Letzte Woche bin ich von Herrn Timo Sager für die Sonntagsbeilage “Der Wecker” im “General-Anzeiger” interviewt worden. Nicht wirklich ein Blatt mit nationaler Verbreitung, aber immerhin eine Auflage von 100.000 Exemplaren.
Interview
Frage 1: Herr Wolf, nach den Amokläufen in Erfurt und in Emsdetten wurden sofort Rufe nach einem Verbot von so genannten Killerspielen laut. Blanker Aktionismus oder sinnvolle Forderung?
Das ist eher Aktionismus: einige Politiker glauben, eine einfache Lösung für ein sehr vielschichtiges Problem gefunden zu haben. So äußerst sich auch die Bundesregierung zu einem Verbot zurückhaltend, will jedoch die Umsetzung des Schutzes von Heranwachsenden vor gefährdenden Medieninhalten besser umgesetzt wissen. Insofern besteht sicherlich ein Problem, dass Kinder und Jugendliche zu leicht an nicht für sie geeignete Spiele und Filme gelangen – zumeist über das Internet oder den Pausenhof. Hier sind eher die Eltern gefragt, sich mit der Mediennutzung ihrer Kinder auseinanderzusetzen. Schwierig dabei ist, das Eltern zumeist kleinerlei Kenntnisse von Spielen haben. Sie sind sozusagen “Digitale Immigranten”, während ihre Kinder “Digitale Einheimische” sind. Die Website www.schauhin.info hilft Eltern dabei. Angesichts der Brutalität mancher Spiele und Filme würde ich mir jedoch eine ehrliche und tiefgehende Diskussion über das Wieviel an Gewalt in den Medien. Und über das Ausmaß (oder eher das Fehlen) von intelligenter Unterhaltung insbesondere im Fernsehen, da sind die meisten Videospiele besser.
Frage 2: Ist erforscht, ob Ego-Shooter Einfluss auf die Psyche oder das Handeln von Jugendlichen haben?
In der Forschung besteht weitgehend Konsens, dass Mediengewalt negative Effekte haben kann, wenn bestimmte Randbedingungen vorliegen, wie z.B. ein Gewaltklima in der Familie, eine emotionale Vernachlässigung durch die Eltern oder ungünstige Peergruppen (Freundeskreise). Das entspricht dem gesunden Menschenverstand: es ist nicht gut, wenn Kinder ihre Schularbeiten und anderen kreativen oder sozialen Tätigkeiten vernachlässigen, um den ganzen Nachmittag Shooter zu spielen, die auch als das “Fast Food” der Computerspiele bezeichnet werden, da ihr Spielprinzip so einfach ist. Und Fast Food ist ja auch nicht gut für den Körper. Die tatsächlichen Wirkzusammenhänge auf aggressives Verhalten werden jedoch erst in den nächsten Jahrzehnten durch intensive Forschung beantwortet werden können. Wahrscheinlich sind auch die Effekte der Videospiele deutlich geringer als andere Faktoren. Detailliert kann man das bei der Bundeszentrale für politische Bildung nachlesen, die online (http://tinyurl.com/y3eojr) ein hervorragendes Dossier zu dem Thema Computerspiele bereitstellt.
Frage 3: Worin liegt denn der Reiz dieser Spiele für Kinder und Jugendliche?
Auch dazu gibt es mittlerweile eine Menge an theoretischen Erklärungen in der Wissenschaft. Shooter sind ja eher einfach vom Spielprinzip und durch eine geschickte Kombination von Anforderungen und Belohnungen kommt man schnell in einen Zustand, den der Psychologe Csikzentmihalyi als Flow bezeichnet: ein Vergessen der Umwelt, ein Eintauchen in die Tätigkeit, das völlige Aufgehen in einer Tätigkeit. Und da unsere Gesellschaft unseren Kindern leider wenig andere Möglichkeiten zum Flow-Erleben gibt, suchen sie diese in Computerspielen. Klettern in der freien Natur, das Spielen eines Musikinstrumentes, das Spielen eines Brettspiels mit den Großeltern: all das fehlt häufig in der Lebensumwelt einer heutigen Kindheit.
Frage 4: Nun liegt diesen in der Regel Spielen Gewalt als Konfliktlösungsmuster zugrunde. Erzieht das die Spieler dazu, dieses Muster auch in die reale Welt zu übertragen?
Unbestritten ist, das Lernen am Modell eine der wichtigsten und stärksten Erziehungsmittel ist. Wir als Eltern wissen das nur zu gut: wie soll man den eigenen Kindern das Rauchen verbieten, wenn man es selbst macht? Nun spielen die meisten Eltern keine Videospiele, aber die Helden in den Spielen sind häufig sehr gewalttätig. Die ungeklärte Frage in der Forschung ist nun, ob das interaktive Tun im Videospiel auf das tatsächliche Handeln im realen Umfeld übertragen wird. Shooter Spieler verstehen sich häufig als E-Sportler und abstrahieren sehr stark von den Inhalten und konzentrieren sich auf Taktik und Reaktionsgeschwindigkeit. Bei sogenannten LAN-Parties geht es zumeist friedlicher zu als in der Großdisko. Eine weitere Frage ist, ob gegebenenfalls die Empathie, also das Mitgefühl der Kinder beschädigt wird. Da allerdings Millionen Menschen Computerspiele spielen,müssen wir diese Fragen in Zukunft klären.
Frage 5: Weihnachten steht vor der Tür. Was raten Sie Eltern, dürfen sie dem Wunsch ihrer Kinder nachgeben, auch wenn es sich dabei um ein so genanntes Killerspiel handelt?
Falls sich die Eltern dazu entscheiden, dem Kind ein Videospiel zu schenken, gilt es zu prüfen, ob das gewünschte Spiel die für das Kind notwendige Altersfreigabekennzeichnung hat. Auch wenn die Kinder jammern: die Altersfreigabe ist ernst zu nehmen. In den neuen Bond darf man ab 12 gehen, sogenannte Killerspiele sind meistens erst ab 16 freigegeben. Zu berücksichtigen ist dabei allerdings, das Kinder und Jugendliche häufig andere Wege finden, sich Spiele auch von Freunden oder im Internet zu besorgen. Ein Spiel, das man besitzt, spielt man auch mehr. Insofern können die Eltern durch einen gezielten Kauf Einfluss darauf nehmen, was das Kind spielt. Wenn man allerdings in die aktuellen Verkaufscharts schaut, findet man recht wenige Shooter. Eltern sollten sich auch mit dem Kind unterhalten, warum diese genau jenes Spiel haben wollen. Was macht die Spielqualität aus? Kann man es zusammen mit Freunden spielen? Lassen sie sich Alternativen aufzeigen?
Wenn es etwas zum Schießen sein muss, sollte man sich “Lego Star Wars II – Die klassische Trilogie” anschauen. Das Spiel ist ab 6 Jahren freigegeben, macht aber auch Erwachsenen Spaß. Und die Eltern sollten mit den Kindern Spielzeiten vereinbaren (z.B. 1 Stunde), wobei man hier als Eltern frühzeitig das Ende der Spielzeit ankündigen sollte, sonst kann das Kind unter Umständen nicht einen Speicherort im Spiel erreichen, um den mühsam neu erreichten Spielstand zu sichern.