Blogbeitrag Nr. 17: Politik und Weltanschauungen in der Schule-Eltern-Kommunikation – welche Positionen sind erlaubt und geboten?

  • Ein Schüler äußert vor der Klasse Stolz auf die nationalsozialistische Vergangenheit seines Großvaters – die Lehrkraft kommentiert das nicht.
  • Corona leugnende Eltern weigern sich in der Corona-Zeit, mit Maske zum Elternabend zu kommen. Sie dürfen das Gebäude ohne Maske nicht betreten und bezichtigen die Schule eines undemokratischen Vorgehens.
  • Eine arabisch-muslimische Schülerin äußert sich kritisch über die israelische Siedlungspolitik. Deshalb wird sie von einer Lehrkraft vor der Klasse als Antisemitin bezeichnet. Ihre Eltern beschweren sich über dieses Vorgehen.

Dies sind drei sehr unterschiedliche Beispiele aus Gesprächen, die wir im Projekt isekim mit Elternvertretungen und Schulleitungen geführt haben. Sie weisen auf die besonderen Herausforderungen im Umgang mit weltanschaulicher Pluralität in der Schulgemeinschaft hin. Es stellt sich ihnen die Frage: Sollte die Verherrlichung des Nationalsozialismus unkommentiert bleiben? Darf die Schule mit Verweis auf „Demokratie“ und im Sinne der Kooperation mit Eltern die Corona-Verordnung außer acht lassen? Ist das Vorgehen der Lehrkraft legitim, die Kritik der Schülerin am staatlichen Vorgehen Israels mit Antisemitismus gleichzusetzen?

In der Schule der Migrationsgesellschaft treffen eine Vielfalt von Lebenserfahrungen und -orientierungen, Perspektiven und Positionen u.a. mit Bezügen zu unterschiedlichen Weltregionen aufeinander. Vielfach sind Lehrkräfte unsicher, wie sie sich dazu verhalten sollen bzw. dürfen, weil sie meinen, ein bestimmtes Verständnis von „Neutralität“ vertreten zu müssen. Sie meinen, sie müssten sich gegenüber jeglichen weltanschaulichen und politischen Positionen, die in Schule geäußert werden unparteiisch verhalten. Dieses Verständnis von „Neutralität“ ist rechtlich und pädagogisch jedoch nicht haltbar, wie z.B. in einem Artikel für die Bundeszentrale für politische Bildung ausgeführt wird. Es gehört zum staatlichen Bildungs- und Erziehungsauftrag, aktiv für demokratische Werte und Grundrechte einzutreten. Denn Schule ist ein zentraler gesellschaftlicher Ort, an dem gelernt wird, zwischen persönlichen Meinungen, politischen Äußerungen und sachlichen Argumenten zu unterscheiden, und zwar in allen Fächern. Dafür müssen diese benannt und ein Umgang mit ihnen praktiziert werden.

Für den Umgang mit einem Aufeinandertreffen widersprüchlicher Positionen in der Schule bietet der Beutelsbacher Konsens, auf den sich Akteur*innen der politischen Bildung 1977 geeinigt haben, eine fächerübergreifende Orientierung. Grundlegend für weltanschaulich-politische Äußerungen in Schule ist die demokratische Verfassung Deutschlands. In der konkreten pädagogischen Arbeit sind dabei folgende drei Prinzipien zu berücksichtigen:

  1. Das Prinzip des „Überwältigungsverbots„: Das bedeutet eine Zurückweisung jeglicher Form des Versuchs einer Indoktrination durch Lehrkräfte.
  2. Das Prinzip des „Kontroversitätsgebots“. Damit ist gemeint, dass das, was in Wissenschaft und Politik kontrovers diskutiert wird, auch im Unterricht kontrovers behandelt werden muss. Und als Schlussfolgerung aus den beiden anderen Prinzipien
  3. Das Prinzip der „Urteilsbefähigung“. Es bedeutet, dass Schüler*innen in die Lage versetzt werden müssen, eine politische Situation, ihre eigene Interessenlage sowie die der Lehrkräfte und Eltern einzuordnen und zu analysieren.

