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„Lässt sich ‚Heterogenität‘ im Klassenzimmer beobachten und was sieht man, wenn man so guckt?“

1. Wie begründen die Autor*innen, dass sie nicht ´Differenz´ sondern ´Praktiken der Differenzierung` untersuchen wollen? Können Sie hier auch Bezüge zur Einführungsvorlesung über „Heterogenität“ herstellen?

Die beiden Autor*innen Rose und Gerkmann fokussieren sich in ihrer Studie nicht auf ‚Differenzen‘, sondern vielmehr auf die ‚Praktiken der Differenzierung‘. Dies begründen sie, in dem sie den Begriff ‚Differenz‘ definieren und erklären, dass ihnen die Bedeutung des Begriffs nicht ausreicht. So meint Differenzierung allgemein gesagt eine vereinfachte Darstellung von Unterschieden. Allerdings existieren diese Unterschiede nicht ohne Grund, sondern werden erst durch das Differenzieren eindeutig und veranschaulicht (Gerkmann/Rose 2015: 193). Aus diesem Grund ist das Ziel dieser Studie nicht nur die offenbaren Unterschiede im Klassenraum darzustellen, sondern einen Prozess aufzuzeigen, wie diese Unterschiede entstehen und wie diese von den Schüler*innen selbst wahrgenommen beziehungsweise selbst konstruiert werden. Laut Rose und Gerkmann sind Differenzierungen von der Gesellschaft sozial konstruiert worden und von den intersubjektiven Norm- und Wertvorstellungen abhängig (Gerkmann/Rose 2015: 193). Dies verstärkt mitunter auch rotierendes Verhalten und expliziert, dass praktische Differenzen immer im Verhältnis zum normenbezogenen Maßstab stehen.

Diesbezüglich werden Parallelen zu dem Begriff der Heterogenität deutlich. Heterogenität ist ebenfalls eine soziale Konstruktion und lässt sich aus Sicht der Gesellschaft herleiten. Generell meint Heterogenität die Differenzen zwischen Personen in Bezug auf soziokulturelle Merkmale, wie Geschlecht oder auch ethische Herkunft. Dabei werden diese gleichermaßen in Bezug zur gesellschaftlichen Norm gesetzt. Auch im schulischen Bereich stellt Heterogenität die Lehrpersonen immer wieder vor didaktischen und pädagogischen Schwierigkeiten.

Daher sollen die Praktiken der Differenzierung in einem schulischen Kontext ermittelt werden.

 

2. Die Studie befasst sich mit individualisiertem Unterricht in der Sekundarschule und analysiert Kommunikationsprozesse zwischen Schüler*innen in der Gruppenarbeit im Projektunterricht. Inwiefern spiegelt sich in diesen Prozessen die „soziale Konstruktion von Leistungen“ wider? Anders gefragt: Wie stellen die Schüler*innen leistungsbezogene Differenz her?

Die Ausgangssituation der Studie ergibt sich dergestalt, dass die Klasse eine Aufgabenstellung in Gruppenarbeit bearbeiten soll. Dabei werden zwei Gruppen explizit betrachtet und untersucht.

Die erste Gruppe setzt sich aus zwei Mädchen und zwei Jungen zusammen, wobei diese Gruppenkonstellation zunächst nicht freiwillig entstanden ist. Erst auf Nachfrage der Lehrpersonen setzt sich die Gruppe zusammen, wobei sich die Lehrperson nur an die beiden Mädchen richtet. Schnell wird deutlich, dass die beiden Mädchen die Besetzung der Rollen sowie die Umsetzung der Aufgaben in die Hand nehmen. Die beiden Jungs hingegen lassen sich anleiten und folgen den beiden Mädchen ohne großen Widerspruch. Allerdings unterscheiden sich die Positionen der beiden Jungs. Zwar werden beide Jungs in eine distanzierte Rolle eingeordnet, wiederum nimmt Leon im Gegensatz zu Hatif gar keinen Einfluss auf die Gruppengestaltung und ist daher als Mitglied dieser Gruppe ersichtlich. An diesem Arbeitsteilungsprozess wird deutlich, dass innerhalb der Gruppe ein engagiertes Paar und ein eher distanziertes Paar existiert, wobei die Mädchen aufgrund von bereits vorher festgelegten und sozialen Umständen den Jungs gegenüber dominieren. Hierbei steht weniger im Mittelpunkt der schulischen Leistungsnorm gerecht zu werden, sondern vielmehr gemeinschaftlich und gerecht als Gruppe zu interagieren. Somit steht die soziale Norm der Kollegialität im zentralen Kontext.

