RV10 // Dr. Eileen Schwarzenberg // Also die Rahmenbedingungen sind absolut entscheidend“ – junge Menschen mit einer Behinderung berichten retrospektiv über ihre Erfahrungen in der Schulzeit“

RV10 // Dr. Eileen Schwarzenberg // Also die Rahmenbedingungen sind absolut entscheidend“ – junge Menschen mit einer Behinderung berichten retrospektiv über ihre Erfahrungen in der Schulzeit“

  1. Welche Modelle von Behinderung sind Ihnen in Ihrer eigenen Bildungsbiografie und den schulischen Erfahrungen als angehende Lehrkraft begegnet? An welchem Zuweisungspraktiken (z.B. durch Äußerungen) machen Sie das fest? (zum Weiterlesen: Waldschmidt, 2005)

Es gibt hauptsächlich zwei Modelle von Behinderung: das medizinische / individuelle Modell und das soziale Modell.

Beim individuellen Modell von Behinderung, wird die Behinderung als tragisches Schicksal und persönliches Problem gesehen. Durch die individuelle Behandlung und die Medikalisierung könnte diese Problem gelöst werden. Die Schwierigkeit für die Person mit Behinderung besteht aber darin, dass sie sich selber in die Gesellschaft anpassen soll und von ihr nicht wirklich akzeptiert wird, weil sie als etwas Falsches gesehen wird, das verändert werden muss. (rv10, Folie 7)

Bei dem sozialen Modell kann die Behinderung entweder individuell oder gesellschaftlich sein: die individuelle Behinderung wird Beeinträchtigung genannt und bezieht sich auf das körperliche „Besonders-Sein“ einer Person. Die gesellschaftliche Behinderung ist das Ergebnis von gesellschaftlichen Prozessen, die das „Besonders-Sein“ als etwas Negatives sehen. Die Menschen werden durch Barrieren behindert, die von der Gesellschaft aufgebaut werden. Daher soll sich nicht das Individuum verändern, sondern die Gesellschaft, die Leute mit Behinderung/Beeinträchtigung ausschließt. (rv10, Folie8)

»In our view, it is society which disables … Disability is something imposed on top of our impairments, by the way we are unnecessarily isolated and excluded from full participation in society. Disabled people are therefore an oppressed group in society«

(UPIAS, 1976; zit. n. Priestley, 2003, S. 4; Herv, AW)

– Waldschmidt, A. (2005). Disability Studies

Die Personen mit Behinderung und Beeiträchtigung sollten inkludiert und akzeptiert werden. Die Gesellschaft ist nämlich vielfältig und besteht aus Menschen, die unterschiedlich voneinander sind. Trotz dieser Unterschiede, sollten alle Mitglieder einer Gesellschaft die gleichen Möglichkeiten haben. Keiner soll sich ausgeschlossen fühlen oder denken, dass er/sie falsch ist.

  1. Bitte reflektieren Sie die Erfahrungen mit Exklusion und Inklusion in der Bildungsbiografie der beiden Gäste (Frau Dittmann und Herr Palkowski) vor dem Hintergrund Ihrer eigenen Erfahrungen:
    Gab es Punkte in meiner Bildungsbiografie, an denen mein Bildungsweg befördert wurde? An denen er begrenzt wurde? Was spielte hierbei eine Rolle? Und welche Konsequenzen ergeben sich daraus für mich als angehende Lehrkraft?

Damit wir, zukünftige Lehrer*innen verstehen können, wie wichtig Inklusion und Umgang mit Schüler*innen mit Beeinträchtigungen ist, haben wir in der letzten Ringvorlesung die Möglichkeit gehabt, die Bildungsbiographien von zwei Personen zu hören, die selber Erfahrung mit Inklusion, oder manchmal eher Exklusion, gemacht haben. Die Gäste waren Frau Dittmann und Herr Palkowski, zwei junge Leute mit einer Behinderung, die über die Zeit berichtet haben, in der sie in der Schule waren.

