lea.online

Projektkontext

6,2 Mio. Menschen der in Deutschland lebenden Bevölkerung zwischen 18 und 64 Jahren sind gering literalisiert, d. h. sie können allenfalls einfache Sätze lesen und schreiben (vgl. Grotlüschen/ Buddeberg 2020). 62 Prozent dieser Menschen sind erwerbstätig. Viele von ihnen arbeiten in Hilfsjobs oder Tätigkeiten, die von an- und ungelernten Personen ausgeführt werden können. Sowohl die wachsenden Anforderungen auf dem Arbeitsmarkt als auch die steigende Bedeutung von digitalen Tools stellen Menschen mit geringen Lese- und Schreibkompetenzen, aber auch Betriebe und Unternehmen vor erhebliche Herausforderungen. Auch wenn bereits mehr als 3/4 der deutschen Bevölkerung ab 14 Jahren täglich online sind (vgl. Koch/Frees 2017), so sehen sich gering literalisierte Menschen aufgrund der gleichzeitig steigenden Anforderungen an schriftsprachbezogene digitale Praktiken dem Risiko einer doppelten Ausgrenzung konfrontiert.

Gerade weil die jüngste leo-Studie “LEO 2018 – Leben mit geringer Literalität” auch gezeigt hat, dass sich die Häufigkeit der Nutzung von internetfähigen Smartphones oder Tablets zwischen gering literalisierten Menschen und der Gesamtbevölkerung nur minimal unterscheidet (vgl. Grotlüschen/Buddeberg 2020, s. 205). Das digitale Nutzungsverhalten von Menschen mit geringer Literalität kann ein Anknüpfungspunkt sein, die geringen Lese- und Schreibkompetenzen individuell und berufsbezogen zu fördern. Denn eine Förderung literaler Kompetenzen kann beispielsweise zu einer Optimierung von Betriebsabläufen, der Gewährleistung von Arbeitssicherheit und damit zur Unterstützung der Qualitätssicherung beitragen (vgl. Bundesministerium für Bildung und Forschung 2019).

 

lea.online (Literalitätsentwicklung von Arbeitskräften Online) wurde als interdisziplinäres und hochschulübergreifendes Entwicklungsprojekt durchgeführt, das an vorangegangene Forschungs und Entwicklungsprojekte anknüpft. Das Projekt wurde vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) gefördert und lief von 2018 bis 2022. Ziel war es, ein digitales Förderinstrument zu entwickeln, mit dem Jugendliche und Erwachsene ihre Lese- und Schreibkompetenzen selbstständig im privaten sowie im institutionellen Kontext verbessern können. Nutzer*innen können dabei zwischen authentischen Aufgabenstellungen zur Alltags- und Berufswelt am Beispiel der Berufsfelder Pflege, Produzierendes Lebensmittelgewerbe sowie Technik/ Technische Berufe wählen.

Projektbeschreibung

Ziele des Projekts

Hauptziele

Die maßgeblichen Hauptziele des Projektes waren, aufbauend auf den bereits bestehenden schriftlichen lea.-Diagnose- und Aufgabenmaterialien sowie auf der ebenso bereits existierenden onlinebasierten Testumgebung (otu.lea) ein inhaltlich und konzeptionell erweitertes Softwareangebot zu erstellen.

Hauptziel 1: Technische Anpassung der Online-Diagnostik „otu.lea“ und Entwicklung eines Dashboards für Alphabetisierungskräfte –
Förderdiagnostik auf Basis der Alpha-Level

Das auf Adobe Flash basierende computerbasierte Diagnose-Instrument otu.lea sollte technisch an aktuelle Webstandards angepasst werden sowie eine verbesserte valide, differenzierte, individuelle und Alpha-Level-bezogene Förderdiagnostik durch Lehrende sowie eine stärkenorientierte Rückmeldung für Teilnehmende ermöglichen. Das System sollte eine effiziente Einstufung in die sog. Alpha-Level ermöglichen. Über ein sogenanntes Dashboard sollten die Lehrkräfte in der Alphabetisierung ihre Kurse, aber auch einzelne Personen, administrieren. Die Ergebnisse, die von Kursteilnehmenden bei der Durchführung der Lern- und Diagnostikaufgaben erzielt werden, sowie deren Lernverlauf, sollten von Kursleitenden gesammelt und im Verlauf dargestellt werden. Dies sollte die Optimierung weiterer Fördermaßnahmen als auch eine gemeinsame Reflexion ermöglichen.

