Warum fühlen sich Jungen in der Grundschule nicht wohl?

Die von mir gestellte Frage ist sicherlich ein wenig provokativ und pauschalisierend. Aber sie trifft leider auch immer wieder zu, die IGLU-Studie von Wilfried Bos hat ja eindeutige Aussagen dahingehend getroffen, dass sich Jungen im Gegensatz zu den gleichaltrigen Mädchen weniger sicher fühlen, weniger gerne zur Schule gehen und sich von den Lehrkräften nicht so gut betreut fühlen. Die Gründe dafür eindeutig festzulegen sind eher spekulativer Natur, daher werde ich an dieser Stelle lediglich ein paar Erklärungsversuche in Angriff nehmen:

„Jungen und Mädchen haben zwar das gleiche Alter in der Grundschule, befinden sich aber auf verschiedenen Entwicklungsstufen“
Dieser Satz ist keine These, sondern Fakt. Jeder, der schon einmal eine Grundschulklasse besucht hat, kann schnell feststellen, dass die Jungen in der Entwicklung weiter zurückliegen. Der einfachste Test ist dabei der „Maltest“: Jungen haben oft noch gar nicht das Vorstellungsvermögen, Fahrzeuge und Menschen detailliert darzustellen, sie befinden sich noch in der Strichmännchenphase, Mädchen können dann schon viel komplexere Dinge auf das Papier bringen. Nun wäre es natürlich der falsche Weg, beide Geschlechter zu trennen und somit homogen zu fördern, vielmehr ist auch hier wieder die Lehrkraft gefordert, die heterogenen Voraussetzungen zu nutzen, zumal die Entwicklungsunterschiede im Laufe der Zeit immer geringer werden. Trotzdem ist es kein Wunder, dass sich die Jungen nicht wohl fühlen werden, wenn sie feststellen, dass sie den gleichaltrigen Mädchen immer unterlegen sind.

„Wo sind die Männer?“
Im Kindergarten sind sie so gut wie nicht vorhanden, auch in den meisten Grundschulen Mangelware. Das heißt die meisten Kontaktpersonen von Jungen im Grunschulalter sind und waren: Frauen. Zu Hause die Mutter, im Kindergarten die Erzieherin und in der Schule die Lehrerin. Immer nur Frauen, männliche Impulse sind Mangelware und die Jungen können ihre Beobachtungen am Verhalten immer nur feminin zuordnen. Von dieser (anderen) Seite betrachtet haben wir statt Heterogenität vielmehr Homogenität in Reinform. Und dabei ist es so wichtig, dass Kinder beide Seiten kennenlernen müssen und sollen, Mann und Frau. Ich habe auch schon mehrfach bei Grundschullehrerinnen beobachtet, dass sie gerne eine größere Distanz zu den Jungen haben als die Mädchen, weil sie nicht die (mütterliche) Bezugspersonenrolle übernehmen wollen. Alles in allem ist es sehr problematisch, immer nur eine Seite der Medaille zu sehen.

„Spielen ist wertvoll, Sport ist aber Mord!“
Jungen treiben gerne Sport, Fussball steht oft an erster Stelle. Auch das Austoben wird in maskuliner Reinform gerne ausgelebt, ebenso wie Raufereien. Das gehört zum Entwicklungsalltag einfach dazu, wird aber in den Erziehungs- und Bildungseinrichtungen nicht gerne gesehen. Viele Lehrer wollen in der Pause ihre Ruhe, ein völlig falscher Ansatz, von den Kindern zu erwarten, innerhalb der Lernstunden still zu sein und in den Pausen ebenso. Und beim Sport soll es auch wenn möglich gesittet zugehen, die Jungen haben folglich kaum Möglichkeiten, sich auszutoben und ihre aufkommende Männlichkeit zu präsentieren. Wenn dies aber unterdrückt wird, sind Komplikationen vorprogrammiert, unter anderem, dass die Motivation der Kinder in den Keller rutscht.

Fazit: Wir brauchen mehr Männer in den Schulen und Kindergärten, was aber nur erreicht werden kann, wenn dieser Beruf zum einen mehr anerkannt und zum anderen auch entsprechend entlohnt wird. Aber genau bei diesen Aspekten ist noch eine Menge Pionierarbeit zu leisten.

