Beobachtungsaufgabe

Ort: Kinderhaus Arche (Kirchweg 55, 28201 Bremen)

Zeit: 17. Januar 2023, 13:19 Uhr – 14:30 Uhr

Es ist 13:19 Uhr an einem Dienstag im Januar. Die Sonne zeigt sich das erste Mal seit ein paar Tagen und ich sitze am Fenster, kann von hier oben im vierten Stock die Kinder der Kindertagesstätte Arche beim Spielen hören und beobachten. In meinem Blickfeld befinden sich, zwischen Tanne und Hausmauer, etwa 15 Kinder und 4 Betreuer*innen, die auf einem tristen Spielplatz spielen, welcher von einer etwa 2 Meter hohen Mauer umrahmt wird. Da die Mauer sich mir gegenüber befindet und keinen Durchgang hat, kommen die Menschen entweder von rechts oder links in mein Blickfeld. Von links kommen Menschen von außerhalb der KiTa, in dem Fall Mütter, die Kinder und Erzieher*innen von rechts, denn dort befinden sich die Innenräume der Tagesstätte im gleichen Haus wie ich. 

Drei Betreuer*innen sind zwischen 40 und 50 Jahre alt, eine Person davon ist männlich gelesen. Eine weitere betreuende Person ist etwa in meinem Alter. Bis auf die jüngere Betreuerin tragen alle eher funktionale Kleidung: Jeans, Stepp- oder Regenjacken und Boots. Es fällt mir schwer, die Kinder aus der Entfernung aufgrund äußerlicher Merkmale zu unterscheiden. Alle sind etwa zwischen zwei und fünf Jahren alt und aufgrund der geringen Außentemperatur mit Mützen und wetterfesten Winterjacken ausgestattet.

Die Dynamik der Erwachsenen unterscheidet sich fundamental von der der Kinder in Schnelligkeit und Interaktion. Die Erwachsenen stehen häufig an verschiedenen Orten auf dem Hof in zweier oder dreier Grüppchen zusammen und scheinen sich zu besprechen. Zwei halten Schlüssel in der Hand. Eine Person, welche aufgrund ihres präsenten Auftritts, Ansprechperson für alle zu sein scheint, hält ein Klemmbrett und Stift in der Hand. Eine Erzieherin schiebt ruhig ein Kinderfahrrad über den Hof in Richtung Ausgang. Die Dynamik der Erwachsenen ist eine ruhige. Dagegen ist die Dynamik zwischen den Kindern sehr viel lebhafter. Es wird jedoch in keinem Fall von den Erzieher*innen interveniert. Es herrscht freies Spiel mit nur wenig Spielzeug: Drei Kinder spielen Fangen. Fünf Kinder laufen in einer Reihe Hände haltend über den Hof, schließen die Linie bald zu einem Kreis und drehen sich. Eine Person rutscht die Rutsche vom Kletterfelsen herunter, ansonsten wird dieser aber wenig beachtet. Grundsätzlich ist jedes Kind individuell mit seinem/ihrem Spiel beschäftigt, Begegnungen scheinen eher spontan und kurzweilig.

Es ist 13:46 Uhr, eine halbe Stunde später. Eine Betreuerin schließt mit dem zuvor noch in der Hand gehaltenen Schlüssel einen weißen Schuppen, mit einer Tür und einem kleinen Fenster auf. Zuvor sind zwei Kinder auf sie zugekommen, die ihr dann zu dem Schuppen gefolgt sind. Die Kinder bleiben vor der Tür stehen, während die Betreuerin hineingeht und kleine Dreiräder herausholt. Dies bemerken andere Kinder schnell und kommen immer wieder in zweier bis dreier Grüppchen heran und stellen sich ungeordnet vor dem kleinen Haus auf. Der Lärmpegel steigt, es werden immer lauter diverse Namen der Kinder gerufen, ansonsten sind mir die Worte eher unverständlich. Dennoch scheint die Kommunikation zu funktionieren. Die Kinder fahren nun stürmisch auf ihren unterschiedlichen Fahrzeugen über den Hof, es ergibt sich eine Art Verkehr, der im Kreis um den Kletterfelsen verläuft. Ein paar Kinder ändern plötzlich die Richtung, fahren auf andere zu und initiieren scheinbar absichtlich kleinere Unfälle, die aber mit Leichtigkeit hingenommen werden. Einige halten und warten, finden imaginäre Parkplätze. 

Einige Minuten später scheint es Abholzeit zu sein, es fallen mir vor allem zwei Begegnungen auf: Mutter 1 kommt an und geht, ohne ihre Umgebung wahrzunehmen, zielstrebig auf die erwachsene Ansprechperson zu. Sie unterhalten sich einige Zeit, zeigen dabei immer wieder auf ein Kind, das auf seinem Roller umher fährt. Dieses scheint die Blicke zu bemerken, unterlässt das Spiel aber nicht. Mutter 2 kommt auf den Hof und schaut suchend umher. Wenige Sekunden später kommt ein Kind auf sie zugelaufen und umarmt sie. Die Beiden wirken vertraut und ich merke schnell, dass sie Mutter und Tochter sind. Die Mutter kniet sich hin, geht auf Augenhöhe mit ihrem Kind. Sie umarmen sich. Die Ansprechperson bemerkt die Interaktion und kommt auf die beiden zu. Während des Gesprächs der Erwachsenen steht das Kind dicht an ihrer Mutter, welche ihr über den Kopf streicht.

Ich bemerke, dass Kinder in einer relativ selbstregulierten, autonomen sozialen Welt leben, die nach eigenen, mir unersichtlichen Regeln funktioniert. Ich gehe von meiner Fensterposition nicht in den Kontakt. Vielleicht wegen der Distanz, vielleicht weil ich Angst habe, als Erwachsene ihre natürliche Dynamik zu verändern. Ich merke auch, wie die unterschiedliche Präsenz der Bezugspersonen die Dynamik verändert, während die Erzieher*innen, als akzeptierte Teile des Rudels, scheinbar unsichtbar wandeln. Mutter 2 und ihr Kind scheinen eine sehr viel engere Bindung zu haben als das erste Paar. Scheinbar, weil Mutter 2 auf Augenhöhe mit ihrem Kind geht, die Stimme des Kindes hört und die kindliche Sicht der Dinge ernst nimmt, dem Kind Liebe vermittelt, indem sie ihr körperlich nah ist, anstatt Fürsorge verbal auszudrücken. Mutter 2 geht auf ihr Kind zu , betrachtet es weniger als passives Produkt eines von Gesellschaft und Kultur beeinflussten Entwicklungs- und Sozialisationsprozesses und mehr als kompetenten Akteur in seiner eigenen Lebenswelt und scheint damit nicht nur Selbstbewusstsein des Kindes, aber auch das Vertrauen in eine enge Verbindung zwischen Mutter und Kind zu stärken.

Ein Gedanke zu „Beobachtungsaufgabe“

  1. sehr coole Beobachtungen die du anführst. Gerade für mich spannend zu lesen, da ich im letzten Jahr vorm Studium ein Jahr im FSJ mit Kindern zusammengearbeitet habe.
    Gerade die unterschiedlichen Dynamiken zwischen Erwachsenen und Kindern, die du beschreibst kann ich sehr gut nachvollziehen..

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