Frau Julia Dittmann, 25 Jahre alt, hat eine Hörschädigung, daher ist es für sie sehr wichtig, Lippen lesen zu können und möglichst wenige Geräusche im Hintergrund zu hören, wenn sie sich mit jemandem unterhält. In ihrer Schulzeit hat sie sowohl gute als auch schlechte Erfahrungen gehabt. In der Grundschule wurde sie sehr geholfen und inkludiert: die Lehrer*innen haben immer ein Mikrophon benutzt, damit sie besser hören konnte, die Wände ihres Klassenzimmers hatten eine Schallisolierung und das Verhältnis mit den Schulkameraden war gut. Außerdem hat immer Austausch zwischen ihrer Schule und ihren Eltern stattgefunden. Erst ab dem Gymnasium hat für Julia eine schwierigere Zeit angefangen: sie konnte die Gesichter ihrer Schulkameraden in der Klasse nicht sehen, was Schwierigkeiten beim Verstehen und Folgen des Unterrichts verursacht hat. Die Lehrer*innen haben nicht wirklich versucht, ihr zu helfen und sie wurde von den Mitschüler*innen täglich gemobbt. Obwohl diese eine harte Zeit war, hat sie viel davon gelernt und hat dann ihr Studium in Sonderpädagogik an der Universität Bremen angefangen. Hier gab es auch einige Schwierigkeiten aber sie hat es geschafft, ihr Studium erfolgreich abzuschließen.

Herr Palkowski, 21 Jahre alt, hat eine ganz andere Erfahrung gehabt als Frau Dittmann. Aufgrund eines Unfalles kann er sich nicht mehr bewegen und sitzt im Rollstuhl. Er hat uns erzählt, dass er nach dem Unfall ziemlich perspektivlos in der Schule war: er konnte nicht mitschreiben und es war ihm oft langweilig. Er hat dann die Entscheidung getroffen, Fernabitur zu machen, aber er war nicht besonders motiviert, zu lernen. Nach der Schule hat er eine Ausbildung gemacht und wurde dann als Informatiker bei einer Firma genommen. Herr Silas Palkowski hatte nie Probleme mit Mobbing gehabt und er hat uns gesagt, es sei ihm egal, wenn jemand ihn mobbt, weil er immer eine gute Antwort darauf hat und nicht wirklich angreifbar ist.

Beide haben in der Schulzeit Hilfsmittel gehabt: für Julia waren es die Schallisolierung der Wände und das Mikrophon und für Silas waren es sein Handy, ein Mikrophon und seine Mundmaus, womit er seine Geräte steuern kann.

Nachdem ich die Geschichten der beiden Gäste gehört habe, ist es mir klar geworden, dass Lehrer*innen eine wesentliche Rolle in der Inklusion von Schüler*innen mit Behinderungen spielen. Als Lehrkraft sollte man versuchen, ihnen zu helfen und ihnen zu ermöglichen, dass sie möglichst wenige Schwierigkeiten beim Unterricht haben. Ein Austausch zwischen Schule und Familie muss auf jeden Fall stattfinden, damit eine Kooperation zwischen den beiden entsteht, deren Ziel die Inklusion und Hilfe dieser Schüler*innen ist. Wie auch die Mutter von Herr Palkowski gesagt hat, sollten Lehrer*innen offen sein, kooperieren, sich informieren, sie sollten die SuS nicht beschämen oder erniedrigen. Das hätte sie sich als Mutter eines Sohnes mit Behinderung von der Schule und von den Lehrer*innen gewünscht.

