Die neue Ideologie, die durch die deutsche Schullandschaft geistert, nennt sich Inklusion. Von der Politik gefordert und über die UN-Konvention legitimiert, muss nun ein inklusives Bildungssystem in Deutschland installiert werden. Dabei steht nicht unbedingt die Lernentwicklung der Kinder im Mittelpunkt, sondern die Erfüllung der Vorgaben der Gesellschaft. Für die Politik ist das ganze Thema natürlich ein Segen, denn hier können erst einmal enorme Kosten eingespart werden, durch die Schließung der Förderschulen und Zusammenführung von Gymnasien und Oberschulen zu Gesamtschulen. Die Infrastruktur (personell wie auch Gebäude) kann dann nach und nach angepaßt werden, da kommt es denn auch nicht darauf an, wenn Einzelpersonen dadurch benachteiligt werden. In Niedersachsen geht man sogar so weit in einer Gesetzesvorlage, dass Eltern mehr oder weniger gezwungen werden sollen, ihre Kinder auf Gesamtschulen zu schicken, die Buskosten für Gymnasien sollen dann nicht mehr vom Staat übernommen werden.
Was bedeutet das nun für den Lehrer? Er muss sich darauf einstellen, eine heterogene Gruppe vor sich zu haben und damit die didaktischen Mittel sehr unterschiedlich einsetzen. Ein einheitliches Lernniveau ist nicht mehr vorhanden, jeder einzelne Schüler muss gefordert oder gefördert werden. Daraus ergeben sich weitreichende neue Aufgaben in pädagogischer Sicht, denn Kinder mit geistiger und körperlicher Behinderung sind teilweise mit sehr viel Hingabe und Geduld zu unterrichten, dies kann man mit einem „normalen“ Schulkind gar nicht vergleichen.
Doch wie sieht die Realität aus? Die Verfechter und Förderer der Inklusion leben meiner Meinung nach in einer Traumwelt: Kinder, die vorher in Förderschulen eine individuelle (Vollzeit-) Betreuung erhalten haben, werden nun in den normalen Schulalltag integriert und bekommen nur noch einen Bruchteil an Förderung. Das gesamte Lerntempo wird verlangsamt und an alle Bedürfnisse angepaßt, der Lernplan ist aber nach wie vor der alte, die Vorgaben wurden nicht erneuert. Die meisten Lehrkräfte sind auf Inklusion genauso wenig vorbereitet wie eine kleine Autowerkstatt, die plötzlich LKW reparieren soll. Es gibt nur marginale Schulungen (die zunächst zu Unterrrichtsausfällen führen) und nach ein Workshops ist soll man dann bereit sein für die Inklusion. Die Lehrkräfte an Förderschulen haben eine andere Ausbildung genossen, mutieren jedoch nun zum „fahrenden Volk“ und werden stundenweise an den Schulen zur Förderung eingesetzt. Befragt man Eltern behinderter Kinder zum Thema Inklusion, winken diese oftmals ab und sind eher frustriert, denn nun werden massenweise Förderschulen geschlossen und die Kinder in unvorbereitete Regelschulen zwangsintegriert. Zwar bin ich kein prinzpieller Gegner der Inklusion, doch die Umsetzung ist meiner Meinung nach mehr als mangelhaft, was zu Folge hat, dass das Lernniveau allgemein sinkt und die integrierten Kinder sich weder wohlfühlen noch selbst dazugehörig fühlen. In ländlichen Gegenden, wo oft Inklusion noch nicht wirklich ein großes Thema ist, werden teilweise Schulen für mehrere hunderttausend Euro umgebaut, um ein (!) Inklusionskind aufnehmen zu können.
Für mich ist die Inklusion schlichtweg eine Fehlinterpretation der Behindertenrechtskonvention, die Einführung wird mehr oder weniger „durchgeprügelt“, Erfahrungswerte existieren dabei nicht. Wir experimentieren also mit einer neuen Bildungsform (ich vermeide hier bewußt das Wort Reform, denn das trifft es meiner Meinung nach überhaupt nicht) ohne zu wissen, welche Ergebnisse sie liefern wird. Erst in ein paar Jahren wundert man sich dann über das schlechte Abschneiden der deutschen Bildung im europäischen Vergleich. Hätte man vielmehr darauf geachtet, das Schulsystem behutsam und nachhaltig zu verändern, würde man sicherlich nicht auf so hohe Skepsis stoßen bei Eltern wie Lehrerschaft und könnte dann anhand der Ergebnisse dies weiter entwickeln.