Hauptziel 2: lea.Beruf – Berufsfeldbezogene Förderung in der Grundbildung

Das lea.online Software Angebot sollte berufs(feld)bezogene Förder- und Diagnoseinstrumente für die Zielgruppe Erwachsener mit geringer Literalität anbieten. Dazu sollten exemplarisch Berufsfelder ausgewählt werden und berufsfeldspezifische digitale Übungsangebote entwickelt werden. Das Angebot sollte einfach erweiterbar, quelloffen (Open Source), mobil nutzbar und auf die Partizipation bei der Identifizierung des eigenen Lernbedarfes ausgelegt sein.

Hauptziel 3: lea.Lernen – Digitale Bereitstellung der lea.-Lernmaterialien

Die bereits vorhandenen und anerkannten, papierbasierten lea.-Lernmaterialien (ISBN 978-3-8309-2774-7) sollten digital nutzbar gemacht werden und mit der lea.–Diagnostik verknüpft werden.

Zusammenfassend waren folgende Verbesserungen und Erweiterungen von otu.lea für das lea.online Projekt vorgesehen: die Bereitstellung einer App (lea.App) für Smartphones und Tablets, ein vereinfachtes Diagnostikmanagement von Alpha-Leveln für die Kursarbeit im Grundbildungsbereich für Einstiegs-, Verlaufs- und Erfolgs-Assessment (lea.Dashboard), die Digitalisierung der nur als Papierversion vorhandenen lea.-Lernmaterialien und Verknüpfung mit der Online-Diagnostik zu einer umfassenden Förderdiagnostik (lea.Lernen) sowie die Erweiterung um berufsfeldbezogene Lern- und Diagnoseaufgaben für ausgewählte Berufsfelder (lea.Beruf).

Alle Hauptziele konnten erreicht werden.

Die parallele Veröffentlichung der App in zwei App Stores (Google Play und Apple App Store) überstieg allerdings die geplanten Ressourcen für die Testung und Vorbereitung, so dass zunächst nur die Android App veröffentlicht wurde. Die Veröffentlichung der App für iOS erfolgt nach Projektabschluss durch das ZeMKI Lab „Media and Education“ (Leitung: Prof. Dr. Karsten D. Wolf) und ist für März 2024 geplant. Zur nachhaltigen Bereitstellung und Weiterentwicklung wurden die Apps auf einer gemeinsamen Codebasis (React Native Framework) entwickelt und beziehen alle Inhalte dynamisch über das lea.Backend, so dass etwaige inhaltliche Änderungen über das lea.Backend erfolgen können. Mit den Hauptzielen des lea.online-Projektes wird ein Beitrag zur Erreichung der Hauptziele der Nationalen Weiterbildungsstrategie geleistet (s. auch Erfolgskontrollbericht Kap. 1.3): Die Erreichung des quantitativen Ziels der Weiterbildungsstrategie – die Weiterbildungsbeteiligung zu steigern – wird durch die niedrigschwellige und anonyme Zugriffsmöglichkeit auf den Anwendungsverbund von lea.online unterstützt. Das qualitative Ziel der Weiterbildungsstrategie – die gezieltere und adressatengerechte Unterstützung heterogener Zielgruppen (wie etwa Geringqualifizierter und KMU) sowie der Aufbau digitaler Kompetenzen geleistet – wird einerseits durch die niveauspezifische Nutzbarkeit (u.a. der berufsbezogenen Inhalte) sowie die Nutzung digitaler Medien unterstützt.

Teilziele

Weitere Teilziele waren:

(TZ1) Konzeption von zielgruppenangepassten Datenschutz- und Datensicherheitskonzepten unter Berücksichtigung der digitalen Kompetenzen sowie einer eingeschränkten Lesefähigkeit;
(TZ2) Bereitstellung und Dokumentation des Quellcodes als OpenSource;
(TZ3) Auswahl von drei Berufsfeldern;
(TZ4) Entwicklung von förderdiagnostischen Test- und Lernitems für berufsfeldbezogene Alphabetisierung in den ausgewählten Berufsfeldern;
(TZ5) Psychometrische Kompetenzmodellierung und Anpassung der Auswertung für die diagnostische Rückmeldung im Dashboard;
(TZ6) Teil-Automatisierung der psychometrischen Auswertung, Verankerung und Skalierung neuer Test- und Lernaufgaben;
(TZ 7) Implementation und Evaluation des adaptiven Testens;
(TZ8) Konzeption der schriftsprachlichen und numeralen Förderdidaktik;
(TZ9) Erstellung einer Handreichung für die berufsfeldbezogene Alphabetisierung;
(TZ10) Konzeption spezieller berufsbezogener Itemformate;
(TZ11) Entwicklung und Umsetzung einer Social Media Strategie,
(TZ12) Entwicklung eines Fundraisingkonzeptes sowie
(TZ13) Entwicklung eines Verstetigungskonzeptes.

Bis auf wenige Ausnahmen konnten alle Teilziele vollständig erreicht werden. Einzig das Teilziel TZ7 konnte nicht vollumfänglich erreicht werden, da durch die veränderte Entwicklungsreihenfolge, die notwendige Überarbeitung der Kompetenzmodelle und Auswertungsalgorithmen, die hohe Anzahl von Testitems in den drei Berufsfeldern sowie Schwierigkeiten im Feldzugang während der Corona-Epidemie die Datenbasis für ein adaptive Testanpassung nicht ausreichte. Mit einer ausreichenden Datenbasis wird diese in Zukunft umgesetzt.

Im Projektverlauf entstandene Ziele

Im Projektverlauf wurden weitere Ziele entwickelt, welche auch vollständig umgesetzt wurden. Als zusätzliches Hauptziel 4 wurde die Bereitstellung eines Backends mit integriertem Authoring- und Item-Testing-System (lea.Backend) definiert und umgesetzt, was für die nachhaltige Bereitstellung und Erweiterung des Systems von zentraler Bedeutung ist. Ein weiteres Teilziel 14 war die vollständige Überarbeitung des mathematischen lea.-Kompetenzmodells als berufsfeldorientiertes Numeracy-Kompetenzmodell sowie die Neuentwicklung aller otu.lea-Testitems im Bereich mathematisches Grundwissen in fünf verschiedenen, im Schwierigkeitsgrad aufsteigenden Testsets für die Zielgruppe in otu.lea (TZ15) sowie die Überarbeitung der Kompetenzmodelle Lesen, Schreiben und Sprachgefühl inklusive der Testitems.

Gesamtziel des Vorhabens – Zusammenfassung

Basierend auf Vorarbeiten im Rahmen des BMBF-geförderten lea.-Projektes (Förderkennzeichen 01AB072901, Projektlaufzeit: 2008-2010) soll die existierende und in der Alphabetisierungs-Praxis eingesetzte Online-Diagnostik otu.lea (http://otulea.de) an die aktuellen didaktischen und technischen Anforderungen durch Alphabetisierungskräfte und Teilnehmer/innen angepasst und um berufsspezifische Förderelemente erweitert werden. Das in dem lea.-Projekt entwickelte Kompetenzmodell wurde inzwischen in das Rahmencurriculum des DVV aufgenommen, dient für diverse Akteure (z.B. Mittelgeber) als Bezugspunkt und bildet die Grundlage der leo.-Studie. Die diagnostische Basis des Projektes bildet somit ein deutschlandweit etabliertes, validiertes und einzigartiges Kompetenzmodell.

Der Projektplan ist dabei so gestaltet, dass erste zentrale Verbesserungen und Erweiterungen bereits im ersten Jahr der Projekt-Laufzeit zur Verfügung stehen.

Folgende Verbesserungen und Erweiterungen von otu.lea sind als lea.online vorgesehen:

  • lea.App: Bereitstellung als App für Smartphones und Tablets (iOS & Android) sowie als responsive HTML5-Webanwendung für Desktops;
  • lea.Dashboard: vereinfachtes Diagnostikmanagement von Alpha-Leveln für die Kursarbeit im Grundbildungsbereich für Einstiegs-, Verlaufs- und Erfolgs-Assessment;
  • lea.Lernen: Digitalisierung der nur als Papierversion vorhandenen lea.- Lernmaterialien und Verknüpfung mit der Online-Diagnostik zu einer umfassenden Förderdiagnostik;
  • lea.Beruf: Erweiterung um berufsfeldbezogene Lern- und Diagnoseaufgaben für ausgewählte Berufsfelder.