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Sind „andere“ Gesellschaften und Kulturen plausible Lerngegenstände im Fremdsprachenunterricht?

1. Bei der Veranstaltung zur Sprachenwahl für die 2. Fremdsprache sind Sie als Klassenlehrer einer 5. Klasse anwesend und stellen fest, dass die FS-Kolleg*innen in ihrer Präsentation für die Eltern auf Stereotypen zurückgegriffen haben. Äußern Sie sich den Kolleg*innen kritisch gegenüber und verweisen Sie dabei auf das Byram Modell.

 Liebe Kollegen und Kolleginnen,

vorerst möchte ich mich herzlich bei Ihnen bedanken, dass Sie sich die Mühe gemacht haben, den Eltern meiner Schüler*innen die verschiedenen Fremdsprachen zu präsentieren. Meiner Meinung ist es Ihnen gut gelungen, die wichtigsten Informationen des Inhalts weiterzugeben und diese mit Sicherheit als Orientierung weiterhelfen.

Dabei ist mir jedoch etwas aufgefallen, das ich gerne mit Ihnen teilen möchte. Vielleicht sind Sie sich diesem gar nicht bewusst beziehungsweise haben es selbst nicht bemerkt, dass sie während Ihrer Präsentation in der Darstellung der Kultur und in Ihrer Sprechweise einige Stereotypen verwendet haben. Besonders dadurch entsteht die Gefahr, diese Stereotypen zu verinnerlichen und somit fälschlicherweise eine Kultur zu charakterisieren. Um diese Problematik zu verdeutlichen, möchte ich auf das Modell zur interkulturellen kommunikativen Kompetenz (ICC-Modell) von Michael Byram verweisen. Demzufolge ist es unsere Aufgabe als Lehrer*innen, die sprachlichen Kompetenzen und das Wissen (saivor) zu vermitteln. Darüber hinaus müssen wir aber auch als Lehrer*innen interkulturelle kommunikative Kompetenzen schaffen und das erlernte Wissen immer wieder kritisch in Betracht ziehen, da wir oft dazu neigen auf Verallgemeinerungen zurückzugreifen. Nach dem Modell ist der Auftrag an uns, die Diversität verschiedenster Kulturen auf eine möglichst aufgeschlossene Arte und Weise zu übermitteln. Daher wäre es doch wünschenswert, die Wissensvermittlung so zu gestalten, dass eine individuelle Wahrnehmung der Kultur ermöglicht und ein Anreiz geschaffen wird, dass sich die Schüler*innen auch außerhalb der Schule (Location of Learning) für einen interkulturellen Austausch interessieren.

Daher ist es besonders als Lehrperson wichtig, sich diesen Stereotypen bewusst zu sein und zu wissen, wie man mit diesen sprachlich und sowohl auch im Unterricht umgehen sollte. Ein kleiner Vorschlag meinerseits dazu wäre, dass Sie eventuell zukünftig in der Präsentation auch außerschulische Lernorte, wie beispielsweise Schüleraustausche um die Wichtigkeit des praktischen Austausches betonen. Ich hoffe, dass sie meinen Hinweis nachvollziehen können und es ihnen vielleicht auch eine neue Sichtweise gegenüber der Verwendung von Stereotypen eröffnet hat.

 

2. Erinnern Sie, welche kulturellen Inhalte Bestandteil ihres Fremdsprachenunterrichts in der Schule gewesen sind und mit welchem Ziel diese behandelt worden sind. Stellen Sie dabei den Konnex zu der heutigen Sitzung.

Denke ich an den Fremdsprachenunterricht meiner Schulzeit zurück, so fällt mir direkt wieder ein, dass sich der Englischunterricht hauptsächlich auf Großbritannien beschränkt hat. Neben dem Erlernen der britisch englischen Sprache und der Vermittlung der grammatischen Grundlagen, stand auch die Kultur Englands weit im Vordergrund. So wurde uns Schüler*innen größtenteils klischeehafte Traditionen Englands präsentiert. Mehrere Kapitel in Lehrbüchern handelten von dem englischen Königshaus sowie der Queen und immer wieder wurde die Hauptstadt London als das Aushängeschild Englands dargestellt. Auf andere englischsprachige Länder wurde selten hingewiesen, wenn überhaupt nur wenn es darum ging, einige Vokabeln zum amerikanischen Englisch zu differenzieren. Erst in der Oberstufe durfte ich die Erfahrung machen, dass eine Erweiterung des kulturellen Bewusstseins im Englischunterricht stattfand. Demnach wurde ein halbes Schuljahr Australien und die Kultur des Landes thematisiert. Wiederum wurde auch dort die Kultur nur auf die wichtigsten Städte und auf das Outback reduziert.

