1.0) Das Spannungsfeld zwischen Heterogenität und Homogenität ist im schulischen Kontext durchaus relevant. Besonders hervorzuheben erscheint mir in diesem Zusammenhang der Aspekt, dass Heterogenität niemals eine objektive Gegebenheit ist, sondern vielmehr in sozialen Kontexten konstruiert wird (vgl. Gomolla 2009, zit. in RV01, Folie 13). Mit dieser Betrachtungsweise bleiben Schulen und angewandte Praktiken nicht nur eine Reaktion auf Vielfalt, sondern werden zu aktiven Gestaltungsinstanzen, die aktiv Differenz und Ungleichheiten erschaffen oder verhindern können.
Für die schulische Praxis ist dieser Aspekt insofern wichtig, als etwa Ungleichheit durch normative Vorstellungen von Homogenität in heterogenen Gruppen entstehen kann und durch standardisierte Curricula oder die Selektion von Kindern in verschiedene Schulformen nicht nur strukturierend im Hinblick auf das Ermöglichen von „Massenbeschulung“ (vgl. Hummrich 2016, S. 41) wirkt, sondern auch Vielfalt beschränken kann (vgl. Hummrich 2016, S. 40). Durch eine Aufteilung der Kinder werden also gesellschaftliche Vorstellungen von Homogenität reproduziert; so entsteht fast schon zwangsläufig eine Abspaltung von Menschen, die von „der Norm“ in bestimmten Kriterien abweichen (vgl. Hummrich 2016, S. 41). Dabei ist eine Diskrepanz zwischen dem Ideal der Chancengleichheit und der sozial-gesellschaftlichen Realität ungleicher Bildungsvoraussetzungen zu erkennen.
1.1) Ein zweiter, ebenso zentraler Aspekt ist die „bewusste pädagogische Intervention“ (vgl. Helsper 2011, S. 108; RV01, Folie 12), um eine Gruppenbildung zu forcieren, die sich durch ein „Wir-Gefühl“ auszeichnet, bestehende Idealvorstellungen aufweicht und so als Gegenstrategie zu unbewussten Normen der Homogenisierung wirkt. Ziel dieser Intervention ist die Relativierung der sozialen Differenzen. Die Aufgabe der Lehrkräfte ist somit das gezielte Entgegenwirken von diskriminierenden oder ausschließenden Dynamiken und die inklusive Unterrichtsgestaltung, die Unterschiede nicht nur toleriert, sondern auch alle Kinder integriert.
Helsper (2011) beschreibt diese Arbeit im Spannungsfeld zwischen widersprüchlichen Anforderungen und professioneller Urteilsfähigkeit als „pädagogische Professionalität“(vgl. Helsper 2011, S.275). Lehrkräfte sind also mit Differenzen und Vielfalt konfrontiert und müssen gleichzeitig Ordnung herstellen und mit Widersprüchen umgehen. Die bewusste Intervention ist demnach kein einmaliger Akt, sondern vielmehr eine kontinuierliche Aufgabe, die eine kritische Auseinandersetzung mit der eigenen Haltung, den Bedürfnissen der Lernenden und bestehenden Idealvorstellungen erfordert.
„Professionalität lässt sich demnach in und über die pädagogischen Beziehungen, über die Genese, Konsistenz, Kontinuität und Ausgestaltung der pädagogischen Interaktionen zwischen Professionellen und Kindern […] dokumentieren“ (Helsper 2011, S. 108)
2.0) Den Aspekt der pädagogische Intervention konnte ich auch in meinem Praktikum bereits beobachten. In der Grundschule meines letzten Praktikums wurde beispielsweise durch das Abschaffen der Klassenstruktur für die ersten Wochen nach der Einschulung eine Art Großgruppe mit allen Kindern der ersten Klasse geformt, in der sich die Kinder, unabhängig von bestimmten Differenzen, kennenlernen konnten. In dieser Zeit fand kein direkter Unterricht statt, sondern es wurde Wert auf die Stärkung des Gemeinschaftsgefühls gelegt, dies geschah durch gemeinsame Spiel, gemeinsame Betreuungszeiten und das Aufheben von Barrieren zwischen den unterschiedlichen Räumen. Das Ziel dieser Phase ist es allen Kindern die Möglichkeit zu geben sich als Teil der Gemeinschaft der 1. Klasse zu fühlen. Auch wenn einige Kinder zunächst niemanden kannten, konnten sie sich durch die pädagogischen Maßnahmen mühelos in die Gruppe einfinden. Dieses Konzept wird auch nach der Einteilung der Kinder in Klassen durch beispielsweise gemeinsamen Sportunterricht oder gemeinsame Ausflüge fortgeführt, so entsteht ein Klassenübergreifendes Gemeinschaftsgefühl der Kinder in dem Differenzen keine Rolle spielen.
Meine Schulzeit war stark von gezielten pädagogischen Interventionen geprägt. Dabei wurden Schülerinnen und Schüler von den Lehrkräften bewusst in leistungsstärkere und leistungsschwächere Gruppen eingeteilt, woraufhin der Unterricht entsprechend differenziert gestaltet wurde. Kinder mit geringerer Leistungsfähigkeit arbeiteten in Einzel- oder Kleingruppen auf den Fluren an gesonderten Aufgaben, während der übrigen Klasse ein vertiefter, differenzierter Unterricht im Klassenraum angeboten wurde. Auf diese Weise entstand eine bewusst herbeigeführte „Zwei-Klassen-Gesellschaft“ innerhalb der Lerngruppe.
Obwohl sich diese Trennung – soweit ich mich erinnere – nicht unmittelbar auf das soziale Miteinander in der Klasse auswirkte, hatte sie dennoch spürbare Folgen auf die fachliche Entwicklung. Leistungsschwächere Kinder wurden thematisch zunehmend abgehängt, was langfristig zu einer weiteren Verschärfung der ohnehin bestehenden Leistungsunterschiede führte.
3.0) Beobachtungsaufgabe:
Achten Sie im Unterrichtsalltag und im schulischen Miteinander auf Situationen in denen Unterschiede zwischen den Schüler*innen betont oder revidiert werden. Achten Sie auch, auf Situationen in denen Vielfalt adressiert wird und notieren Sie, auf welche Weise diese angesprochen werden (z. B. sprachlich, organisatorisch, Didaktisch) und inwiefern dabei differenzierende Tendenzen zu erkennen sind. Welche Normativen Vorstellungen von „Normalität“ liegen den jeweiligen Situationen zugrunde.
Schreibe einen Kommentar