RV09 – Dr. Christoph Fantini: Genderperspektiven

Diesmal wurde das Spannungsfeld der Genderpädagogik in Schulen thematisiert. Dabei ging es um die Zuteilung signifikanter Verhaltensmuster im Lernprozess, wobei Jungen und Mädchen getrennt voneinander betrachtet werden.
Man kennt es aus der eigenen Schulzeit: Die Mädchen sind gut in Deutsch, dafür können die Jungen Mathe besser. Die Jungen sind die Sportler, jedoch sozial total inkompetent, während die Mädchen den Sport nicht mögen, aber ruhig und überlegt sind und eine tolle Heftführung pflegen.
Schwer zu glauben, dass dieses stereotypisierte Bild auch heute noch in Schulen vermittelt wird, indem LehrerInnen in Fächern, die den Jungen zugeschrieben werden, den Fokus auf eben diese legen, während die Mädchen vernachlässigt werden – und auch andersherum.

In meiner eigenen Schulzeit war es ganz klar der Sportunterricht – oh, du schlimmstes aller Fächer, wie verhasst du mir doch warst.
Es mag daran liegen, dass ich immer nur sehr alte, sehr verstockte, männliche Sportlehrer hatte (wer kann es wissen), doch der Unterricht lief bei mir ab, wie in den Filmen über die sportlichen Aktivitäten der Hitlerjugend. Dabei wurden die Jungen in den glanzvollen Fokus gerückt, die zwei Besten des letzten Spiels durften dann Teams für das Nächste aufstellen.
Und hier waren wir also, im demütigendsten Szenario eines jugendlichen Mädchens, das bis ganz zum Schluss auf der Bank sitzen musste, bis alle „Guten“ vergriffen waren und nur noch die dort saßen, die keiner haben wollte. Wie filmreif. Und wie groß  die Schmach wurde, wenn man einen Jungen aus der Klasse süß fand, der einen dennoch nicht auswählte.
Die Jungen wurden natürlich alle zuerst gewählt, selbst dem unsportlichsten Jungen wurden mehr Skills zugeschrieben, als dem athletischsten Mädchen – ‚Mädchensportarten‘ wie Leichtathletik, Volleyball, oder gar Yoga und Pilates, zählten nicht als Sport, damit konnte man im Schulsport nicht punkten.
Nach der entwürdigenden Auswahl wurde dann gespielt – wobei gespielt hier eher durch ums Überleben gekämpft ersetzt werden müsste. So, wie die pubertären Jungen mit einem harten Ball um sich schossen und alle aus dem Weg rammten, um zum Tor zu gelangen. Bei uns war das allseits geliebte Eisbein Standard, von fair play keine Spur, mit einem wohlwollend lächelnden Sportlehrer am Spielfeldrand, der uns Mädchen beim untergehen zusah.

Das klingt übertrieben, aber so ist es tatsächlich gewesen und dabei war ich nicht einmal eines der wirklich unsportlichen Mädchen – ich möchte nicht wissen, wie grauenhaft es für sie gewesen sein muss, wenn es schon mir so verhasst war.

Irgendwann haben wir Mädchen dann eine nach der Anderen ständig absichtlich unser Sportzeug vergessen, um nicht mehr mitmachen zu müssen. Das äußerte sich natürlich in den Noten, was eventuell zu solch irreführenden Annahmen führt, Mädchen seien im Sport weniger leistungsstark als Jungen.                     Natürlich haben Jungen durch ihren evolutionär bedingten Körperbau in vielen Sportarten einen körperlichen Vorteil, dennoch bringen auch Mädchen enorme Kräfte auf und glänzen durch sportliches Geschick. Der Schulsport unterdrückt das jedoch gänzlich und ist für pubertäre Jugendliche ein wahrer Horror, das waren wahrlich dunkle Jahre für mich. Im Abitur hatte ich dann endlich die Wahl, welchen der furchtbaren Sportkurse ich am wenigsten hasse und für mich aussuchen möchte – und was sah ich da? Es wurde tatsächlich ein Yoga Kurs angeboten! Ausnahmslos jedes Mädchen wollte diesen Kurs belegen, die Jungen haben natürlich alle gelacht, nicht wissend, wie anstrengend und hart Yoga sein kann.
Und was soll ich sagen, die Jungen, die mit im Kurs waren, haben sehr gelitten; von Flexibilität keine Spur, dafür verkürzte Oberschenkelsehnen vom Nicht-Dehnen nach dem „Männersport“. Auch für uns Mädchen war es nicht leicht, es wurden Muskeln trainiert, von denen man nicht wusste, dass sie existieren. Aber es war so wunderbar friedlich, gemeinsam zu leiden, Jungen und Mädchen gleichermaßen, dass man das gerne in Kauf genommen hat und sich jede Woche wieder darauf gefreut hat. So sollte es immer sein.
Mittlerweile mache ich täglich Yoga, dank diesem Kurs in meiner Abiturzeit – so viel zu, was man in der Schule macht, braucht man im späteren Leben nicht mehr.

Im Praktikum wird es interessant sein, zu beobachten, wie viel Aufmerksamkeit die Lehrkörper tatsächlich den Jungen und wie viel den Mädchen schenken. Ob beispielsweise in Mathe die Jungen stärker gefördert und gefordert werden, als die Mädchen, oder ob die Beiträge der Mädchen im Deutschunterricht tatsächlich von einer besseren Qualität sind, als die der Jungen. Und ob die SchülerInnen sich in diese Zuweisungen einfügen, oder mittlerweile „rebellieren“ und nicht in Stereotype eingeteilt werden möchten.