Objekt, sondern durch die Art und Weise, wie die Botschaft ausgesprochen wird, definiert werde (vgl. ebd., S. 85f.). Mit dieser Behauptung legt Barthes den Grundstein seiner weiteren Argumentation. Er legt nahe, dass jede Bedeutung von dem Menschen gemacht worden sei. Hier bezieht Barthes sich auch auf das Saussures bilaterales Zeichenmodell, welches auf die rein sprachliche Ebene der Bedeutungsfindung eingeht. Eine Rose (= „Das Bedeutete“) bietet demnach nichts, das bestimmt, dass sie auch [ˈʁoːzə] (= „Das Bedeutende“) genannt werden muss. Es gebe dem-nach keinen natürlichen Auslöser für diese Bezeichnung, wodurch diese Bestimmung als arbiträr angesehen werden müsse (vgl. ebd., S. 86f.). Dieses bilaterale Zeichensystem erweitert Barthes um eine weitere Ebene, um die Ebene des Mythos, um die Entstehung des Mythos zu verdeutlichen. Dabei wird das Zeichen der sprachlichen Ebene, welches aus der Beziehung von Bedeutetes und Bedeutendes hervorgeht, zum Bedeutendes der mythischen Ebene. Dieses Be-deutende der zweiten Ebene verweist anschließend auf ein weiteres Bedeutete, wodurch erneut ein Zeichen entsteht, welches Barthes „Bedeutung“ nennt (vgl. ebd., S. 92f.).

Als Beispiel kann wieder die Rose (= 1. Bedeutetes) angeführt werden, welche als schöne Blume (= 2. Bedeutendes) angesehen werden kann. Wird sie jemandem überreicht, den man gerne mag, so wird aus der schönen Blume ein Geschenk der Zuneigung (= 3. Zeichen/ I. Be-deutendes). Zu diesem Bedeutendes lässt sich erneut ein Bedeutetes in Beziehung setzten. Das wäre in diesem Fall zum Beispiel das Valentinsgeschenk (= II. Bedeutetes). In Beziehung zu-einander entsteht anschließend die Botschaft bestehend aus Liebe und/oder Leidenschaft (= III. Zeichen/Bedeutung). Dieses Vorgehen lässt sich auf alles Mögliche übertragen: Plakate, Schilder, Werbespots, Theaterstücke etc., wodurch die breite Anwendungsmöglichkeit und Aktualität des Konzeptes deutlich wird.

Durch die Anwendung dieses Konzepts, also durch das Aufschlüsseln von Objekten in ihre einzelnen Bestandteile beziehungsweise Termini, können Bilder und Texte richtig analysiert werden. Dies gründet auf der Tatsache, dass die Objekte und die mit ihnen einhergehende Be-deutungen dadurch nicht mehr als Ganzes gesehen werden, sondern differenzierter betrachtet werden können. Zudem ermöglicht das Konzept eine distanziertere Herangehensweise und Auseinandersetzung mit den Objekten. Denn Bedeutung kann effektiver hinterfragt werden, wenn die (kulturellen, politischen, etc.) Hintergründe der Zuschreibungen mit einbezogen und kritisch betrachtet werden.

Zurückgreifend auf das Beispiel der (roten) Rose können Fragen entstehen, wie „Warum weiß so gut wie jeder, dass die Rose für die Liebe steht?“, „Warum werden nicht auch Disteln mit diesem Begriff in Verbindung gebracht?“ oder „Warum werden Rosen ausgerechnet mit diesem Begriff assoziiert?“. Für diese Fragen gibt es teilweise Antworten. So findet sich beispielsweise eine Antwort auf die letzte Frage in der christlichen Symbolik: Die rote Rose werde mit dem Blut Christi in Verbindung gebracht, welches wiederum für die Erlösung der Sünden durch Gottes Liebe stehe (vgl. Menzel 1854, S. 279). Kommt es also zu einer näheren Auseinander-setzung, in dem Falle einer kulturellen beziehungsweise religiöse Auseinandersetzung mit der Rose, so können die Hintergründe der Bedeutung verstanden und hinterfragt werden. Darüber hinaus können daraus weitere Fragen resultieren: „Welche Erklärung gibt es in anderen Religionen oder Kulturen für die Bedeutung der Rose und weicht diese ab?“, „Welche weiteren gesellschaftlichen Einflüsse prägen das Verständnis und die Assoziationen eines Objektes?“ und „Ändern sich die Bedeutungen eventuell auch im Laufe der Zeit?“. Es entsteht demnach eine Reihe von Fragen, die die eigentlich selbstverständlich erscheinende Zuschreibung von Liebe auf die Rose ergründen lässt. Zudem wird anschaulich, dass Bedeutung zwar konstruiert ist, allerdings auch je nach Kulturkreis unterschiedlich ausfallen kann und sich auch innerhalb eines Kreises verändern kann. Somit würden keine absoluten und ewigen Mythen existieren (vgl. Barthes 1956, S. 86).

