RV03 // Prof. Dr. Andreas Klee // Vorstellungen und politisches Bewusstsein als Ausgangspunkt sozialwissenschaftlichen Lernens

1) Sind ihre Studienfächer eher durch strukturierte oder durch unstrukturierte Begriffe gekennzeichnet und welche „Missverständnisse“ könnten daraus entstehen? Illustrieren Sie ihre Antwort durch Beispiele.

Damit meine Antwort auf die erste Frage klarer wird, möchte ich zuerst schildern, was man mit strukturierten und unstrukturierten Begriffen meint. (vgl. RV03, Folien 23-26)

Man könnte drei Kategorien von Begriffen bilden, die mit ihrer Bedeutung und dessen allgemeinen gesellschaftlichen Verständnis zu tun haben. Die erste Kategorie ist die der strukturierten Begriffe, in der zweiten gehören unbekannte Begriffe und bei der dritten sind unstrukturierten Begriffe. Während der Vorlesung vom 27.04.2021, die von Herr Andreas Klee, Professor von Politikwissenschaft an der Universität Bremen, gehalten wurde, wurden wir Studenten aufgefordert, drei Begriffe zu definieren, indem wir Assoziationen zu jedem Wort schreiben sollten. Mit dem ersten Begriff „Tisch“ wussten wir alle, was gemeint ist: das ist ein Beispiel von einem strukturierten Begriff, d.h. ein Begriff, der von allen gleich oder ähnlich definiert und verstanden wird. Es gibt nämlich viele verschiedene Tische, aber jeder weiß, was ein Tisch ist und was seine Funktionen sind. Das zweite Wort, „Lolation“ war für uns alle unbekannt, es handelt sich tatsächlich um einen Begriff, der von einem Professor der Universität Oldenburg herausgefunden wurde, hat uns Herr Klee mitgeteilt. Es fehlt also nur eine Kategorie, und zwar die der unstrukturierten Begriffen: dazu gehört zum Beispiel das Wort „Demokratie“. Jeder kennt dieses Wort und hat auch seine eigene Meinung darüber, aber da es dafür keine klare Definition in der Politikwissenschaft gibt, handelt es sich nicht um einen strukturierten Begriff.

So wie in der Politik und im Alltag, ist „die Praxis der sozialwissenschaftlichen Bildung (…) ohne den Umgang mit eher „unstrukturierten“ Begriffen nicht denkbar.“ (vgl. RV03, Folie 27)

Nach dieser Introduktion, werde ich über die Zugehörigkeit der meisten Begriffe reflektieren, wodurch meine Studienfächer gekennzeichnet werden und die mögliche daraus entstehenden Missverständnisse.

Ich studiere Kunst-Medien-Ästhetische Bildung und Religionswissenschaften auf Lehramt Gymnasium/Oberschule.

Bei Kunst-M.-Ä.B. gibt es sowohl strukturierte als auch unstrukturierte Begriffe: wenn man über bestimmte Techniken oder Theorien redet, dann benutzt man strukturierte Begriffe, weil es sich um Themen handelt, die eine klare Definition, Bedeutung und Sinn haben. Das ist zum Beispiel der Fall von „Film“. Filme sind gestaltete Werke, bei denen etwas aufgenommen, montiert, eingestellt und dann präsentiert wird.

Aber im Bereich Kunst gibt es auch Konzepte und Wörter, die der Kategorie der unstrukturierten Begriffen zugeordnet werden können. Was bedeutet selbst „Kunst“? Was gehört zu Kunst? Ist Kunst für alle gleich? Hat Kunst überhaupt Grenzen? Das sind alle Fragen, die jeder beantworten kann aber jede Antwort ist wahrscheinlich anders. Missverständnisse könnten hier zum Beispiel entstehen, wenn eine Person X denkt, dass Kunst auch politische Themen kritisieren darf und ein Bild von einem Politiker zeigt, der lustig dargestellt wird. Das könnte für X Kunst sein aber es kann sein, dass es nach der Meinung von Y zu weit geht und die Grenzen der Kunst überschreitet. Daraus könnten Konflikte entstehen.