Veränderung des Berufsbildes Lehrer durch die Inklusion

Die neue Ideologie, die durch die deutsche Schullandschaft geistert, nennt sich Inklusion. Von der Politik gefordert und über die UN-Konvention legitimiert, muss nun ein inklusives Bildungssystem in Deutschland installiert werden. Dabei steht nicht unbedingt die Lernentwicklung der Kinder im Mittelpunkt, sondern die Erfüllung der Vorgaben der Gesellschaft. Für die Politik ist das ganze Thema natürlich ein Segen, denn hier können erst einmal enorme Kosten eingespart werden, durch die Schließung der Förderschulen und Zusammenführung von Gymnasien und Oberschulen zu Gesamtschulen. Die Infrastruktur (personell wie auch Gebäude) kann dann nach und nach angepaßt werden, da kommt es denn auch nicht darauf an, wenn Einzelpersonen dadurch benachteiligt werden. In Niedersachsen geht man sogar so weit in einer Gesetzesvorlage, dass Eltern mehr oder weniger gezwungen werden sollen, ihre Kinder auf Gesamtschulen zu schicken, die Buskosten für Gymnasien sollen dann nicht mehr vom Staat übernommen werden.

Was bedeutet das nun für den Lehrer? Er muss sich darauf einstellen, eine heterogene Gruppe vor sich zu haben und damit die didaktischen Mittel sehr unterschiedlich einsetzen. Ein einheitliches Lernniveau ist nicht mehr vorhanden, jeder einzelne Schüler muss gefordert oder gefördert werden. Daraus ergeben sich weitreichende neue Aufgaben in pädagogischer Sicht, denn Kinder mit geistiger und körperlicher Behinderung sind teilweise mit sehr viel Hingabe und Geduld zu unterrichten, dies kann man mit einem „normalen“ Schulkind gar nicht vergleichen.

Doch wie sieht die Realität aus? Die Verfechter und Förderer der Inklusion leben meiner Meinung nach in einer Traumwelt: Kinder, die vorher in Förderschulen eine individuelle (Vollzeit-) Betreuung erhalten haben, werden nun in den normalen Schulalltag integriert und bekommen nur noch einen Bruchteil an Förderung. Das gesamte Lerntempo wird verlangsamt und an alle Bedürfnisse angepaßt, der Lernplan ist aber nach wie vor der alte, die Vorgaben wurden nicht erneuert. Die meisten Lehrkräfte sind auf Inklusion genauso wenig vorbereitet wie eine kleine Autowerkstatt, die plötzlich LKW reparieren soll. Es gibt nur marginale Schulungen (die zunächst zu Unterrrichtsausfällen führen) und nach ein Workshops ist soll man dann bereit sein für die Inklusion. Die Lehrkräfte an Förderschulen haben eine andere Ausbildung genossen, mutieren jedoch nun zum „fahrenden Volk“ und werden stundenweise an den Schulen zur Förderung eingesetzt. Befragt man Eltern behinderter Kinder zum Thema Inklusion, winken diese oftmals ab und sind eher frustriert, denn nun werden massenweise Förderschulen geschlossen und die Kinder in unvorbereitete Regelschulen zwangsintegriert. Zwar bin ich kein prinzpieller Gegner der Inklusion, doch die Umsetzung ist meiner Meinung nach mehr als mangelhaft, was zu Folge hat, dass das Lernniveau allgemein sinkt und die integrierten Kinder sich weder wohlfühlen noch selbst dazugehörig fühlen. In ländlichen Gegenden, wo oft Inklusion noch nicht wirklich ein großes Thema ist, werden teilweise Schulen für mehrere hunderttausend Euro umgebaut, um ein (!) Inklusionskind aufnehmen zu können.

Für mich ist die Inklusion schlichtweg eine Fehlinterpretation der Behindertenrechtskonvention, die Einführung wird mehr oder weniger „durchgeprügelt“, Erfahrungswerte existieren dabei nicht. Wir experimentieren also mit einer neuen Bildungsform (ich vermeide hier bewußt das Wort Reform, denn das trifft es meiner Meinung nach überhaupt nicht) ohne zu wissen, welche Ergebnisse sie liefern wird. Erst in ein paar Jahren wundert man sich dann über das schlechte Abschneiden der deutschen Bildung im europäischen Vergleich. Hätte man vielmehr darauf geachtet, das Schulsystem behutsam und nachhaltig zu verändern, würde man sicherlich nicht auf so hohe Skepsis stoßen bei Eltern wie Lehrerschaft und könnte dann anhand der Ergebnisse dies weiter entwickeln.