Und weiter geht’s! Wir sind angekommen in Berlin, der Stadt der schillernden Schulen – zumindest, wenn man unseren weiteren Reiseverlauf als Maßstab nimmt. Denn: Die nächsten vier Schulen, die wir besuchen dürfen, befinden sich hier in der Hauptstadt.

Und schon die erste Berliner Schule hat uns am Mittwoch zutiefst beeindruckt. Um ein Gefühl für die Schule zu vermitteln, möchten wir erstmal aus unserer Nachbereitung berichten:

In unserer ungefähr sechsstündigen Reflexion nach dem Schulbesuch haben wir als Einstieg die Methode „SMS an einen Freund/eine Freundin“ gewählt. Jede*r von uns hat in einer Nachricht an eine fiktive oder reale Person mit maximal 30 Wörtern ausgedrückt, wie er oder sie die Schule erlebt hat. Einige dieser Eindrücke möchten wir hier veröffentlichen:

„Gestern war ich an einer tollen Schule, die wirklich mal die SchülerInnen in den Mittelpunkt stellt. Die Schule bleibt dabei in Bewegung und ruht sich nicht aus…“

„Gestern waren wir in der ESBZ und ich bin ganz beseelt von den Eindrücken! Uns ist so viel Mut, Begeisterung, Handlungswille und Reflexionsfähigkeit begegnet! Ganz besonders war auch die Präsenz der Menschen.“

Aber Moment – ESBZ? Wo waren wir denn nun eigentlich genau?

Die ESBZ, also die „Evangelische Schule Berlin Zentrum“, ist eine ziemlich junge Schule, die im Jahr 2007 durch eine Elterninitiative gegründet wurde. Sie befindet sich daher noch im Entwicklungsprozess und ist, wie sie selbst sagt, noch lange nicht fertig.

Sie ist außerdem eine Gemeinschaftsschule, die auf die Grundschule „Evangelische Schule Berlin Mitte“ (ESBM) aufbaut. Das heißt in Berlin, dass sie die Jahrgänge 7 bis 13 vereint, da hier die Grundschule sechs Jahre umfasst (Für uns GrundschullehramtsanwärterInnen natürlich erst einmal ungewohnt und vor allem spannend!).

Die SchülerInnen der Jahrgänge 7 bis 9 besuchen jahrgangsgemischte Klassen, danach sind die Klassen jahrgangshomogen. 650 SchülerInnen kommen auf diese Weise zusammen – und sie wollen beispielsweise in der nächsten „Gemeinschaftswoche“ in einem Planspiel zusammen den deutschen Bundestag simulieren.

„Hey, die ESBZ war wirklich total inspirierend! Entgegen meiner Befürchtungen war Kirche zum Glück kein großes Thema. Besonders beeindruckt hat mich der Entwicklungswille und die Methodenvielfalt mit riesiger Kreativität.“

„Die ESBZ ist eine Schule mit beeindruckendem Entwicklungswillen. Und das, obwohl sie schon viele innovative Lernformate entwickelt haben. Besonders eindrucksvoll war unser Gespräch mit drei SchülerInnen“.

Anders als an unserer ersten Schule hatten wir leider an der ESBZ keine Möglichkeit, im Unterricht zu hospitieren – was wir jedoch gut nachvollziehen konnten, als wir erfuhren, dass alleine in diesem Schuljahr bereits über 350 BesucherInnen hier waren! Stattdessen hatten wir zwei sehr angenehme, bereichernde und mit sehr vielen neuen Konzepten gespickte Gespräche mit einem Lehrer sowie ein wirklich tolles Gespräch mit drei Schülerinnen der 7.-9. Klasse. Vor allem die Begeisterung, die Reflexionsfähigkeit, die Motivation und das Charisma der drei Mädels haben uns sehr beeindruckt und bestärkt.

In allen Gesprächen ging es vorerst darum, die zahlreichen ungewöhnlichen Lernformate zu verstehen, die das Konzept der ESBZ so einzigartig und vorbildhaft machen. Einige davon möchten wir näher beschreiben.

