1) In meiner eigenen Schulzeit habe ich zwei zentrale Maßnahmen erlebt: Zum einen war die Schule Teil der Initiative „Schule ohne Rassismus – Schule mit Courage“ (SOR-SMC). Im Sinne dieses Projekts wurde eine Themenwoche zum Thema Antisemitismus durchgeführt. Dabei standen Informationsveranstaltungen und Projektarbeiten im Mittelpunkt.
Die Maßnahmen lassen sich nicht eindeutig einer einzigen pädagogischen Strömung zuordnen, sondern weisen Merkmale mehrerer Modelle auf. Grundsätzlich lässt sich sagen, dass die Initiative primär auf die Prinzipien interkultureller Bildung zurückgreift. Hier steht die Förderung von Dialog, Begegnung und kultureller Sensibilisierung im Zentrum. Dazu muss gesagt sein, dass in der Grundschule eher auf kulturellen Austausch gesetzt wird – etwa durch Kochkurse oder Präsentationen kultureller Bräuche. In der Oberstufe, in der ich meine Erfahrung machen durfte, liegt der Fokus stärker auf kritischer Auseinandersetzung und Reflexion. Hierbei werden beispielsweise Workshops mit externen Expert:innen, Podiumsdiskussionen zu Rassismus- und Diskriminierungserfahrungen sowie biografische Zugänge wie Zeitzeugengespräche oder Projekttage mit Betroffenen organisiert. Ziel ist es, die eigene Haltung zu reflektieren, Privilegien zu hinterfragen und Diskriminierungsformen als gesellschaftliche Strukturen zu erkennen – nicht nur als individuelles Fehlverhalten.
In Bezug auf das theoretische Vergleichsmodell zeigt sich dabei Folgendes: In der Diagnose des Problems orientiert sich die Maßnahme an Differenz und kultureller Unterschiedlichkeit – ein zentrales Merkmal der interkulturellen Bildung. Gleichzeitig werden auch Elemente antirassistischer Bildung aufgegriffen, durch die explizite Thematisierung von Diskriminierung und die Bezeichnung als systematisches Phänomen (vgl. Fantini 2025, Folie 7). Die Adressat:innen sind nicht nur Schüler:innen mit Migrationsgeschichte, sondern – wie es in der interkulturellen und antirassistischen Pädagogik intendiert ist – alle Lehrenden und Lernenden, oftmals wird sogar die Institution Schule als Ganzes adressiert. In der Praxis lassen sich in der Grundschule vor allem kulturvermittelnde Elemente und in der Oberstufe dialogorientierte Elemente beobachten, die Teil der Interkulturellen Bildung sind, zeitgleich gibt es Elemente wie kritische Analyseformate aus der rassismuskritischen Bildung. Die Ziele dieser Maßnahmen liegen überwiegend in der Anerkennung von Heterogenität, gleichzeitig wird ein aktives Eintreten gegen Rassismus gefördert, was an das Ziel der Dekonstruktion rassistischer Strukturen anschließt. Das zugrundeliegende Gesellschaftsbild schwankt dementsprechend zwischen dem Ideal einer heterogenen und einer diskriminierungsfreien Gesellschaft.
Allerdings bleibt ein zentrales Problem bestehen: Die Rassismuskritik verlangt mehr als symbolisches Engagement. Es geht nicht nur um „gutes Verhalten“, sondern um eine kritische Analyse struktureller Machtverhältnisse und die Frage, wie Rassismus im Schulalltag produziert und reproduziert wird (vgl. Fereidooni, Folie S. 24 ff.; Bartel o. D., S. 15). Hier bleibt die Initiative oftmals auf einer affirmativen (bestätigenden) Ebene stehen – sie feiert Vielfalt, ohne tiefgreifende Selbstreflexion oder strukturelle Veränderungen systematisch zu fördern. Da die Auseinandersetzung mit den Themen meist nur an Themenwochen oder besondere Gedenktage gekoppelt ist, bleibt die langfristige, kontinuierliche Beschäftigung mit Diskriminierung aus – was zu einem Verlust an Relevanz führen kann (vgl. Bartel o. D., S. 14 f.).