Literatur:

Barthes, Roland (1956): Der Mythos heute. In: Ders: Mythen des Alltags. Frankfurt a.M.: Suhrkamp 1964, S. 85-151 [hier: Auszug S. 85-96].
Menzel, Wolfgang (1854): Christliche Symbolik. Zweiter Theil. Regensburg: G. Joseph Mainz.

Erziehung und Philosophie

von Melinda Fink

Urs Hofer spricht in seinem Buch „Auf der Suche nach der eigenen Stimme“ über Stanley Cavells Philosophie als Erziehung von Erwachsenen.

Cavell war der Meinung, dass die Sprache, beziehungsweise die Worte, die wir gelernt haben, wir mit emotionalen und kognitiven Assoziationen verknüpfen. Für Cavell war die semiotische Autonomie wichtig für die Weiterentwicklung der Sprache, wobei als erstes eine Privatheit der Sprache entwickelt werden muss (vgl. Hofer 2016, S.32). Zunächst soll ein Sprachmuster gebildet werden, um unterschiedliche Bedeutungen verständlich zu machen, wodurch abschließend eine Existenz in der Sprache entsteht.

Cavell bezieht sich außerdem auf die Philosophie als Erziehung und Kulturkritik.

„Cavell beschreibt, wie der individuelle philosophische Impuls des Zweifelns die Auseinandersetzung mit der eigenen Kultur ermöglicht. Diese Art zu philosophieren bezeichnet Cavell als Erziehung von Erwachsenen. Damit wird deutlich, dass Cavell mit seinem Verständnis von Philosophie als Erziehung nicht die Philosophie als Fach meint, sondern Erziehung als einen bestimmten Umgang mit dem philosophischen Impuls im Individuum beschreibt. Sprache und Lebensform entwickeln sich durch den philosophischen Impuls und nicht durch die Philosophie“ (Hofer 2016, S.39).

Mit der erziehenden Rolle in der Philosophie ist die Beschreibung und Bewertung der Sprache gemeint. Jedoch wir der philosophische Impuls in der Erziehung als „Gespräch mit der eigenen Kultur durch die Suche nach der eigenen Bedeutung“ (Hofer 2016, S.39) verstanden. Laut Cavell

entwickelt sich die Sprache durch das Gespräch. Durch den philosophischen Impuls in einem Gespräch hat die Sprache eine gewisse Bedeutung.

Somit lässt sich sagen, dass die Bedeutung der Sprache nur durch die Entwicklung und den Austausch mit anderen entstehen kann. Außerdem kann die Sprache nicht von außen angeleitet werden, dies geschieht nur von innen heraus. Man selbst lernt in der Philosophie, wie auch in der Erziehung, dass durch die Kommunikation und Erfahrung die Sprache sich eigenständig weiterentwickeln kann.

 

Literatur:
Hofer, Urs (2016): Auf der Suche nach der eigenen Stimme: Stanley Cavells Philosophie als Erziehung von Erwachsenen, Band 13, Auszug S.32-48

Eine Reise von Nicht-Ort zu Nicht-Ort

von Luca Steinhaus

Es ist Sommer. Meine Haut und mein psychologisches Ich sehnen sich endlich nach Sonne, Salz auf der Haut und kalte Drinks am Meer.

Die Vorfreude steigt von Tag zu Tag. Ich freue mich sehr auf den heiß ersehnten Abflugtag. Ich fahre mit dem Zug und der S-Bahn von Bremen nach Hamburg, um von hier aus meine Reise mit dem Flugzeug anzutreten.

