Der Forschungsprozess – Wie Paco zur Liebe fand <3

Zu Beginn des Semesters fand im Rahmen des Seminars eine Themenfindung statt, bei der sich Interessierte für einen frei gewählten Themenblock begeistern können. Dieser Themenblock wurde mit möglichen Leitfragen auf einen Zettel geschrieben und im Raum verteilt. Nach einer umfangreichen Konsultation bildeten sich die Gruppen. Unser Themenblock beschäftigte sich mit der queeren Szene Bremens. Leitfragen waren beispielsweise wie schwule, lesbische, bi- und pansexuelle Menschen Bremen erleben, ob es eine interne Szene gibt und was sie davon halten. Wir waren neugierig auf das Leben dieser Menschen, was in erster Sicht auch Ziel dieser Arbeit war: Mit unterschiedlichen Menschen zu einem bestimmten Thema in persönlichen Kontakt zu kommen.

Nach der Gruppenfindungsphase wurde PACO (ein zusammengesetzter Gruppenname aus den Anfangsbuchstaben unserer Gruppemitglieder) bei internen Diskussionen bewusst, dass wir uns besonders für alternative Beziehungsformen interessieren. Offene Beziehungen, offene Ehen und die mögliche Bindungsangst der jungen Generation faszinierten uns und inspirierten unser Projekt. Uns wurde schnell klar, dass man sich hier nicht nur auf die LGBTQ+ Community beschränken kann, da auch heteronormativen Beziehungen in diesem Bereich spannende Dynamiken entwickeln können. Letztendlich bildete sich aus unzähligen Diskussionen die Leitfrage heraus, ob Monogamie nicht vielleicht ein Auslaufmodell sein könnte.

Nachdem wir unseren Themenblock gefestigt und eine Leitfrage entwickelt haben, ging es an die Überlegung, wie wir an umfangreiche Ergebnisse kommen können. Welche Bereiche können wir abdecken? Wie finden wir Menschen, die bereit sind, offen und ehrlich mit uns zu sprechen? In dieser Anfangsphase des Projektes entstanden viele Ideen. So kontaktierten wir beispielsweise Paartherapeuten, damit diese uns einen allgemeinen professionellen Einblick in Beziehungsdynamiken geben konnten. Uns interessierte auch sehr deren Meinung zu unserer Leitfrage. Allerdings bekamen wir von nur Absagen mit der Begründung, dass die zeitliche Kapazität nicht vorhanden sei. Dennoch wünschten sie uns Erfolg mit unserem Projekt.

Es kam die Idee des Speeddatings auf. Der Gedanke war, dass ein Teil von uns an einem Speed Dating Event teilnimmt, um so schnell wie möglich viele Leute kennenzulernen und zu erfahren, warum und worauf unterschiedliche Menschen daten. Der andere Teil von uns hätte die Aufgabe gehabt, von außen zu beobachten, Dynamiken festzustellen und am Ende mit dem anderen Gruppenteil die Ergebnisse zusammenzutragen. Diese Idee verwarfen wir jedoch wieder, da diese Veranstaltungen häufig Geld kosteten und wir durch den wissenschaftlichen Konsens die Befürchtung hatten, dass die Menschen die wirklich teilnehmen um zu daten, uns anders behandeln würden als andere Teilnehmende, die wie sie die Intention hatten, die Liebe zu finden.

Nach diesen Fehlschlägen waren wir zunächst ratlos. Was können wir noch tun, um unser spannendes Forschungsvorhaben zu bearbeiten? Die Inspiration dafür lieferte uns ein Blog, der uns im Laufe des Seminars vorgestellt wurde. Hier wurde über „Tinder“ geforscht und uns kam eine Idee; wir wollten Interviews zum Thema Dating, Liebe und Beziehung führen. Durch die steigende Akzeptanz von unterschiedlichen Sexualitäten und Beziehungsformen gibt es im digitalen Raum diverse Apps auf denen man sich nach Vorliebe bewegen und nach Partner:innen suchen kann. Wir entschieden uns für die Datingplattform „Tinder“, da es vermutlich die Bekannteste von allen und kostenlos nutzbar ist. Außerdem erhofften wir uns durch die Popularität der App umfangreiche Ergebnisse.

