RV05 Blogbeitrag zum 12.05.2025

1) Das schulische Parallelsystem in der Provinz Bozen stell ein Spannungsfeld innerhalb des Bemühens um ein inklusives Bildungssystem dar. Während die sich die Autonomie auf den Schutz und Erhalt der sprachlichen und kulturellen Identitäten der drei Sprachgruppen (Deutsch, Italienisch, Ladinisch) stützt, führt eine organisatorische Trennung in der Praxis zu einer segmentierten Bildungserfahrung, die Chancenungleichheiten und soziale Auftrennung verstärken kann (vgl. Seitz 2025, Folie 12). Ein inklusives System basiert allerdings auf der Idee, dass alle Kinder – unabhängig von sämtlichen Heterogenitätsmerkmalen – gemeinsam lernen und auf diese Weise soziale Geschlossenheit und gegenseitiges Verständnis gestärkt werden (vgl. Prengel, 2019, S. 45 f.). Die institutionalisierte Trennung nach Sprache steht daher in Spannung zu den Prinzipien der Inklusion, da sie den Austausch, das gemeinsame Lernen und die Teilhabe aller Lernenden an denselben Bildungsräumen systematisch erschwert. 

Die Forschung zeigt, dass gerade heterogene Lernsettings einen positiven Beitrag zum Abbau von Vorurteilen leisten können (Florian & Spratt, 2013, S. 124). In diesem Kontext wäre eine kritisch-reflexive Überprüfung der bestehenden Modelle unter Einbeziehung von inklusionspädagogischen Perspektiven angebracht.

2) Da die Idee eines inklusiven Bildungssystems das gemeinsame Lernen aller Kinder  – unabhängig von sämtlichen Heterogenitätsmerkmalen – ist, erscheint mir die Fokussierung auf bestimmte Differenzmerkmale wenig sinnvoll. Gerade die Fixierung auf medizinisch-defizitorientierte Diagnosen, führt leicht zur Etikettierung und Stigmatisierung von Kindern und reduziert diese auf ihre Beeinträchtigung (vgl. Prengel, 2019, S. 47 f.). Auf der anderen Seite verfolgen diese diagnostischen Verfahren auch das Ziel spezifische Förderbedarfe zu identifizieren und Ressourcen so zielgerichtet bereitstellen zu können. Es erscheint in diesem Zusammenhang sinnvoll den inklusiven Ansatz weniger als den Fokus auf individuellen Defizite zu verstehen, sondern vielmehr als die Gestaltung barrierefreier Lernumgebungen für alle (vgl. Florian & Spratt, 2013, S. 123). Allerdings ist ein vollständiger Verzicht auf Kategorien nicht realistisch, wohl aber die Notwendigkeit, Diagnosen kritisch zu reflektieren und sie nicht als Ausschlusskriterium, sondern als Ausgangspunkt für flexible Unterstützungssysteme zu betrachten.

3) Ein zentraler Erfolgsfaktor für inklusiven Unterricht ist die Teamarbeit. Forschungsergebnisse zeigen, dass multiprofessionelle Kooperationen zwischen Lehrpersonen, Sonderpädagog:innen, Sozialarbeiter:innen sowie Erziehungsberechtigten maßgeblich dazu beitragen, die Bedürfnisse heterogener Lerngruppen zu adressieren (vgl. Widmer-Wolf 2014, S. 34 ff.). Dabei ermöglicht Teamarbeit nicht nur den Austausch von Expertise, sondern auch die gemeinsame Entwicklung kreativer und flexibler Unterrichtskonzepte, die auf unterschiedliche Lernvoraussetzungen eingehen, sollte dies allerdings nicht gelingen kann es zu einer Aufteilung der Kinder in kleine Gruppen entlang der Qualifikation des Lehrpersonals kommen (vgl. Widmer-Wolf 2014, S. 34). Insbesondere in komplexer werdenden Lernsituationen, in denen Differenzierungs- und Unterstützungsbedarfe auftreten, kann kollegiale Zusammenarbeit zur Entlastung beitragen und den professionellen Umgang mit Heterogenität fördern, allerdings ist eine solche interprofessionelle Zusammenarbeit maßgeblich von der Gegenseitigen Wetschätzung und dem Austausch zwischen allen Beteiligten abhängig (vgl. ebd., S. 31 ff.). Für eine erfolgreiche Teamarbeit bedarf es also klarer Strukturen, regelmäßiger Absprachen und einer wertschätzenden Teamkultur, die die Expertise aller Beteiligten anerkennt (vgl. ebd.).

Quellen:

Florian, L. & Spratt, J. (2013). Enacting Inclusion: A Framework for Interrogating Inclusive Practice. European Journal of Special Needs Education, 28(2), S. 119–135.

Prengel, A. (2019). Pädagogik der Vielfalt. Inklusive Bildung in der Schule. 6. Aufl. München: Carl Link Verlag.

Seitz, S. (2025). Inklusive Bildungspraxis in Südtirol / Italien: Gestaltungsmöglichkeiten innerhalb inklusiver Strukturen. Vortrag: Universität Bremen vom 13.05.2025

Widmer-Wolf, Patrik: Praxis der Individualisierung. Wie multiprofessionelle Klassenteams Fördersituationen für Kinder im Schulalltag etablieren. Opladen u.a. : Budrich UniPress 2014

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