Los geht es am Bremer Hauptbahnhof. Ich mag es hier nicht all zu sehr, doch für die dringend benötigte Erholung muss ich diesen Tod nun sterben. Es ist dunkel, unzählige Menschen zwängen sich durch die engen Wege des Hauptbahnhofes, in einer solch gehetzten Art und Weise, dass die ersehnte Erholung für mich noch in weiter Ferne scheint.

Ich bin zu früh. Beziehungsweise ist der Zug zu spät, sodass mir ein Augenblick bleibt, um mich an mein beinah vollendetes Studium zurückzuerinnern, wobei mir Áuge‘s „Orte und nicht Orte“ unweigerlich wieder ins Gedächtnis gerufen werden. Der Text liest sich für mein Verhältnis ein wenig zu dystopisch. Als ob wir uns Menschen nur noch selten an Orten mit Erinnerungen, Geschichten und Emotionen befinden? Das vermag ich mir nicht vorzustellen.

Ich meine, in vielen hochklassigen Filmproduktionen aus Hollywood sind Orte wie Bahnhöfe, Flughäfen oder der Party-Club, Sehnsuchtsorte. Hier wird die Liebe gefunden, die Liebe verloren und menschliche Emotionen entwickelt. Unvergesslich bleiben die Szenen aus den bekannten Filmen: Catch Me if you can, Love actually und Away We Go, welche die verheißten Nicht-Orte zu Plätzen voller  Sehnsucht machten und Millionen von Menschen in die Kinos zogen.

Doch was bleibt in der Realität? Am Bremer Hauptbahnhof sehe ich frühmorgens zunächst viele Einzelpersonen. Viele haben Kopfhörer an und schauen dabei auf ihr Smartphone. Soziale Interaktionen sehe ich eigentlich nur, wenn menschliche Individuen einen Kaffee oder ein Brötchen kaufen und wortkarg mit den Kasserier:innen interagieren.

Schätzungsweise befinden sich gerade mehrere hunderte Personen hier an diesem Platz, wenn nicht gar sogar einige Tausende, doch fühl ich mich seit meinem Aufbruch von Zuhause sehr alleine. Auch ich habe meine Kopfhörer an, höre einen Podcast und schaue immer wieder auf mein iPhone. Ich frage mich, ob ich dieses soziale Gefüge damit nur weiter fördere und ob ich durch das Weglassen meines Smartphones zu einer „Verbesserung“ der Situation beitragen würde?
Doch blockiert mich etwas bei dem Gedanken mit anderen Leuten in Interaktion zu treten. Doch was nur? Ich bleib mit selbst einer Antwort schuldig. Der Zug kommt und ich steige ein. In diesem Moment bestätigt sich das Bild von Áuge auf eine belastende Weise, obwohl ich so unfassbar gern‘ Szenen wie aus Hollywood-Filmen hier gesehen hätte.

Das Bild vom Bahnhof wiederholt sich sowohl im Zug, als auch in der SBahnlinie 1 in Hamburg. In den knapp zwei Stunden vom Bremer Hauptbahnhof bis zum Airport Hamburg, interagiere ich leidlich mit dem:der Schaffner:in, um meinen gültigen Fahrschein vorzuzeigen. Dabei belasten mich die teilnehmenden Beobachtungen in den bereits erwähnten Situationen stetig mehr. Was bleibt vom menschlichen Dasein, wenn wir uns selbst gar nicht mehr in Relation zu unseren
Mitmenschen setzen? Ein Gedanke, der mich gruselt. Währenddessen bin ich an der Zielhaltestelle „Hamburg-Airport“ angekommen.

Endlich sehe ich sie. Freude, Interaktionen, Emotionen. Der Flughafen scheint doch ein Ort zu sein! Ich freu mich. In mir drin beginnt ein leichtestes Kribbeln, eine Aufgeregtheit, welche ich in den vorherigen zwei Stunden nicht gespürt habe. Ich laufe an der Ankunftshalle vorbei und sehe wie sich Pärchen und andere Angehörige freuen, dass ihre Liebsten von den unterschiedlichsten Reisen zurückkehren.

