von Vivien Bauer
Roland Barthes ermöglicht mit seinem Text „Der Mythos heute“ einen Anhaltspunkt zur Beantwortung von Fragen dieser Art. Doch was ist dieser sogenannte „Mythos heute“ und was hat er mit Rosen zu tun?
Roland Barthes bezieht sich mit dem Wort „Mythos“ nicht auf das eher geläufige Verständnis dieses Wortes bezieht. Dementsprechend ist der Mythos in seinem Text nicht eine überlieferte Erzählung oder Ähnliches, welche irgendein Ereignis oder Phänomen zu erklären versucht und welcher eher wenig Glauben geschenkt werden kann, sondern eine Aussage, die gleichzeitig als Mitteilungssystem und kommunizierte Botschaft fungiere (vgl. ebd., S. 85). Laut Barthes könne Alles Bestandteil eines Mythos werden, weil dieser nicht durch ein Objekt, sondern durch die Art und Weise, wie die Botschaft ausgesprochen wird, definiert werde (vgl. ebd., S. 85f.). Mit dieser Behauptung legt Barthes den Grundstein seiner weiteren Argumentation. Er legt nahe, dass jede Bedeutung von dem Menschen gemacht worden sei. Hier bezieht Barthes sich auch auf das Saussures bilaterales Zeichenmodell, welches auf die rein sprachliche Ebene der Bedeutungsfindung eingeht. Eine Rose (= „Das Bedeutete“) bietet demnach nichts, das bestimmt, dass sie auch [ˈʁoːzə] (= „Das Bedeutende“) genannt werden muss. Es gebe dem-nach keinen natürlichen Auslöser für diese Bezeichnung, wodurch diese Bestimmung als arbiträr angesehen werden müsse (vgl. ebd., S. 86f.). Dieses bilaterale Zeichensystem erweitert Barthes um eine weitere Ebene, um die Ebene des Mythos, um die Entstehung des Mythos zu verdeutlichen. Dabei wird das Zeichen der sprachlichen Ebene, welches aus der Beziehung von Bedeutetes und Bedeutendes hervorgeht, zum Bedeutendes der mythischen Ebene. Dieses Be-deutende der zweiten Ebene verweist anschließend auf ein weiteres Bedeutete, wodurch erneut ein Zeichen entsteht, welches Barthes „Bedeutung“ nennt (vgl. ebd., S. 92f.).
Als Beispiel kann wieder die Rose (= 1. Bedeutetes) angeführt werden, welche als schöne Blume (= 2. Bedeutendes) angesehen werden kann. Wird sie jemandem überreicht, den man gerne mag, so wird aus der schönen Blume ein Geschenk der Zuneigung (= 3. Zeichen/ I. Be-deutendes). Zu diesem Bedeutendes lässt sich erneut ein Bedeutetes in Beziehung setzten. Das wäre in diesem Fall zum Beispiel das Valentinsgeschenk (= II. Bedeutetes). In Beziehung zu-einander entsteht anschließend die Botschaft bestehend aus Liebe und/oder Leidenschaft (= III. Zeichen/Bedeutung). Dieses Vorgehen lässt sich auf alles Mögliche übertragen: Plakate, Schilder, Werbespots, Theaterstücke etc., wodurch die breite Anwendungsmöglichkeit und Aktualität des Konzeptes deutlich wird.
Durch die Anwendung dieses Konzepts, also durch das Aufschlüsseln von Objekten in ihre einzelnen Bestandteile beziehungsweise Termini, können Bilder und Texte richtig analysiert werden. Dies gründet auf der Tatsache, dass die Objekte und die mit ihnen einhergehende Be-deutungen dadurch nicht mehr als Ganzes gesehen werden, sondern differenzierter betrachtet werden können. Zudem ermöglicht das Konzept eine distanziertere Herangehensweise und Auseinandersetzung mit den Objekten. Denn Bedeutung kann effektiver hinterfragt werden, wenn die (kulturellen, politischen, etc.) Hintergründe der Zuschreibungen mit einbezogen und kritisch betrachtet werden.
Zurückgreifend auf das Beispiel der (roten) Rose können Fragen entstehen, wie „Warum weiß so gut wie jeder, dass die Rose für die Liebe steht?“, „Warum werden nicht auch Disteln mit diesem Begriff in Verbindung gebracht?“ oder „Warum werden Rosen ausgerechnet mit diesem Begriff assoziiert?“. Für diese Fragen gibt es teilweise Antworten. So findet sich beispielsweise eine Antwort auf die letzte Frage in der christlichen Symbolik: Die rote Rose werde mit dem Blut Christi in Verbindung gebracht, welches wiederum für die Erlösung der Sünden durch Gottes Liebe stehe (vgl. Menzel 1854, S. 279). Kommt es also zu einer näheren Auseinander-setzung, in dem Falle einer kulturellen beziehungsweise religiöse Auseinandersetzung mit der Rose, so können die Hintergründe der Bedeutung verstanden und hinterfragt werden. Darüber hinaus können daraus weitere Fragen resultieren: „Welche Erklärung gibt es in anderen Religionen oder Kulturen für die Bedeutung der Rose und weicht diese ab?“, „Welche weiteren gesellschaftlichen Einflüsse prägen das Verständnis und die Assoziationen eines Objektes?“ und „Ändern sich die Bedeutungen eventuell auch im Laufe der Zeit?“. Es entsteht demnach eine Reihe von Fragen, die die eigentlich selbstverständlich erscheinende Zuschreibung von Liebe auf die Rose ergründen lässt. Zudem wird anschaulich, dass Bedeutung zwar konstruiert ist, allerdings auch je nach Kulturkreis unterschiedlich ausfallen kann und sich auch innerhalb eines Kreises verändern kann. Somit würden keine absoluten und ewigen Mythen existieren (vgl. Barthes 1956, S. 86).
Literatur:
Barthes, Roland (1956): Der Mythos heute. In: Ders: Mythen des Alltags. Frankfurt a.M.: Suhrkamp 1964, S. 85-151 [hier: Auszug S. 85-96].
Menzel, Wolfgang (1854): Christliche Symbolik. Zweiter Theil. Regensburg: G. Joseph Mainz.
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