Lernbüros:

In den Hauptfächern (Mathe, Deutsch, Englisch, Gesellschaftslehre) arbeiten die SchülerInnen einmal am Tag immer im selben Zeitfenster in sogenannten Lernbüros. Sie entscheiden sich dann, welches der Fächer sie an diesem Tag bearbeiten wollen und begeben sich in den entsprechenden, mit dem Material des Faches ausgestatteten, Raum. Dort arbeiten sie an ihren ausgewählten Themenbausteinen kontinuierlich, selbstbestimmt, in ihrem eigenen Tempo und auch mit ihren MitschülerInnen zusammen weiter. Pro Schuljahr sind in jedem Fach etwa 3-4 Bausteine zu erledigen. In dem Lernbüro ist immer eine Fachlehrkraft anwesend, die den Raum selbst eingerichtet hat und den SchülerInnen beratend zur Seite steht. Zusätzlich zu diesen Fachlehrkräften haben alle SchülerInnen jeweils TutorInnen, mit denen sie in wöchentlichen Gesprächen ihre aktuellen Bausteine und nächsten Schritte besprechen und planen. Wenn sich die SchülerInnen bereit fühlen, können sie in einem Baustein einen Test schreiben. Viele von ihnen freuen sich, auf diese Weise ein selbst erarbeitetes Thema abschließen zu können, ganz anders als ihre FreundInnen von anderen Schulen, wenn bei ihnen ein Test ansteht.

Projektarbeit:

Am Donnerstag, so erzählen die Schülerinnen, haben sie außer dem Lernbüro-Block nur noch ein einziges „Fach“ im Stundenplan: Drei Zeitblöcke lang arbeiten sie gemeinsam an einem Projekt, welches sie mit dem/r Klassenlehrer/in auswählen. So könnte sich beispielsweise mit Raumgestaltung befasst werden und immer donnerstags in Kleingruppen der eigene Klassenraum verschönert werden. Oder es tun sich sogar mehrere Klassen zu einem Projekt zusammen und sammeln ein halbes Jahr lang Geld, um dann für eine Woche zur Berlinale zu gehen und sich gemeinsam zehn Filme anzusehen.

„An der ESBZ lernen die Schülerinnen und Schüler wirklich für’s Leben! Es gibt super spannende Lernformen und Spezialfächer wie „Herausforderung“ und „Verantwortung“ und es wird total intensiv an der Weiterentwicklung gearbeitet“.

„Moin! Die Schule schickt ihre Schülerinnen und Schüler in Kleingruppen für 3 Wochen auf Reise mit 150€ pro Kopf, wo sie dann komplett frei sind und sich um alles (!) kümmern!“

Am begeistertsten und mit glänzenden Augen erzählen die Schülerinnen von ihrem Lieblingsfach an ihrer Schule:

Projekt Herausforderung:

Entweder alleine oder in einer kleinen Gruppe (der 8. bis 10. Klasse) planen sie zwischen den Oster- und Sommerferien in Rücksprache mit ihren LehrerInnen eine Herausforderung, der sie sich in den ersten drei Wochen nach den Sommerferien stellen. Dafür gibt es einige Vorgaben:

Die Herausforderung muss außerhalb Berlins stattfinden, sie haben nur 150€ pro Person für die Verpflegung und dürfen kein weiteres Geld mitnehmen, ihre Handys sind nur für Notfälle dabei und sie werden von einer erwachsenen Person (meistens Studierende) begleitet, die sich jedoch in keine Entscheidung einmischen darf und von den 150€ mitversorgt werden muss. So reisen die 13-15-Jährigen etwa mit dem Fahrrad nach Ostfriesland, wandern auf dem Eifelsteig, helfen auf einem Pferdehof, oder machen Straßenmusik in Salzburg und verpflegen sich dabei komplett eigenständig, planen ihre Routen, finden Übernachtungsplätze und koordinieren sich in der Gruppe und mit den BetreuerInnen. Hilfe von außen (z.B. von Lehrkräften, Eltern, BetreuerInnen) ist dabei streng untersagt – denn sie sollen ja herausgefordert sein und für das Leben lernen. Ein bisschen erinnert uns das Projekt Herausforderung an unsere eigene Lernreise, die uns auch ständig und schon seit vielen Monaten immer wieder gemeinsam herausfordert. Beeindruckt sind wir vor allem von dem großen Vertrauen und Zutrauen der Lehrkräfte (und auch Eltern) in die Jugendlichen und dieses beschäftigt uns auch noch in vielen Diskussionen. Die Schülerinnen selbst schwärmen: Man lernt das Wichtigste im Leben, die Herausforderung ist eine Vorbereitung für das echte Leben. Und wir schmunzeln: Einige schreiben, der wichtigste Gegenstand bei der Herausforderung sei für sie der Dosenöffner gewesen, den ihnen unterwegs jemand geschenkt hätte und mit dem sie auf der weiteren Reise alle Konserven geöffnet hätten.

Eine gute Nachricht: Es werden ständig BegleiterInnen gesucht, die alleine oder im Tandem eine Gruppe begleiten möchten, dabei selbst keinerlei Kosten haben und eine eigene Herausforderung (vor allem sich in allen Entscheidungen herauszuhalten!) erleben. Der nächste Zeitraum: 20.08. – 07.09.2018! Ein paar von uns überlegen schon, ob das nicht ein aufregender Sommerurlaub wäre.

„Hey! Eine Schule, die ihre SchülerInnen für das Leben rüstet! Wer bin ich? Was kann ich gut? Woran sollte ich noch arbeiten? Und das alles in einem offenen, demokratischen Format, welches die Selbstständigkeit der SchülerInnen in den Mittelpunkt rückt und sich stetig weiterentwickelt.“

Unser Eindruck ist, dass in der ESBZ vor allem Mitbestimmung ein entscheidender Faktor ist. Viele demokratische Strukturen ermöglichen es der Schule, sich eigenständig weiterzuentwickeln und ihren SchülerInnen, sich selbstverständlich regelmäßig einzubringen und ihre eigene Schule zu verändern. So haben sie zum Beispiel durchgesetzt, dass Kaugummis auf dem Schulgelände nicht mehr absolut verboten sind. Beteiligen tun sie sich jedoch nicht nur in der Schule, sondern auch im Stadtteil. Im Projekt „Verantwortung“ besuchen sie einmal wöchentlich für 90 Minuten eine selbstgewählte, naheliegende soziale Einrichtung oder engagieren sich in Arbeitsgruppen für die Verbesserung der Schule. Für das nächste Halbjahr suchen sie sich dann ein neues soziales Projekt. Es wird deutlich: Die ESBZ schafft Strukturen, die Demokratie und Beteiligung selbstverständlich machen.

Im Anschluss an unseren Besuch dieser zweiten Schule ist vor allem auch der Aspekt der „Visionen“ für uns zentral. Wir beschäftigen uns damit, wie unsere eigene Vision einer gelingenden Schule aussieht und hinterfragen dabei sehr kritisch, inwiefern jeder und jede Einzelne später an der eigenen Schule etwas bewegen kann. Hier macht uns die ESBZ Mut! Sie stellt selbst fest, dass sie keineswegs perfekt ist, obwohl sie in der Presse und von vielen Seiten stark hervorgehoben und gelobt wird. Für sie ist Stillstand keine Option, denn es gilt, sich als Individuum und auch als Komplex „Schule“ ständig weiterzuentwickeln. Im Gespräch beschreibt uns der Lehrer seine Lieblingsvision vom weltweit vernetzten „Unternehmen“ Schule, das alle Großkonzerne mit seiner schieren Größe in den Schatten stellt, seine globalen SchülerInnen in die Welt hinausschickt und sie weltweit Erfahrungen sammeln lässt.

Dieser beeindruckenden Schule möchten wir noch einmal ausdrücklich danken, dass sie uns diese wertvollen Einblicke ermöglicht hat!