Beobachtungsprotokoll Warteschlange

techn. Daten:
12:40 – 13:00 Uhr, 26.11.21, Bremen, Test- Center Walk-In, Außer der Schleifmühle 64,
bedeckt, 5°C, windig mit Böen

Ich komme mit dem Fahrrad durch die überdachte Einfahrt in den großen Innenhof gefahren, sehe die lange Schlange und ärgere mich. Ich hatte gehofft, dass das Test- Zentrum an einem Freitag erst gegen Nachmittag voll wird.
Ich schließe mein Rad fest, stelle mich ans Ende der Schlange und rauche. Dann fange ich an zu beobachten.
Vor mir steht eine junge Person, etwa 1-4 Jahre älter als ich mit blau gefärbten, aber auch schwarz durchscheinenden Haaren. Der Rucksack ist schwarz mit Aufnähern darauf und ein Schlüsselbund ist am Schultergurt befestigt. Sie trägt einen knielangen, ebenfalls schwarzen Mantel und dünne schwarze, flache Schuhe, wahrscheinlich aus Kunstleder. Auf den ersten Blick wirkt die Person wie ein_e Student_in, später stellt sich das auch heraus. Sie trägt durchgehend eine FFP2 Maske, und hört über Kopfhörer Musik.
Davor steht eine Person mittleren Alters mit hellblauem Mantel, die dunkelblaue Kapuze des Pullovers darunter hat sie über den Kopf gezogen. Sie trägt dicke Winterschuhe und hat die gesamte Zeit über eine FFP2 Maske auf.
Davor wartet eine weitere erwachsene Person mit einem Kind, das ist ca. 11 Jahre alt.
Weiter möchte ich erst einmal nicht nach vorne schauen.
Einige Minuten nach dem ich ankomme, stellen sich drei Männer, hinter mir an. Zwei von ihnen tragen schmale Sonnenbrillen. Einer mit einer braunen und und einer mit schwarzer Lederjacke, einer mit schwarzer alpha- industries Winterjacke. Der Jüngste scheint Mitte 30, die anderen eher Mitte 40 zu sein. Sie fangen sofort an, sich abfällig über die Personen, die Maske tragen zu unterhalten und dass die Schlange nur so lang ist, da alle Abstand zu einander halten. Dann erzählt Mensch mit schwarzer Lederjacke, wie gern er sich einen Servierwagen hier her wünscht. Eine Cola oder ein Bier wäre jetzt das beste Mittel gegen seinen Kater. Die Person mit brauner Lederjacke sagt nichts weiter, stellt sich quasi auf gleicher Höhe der Schlange neben mich und zündet sich eine Zigarette an. Die jüngere Person mit der schwarzen Winterjacke grummelt nur etwas zur Getränkeidee. Dies nimmt der Verkaterte zum Anlass, um weiter über seinen Geschäftssinn zu reden. Er scheint der Solo- Entertainer des Trios zu sein.
Ich drücke meine Zigarette aus und bemerke, dass die Person vor mir die Musik auf den Kopfhörern nun so laut hört, dass ich sie trotz zwei Meter Abstand hören kann. Auch scheint ihr kalt geworden zu sein, denn nun tänzelt sie abwechselnd auf den rechten und dem linken Fuß.
In der Zwischenzeit sind ca. 10 weitere Menschen an der Schlange hinzugekommen.
Die Person mit der braunen Lederjacke beschwert sich immer wieder in die Luft, wie langsam es vorangeht und das er gleich ausrastet. Niemand seiner beiden Freunde erwidert einmal direkt etwas, stattdessen machen sich die beiden auf Grund seiner Ungeduld über ihn lustig.
Die Person mit schwarzer Lederjacke läuft einige Male um den Jüngeren im Kreis, um sich aufzuwärmen, dieser möchte das Spiel aber trotz Aufforderung nicht erwidern, also fangen sie an, „Ich- sehe- was- was- du- nicht- siehst“ zu spielen.
Ich beende meine Beobachtung und versuche mich nicht mehr auf die Menschen um mich herum zu konzentrieren.

Jetzt mag noch auffallen, dass es sich bei einer Warteschlange um einen sog. „Nicht- Ort“ handeln könnte. Aufgrund dessen, dass es sich um ein Transitbereich ohne gemeinsame Identitäten der Menschen dort handeln soll.
Die Argumente für einen Nicht- Ort kann ich noch nachvollziehen, allerdings zweifle ich, wie sehr verbunden Menschen in einem neoliberalen Staatsgefüge sein können, wo vieles auf Vereinzelung und die Abkehr von Kommunalität zielt. Ebenso ist das Gebilde von Identität anzuzweifeln und weiterhin befürchte ich, dass ich zur Zeit keinen Zugang zu einem „anthropologischen Ort“ außerhalb meines Freundschaftskreises habe. Ob ich dort dann das „Fremde“ erforschen kann oder nach Augé nur die „eigene Fremde“ war mir unklar. Ich weiß ja nicht mal, wo hier die Unterschiede und die Gemeinsamkeiten liegen.

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