Besonders deutlich wird dies auch bei der Behandlung von Antisemitismus: Dieser wird überwiegend historisch kontextualisiert, insbesondere mit Blick auf die NS-Zeit. Der Bezug zu aktuellen Diskriminierungsformen, beispielsweise gegenüber jüdischen oder muslimischen Jugendlichen, bleibt oft aus. Dadurch wird die Verbindung zwischen der Vergangenheit und gegenwärtigen rassistischen Strukturen nicht ausreichend hergestellt, was zur Relativierung heutiger Diskriminierungserfahrungen führen kann. Um diesem Mangel zu begegnen, braucht es eine konsequente Einbindung intersektionaler Perspektiven (vgl. Walgenbach 2016, S. 212) – also eine Sichtweise, die unterschiedliche Ungleichheitsverhältnisse (wie Ethnizität, Geschlecht, soziale Herkunft) in ihrem Zusammenspiel begreift.
2) Inwieweit ist rassismuskritische Bildungsarbeit im Schulalltag verankert – oder bleibt sie auf vereinzelte Aktionen und Projekttage beschränkt? Wie konsequent werden Diskriminierung und Machtverhältnisse auch im regulären Unterricht, in Lehrplänen, in Schulregeln oder im Kollegium thematisiert und bearbeitet?
3) Die Reflexion aus Aufgabe 1 zeigt, dass die Maßnahmen zwar wichtige Impulse setzen können, jedoch häufig an der Oberfläche bleiben. Ein zentrales Problem der Umsetzung besteht darin, dass Diskriminierung oft nur punktuell – etwa im Rahmen von Projektwochen – thematisiert wird, während die dauerhafte, systematische Auseinandersetzung mit etwa strukturellen Ungleichheiten im Schulalltag ausbleibt. Um diese Lücke zu schließen, braucht es konkrete Schritte zur Weiterentwicklung von Schule und Unterricht, die sich an einer rassismuskritischen und intersektionalen Bildung orientieren. Es reicht also nicht aus, sich symbolisch gegen Rassismus zu positionieren, vielmehr müssen Schulen als Institutionen selbstkritisch hinterfragen, wie sie konkret Reproduktion von Ausschlüssen beitragen, dies kann bspw. durch die Auswahl von Lehrmaterialien oder durch mangelnde Repräsentation marginalisierter Gruppen passieren. Rassismuskritik verlangt die bewusste Auseinandersetzung mit eigenen Privilegien und institutionellen Machtverhältnissen, dies muss sowohl auf individueller als auch auf kollektiver Ebene geschehen.
Ein weiterer zentraler Aspekt ist die Einbeziehung intersektionaler Perspektiven (vgl. Walgenbach 2016, S. 212). Diskriminierung sollte nicht nur entlang einzelner Kategorien – etwa Ethnie – betrachtet werden, sondern im Zusammenspiel mit anderen sozialen Ungleichheiten wie Geschlecht, sozialer Herkunft, Behinderung oder Religion. Eine differenzierte Aufschlüsselung dieser verschiedenen Marginalisierungsbereiche ermöglicht ein tieferes Verständnis und eine umfassendere Aufklärung als ein Unterricht, der Differenz ausschließlich kulturell denkt. Neben den bereits genannten Maßnahmen braucht es auch institutionelle Strukturen, die eine dauerhafte und langfristige Auseinandersetzung mit Diskriminierung sicherstellen. Dazu zählen beispielsweise Feedbackformate zu Diskriminierungserfahrungen, regelmäßige Fortbildungen im Kollegium sowie die Einrichtung einer Antidiskriminierungsstelle innerhalb der Schule.
Quellen:
Walgenbach K. (2016). Intersektionalität als Paradigma zur Analyse von Ungleichheits-, Macht und Normierungsverhältnissen. In: Vierteljahresschrift für Heilpädagogik und ihre Nachbargebiete. S. 211-224. München: Ernst Reinhardt Verlag
Fereidooni K. (2025). Rassismuskritik – Was muss ich wissen? Was kann ich tun? Was kann meine Schule leisten?. Vortrag, Ruhr-Universität Bochum.
Aktion Courage e.V. (o.j.). Netzwerk. Abgerufen am 14.04.2025 von Schule ohne Rassismus, Schule mit Courage. https://hfph.de/studierende/archiv-lehrveranstaltungen/wintersemester-2014-15/anthropozentrismus-wer-oder-was-zaehlt-in-der-ethik
Fantini C. (2025). 2. Grundlagen zum Umgang mit soziokultureller Heterogenität in Schule. Vortrag, Universität Bremen.