Ich bleibe für einen Moment stehen. Einatmen. Ausatmen. Ich genieße den Moment. Wir sind doch nicht verloren, glaub ich zumindest. Es fühlt  sich spannend, aufregend und rührend an, hier zu sein und den Moment zu genießen. Zu beobachten, wie Menschen ihre ureigensten Erfahrungen machen und alle die gleiche Aufgeregtheit teilen. Der Flughafen ist ein Ort. Da bin ich mir nun sicher. Doch habe ich auf meiner Reise auch Momente erlebt bzw. gesehen, welche mich zum nachdenken anregen und zeigen, wie alleine wir als Individuum doch sein können und dass obwohl nahezu 8 Milliarden Gleichgesinnte sich mit uns auf diesem Planeten tummeln.

Natürlich bietet dieser Blogartikel nicht den Umfang, um sämtliche alltägliche Situationen auf unser „Alleinsein“ oder den Gehalt für unser gesellschaftliches Zusammenleben darzustellen. Dies soll auch gar nicht der Anspruch des Artikels sein. Vielmehr möchte ich Leser:innen dazu inspirieren sich selbst in ganz banalen und alltäglichen Situationen zu hinterfragen. Diese Momente müssen erlebt werden, um sich selbst in einer stetig wandelnden Welt zurechtzufinden, zu  erden und zu positionieren. Sämtliche Momente des Alltages bieten Anlass dafür, das Smartphone zu sperren, die Musik auszuschalten und einfach den Moment zu begreifen. Diese semi-teilnehmende Beobachtung hat mir geholfen herunterzufahren und mich neu in dieser Welt zurechtzufinden. Ich kann es wirklich nur empfehlen.

„Time to Get Cereal“ – Philosophie in South Park (Teil II)

Zwischen infantilem Humor und Gesellschaftskritik

von Jonathan Assmus

In Just Joking: The Ethics and Aesthetics of Humor vertritt Berys Gaut die These, Humor sei verantwortlich für die in ihm manifestierten ethischen Werte. Darüber hinausgehend spricht er moralischer Güte sogar einen positiven, moralisch Verwerflichem hingegen einen negativen Einfluss auf die Witzigkeit zu.1 Meines Erachtens trifft Gaut mit dieser Einschätzung lediglich einen Teil der Wahrheit. Manifestierte ethische Aspekte spielen in der Evaluation der Witzigkeit eine Rolle, und da Humor in Situationen auftritt, kann man durchaus von Verantwortung für die repräsentierten Einstellungen sprechen. Allerdings ist die eindeutige Zuordnung von ethisch lobenswerten bzw. verwerflichen Eigenschaften komplizierter als es auf den ersten Blick scheint – besonders im Humor. Wer ist tatsächlich das Ziel eines diskriminierenden Witzes? Die betroffene Minderheit, das fiktive (ethisch fragliche) Sprechersubjekt oder der ironische Witzeerzähler selbst? Einige Folgen der Serie South Park (SP) zeigen nicht bloß die Möglichkeit der Koexistenz dieser Ziele, sondern darüber hinaus, wie sie aufeinander aufbauend eine beißende Satire kreieren können. Um die häufig ambivalente Bedeutung des Humors zu entschlüsseln ist eine Erörterung der Relevanz von Weltanschauungen und dem Umgang mit gegebenen Situation bei Trey Parker und Matt Stone ein guter Angriffspunkt.