Die zweite Gruppe besteht aus zwei Mädchen und einem Jungen, wobei schnell deutlich wird, dass sich das eine Mädchen die Monopolstellung selbst zuspricht und die Hauptverantwortung übernimmt. Die anderen beiden Gruppenmitglieder beteiligen sich mehr oder weniger an der Gruppenarbeit, obwohl der Junge sich zum Teil gegen die Aufforderung zur aktiven Beteiligung wehrt. Bei dieser Konstellation wird das gemeinschaftliche Arbeiten außer Acht gelassen, dagegen steht die schulische Leistung im Zentrum. So soll die leistungsbezogene Norm erfüllt werden.

An beiden Gruppen lässt sich erkennen, dass eine Arbeitsteilung innerhalb der Mitglieder entsteht. Ebenfalls wird deutlich, dass die Gruppen von der sozialen sowie der leistungsbezogenen Norm angeleitet werden, obgleich die Gewichtung der Normen unterschiedlich stattfindet (Gerkmann/Rose 2015: 204). Dies veranschaulicht auch die Mimik und Gestik der einzelnen Schüler*innen. So wird Hatif, der weiter entfernt vom Tisch sitzt, eine zurückhaltende Rolle zugeschrieben als im Gegensatz zu den beiden Mädchen, die unmittelbar vor dem Arbeitsblatt sitzen.

Es ist festzuhalten, dass gewisse schultypische Differenzierungen entstehen. Leistungsbewertung steht im zentralen schulischen Kontext und nimmt einen großen Bestandteil der Kommunikation im Unterricht ein (Gerkmann/Rose 2015: 206). Die Schüler*innen werden von den Lehrpersonen nach Leistung differenziert und sind sich einer ständig möglichen Leistungsbewertung bewusst. Ausschlagend jedoch ist, dass anhand der Studie nachgewiesen werden kann, wie die Schüler*innen selbstständig diese Differenzen rekonstruieren (Gerkmann/Rose 2015: 206).

Sie nehmen die sozialen sowie leistungsbezogenen Unterschiede gegenüber ihren Mitschüler*innen wahr, positionieren ihre Rolle dementsprechend innerhalb der Gruppe und hierarchisieren sich selbst untereinander.

 

3. Erläutern Sie, inwiefern sich die von Rose und Gerkmann festgehaltenen Beobachtungen von schultypischen Differenzierungen (nicht nur bezogen auf Leistung) innerhalb von Gruppenarbeiten mit Ihren eigenen Erfahrungen decken. Diskutieren Sie Ihre eigenen Erfahrungen vor dem Hintergrund des Textes!

Wie bereits Rose und Gerkmann darlegen, ist eine solche Arbeitsweise in Gruppenkonstellationen nicht ungewöhnlich, weshalb sich meine Erfahrungen mit den Ergebnissen der Studie decken.

In meiner Schulzeit waren Gruppenarbeiten schon immer ein umstrittenes Thema. Einige meiner Mitschüler*innen haben diese befürwortet, andere haben versucht sich demgegenüber zu widersetzen. Meine persönliche Sichtweise war auch nicht immer positiv gegenüber Gruppenarbeiten gestimmt. Da ich mitunter immer die Rolle der Hauptverantwortlichen eingenommen haben, empfand ich Gruppenarbeiten nicht immer als besonders produktiv. Letztendlich habe ich die meiste Last davongetragen, in dem ich die Arbeit meist alleine erledigt habe. Allerdings habe ich mich auch bewusst in diese Rolle positioniert, da ich oftmals gut organisiert sowie strukturiert die Aufgaben möglichst schnell erledigen wollte. Ebenfalls habe ich versucht, meine Gruppenmitglieder zu motivieren. Blicke ich jedoch jetzt im Nachhinein auf einige Gruppenarbeiten zurück, so frage ich mich, ob ich an einigen Stellen nicht zu voreilig gehandelt habe und ich meinen Gruppenmitgliedern erst eine Chance hätte geben sollen.