Wenn dies auf die oben aufgeführten Beispiele angewandt wird, bedeutet das:

  • Die demokratische Verfassung der Bundesrepublik verhält sich eindeutig zu den Verbrechen des Nationalsozialismus, dessen Verherrlichung eine Straftat bedeutet. Die Lehrkraft muss sich dazu unmissverständlich positionieren.
  • Die Corona-Verordnung kann kritisiert werden als staatliche Maßnahme, zu der kontroverse Positionen in Schule thematisiert werden sollten. Aber als staatliche Institution ist die Schule verpflichtet sie umzusetzen, auch gegen Protest der Eltern.
  • Kritik an der Siedlungspolitik der israelischen Regierung an sich ist kein Antisemitismus, aber es gibt kontroverse Positionen in Politik und Wissenschaft, wo die Kritik endet und wo israelbezogener Antisemitismus beginnt. Die Äußerung der Schülerin müsste in pädagogisch angemessener Form zum Anlass genommen werden, auf die Problematik hinzuweisen und das Thema im Unterricht differenziert zu vermitteln.

Yasemin Karakaşoğlu

Zum Weiterlesen:

https://www.bpb.de/themen/bildung/dossier-bildung/292674/was-man-sagen-darf-mythos-neutralitaet-in-schule-und-unterricht/ (mit weiteren Beispielen aus der Schulpraxis)

Blogbeitrag Nr. 16: Vom (richtigen) Umgang mit Beschwerden als Chance der Schulkulturentwicklung

„Die Eltern wollen manchmal Probleme gleich gelöst bekommen und wollen sofort die Lehrkräfte gleich fragen: „Hey, das ist mit meinem Kind passiert, ich finde es rassistisch, wieso ist es passiert und alles?“ Und manchmal wird es dann banalisiert oder nicht als sehr wichtig wahrgenommen seitens der Lehrkräfte. Aber für die Eltern ist das ja erst der Grund, weshalb die Kontakt aufnehmen mit den Lehrkräften.“

In diesem Interviewausschnitt mit einem Mitglied des Bundeselternnetzwerkes der Migrantenorganisationen für Bildung und Teilhabe (bbt) wird deutlich, wie wichtig ein unmittelbarer und vertrauensvoller Austausch zwischen Eltern und Schule ist, der sich insbesondere dann beweisen muss, wenn es um so ernste Probleme geht, wie berichtete Diskriminierungs- und Rassismuserfahrungen. Er zeigt, dass ein Kleinreden der Erfahrung, vielleicht gedacht als Beruhigung der Eltern oder aber auch als Schutz der eigenen Institution vor als falsch angenommenen Verdächtigungen dieses Vertrauensverhältnis massiv stören kann. Eine solche Reaktion vermittelt den Eltern, dass ihre bzw. die Schilderung des Kindes nicht ernst genommen wird, sie daher auch keine Aussicht auf Klärung des Falles und Schutz ihres Kindes in der Schule haben. Zugleich verstellen sich Lehrkräfte mit einer abwiegelnden Reaktion die Möglichkeit zu einer echten Klärung des Vorfalls.

Wenn Schulen hingegen einen offenen und konstruktiven Umgang mit Beschwerden pflegen, wenn sie geäußerte Beschwerden als Handlungsaufforderung verstehen, sich in den alltäglichen Routinen zu hinterfragen und dabei Eltern als Korrektiv von Fehlentwicklungen in der Schulkultur schätzen lernen, können sie damit das Vertrauen der Eltern in die Institution stärken und dazu beitragen, Schule zu einem sichereren und damit besseren, diversitätssensiblen wie diskriminierungskritischen Ort zu machen – in jeder Hinsicht und für alle.