Unter dem Begriff Weltanschauung kann eine Menge von deskriptiven, normativen oder ästhetischen Überzeugungen subsumiert werden, die für ein konkretes Individuum den Ankerpunkt der Identität bilden. Die Notwendigkeit, sich in einer Welt zu orientieren, ist Konsequenz der Gegebenheit, in dieser Welt zu sein – mag zwischen menschlichem Verständnis der Welt und deren Realität auch häufig (vielleicht immer) ein Diskrepanz bestehen. Eine gängige Reaktion auf die Adressierung von Widersprüchlichkeiten oder Dogmen in der eigenen Weltanschauung ist Zurückweisung, Abneigung oder gar Aggressivität. Wenn allerdings in humoristischer Aufarbeitung Sakrales hinterfragt wird, ist dies eine Einladung die eigene, emotional geladene Perspektive zu transzendieren und Verständnis für andere Sichtweisen zu gewinnen.2 Auf diese Art wird durch den grenzenlosen Humor in SP der intrinsischen Komik menschlichen Lebens Rechnung getragen. Im Bewusstsein um die eigene Lächerlichkeit nehmen sich die Schöpfer von SP nicht von den humoristischen Attacken aus, was sich im ironischen Grundton der Serie widerspiegelt. Für Matt Stone ist der Versuch, für eigene Glaubensvorstellungen einen separaten Standard einzuführen, der Beginn von Intoleranz und Fanatismus.3 Diesem darf – besonders im Humor – kein Raum gegeben werden. Im Gegensatz dazu wird durch eine humoristische Einstellung zu den mehr oder weniger ernsten Problemen der Welt Toleranz praktiziert und somit die Freiheit des Denkens verteidigt; oder mit den Worten von Sigmund Freud: “Der Gedanke sucht die Witzverkleidung, weil er durch sie sich unserer Aufmerksamkeit empfiehlt, uns bedeutsamer, wertvoller erscheinen kann, vor allem aber, weil dieses Kleid unsere Kritik besticht und verwirrt.”4

SP nähert sich ausgewählten gesellschaftlichen Konflikten mit diesem philosophischen Ansatz. Eine Distanzierung zu dem Ernst der Problematik erfolgt dabei meist durch die Inkongruenz5 zwischen den etablierten Glaubenssätzen der Erwachsenen und dem begrenzten Verständnis der Grundschüler. Die kindliche Perspektive spiegelt sich in dem profanen, wenn nicht gar infantilem Humor wieder; ohne Rücksicht auf Sprachverbote oder gesellschaftliche Tabus. Durch die Entbindung der Form vom Inhalt gelingt es den Komödianten die eigene Rolle als Kritiker meta-ironisch zu reflektieren. Nicht nur die im Diskurs behandelte Thematik, sondern auch der Diskurs selbst wird in der Karikatur aufgegriffen und ad absurdum geführt. Durch die geringere ideologische Vorbelastung wirken die Kinder South Parks am Ende des Tages meist reifer als ihre Eltern und zeigen die Diskrepanz zwischen dem, was Menschen tun sollten, behaupten zu tun und tatsächlich tun6 auf.

Die Einordnung von Humor in einen konkreten Kontext ist allerdings noch von einem weiteren Aspekt abhängig: Dem Machtverhältnis zwischen den Beteiligten. Seit jeher werden Witze nicht nur in wohlwollender Absicht, sondern auch zur Ausgrenzung gesellschaftlicher Gruppen verwendet. Überlegenheit im Humor ist besonders für eine satirische Aufarbeitung der Welt von großem Interesse, da sie die Frage nach dem Verhältnis von Humor und Macht aufwirft. Wird Macht im Humor lediglich ausgedrückt oder kommt dem Humor selbst Macht zu? Meines Erachtens kann aufgrund des Einflusses von Humor auf das Selbst- und Weltverständnis, sowie die Aufarbeitung gesellschaftlicher Spannungen dem Humor eine gewisse Macht zuerkannt werden. In SP wird durch die Aufarbeitung der Rolle von Kunst und dem Spiel mit gesellschaftlichen Kräfteverhältnissen dieser Idee Tribut gezollt.

Exemplarisch für die vorliegende Interpretation der Philosophie des Humors in SP kann die Folge “Naughty Ninjas” (S19E07) angeführt werden:

Der in die Tage gekommene Polizist Barbrady wird zu einem Polizeigroßeinsatz in der Southpark Elementary gerufen und vom Einsatzleiter durch die Hintertür geschickt. Als die restlichen Polizisten die Turnhalle zuerst betreten, offenbart der Schulleiter, den Einsatz lediglich zur Bloßstellung der ständig schwatzenden Lesley angefordert zu haben. Diese identifiziert er mit einem Laser-Pointer als Störenfried. Als der unwissende Barbrady – überfordert von der angeblichen Notsituation – zur Hintertür herein kommt, hält er den nun auf ihn gerichteten Laserpointer für eine Waffe und schießt unglücklicherweise ein Kind an.