Insgesamt kann ich die Funktion und Intention von Gruppenarbeiten nachvollziehen, jedoch stellte sich die Umsetzung in meiner Schulzeit als fraglich heraus. Oftmals dafür ursächlich waren zentrale Einteilungen der Gruppen, wodurch die Erfüllung beider Normen schwer realisierbar wurde. Rückblickend kann ich aus meinen eigenen Erfahrungen sagen, dass die Gruppenarbeiten während der Oberstufe eher von der leistungsbezogenen Norm dominiert wurden, da es für die Meisten essenziell war, eine gute schulische Leistung zu erbringen. In jüngeren Jahrgängen empfand ich das Arbeiten in Gruppen solidarischer und gemeinschaftlicher, sodass im Fokus stand, dass alle Mitglieder bestmöglich die Aufgabe bestehen. Aber letztendlich kann man sagen, dass Gruppen (auch im außerschulischen Kontext) immer sozial konstruiert sind und es Rollen aktiver beziehungsweise zurückhaltender Mitglieder geben wird.

 

Literaturverweis:

Gerkmann, Anne/Rose, Nadine (2015): Differenzierung unter Schüler_innen im reformorientierten Sekundarschulunterricht – oder: warum wir vorwiegend ‚Leistung‘ beobachten, wenn wir nach ‚Differenz‘ fragen. In: ZQF Heft 2, S. 191-210.

4 Antworten auf „„Lässt sich ‚Heterogenität‘ im Klassenzimmer beobachten und was sieht man, wenn man so guckt?““

Hallo Merle,
Ich finde deinen Eintrag „Lässt sich ‚Heterogenität‘ im Klassenzimmer beobachten und was sieht man, wenn man so guckt?“ sehr gelungen. Man merkt, dass du dich intensiv mit der Lektüre befasst hast und deine Zusammenfassungen sind sehr verständlich formuliert.

Deine Ausführungen zur zweiten Aufgabe ist ebenfalls sehr übersichtlich und die zu bearbeitende Gruppenarbeitssituation wurde sinnvoll bewertet. Durch die Verweise auf den Text von Gerkmann und Rose ist immer sehr gut nachvollziehbar, worauf genau du dich beziehst.

In der letzten Aufgabe, in der du deine persönlichen Erfahrungen mit Gruppenarbeiten mit uns geteilt hast, ist deine Position deutlich geworden. Ich kann dir dabei auf jeden Fall zustimmen. Auch ich habe Gruppenarbeiten immer als positiv empfunden, jedoch kommt es stark auf die anderen Mitglieder an. Zwar ist es in einer Gruppe mit schwächeren oder vielleicht auch unmotivierten Mitgliedern unfair, weil die Arbeit an einem selbst hängen bleibt. Es war bei mir jedoch meistens so, dass die Lehrkraft schnell verstanden hat, wer sich mehr und wer weniger beteiligt hat. In meiner Schulzeit konnte ich damit also gut umgehen, da trotzdem jeder einzeln bewertet wurde.

Mittlerweile ist es in einem meiner Studienfächer auch so, dass wir Referate in Gruppen erstellen und präsentieren müssen. Gerade zu Anfang finde ich die Idee ganz gut um mehr mit den anderen in Kontakt zu treten. Aber auch dort ist/ war es so wie du bereits oben angesprochen hast: Es gibt immer stillere/ schwächere Mitglieder.

Abschließend möchte ich noch ein mal sagen, dass dein Beitrag sehr gelungen ist, alles verständlich formuliert wurde und der Text sich gut lesen lässt!

Liebe Luisa,

vielen Dank für dein Kommentar und dein Feedback!
Ich stimme dir da auf jeden Fall zu und denke, dass Lehrer*innen nach einer Zeit ein gewisses „Gespür“ entwickeln können, um sich einen Eindruck über die Gruppenkonstellation zu verschaffen.
Ebenfalls teile ich deine Erfahrungen, sodass auch in meinen Studienfächern nun vermehrt Gruppenarbeiten auftreten. Das digitale Semester erweist sich dabei jedoch nicht unbedingt als vorteilhaft.

Liebe Grüße
Merle

Hallo Merle,
Ich werde meinen Kommentar von letzter Woche noch einmal überarbeiten, da er letztes mal nicht ausführlich genug war, also nicht wundern 😊
Liebe Grüße, Luisa

Hallo Merle!

Ich finde deinen Eintrag „Lässt sich ‚Heterogenität‘ im Klassenzimmer beobachten und was sieht man, wenn man so guckt?“ sehr gelungen.

Zur ersten Aufgabe kann ich lediglich sagen, dass man merkt wie intensiv du dich mit dem Thema und der Fragestellung auseinandergesetzt hast. Alle Definitionen und Erklärungen sind sehr verständlich formuliert.

Deine Ausführungen zur zweiten Aufgabe ist ebenfalls sehr übersichtlich und die zu bearbeitende Gruppenarbeitssituation wurde sinnvoll bewertet. Durch die Verweise auf den Text von Gerkmann und Rose ist immer sehr gut nachvollziehbar, worauf genau du dich beziehst.
Ich habe die zu bearbeitenden Bilder ähnlich wahrgenommen wie du. Es ist deutlich, dass es gewisse Arbeitsteilungen gibt und dass manche Gruppenmitglieder davon mehr profitieren als andere. Meiner Meinung nach bringt der letzte Satz deiner Ausführung zur zweiten Aufgabe die Situation sehr gut auf den Punkt: „Sie nehmen die sozialen sowie leistungsbezogenen Unterschiede gegenüber ihren Mitschüler*innen wahr, positionieren ihre Rolle dementsprechend innerhalb der Gruppe und hierarchisieren sich selbst untereinander“.
Ich möchte in dem Zusammenhang noch mein Erstaunen äußern. In meiner Schulzeit war es früher zwar ähnlich, jedoch habe ich es nie wirklich als „Hierarchie“ angesehen, wobei es das ja genaugenommen ist. Auch, dass schon in so jungem Alter eine Rollenzuteilung stattfindet, Minderheiten „unterdrückt“ werden wie in der beschriebenen zweiten Gruppe sollte eigentlich nicht normal sein, ist es jedoch leider.

In der letzten Aufgabe, in der du deine persönlichen Erfahrungen mit Gruppenarbeiten mit uns geteilt hast, ist deine Position deutlich geworden: Einerseits sind Gruppenarbeiten manchmal sehr anstrengend, da vielleicht die Konstellation nicht passt oder man sehr viel Arbeit allein machen muss. Andererseits kann man sich auch selbst dazu entscheiden, die führende Rolle zu übernehmen und dadurch am meisten zu lernen. Ich kann dir dabei auf jeden Fall zustimmen. Auch ich stand oft im Zwiespalt, ob ich Gruppenarbeiten nun gut oder eher schlecht finde. Grundsätzlich denke ich aber, dass es sehr stark auf die Gruppenmitglieder ankommt. Zwar ist es in einer Gruppe mit schwächeren oder vielleicht auch unmotivierten Mitgliedern unfair, weil die Arbeit an einem selbst hängen bleibt. Wie du bereits in deinem Beitrag geschildert hast, kann man war bei mir jedoch meistens so, dass die Lehrkraft schnell verstanden hat, wer sich mehr und wer weniger beteiligt hat. In meiner Schulzeit konnte ich damit also gut umgehen, da trotzdem jeder einzeln bewertet wurde.
Im Endeffekt ist es ja eigentlich auch nur sinnvoll, sich viel an der Gruppenarbeit zu beteiligen, da es am Ende des Schuljahres darauf ankommt, was man gelernt hat. Diejenigen, die schon in der Gruppenarbeit nicht versuchen, sich einzubringen, obwohl man in der Gruppe (wenn denn alle mitarbeiten) sehr schnell zu Ergebnissen gelangt, werden sicher auch alleine wenig Motivation haben. Dadurch könnte der Lerneffekt im Gegensatz zu denen, die sich an der Gruppenarbeit beteiligen, geringer sein. Natürlich gibt es sicher auch Schüler*innen, denen Gruppenarbeiten einfach nicht liegen und die lieber alleine arbeiten, aber auch dafür gibt es in der Gruppe Lösungen, die für alle Gruppenmitglieder fair sind, wie beispielsweise dass die Aufgaben gerecht aufgeteilt werden und jeder daran arbeitet, wie er/sie es am liebsten mag: alleine oder im Austausch mit den anderen.
Mittlerweile ist es in einem meiner Studienfächer auch so, dass wir Referate in Gruppen erstellen und präsentieren müssen. Gerade zu Anfang finde ich die Idee ganz gut um mehr mit den anderen in Kontakt zu treten. Aber auch dort ist/ war es so wie du bereits oben angesprochen hast: Es gibt immer stillere/ schwächere Mitglieder.

Abschließend möchte ich noch einmal sagen, dass dein Beitrag sehr gelungen ist, alles verständlich formuliert wurde und der Text sich gut lesen lässt!

Luisa

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