In meiner zweiten Fremdsprache Latein lag der Fokus wesentlich mehr auf das kulturelle Bewusstsein im Gegensatz zum Englischunterricht. Dadurch, dass Latein nicht unbedingt eine gängig „gesprochene“ Sprache ist, war es unserer Lateinlehrerin sehr wichtig, uns die Entstehung Roms und die griechischen sowie römischen Mythologien näherzubringen. Dies tat sie in dem sie beispielsweise mit uns ein Theaterstück einübte, welches wir vor der ganzen Schule aufgeführt haben.

Rückblickend finde ich es schade, dass mir aus meinem Fremdsprachenunterricht, neben der Fähigkeit die Sprache zu sprechen, nur die Stereotypen der Länder respektive der Kultur in Erinnerung geblieben sind. Ich denke zwar, dass die Darstellung der Kultur durch Musterbeispiele ermöglicht werden sollte, jedoch nützt es der interkulturellen Kompetenz wenig, wenn sich daraus Stereotype bilden.

 

3. Formulieren Sie eine kurze Aufgabenstellung in einem Ihrer Fächer, die zu einer fachübergreifenden Projektarbeit zum „Coronavirus“ als kulturelles Phänomen passen würde.

In dem Fach Politik würde ich folgende Aufgaben formulieren, um das Coronavirus als kulturelles Phänomen darzustellen.

Die Schüler*innen erhalten zwei Textausschnitte, in dem die politischen Maßnahmen zur Eindämmung des Coronavirus in Deutschland und China erläutert werden.

  1. Beschreiben Sie, inwiefern das kulturelle und individuelle Leben in China und Deutschland aktuell eingeschränkt werden und arbeiten Sie die unterschiedlichen Maßnahmen der Regierungen heraus.
  2. Stellen Sie die politischen Maßnahmen Chinas und Deutschlands gegenüber und analysieren Sie diese hinsichtlich der unterschiedlichen Regierungsformen.
  3. Diskutieren Sie die Vor- und Nachteile einer sozialistischen Staatsform in China und einer parlamentarischen Demokratie mit der föderalen Vielfalt in Deutschland während der aktuellen Situation.

 

4. Gerade in der Behandlung von Kultur(en) und Gesellschaft(en) im Fremdsprachenunterricht kann die im Klassenraum vorhandene Heterogenität einbezogen werden. Wie bewegen Sie diese Schülerinnen und Schüler dazu, ihr Vorwissen und ihre Kompetenz einfließen zu lassen?

Die Schule ist ein Ort, der von Heterogenität geprägt ist und daher nicht alle Schüler*innen über die gleichen Voraussetzungen verfügen, besonders auch bei den sprachlichen Kompetenzen. Hinzukommend ist das Bildungssystem einseitig ausgerichtet, was bedeutet, dass sich die Unterrichtsinhalte nur auf national orientierte Themen beschränken.

Aus diesem Grund sollte es zur Aufgabe des Fremdsprachenunterrichts werden, eine große Bandbreite an verschiedenen fremden Kulturen zu bieten. Somit könnte erreicht werden, Vorurteilen sowie Benachteiligungen entgegen zu wirken und ein Zugehörigkeitsgefühl aller Schüler*innen zu schaffen. Ebenso sollte man die Perspektiven aufzeigen, wo man kultureller Vielfalt auch außerhalb des Klassenraums begegnet. Aufgrund der steigenden Zahl der Schüler*innen mit einem Migrationshintergrund eröffnet sich die Möglichkeit, diese Vielfalt mit in den Unterricht einzubinden. So könnte man die Erfahrungen der Schüler*innen, deren Eltern aus einem anderen Land stammen, nutzen, in dem sie Merkmale ihrer Kultur im Unterricht teilen. Demnach können die Schüler*innen einen individuellen Eindruck der Kultur erhalten. Die Umsetzung dazu könnte daher so aussehen, dass man Rollenspiele entwickelt oder auch Partnerarbeiten konstruiert, bei denen sich die Schüler*innen gegenseitig interviewen und der Klasse eine Art Berichterstattung geben. In jüngeren Klassenstufen könnte man die Schüler*innen auch Steckbriefe erstellen lassen, wobei dann die gesamte Klasse erraten muss, zu wem dieser gehört.

Diesbezüglich wäre eine Mischform aus Wissensvermittlung sowie interaktiven Aufgaben eine ideale Lösung. So kann man erreichen, dass ein reger Austausch von Meinungen und Erfahrungen verschiedenster Kulturen stattfindet und dass den Schüler*innen die Chance geboten wird, eine individuelle Sichtweise von der Sprache und der Kultur zu entwickeln.