Das Problem für den Stadtrat: Das Kind gehört einer Minderheit an. Dementsprechend wird Officer Barbrady als ewig gestriger Rassist abgestempelt und entlassen. In erster Instanz richtet sich der Witz hier gegen eine progressive Bewegung, deren Insistieren auf politischer Korrektheit in den Grenzen der Sprache zugespitzt und ad absurdum geführt wird. Die Progressivität wird zu einem Maßstab diskreditiert, dessen oberflächliche Verhaltensregeln – losgelöst von jedem Inhalt – die Akzeptanz in unserer Gesellschaft markiert.

Der subversive Humor einer Southpark-Episode wäre allerdings nicht vollendet, wenn die Inkongruenz nicht in einer ironischen Verdrehung das Gegenüber ebenso zur Schau stellen würde.

Im Rausch der politischen Korrektheit und den Vorteilen der Gentrifizierung sind die übermütigen Bewohner von Southpark der Überzeugung, keine Polizei mehr zu brauchen. In der entstehenden Ideologie der political correctness werden die Gesetzeshüter als Rassisten stereotypisiert, welche nicht mehr zum progressiven Southpark passen – in den meisten Fällen trifft das Vorurteil hier sogar zu. Doch die Stimmung kippt, als sich in der Stadt Obdachlose unbehelligt ausbreiten. Um das ‘Problem‘ zu lösen, muss sich der Stadtrat an die Polizei wenden. Aus der neuen Machtposition heraus erreichen die Polizisten mit der progressiven Bürgermeisterin die Vereinbarung, polizeiliche Gewalt an den Obdachlosen auslassen zu dürfen.

In zweiter Instanz wird die Scheinheiligkeit der Ideologie zu Tage gefördert, indem die politische Korrektheit gegenüber öffentlich präsenten Minderheiten mit der Behandlung der missachteten Obdachlosen konterkariert wird. Die Form ist vom Inhalt losgelöst – die wahrhaft Hilfsbedürftigen werden (weiterhin) diskriminiert [Inhalt] und die Bewohner der Stadt können sich in scheinbarer Moralität sonnen [Form]. Parallel zu dieser Zuspitzung wird durch den Wandel der Machtverhältnisse Kritik an den Polizisten der Stadt geübt. Trotz der erfahrenen Ausgrenzung wird nicht über die eigene Stellung in der Gesellschaft reflektiert, sondern bei erster Gelegenheit Grausamkeit gegenüber Schwächeren praktiziert.

Der Humor dieser Folge richtet sich sowohl gegen die Überempfindlichkeit der Progressiven, als auch die Stereotypisierung der Reaktionären, welche in einer Farce politisch korrekter Ausdrucksweise dargestellt wird. Letztendlich stehen alle Beteiligten in ihrer Lächerlichkeit dar.

1 Siehe Berrys Gaut (1998): Just Joking: The Ethics and Aesthetics of Humor.

2 Von John Morreall wird “self-transcendence” als eine der zentralen Tugenden des Humors identifiziert. “It liberates us from the narrow perspective of fight-or-flight emotions and helps us […] to see ourselves as other people do.” Siehe John Morreall (2009) Comic Relief. A comprehensive Philosophy of Humor: S.115.

3 Diese Einstellung wurde von Stone in einem Interview mit The Associated Press formuliert, nachdem es zu einem Bruch mit Isaac Hayes über die Darstellung von Scientology kam.

4 Siehe Sigmund Freud (1905): Der Witz und seine Beziehung zum Unbewußten. S.107.

5 Als Inkongruenz wird in der Philosophie des Humors die Diskrepanz zwischen einer Erwartungshaltung und der realisierten Situation bezeichnet.

6 “In looking for incongruity in society, we look for discrepancies between what people should do, what they say they do, and what they actually do.” – Morreall (2009): 113.

