Wilfried Bos stellt in der Begleituntersuchung zu IGLU 2003 fest, dass Jungen sich in der Tendenz – im Vergleich mit der weiblichen Gleichaltrigengruppe – signifikant weniger sicher in Schule fühlen, deutlich weniger gerne zur Schule gehen und eindeutig häufiger das Gefühl haben, dass sich die Lehrkräfte nicht/wenig um sie kümmern. Wie erklären Sie sich diese Ergebnisse und wie könnte man diese Situation verbessern?
Woran könnte es liegen, dass Jungen sich in Schulen weniger sicher fühlen, als Mädchen die im gleichen Alter sind? Zuerst fällt einem dort der starke Überschuss an weiblichen Lehrkräften in Grundschulen auf. Hierdurch können Jungen sich weniger gut auf ihre Lehrkräfte einlassen, da ihnen eine gleichgeschlechtliche Ansprechperson fehlt, die sie auch als Vorbild nehmen könnten. Diese Homogenität kann dazu führen, dass Jungen sich in Schulen weniger akzeptiert fühlen, da sie sich nicht vollständig mit ihren Lehrkräften identifizieren können.
Ein weiterer Punkt ist die allgemeine Auffassung, dass Jungen immer stark sein sollen. Sätze wie „Jungs heulen nicht!“, „War doch nur ein Kuscheltier, stell dich nicht wie ein Weichei an!“ oder „Ein Indianer kennt keinen Schmerz!“ führen dazu, dass Jungen sich davor scheuen, Gefühle offen zuzulassen und diese auch in ihrem engeren Umfeld und gegenüber ihren Bezugspersonen nicht ansprechen und/oder zum Ausdruck bringen, aus Angst dann als Weichei, als „Schwuchtel“ zu gelten. Das führt auch dazu, dass sie ihre Probleme nicht ihren Lehrkräften, ihren Vertrauenslehrern oder auch Schulpastoren schildern, und eine harte Schale entwickeln, damit sie eben diesem Stereotyp eines Jungen entsprechen und nicht aus der Norm fallen.
Es ist außerdem immer wieder zu sehen, dass Jungen eher in naturwissenschaftlichen und sportlichen Bereichen gefördert werden und Mädchen eher in künstlerischen und literarischen Bereichen. Dieses weitere Klischee kann dazu führen, dass sowohl Jungen als auch Mädchen sich nicht trauen, ihre Interessen auszuleben, wenn diese nicht dem allgemeinen Rollenklischee entsprechen. Der Unterschied bei Jungen und bei Mädchen ist hierbei, dass man diese Problematik im Bezug auf Mädchen längst erkannt hat und dementsprechend durch verschiedenste Maßnahmen diesem Phänomen entgegenwirkt.
Eben diese Vorurteile eines stereotypen Jungen führen aber auch dazu, dass Lehrerinnen und Lehrer anfangen können, Jungen emotional zu vernachlässigen, weil diese ja „so stark“ sind und „keine Gefühle“ haben. Es kann also nur Besserung dieses Phänomens auftreten, wenn sehr früh bei der Erziehung von Kindern begonnen wird. Hier sollte mehr darauf geachtet werden, dass Rollenklischees gar nicht erst entstehen, oder, wenn sie doch schon im Gedächtnis eines Kindes verankert sind, darauf hingearbeitet wird, diese immer mehr aufzubrechen und, wenn möglich, ganz abzuschaffen.
Auch Lehrerinnen und Lehrer müssen sich immer wieder klar machen, dass sie nicht nach Vorurteilen und Stereotypen urteilen dürfen, sondern sich immer wieder klar machen, dass jeder Mensch individuell zu betrachten ist, damit sich optimal um ihn oder sie gekümmert werden kann und er oder sie dann auch die optimalen Voraussetzungen für eine ideale Lernumgebung hat. Außerdem sollte viel mehr auf die Psyche eines Kindes eingegangen werden und weniger auf seine Leistungen, denn ohne einen Menschen der mit sich selbst im Reinen ist( vgl. Rogers Ideal- und Realselbst), kann sich auch Leistung nicht optimal entfalten.