Einen konstruktiven Umgang mit Elternsorgen habe ich kennengelernt bei Schulbesuchen in Kanada. Auf der Webseite des Schuldistrikts „River East Transcona School Division“  in Winnipeg/Kanada ist deutlich sichtbar für alle ein Button anzuklicken, der mit dem Hinweis „Concern Protocoll“ (Beschwerdeweg) zu einer leicht verständlichen und mit Illustrationen einladend gestalteten Übersicht führt (siehe Abbildung). Hier wird der Weg einer Beschwerde (in Englisch mit „Concern“ etwas ´weicher´ zu übersetzen als „Sorge“/„Bedenken“) von ihrer Äußerung gegenüber einer Lehrkraft bis zur Schulaufsicht abgebildet – alles selbstverständlich diversitätssensibel ausgeführt und formuliert in klaren Sprach-Botschaften.

Yasemin Karakaşoğlu

 

Concern Protocol: https://www.retsd.mb.ca/_ci/p/16944

 

Hilfreiche Tipps zur Einrichtung eines schulinternen Beschwerde-managements finden sich hier: 

https://www.vielfalt-entfalten.de/themen/personal-und-organisationsentwicklung/beschwerdemanagement-an-schulen/

Blogbeitrag Nr. 15: Warum eine eingestürzte Brücke in Dresden Bildung gefährdet

In Dresden kooperiert das Projekt isekim mit der 101. Oberschule „Johannes Gutenberg“, die Dresdner Kinder und Jugendliche mit Wurzeln in Deutschland und vielen anderen Ländern auf den ersten und mittleren Schulabschluss vorbereitet. Im Projekt isekim konnten wir diese als eine Schule kennenlernen, die sich in vorbildlicher Weise um Bildungschancen für alle Schüler und Schülerinnen bemüht – auch für diejenigen, deren Eltern sie wenig unterstützen können, z.B. weil sie erst seit kurzer Zeit in Deutschland leben.

Mit großer Begeisterung wurden uns auch die Planungen für einen Schulneubau gezeigt, in dem das Konzept der Schule noch bessere räumliche Rahmenbedingungen finden sollte. Für diesen Neubau sind nun im Haushaltsplanentwurf keine Mittel mehr vorhanden, wie die Schule in einem Video aufzeigt. Zugleich wird im derzeitigen Gebäude ein Gymnasium aufgebaut, das mit jedem neuen Jahrgang mehr Klassenräume benötigt. Es wird schlechter statt besser.

Hintergrund ist der Einsturz einer Dresdner Elbbrücke, deren Wiederaufbau viel Geld kosten wird. Sicher sind Investitionen in die Verkehrsinfrastruktur wichtig – am Besten kontinuierlich, bevor eine Brücke einstürzt. Aber auch kontinuierliche und verlässliche Investitionen in die Bildungsinfrastruktur sind wichtig. Denn ohne Bildung fehlen in der Zukunft die Menschen, die zum Beispiel stabile Brücken bauen und erhalten können.

Yasemin Karakaşoğlu und Dita Vogel

Mehr dazu in einer e-petition

 

Blogbeitrag Nr. 14: Logbücher und Schulplaner – viele Zwecke auf einen Schlag erreichen?

Wie werden eigentlich Schulplaner und Logbücher, wie sie uns die isekim-Kooperationsschulen zur Verfügung gestellt haben, in der Schule-Eltern-Kommunikation genutzt? Beispiele finden Sie hier. Unser Eindruck: Die gebundenen Hefte oder Ringbücher wollen ganz schön viel erreichen.

Nachrichtenkanal: Es gibt Felder, in denen sich Eltern und Lehrkräfte gegenseitig Nachrichten zukommen lassen.

Orientierung über schulisches Lernen: Eltern können im Logbuch einen Eindruck bekommen, worum es gerade in der Schule geht, besonders wenn die Logbücher auch für Lerndokumentationen oder als Hausaufgabenhefte genutzt werden.