„Time to Get Cereal“ – Philosophie in South Park

Von Jonathan Assmus und Max Melcher

Auf die Frage im 60 Minutes-Interview, ob es Linien gäbe, die sich nicht überschreiten, antworteten Trey Parker und Matt Stone simultan: „Nein!”; und nach kurzem Lachen ergänzte Stone: „Noch haben wir keine gefunden…”. Beide Künstler produzieren seit 1997 die für profanen, wie provozierenden Humor bekannte Animationsserie South Park (SP). Ausgangspunkt der Episoden ist die fiktive, gleichnamige Stadt, in welcher das Zeitgeschehen durch die teils exzentrischen Bewohner aufgearbeitet wird. Die Geschichten kontrastieren dabei die Wahrnehmung der Welt der „Erwachsenen” mit der Perspektive der vier Schuljungen Stan Marsh, Kyle Broflovski, Eric Cartman und Kenny McCormick. Im Deckmantel kindlicher Unschuld werden durch die Charaktere die Grenzen des Sagbaren und der Toleranz ausgetestet. Der subversive Humor ist laut Parker und Stone inspiriert von Monty Python, sowie dem engstirnigen Charakter Archie Bunker aus der Serie „All in the Family“. Letzterer findet in Cartman sein junges Pendant, dessen vorurteilsbehaftete Weltsicht in verschiedenen Konflikten ad absurdum geführt wird. Cartmans intolerante Einstellung bildet zugleich das Gegengewicht zu Kyles ausgeprägtem Gerechtigkeitssinn. Während es sich bei dem in Armut aufwachsenden Kenny primär um einen Comic-Relief handelt, werden Stan und Kyle oft als Repräsentationen von Parker und Stone verstanden.

Eine Folge SP wird in lediglich einer intensiven Arbeitswoche produziert. Verhältnismäßig schlichte Animationen, orientiert am Cutout-Animationsstil der Debutfolge, ermöglichen die kurze Produktionszeit. Das Team um Parker und Stone hat sich zudem im Laufe der Jahre merklich vergrößert. Die geringe Spanne von der Idee zur Ausstrahlung schlägt sich in einem hohen Maß an Aktualität nieder. Auf diesem Weg schafft es SP, Bestandteil zeitgenössischer Debatten zu sein und Kritik oder Appell in die Gesellschaft zu tragen.

Thematisch wird auf allen Ebenen und in alle Richtungen ausgeteilt: Gesellschaftliche (Miss-)Verhältnisse werden schonungslos karikiert, absurde politische Vorkommnisse direkt und polemisch angesprochen, religiöser Fanatismus schamlos verlacht. Konsequent egalitär bleibt keine Bevölkerungsgruppe von Kritik verschont. Gepaart mit dem beißend, sarkastischen Humor ist kaum verwunderlich, dass öffentliche Diskussionen um von SP angestoßene Debatten nicht selten in Kontroversen mündeten. Die wohl erste Wahrnehmbare stieß SP im Juni 2001 mit der Folge „It hits the fan“ (S05E01)“1 an, welche den Wandel des gesellschaftlichen Sprachgebrauchs thematisiert. Das im zeitgemäßen amerikanischen Fernsehen noch häufig zensierte Wort „shit“ (bzw. „shitty“) wird zu diesem Zweck ca. 200 mal verbal oder schriftlich verwendet. Die Folge spiegelt exemplarisch die Facette des infantilen Humors in SP wider: viele Witze sind schlicht oder in stumpfen, gegenseitigen Beleidigungen verpackt. Die Wortwahl fällt häufig äußerst derb aus und Entscheidungen sind des Öfteren völlig irrational. Anzumerken ist jedoch, dass die Protagonist*innen dieses groben Humors nicht ausschließlich die Kinder, als vielmehr alle Stadtbewohner*innen sind.

Obzwar der infantile Humor bis heute als markante Ausprägung erhalten geblieben ist, hat sich die Serie mehr und mehr gesellschaftskritischen Fragen zugewannt. Der Wechsel von bloßer Provokation zu bewusster Satire hat dabei auch die einhergehenden Kontroversen auf eine andere Ebene gehoben. Die Thematisierung von Scientology in der Folge „Trapped in the closet“ (S09E12) wurde anhand juristischer Überlegungen abgesichert: Karikaturen bekannter Sektenmitglieder wurden durch profanen Symbolismus maskiert. Darüber hinaus wurde zur Unterscheidung von Satire und den Glaubenssätzen Scientologys Letztere mit der Bildunterschrift „This is what Scientologists actually believe“ gekennzeichnet. Konsequenz der Satire war der Bruch mit dem Scientology-Mitglied und Sprecher der prominenten Rolle „Chef“. Trotz der Vorsichtsmaßnahmen verzögerte sich die Ausstrahlung der Folge aufgrund von Streitigkeiten mit Tom Cruise um zwei Monate – und wurde ungeachtet all dessen für einen Emmy nominiert.