Bei Religionswissenschaften können auch Missverständnisse bezüglich religiöse Konzepte und Ereignisse, Glauben oder ethnische Themen entstehen, da jeder Mensch Religion subjektiv empfindet und erlebt.

2) Welche Konsequenzen könnten die heterogenen Vorstellungen der Lernenden für ihren Fachunterricht (wählen Sie eines ihrer Fächer aus) haben? Nennen Sie drei Beispiele anhand des „Diversity Wheels“.

Erstmal möchte ich erklären, wie die „Diversity Wheel“ nach Loden / Rosener funktioniert und danach werde ich drei Beispiele nennen, welche Konsequenzen die heterogenen Vorstellungen der Lernenden für meinen Fachunterricht haben könnten.

Die Diversity Wheel besteht aus zwei Teilen, die in verschiedenen Kästchen unterteilt sind. Der innere Kreis ist in sieben Sektoren geteilt, und zwar: race/ethnicity, age, gender identity, gender, national origin, sexual orientation und mental/physical ability. Das sind die Kategorien, die jeder Mensch charakterisieren, sie sind auch von anderen Menschen bekannt oder schätzbar und sie bilden den Kern einer Person. Das äußere Rad, das aus Education, Political belief, family, organizational role, language and communication skills, income, religion, appearance und work experience besteht, enthält Elemente, die man nicht unbedingt über andere Leute kennt und die aber Lebenserfahrungen sind, von denen jeder Mensch geprägt ist.

In meinem zukünftigen Unterrichtsfach Religion können alle diese Elemente eine wesentliche Rolle in der Meinung der Schüler spielen.

Fall 1

Nehmen wir an, das Thema des Unterrichts ist „Euthanasie“ und alle Schüler sollen ihre Meinung darüber äußern, damit man die Vorteile und Nachteile davon analysieren kann. In diesem Fall werden wahrscheinlich Religion, Familie, Bildung und Alter für die Meinung entscheidend sein. Für manche Religionen ist diese Praxis nicht akzeptiert, weil sie gegen Gottes Willen stoßt und die Schüler, die dieser Religion zugehören, würden wahrscheinlich gegen Euthanasie sein. Wenn die Eltern auch dagegen sind, sind die Kinder vermutlich auch dagegen, da die Eltern Einfluss auf sie haben. Wenn man aber Artikel gelesen hat, die dafür sind und sich dann in dieser Meinung wiedererkennen kann, dann würde man dafür sein.

Es würde also am Ende schwierig sein, objektive Vor- und Nachteile herauszufinden, da die subjektive Sicht jeder Schüler anders ist.

Fall 2

In dem zweiten Fall geht es um den Besuch einer Moschee. Die Schüler, die offen für andere Religionen und daran interessiert sind, so eine Kirche zu besuchen, weil sie es vielleicht normalerweise nicht machen würden, würden sich freuen, diesen Ausflug zu machen. Die Schüler, die muslimisch sind, würden es auch schön finden, weil ihnen klar werden würde, dass alle Glauben akzeptiert werden. Aber diejenigen, die aus einer konservativen Familie kommen oder die schlechte Erfahrungen mit Leuten gemacht haben, die dieser Religion zugehören, würden vermutlich dagegen sein.

Fall 3

Noch ein möglicher Fall, bei dem die heterogenen Meinungen der Schüler negative Konsequenzen für den Unterricht haben würden, wäre der Vorschlag der Lehrer, den Schülern Zeit zu geben, um zu beten oder zu meditieren. Diejenigen, die normalerweise beten oder meditieren, würden es schön finden, um eine Pause zu machen, und um sich zu entspannen. Aber diejenigen, die keinen Wert auf so was legen, weil sie zum Beispiel Atheist sind oder einfach daran nicht glauben, würden es langweilig und nutzlos finden.

Von diesen Beispielen kann man verstehen, dass es schwierig (aber nicht unmöglich) ist, eine Entscheidung zu treffen, etwas zu unternehmen oder über verschiedene Themen zu reden, ohne dass jemand dagegen ist oder den Sinn davon nicht versteht. Deswegen muss man im Studium lernen, wie man mit Heterogenität in der Schule umgehen kann.