  1. In der Vorlesung wurde auch die Perspektive von Eltern angesprochen. Bitte schauen Sie sich das Video zum Engagement von Eltern (Gespräch mit Elke Gerdes) an: https://uni-bremen.de/themen/engagement-von-eltern/:
    Welche Meinung haben Sie zum Elternwahlrecht? Was sind Vor- und Nachteile?, Welche Bedeutsamkeit messen Sie der Zusammenarbeit mit Eltern bei und was sind zentrale Gelingensbedingungen? (zum Weiterlesen: Wocken, 2017)

Mit Elternwahlrecht ist hier das Recht der Eltern von Kindern mit Behinderungen gemeint, zwischen einer inklusiven Unterrichtung an einer allgemeinen Schule und einem Unterricht an einer separierenden Sonder- oder Förderschule frei zu wählen.“

Wochen H. (2017), Elternwahlrecht , Seite 1

Vor der Einführung des Elternwahlrechts in das Gesetzt mussten alle Kinder mit Behinderung zu einer Sonderschule gehen: für sie gab es keine Möglichkeit, in eine normale Schule inkludiert zu werden, mit und von Kindern ohne Beeinträchtigungen zu lernen und sich zu integrieren. Durch das Elternwahlrecht haben alle Eltern, nicht nur die von behinderten Kindern, das Recht, zu entscheiden, ob ihre Kinder entweder einen inklusiven Unterricht an einer allgemeinen Schule oder einen Unterricht an einer Sonderschule/Förderschule besuchen.

Ich finde es absolut richtig, dass Eltern für ihre Kinder entscheiden können: dadurch, dass die Eltern die Möglichkeit haben, zu entscheiden, welchen Unterricht ihre Kinder mit Behinderung besuchen, entsteht auch eine engere Verbindung zur gewählten Schule. Daher finden mehr Kooperation und Austausch zwischen Schule und Eltern statt, die in diesen Fällen sehr wichtig sind, damit das Kind am besten lernen kann und ein gutes Schulklima hat.

In dem Video Engagement von Eltern werden Frau Elke Gerders Fragen über den Verein „Eine Schule für Alle Bremen e. V.„ gestellt. Es handelt sich um ein Elternverein, der sich für eine qualitativ hochwertige Inklusion in die Schule engagiert. Wichtig für sie ist es, eine Stimme zu haben, sich weiterzuentwickeln, gut vernetzt und handlungsfähig zu sein. Frau Gerders behauptet, dass sich auch die Gesellschaft verändern kann und inklusiver werden kann, wenn die Schule wirklich inklusiv wird. Da, wo inklusion schon gelebt wird, hat man nämlich positive Auswirkungen für die Kinder schon festgestellt.

Meiner Meinung nach hat Inklusion Vor- und Nachteile: einerseits können sich Schüler*innen mit Behinderung in eine normale Klasse integrieren und viel von den Mitschüler*innen lernen, was sehr wichtig für ihre Entwicklung und ihre Zukunft ist. Andererseits, wie einige Lehrer*innen schon berichtet haben, können Förderschulen Kindern mit Beeinträchtigungen mehr und besser helfen als normale Schulen, da sie für solchen Fällen ausgebildeten Lehrkräfte und Personal haben.

Inklusion sei grundsätzlich sinnvoll, doch müssten die Schulen auch entsprechend ausgestattet sein. Manche Kinder mit Förderbedarf seien an einem Förderzentrum einfach besser aufgehoben.“

Wochen H. (2017), Elternwahlrecht , Seite 7

Zusammenfassend kann man sagen, dass Inklusion und Elternwahlrecht sehr positiv sein können, wenn Schulen besser ausgestattet werden und den richtigen, ausgebildeten Personal haben. Inklusion hat schon Veränderung gebracht, aber man muss sich noch mehr engagieren, damit alle Schüler*innen die passende Schule besuchen können.

Quellen:

1) Wochen H. (2017), Elternwahlrecht

2) Waldschmidt, A. (2005). Disability Studies

3) Ringvorlesung vom 15.06.2021 – Berichte von Frau Dittmann und Herr Palkowski

4) RV10

5) Path2in:  https://uni-bremen.de/themen/engagement-von-eltern/:

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