Wir erstellten uns ein Gruppenprofil und versuchten, so seriös wie möglich wirken. Wir machten ein Gruppenfoto von uns, luden es hoch und schilderten in der Beschreibung unser Vorhaben. Wir erwähnten auch unseren Wunsch nach direktem Kontakt im öffentlichem Raum (zB. einem Café) und luden für das Gespräch zu einem Kaffee ein. Wir hofften dadurch einen freundlichen Eindruck zu machen und die Leute zu einem Interview zu motivieren. Wer lässt sich denn nicht gerne auf ein Heißgetränk einladen?

Die kommenden Wochen ging es nun ans „tindern“. Wir machten auf der Suche nach Interviewpartner:innen keinen Unterschied und wollten mit allen in Kontakt treten, die mit uns in Kontakt treten wollten. Unsere Begeisterung für das Projekt stieg, da unser Profil sehr gut angenommen wurde. Am Ende hatten wir so viele Matches, das es uns zeitlich gar nicht möglich gewesen wäre, mit allen ein Interview zu führen. Das hört sich doch erstmal sehr gut an, doch der Haken an der Sache wurde uns schnell bewusst. Sehr viele unserer Tindermatches  antworteten nicht und geantwortet wurde, kam kurz darauf keine Nachricht mehr zurück. Wir erhielten viel positives Feedback, aber sobald es darum ging das Interview zu führen, blieben die Antworten aus. Außerdem wurde trotz klarer Beschreibung im Profil davon ausgegangen, dass es eine online Umfrage sei und kein Interview. Häufig wurde auch nachgefragt, was wir denn machen würden, obwohl es eindeutig dargelegt und schon im Matchingprozess für alle Gegenüber einsehbar war. Einige Male bekamen wir auch sinnfremde Nachrichten, die andere soziale Medien verlangten und auf die Attraktivität von Einzelpersonen anspielten, ohne zu sagen, welche Person von dem Gruppenfoto es war.

Letztendlich führten wir neun Interviews. Diese fanden entweder in einem Café oder digital über Zoom statt. Unsere Gegenüber waren entweder Flinta Personen oder Männer der LGBTQ+ Community. Acht Personen waren single. Eine Frau ar in einer Beziehung. Alle waren zufrieden mit ihrer Situation. Zwei Männer wollten an ihrem Beziehungsstatus etwas ändern.

Trotz der vielen Matches waren diese Neun die Einzigen, die bereit waren mit uns zu sprechen. Es kam auch vor, dass sich geplante Verabredungen zwei Minuten vor Treffzeit bei uns entschuldigten und kurzfristig absagten. Einige tauchten trotz Verabredung gar nicht auf. Die Geschlechter Verteilung lag hier bei 50/50.

Vor den Interviews wurde selbstverständlich der Konsens geklärt. Die Teilnehmer mussten keine Fragen beantworten, mit denen sie sich unwohl fühlten. Es gab auch die Möglichkeit das Interview abzubrechen, falls es gewünscht gewesen wäre, aber es wurden keine Fragen ausgelassen und es wurde auch kein interview abgebrochen. Es entstanden offene Gespräche und es war spannend die unterschiedlichen Standpunkte zu hören. Oben genannte Voraussetzungen sorgten für eine angenehme Atmosphäre. Wir führten die Interviews bis auf eine Ausnahme immer zu zweit, zu dritt oder zu viert durch, um uns einen umfangreichen Eindruck zu verschaffen. Wir führten überwiegend Einzelinterviews, waren aber auch zu Doppelinterviews bereit, wenn dies gewünscht war. Das erlebten wir zwei Mal, da hier wahrscheinlich die Problematik eine Rolle spielte, dass man sich online kennenlernt und  anschließend eine Gruppe in Realität treffen sollte. Der Wunsch eine Freundin mitzubringen wurde von zwei Frauen geäußert und in einem Fall auch umgesetzt. Im anderen Fall hat das Vertrauen wahrscheinlich nicht ausgereicht, weil diejenigen ohne Absage nicht erschienen sind. Obwohl wir den Hauptfokus auf Tinder gelegt haben, um Interviewpartner zu finden, so fanden sich auch zwei Personen aus dem privaten Umfeld, um mit uns über das Thema zu reden. Diese Interviews berücksichtigen wir in unserer Auswertung. Es geht uns hierbei nicht um die Datingapp, sondern um den Inhalt der Gespräche. Die Auswertung unserer Interviews folgt in kommenden Blogbeiträgen. Einige Aussagen haben uns überrascht und begeistert. Lest selbst!  🙂