Informationshandbuch: Außerdem sind je nach Schule eine Vielzahl von Informationen abgedruckt wie z.B. schulische Kontaktadressen, Schulordnungen, Elternrechte und -pflichten.  Wir fragen uns, ob ein Heft auf Papier, dass die Kinder zwischen Schule und Elternhaus hin und her tragen, dafür das richtige Medium ist. Sind Flyer oder Hefte zum Schulbeginn dafür geeigneter? Oder werden Logbücher auf Papier bald komplett von Eintragungen in internen Lernplattformen abgelöst?

Dita Vogel und Pia Grimpo

 

Blogbeitrag Nr. 13: Elterncafé – von Eltern, für Eltern, nur für bestimmte Gruppen?

                                                                        Bild: Elterncafé an der Offenen Schule Köln

Elterncafés werden oft als Maßnahme empfohlen, damit Eltern Erfahrungen miteinander austauschen und mit der Schule in Kontakt treten können, z.B. von der Kultusministerkonferenz. Aber was bedeutet das konkret, und warum sollten sich Eltern ein solches Angebot wünschen? In der pädagogischen Literatur und auch in einigen Interviews im isekim-Projekt tauchen  „Elterncafé“ und „Elternstammtisch“ als informelles Angebot von Eltern für Eltern auf, das je nach Zusammensetzung der Elternschaft in der Schule auftauchen und wieder verschwinden kann.

Elterncafés werden aber auch von Schulen initiiert und durch pädagogische Fachkräfte und Honorarkräfte aus der Elternschaft unterstützt, wenn sich Schulen dadurch bessere Kontakte vor allem mit zugewanderten Eltern erhoffen. So äußert eine schulische Beschäftigte der Duisburger Kooperationsschule im isekim-Interview, dass ein Elternfrühstück oder Elterncafé als eine Möglichkeit gesehen wird, eine zentrale Frage zu lösen: „Wie kriegen wir unsere Eltern hier eingebunden?“ Dabei scheinen regelmäßige, anlasslose Termine nur kleine Teile der Elternschaft anzusprechen, während ein Muttertagsfrühstück mit kleinen Geschenken durch die Kinder die Mensa der Schule gefüllt hat.

Angeregt durch das Duisburger Beispiel soll in der Oberschule Johannes Gutenberg in Dresden eine andere Variante eines Elterncafés getestet werden. Elterngespräche könnten sich künftig auf einen Tag im Monat konzentrieren, an dem die Schüler*innenfirma ein Café-Angebot bereitstellt. Es geht also darum, dass Eltern sich in der Schule willkommen fühlen sollen und nicht auf dem Flur warten oder gleich nach einem Gespräch wieder gehen müssen.

Ein „thematisches Elterncafé“ wird in einer Projektbroschüre aus Brandenburg beschrieben: Eine Schule hat regelmäßig Vorträge zu erziehungsrelevanten Themen in türkischer Sprache angeboten, über die im Anschluss bei Tee und Gebäck gesprochen werden konnte. Dies habe auch Lehrkräfte dazu bewogen, Elternabende umzugestalten und die Elternpartizipation von „türkeistämmigen“ Eltern gestärkt. Dass das immer so ist, bezweifelt die Erziehungswissenschaftlerin Ellen Kollender, die viel zur Elternpartizipation geforscht hat. Sie sieht die Gefahr, dass die Tendenz zur Zweiteilung der Elternschaft verstärkt wird: „– im (zugespitzten) Sinne von: Die ›migrantischen Eltern‹ spielen im Elterncafé Bingo, während die ›deutschen Eltern‹ über die programmatische Entwicklung der Schule mitbestimmen.“

Die zentrale Frage dürfte sein: Schätzt die Schule die Wünsche und Bedarfe von Müttern, Vätern und anderen häuslichen Kontaktpersonen der Schule richtig ein?

Dita Vogel

 

Kollender, Ellen (2023): Eltern in der Schule der Migrationsgesellschaft – eine rassismuskritische Perspektive. In: Georgi, Viola B./Karakasoglu, Yasemin (Hrsg.): Allgemeinbildende Schulen in der Migrationsgesellschaft. Diversitätssensible Ansätze und Perspektiven. 1. Auflage. Stuttgart: Kohlhammer. S. 98–113, S. 106