Feedback zu den verschiedenen Episoden mäandert zwischen Entrüstung und Beifall. Beispielsweise erhielt die Darstellung der heiklen Problematik um den Gebrauch des N-Wortes in der Folge „With apologie to Jesse Jackson“ (S11E01) vielerseits Lob:

Kovon and Jill Flowers, who co-founded the organization Abolish the „N“ Word, tells CNN that in this case, using it was appropriate.
»
This show in its own comedic way, is helping to educate people about the power of this word and how it feels to have hate language directed at you.«“2

Betrachtet als Mikrokosmos für die karikierte Darstellung gesellschaftlicher Stereotype und Personen des öffentlichen Lebens hat sich in South Park im Laufe der Jahre allerdings einiges verändert. Die Umgestaltung von Verhältnissen und Charakteren etwa reflektiert zunehmend die Spaltung der (amerikanischen) Gesellschaft. So wurde in Staffel 19 die bisherige Schulleiterin durch die Figur PC Principal ersetzt und Mr. Garisson – langjähriger Bestandteil der Serie als exzentrischer Grundschullehrer – zur konservativen Ikone und Ikone Konservativer aufgebaut. Garissons Ckarakterentwicklung kulminiert in der Wahl zum Präsidenten der USA- und somit zu einer erschreckend gelungenen Karikatur Donald Trumps.

Der Wandel des Mr. Garisson veranschaulicht die Fülle des in 23 Jahren erarbeiteten, eigenen Kosmos. Abseits der Haupt- haben auch zahlreiche Nebencharaktere langjährige Backstories und entsprechende Folgen – SP kann auf eine gesamte Kleinstadt zurück greifen. Deren facettenreiche Bewohner*innen werden der Thematik entsprechend in die Handlung eingebunden.

Ungeachtet aller Kritik hat sich SP als gesellschaftskritische Serie mit öffentlicher Berücksichtigung etabliert. Verschiedenste Thematiken, konträre Perspektiven, scharfer Humor an der Grenze des „guten Geschmacks“ liefern zahlreiche Denkanstöße und Diskussionsbeispiele. Ein Teil eben jener soll in den kommenden Wochen in Form episodischer Kurzessays unter der Überschrift „»Time to Get Cereal« – Philosophie in South Park“ aufgearbeitet werden. Hierbei werden ausgewählte Aspekte einzelner Folgen insbesondere vor der charakteristisch-humorvollen Aufbereitung rekonstruiert und interpretiert.

Die für das Projekt namensgebende Folge aus Staffel 22 thematisiert den Klimawandel, sowie das schizophrene Verhältnis von wissenschaftlichen Erkenntnissen zu politischen Entscheidungsfindungen. Die Diskrepanz zwischen lebensweltlicher Überzeugung und theoretischer Fundierung ist häufig Quelle South Parkschen Humors. Analog zu der Selbstkritik der Folge, welche den früheren Umgang der beiden Künstler mit der Thematik Klimawandel rügt, wollen auch wir unseren Fokus auf die ernsteren Aspekte richten. Dabei werden philosophische Gedanken in den Vordergrund gerückt.

Interessierten Leser*innen wird die Sichtung der diskutierten Folgen zur Einordnung in den Kontext nahegelegt. Dies ist auf der offiziellen Internetseite kostenfrei möglich. Es ist Empfehlung der Autoren, die englische Originalvertonung zu wählen, da in der Übersetzung ein Großteil des Wortwitzes und der Authentizität verloren geht. Das bisher Geschriebene sollte allerdings verdeutlicht haben, dass ein empfindlicher Humor mit South Park schwer vereinbar ist; oder um es mit dem offiziellen Disclaimer der Serie zu sagen: All characters and events in this show—even those based on real people—are entirely fictional. All celebrity voices are impersonated…..poorly. The following program contains coarse language and due to its content it should not be viewed by anyone.“

1 Die Ausweisung der einzelnen Folgen erfolgt wie folgt: Staffel/Episode.