2 Antworten auf „Sind „andere“ Gesellschaften und Kulturen plausible Lerngegenstände im Fremdsprachenunterricht?“

Liebe Merle,

Im folgenden möchte ich auf einige Inhalte deines Beitrages eingehen.
Bei der ersten Aufgabe, erwähnst den Auftrag, den Fremdsprachenlehrer*innen beim vermitteln von interkultureller Kompetenz haben. Hierbei sehe ich es auch so, dass man sich als Fremdsprachenlehrer*in ständig der vorhandenen Stereotype bewusst sein – und angemessen damit umgehen muss
Deine Ausführungen zum Byram Modell finde ich gut ausgeführt. Insbesondere wieder der Bezug auf den Auftrag als Fremdsprachenlehrer*in, aber auch , dass du auch auf den Einfluss der Wissensvermittlung („savoirs“) auf die „Locations of Learning“ eingegangen bist. Ich denke aber, du hättest die fünf Bestandteile des Modells zur interkulturellen kommunikativen Kompetenz weiter ausführen können. Beziehungsweise im Zusammenhang mit den Stereotypen das „savoir comprendre“ aufgreifen, also als Lehrer die Fähigkeit vermitteln, andere Kulturen zu verstehen und so zum Erweitern des interkulturellen Wissens beizutragen. Und in dem Kontext könnte man hinzufügen, dass das Verwenden von Stereotypen die Entwicklung dieses „savoirs“ blockiert. Und weiter auch das „savoir être“. Und somit verwehrt, ein kulturelles Bewusstsein zu erlangen, welches essentiell zur Akzeptanz der kulturellen Vielfalt und allgemeinen Toleranz ist.

Bezüglich deiner Erfahrungen im Fremdsprachenunterricht kann ich dir in Teilen zustimmen. Wie auch bei dir, beinhaltete mein Englischunterricht im Hinblick auf Kulturvermittlung eher eingeschränkte Einblicke bekommen haben. So wurden beim Thema Großbritannien typische Bilder wie „fish and chips“, „London Eye“ oder „Madame Taussauds“ gezeigt. Und im Zusammenhang mit den USA fielen oft Begriffe wie „American Dream“ und es wurden hauptsächlich die bekanntesten Sehenswürdigkeiten und Landschaften vorgestellt.
Diesbezüglich muss ich aber anmerken, dass diese Darstellungen alle in der Unter- bis Mittelstufe stattfanden. In der Oberstufe haben wir in einen deutlich differenzierteren Einblick in Kulturen bekommen und ein besseres Kulturbewusstsein bekommen. Beispielsweise haben wir ein Halbjahr Großbritanniens Multikulturalität behandelt und von der Lehrkraft wurde oft herausgestellt, dass es eben keine eine Kultur in Großbritannien gibt, sondern dass dort sehr viele aufeinander treffen.
Betreffend der zweiten Fremdsprache (bei mir französisch) fand die Kulturvermittlung in meinem Fall ebenfalls etwas differenzierter statt. Dort haben wir gleich in den ersten Jahren einige französischsprachige Länder kennengelernt. Auch wurde der Fokus kaum auf die Hauptstadt gelenkt. So haben wir als erste Stadt Lyon kennengelernt. Auch erinnere ich mich daran, dass wir kanadisch-französische Wörter mit denen aus Frankreich verglichen haben. Weiter haben wir einmal Listen mit Wörtern aus dem Deutschen bekommen, die eigentlich aus dem französischen stammen.

Bei den letzten zwei Aufgaben, die einen Kulturvergleich anstreben, denke ich, dass sie gut dazu sein könnte, die „fremde“ Kultur besser kennenzulernen und auch die eigene aus einem anderen – vielleicht auch kritischen Blick zu sehen.

Bei der letzten Aufgabe hast du die Einbindung von Schülern mit Migrationshintergrund in den FSU genannt. Hierbei stimme ich dir zu, dass es von Vorteil sein kann individuelle Erfahrungen mit Kultur im Unterricht anzuhören und zu behandeln. Diese kann auch dem „Doing Culture“ entgegenwirken. Nämlich die Zuweisung von Kollektivmerkmalen zu einer Kultur. Dieses bezieht sich auch auf das in der aktuellen Vorlesung behandelten Stereotypieren. Bei beiden wird die Vielfalt von Kulturen verdrängt. Wenn man jedoch individuelle, persönliche Erfahrungen von beispielsweise Migrationskindern mit ihrer Kultur hört, bekommt man neue Einblicke in die facettenreichen Inhalte einer Kultur.

Liebe Grüße
Franca

Liebe Franca,
vielen Dank für dein Kommentar.
Dein Feedback sowie die Anmerkungen ergänzen den Beitrag gut und deine Erfahrungen sind sehr spannend.

Liebe Grüße zurück
Merle

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