3) Nennen Sie eine methodische Möglichkeit, wie Sie Vorstellungen der Lernenden konstruktiv in ihren Unterricht einbauen könnten?

Es gibt verschiedene Wege, wie man als Lehrer mit den heterogenen Vorstellungen der Lernenden konstruktiv im Unterricht umgehen kann.

Die drei prinzipiellen Begegnungen sind die selbst reflektierende, d.h. eine individuelle Reflexion über vorhandene Vorstellungen bezüglich des Unterrichtsinhalts; die kommunikative, und zwar ein diskursiver und ergebnisoffener Austausch der eigenen Vorstellungen mit den Vorstellungen der anderen Lernenden und die differenzierende Begegnung, die eine Anreicherung der individuellen und kollektiv geteilten Vorstellungen durch die Auseinandersetzung mit professionellen Urteilen (Zeitungstexte, etc.), fachwissenschaftlichen Erkenntnissen, differenzierenden Akteursperspektiven usw. ist. (vgl. RV03, Folie 48)

Im Kunstunterricht könnte man eine dieser Methoden verwenden, wenn man zum Beispiel über die Bedeutung von Kunst diskutiert. Da jeder Schüler Kunst in seiner eigenen Weise betrachtet, würden viele verschiedene Definitionen von Kunst erscheinen. Um allen Schülern gerecht zu werden und die Meinung von jeder zu respektieren und einzuschließen, könnte man eine Aufgabe geben, bei der jeder Lernende Stichwörter über das sammelt, was er mit dem Begriff Kunst verbindet. An die Tafel könnte man in der Mitte „Kunst“ schreiben und dann alle Stichwörter schreiben, die die Schüler vorschlagen.

Im Unterricht ist es nämlich wichtig, sich auszutauschen, sich mit Themen auseinanderzusetzen, zu reflektieren und miteinander zu kommunizieren. (vgl. RV03, Folien 49,50)

Veröffentlicht am
Kategorisiert in Allgemein Verschlagwortet mit

2 Kommentare

  1. Liebe Ilaria,

    ich finde es sehr schön, dass du noch einmal deutlich erklärt hast, wie die Einordnung der drei Begriffe in die jeweiligen Kategorien vorgenommen wurde, wodurch du gleichzeitig auch die Begriffe ’strukturiert‘, ‚unstrukturiert‘ und ‚unbekannt‘ definiert hast. An deinem Fach Kunst-M.-Ä.B. hast du gute Beispiele für strukturierte und unstrukturierte Begriffe geschildert, welche leicht verständlich und zu 100% nachvollziehbar sind. Ich finde, dass vor allem auch im Fachbereich der Kunst, viele unstrukturierte Begriffe Alltag sind, angefangen bei deinem guten Beispiel, indem du zeigst, dass selbst der Oberbegriff ‚Kunst‘ ein unstrukturierter Begriff ist. Konflikt sind da natürlich vorprogrammiert, was du ebenfalls gut dargestellt hast. In der Religionswissenschaft gibt es ebenfalls Massen an unstrukturierten Begriffen, da wie du geschrieben hast, jeder Mensch Religion auf eine eigene subjektive Art und Weise erlebt, empfindet und zelebriert. Meiner Meinung nach sind hauptsächlich Methoden zur Untersuchung von religiösen Konzepten, Praktiken und Quellen strukturierte Begriffe, da in diesen definiert ist, wie etwas zu untersuchen ist.
    Auch bei 2. hast du zuerst gut das ‚Diversion Wheel‘ erklärt und im Nachhinein drei verständliche Fälle von möglichen heterogenen Vorstellungen der Lernenden vorgestellt. Da ich ebenfalls Religionswissenschaften studiere, kann ich diese Beispiele auch gut nachvollziehen.
    Bei 3. hast du erfolgreich drei mögliche Methoden genannt, wie man mit heterogenen Vorstellungen der Lernenden umgehen kann und diese konstruktiv in den Unterricht einbringt.
    Ich habe dem Ganzen nicht mehr von meiner Seite zuzufügen und will dir mitteilen, dass du einen, in meinen Augen, sehr verständlichen und passenden Beitrag zu diesem Thema geschrieben hast.

    Liebe Grüße

    Paul

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert