- In der Lehrer*innenkonferenz diskutieren Sie die Empfehlungen für die jeweilige weiterführende Schule der einzelnen Schüler*innen. Für einen Schüler, der vor zwei Jahren nach Deutschland und nach einiger Zeit in der Vorklasse in Ihre Klasse gekommen ist, soll – lediglich aufgrund seiner Deutschkenntnisse – von einer Empfehlung für das Gymnasium abgesehen werden. Nehmen Sie auf Basis der Inhalte der Vorlesung Stellung dazu.
Diese Entscheidung hat m.E. zwei Seiten. Natürlich hat die Sprachkompetenz eines Kindes erst mal nichts mit seiner Lernfähigkeit zu tun. D.h. es gibt keinen Grund einem Kind, dass der deutschen Sprache (noch) nicht mächtig ist, ansonsten aber alle Kompetenzen mitbringt, den Zugang zum Gymnasium zu verweigern.
Im Zweiten Schritt muss man sich allerdings schon die Frage stellen, ob man einem Kind damit einen Gefallen tut, weil natürlich die schulische Belastung immens steigt, wenn man die Unterrichtssprache nur unzulänglich beherrscht. Das Tempo im Gymnasium ist in der Regel so angelegt, dass die Schülerinnen und Schüler bereits gut ausgelastet sind, wenn sie der deutschen Sprache mächtig sind und dem oben beschriebenen Kind bereits 3-4 Jahre Bildungssprache der Grundschule voraus haben. Der Leistungsaufwand, den eine Kind unter den oben genannten Voraussetzung erbringen muss, ist immens. Bei meinen eigenen Töchtern habe ich sowohl in der 5. Als auch in der 8. Klasse erlebt, dass jeweils ein Kind vom Gymnasium auf die Oberschule gewechselt ist, weil der Aufwand zu hoch war.
Im Sinne des Kindes muss man diese Entscheidung gut abwägen und vor allem auch auf vorhanden zusätzliche Sprachförderungsprogramme schauen, die es evtl. gibt. M.E. reicht es nicht ein Kind mit Flüchtlingserfahrung auf Gymnasium zu schicken und dann „abzuwarten wie es sich so macht“, sondern es bedarf einer engmaschigen Betreuung und einer intensiven Unterstützung im Deutschen.
- Welche Erfahrungen mit Mehrsprachigkeit – in der hier verstandenen breiten Sicht – in Schule und Unterricht (selbst als Schüler*in und/oder Praxiserfahrungen) haben Sie bislang gemacht? Diskutieren Sie die Erfahrungen vor dem Hintergrund dieser Vorlesung
In der Grundschule, in der ich mein Orientierungspraktikum gemacht habe, gab es zahlreiche Kinder, die eine weitere Sprache gesprochen haben, es in ihren Kompetenzen jedoch keine gravierenden Unterschiede zu ihren monolingualen deutschen MitschülerInnen gab. Leider hatte ich in der Klasse noch nicht den Fokus auf Mehrsprachigkeit und habe die SchülerInnen diesbezüglich nicht befragt, aber ich vermute, dass sie alle mindestens seit dem Kindergarten Deutsch gelernt haben oder einen deutschsprachigen Elternteil haben und Deutsch auch Erstsprache war.
Drei Kinder mit einem Flüchtlingshintergrund waren ebenfalls in der Klasse, die waren jedoch den Vormittag über im Deutschkurs und wenn sie in der Klasse waren, wurden sie mit einer Förderkraft separat unterrichtet, so dass es für mich nicht deutlich geworden ist, inwiefern der Umgang mit ihren Herkunftssprachen war.
- Was möchten Sie nach dem Besuch dieser Vorlesung bei Ihrer zukünftigen Unterrichtsgestaltung beachten? Welches Wissen und welche Fähigkeiten fehlen Ihnen dafür noch?
Auf jeden Fall möchte ich offen sein für Mehrsprachigkeit meiner zukünftigen Schülerinnen und Schüler und diese wertschätzen. Und genauso wie eine Lernbeeinträchtigung es fordert, möchte ich auch berücksichtigen wenn Kinder mit Deutsch als Zweitsprache in die Schule kommen.
Die Beispiele aus der Vorlesung über die Kinder mit einem Flüchtlingshintergrund, die über Sprachen hinweg kommuniziert haben und sich andere Sprachen erschlossen haben, aufgrund ihrer Sprachvorkenntnisse finde es äußerst interessant. Auf diesem Gebiet würde ich mich gern einlesen.
- Wie muss Schule unserer mehrsprachigen Gesellschaft gestaltet sein. Welche Rahmenbedingungen müssen gegeben sein, damit Sie die Mehrsprachigkeit Ihrer Schüler*innen einbeziehen und einen registersensiblen Fachunterricht gestalten können?
Sicherlich müssten mehr Mittel in separate Sprachkurse fließen, um die Erstsprachen von Mehrsprachigen Kindern zu fördern, um dadurch auch das Erlernen der Zweitsprache Deutsch stärker zu fördern („time on Task-Hypothese“, Hopf, Esser).
Mehrsprachigkeit in der Schule sollte m.E. als Ressource verstanden werden und mehr Wertschätzung erfahren, statt das Sprechen der Erstsprache zu unterdrücken oder gar zu verbieten. Solche Regeln leisten der Negierung einer Erstsprache Vorschub und führen dazu, dass das Selbstbewusstsein der Kinder darunter leidet. Man könnte sogar soweit gehen, dass das zu Identitätskonflikten führen kann, wenn die Familiensprache in der Schule unterdrückt wird.
Auf der anderen Seite wäre die Wertschätzung einer anderen Erstsprache als dem Deutschen eine tolle Möglichkeit das Selbstbewusstsein von Kindern zu stärken, wenn man ihre Mehrsprachigkeit auch positiv als Ressource betrachtet, auch wenn sie dadurch in der Sprache Deutsch im Gegensatz zu ihren Altersgenossen evtl. noch Lücken aufweisen. Hierbei sollte ebenfalls sehr darauf geachtet werden Unterschiede zwischen verschiedenen Sprachen zu machen. Allgemein genießen Sprachen wie Französisch oder Englisch ein hohes Ansehen, während Türkisch oder Kurdisch nicht so hoch angesehen werden. Solche Ansichten findet man leider auch in Schule wieder.
Außerdem müsste man den Kindern, die Deutsch als Zweitsprache lernen, generell mehr Zeit einräumen, so wie man es mit leistungsschwächeren Kindern macht, was natürlich leichter gesagt als in der Praxis umsetzbar ist.
Ein wirklicher Fortschritt wäre es wenn Schülerinnen und Schüler ihre Erstsprache auch verwenden dürften, um sich Wissen anzueignen, sprich wenn man vielleicht ein Deutsches Wort nicht parat hat, einfach auch das entsprechende Wort einer anderen Sprache verwenden dürfen. Auch das sich Kinder in einer anderen Sprache gegenseitig unterstützen dürfen, wenn es Verständnisprobleme gibt.
Wenn man einmal einen Perspektivwechsel vornimmt und sich selbst oder die eigenen Kinder in einem anderen Land vorstellt und wie wertvoll wir es empfinden würden, wenn wir die Möglichkeit bekämen unsere Sprache in den Lernprozess einbeziehen zu dürfen, um eine andere Sprache zu lernen. Allein die Sicherheit, die einem die eigene Sprache gibt, lässt uns viel selbstbewusster eine neue Sprache lernen.