Ich habe in meiner eigenen Grundschulzeit individualisierenden Unterricht erlebt und kannte somit bisher nur die Schülerperspektive auf diese Form des Unterrichts. Die Vorlesung hat mir viele positive Einsichten auf den individualisierenden Unterricht aus schultheoretischer Sicht eröffnet. Eine wichtige Einsicht für mich war, inwieweit es doch Schwierigkeiten mit sich bringt individualisierenden Unterricht anzubieten. Nach der Vorlesung erscheint die einfachere durchzuführende Unterrichtsform der Unterricht als Klassengespräch zu sein, doch dieser entspricht der Logik der Homogenisierung, was eindeutig der offensichtlichen Heterogenität einer Lerngruppe widerspricht. Der individualisierende Unterricht geht auf die Heterogenität innerhalb der Lerngruppe ein und passt sich dieser an. Eine wichtige Erkenntnis für mich war zu erfahren, dass es innerhalb des individuell absolvierten Lerntempos feste Bausteine gibt, die alle SuS absolvieren müssen, sodass trotzdem am Ende eines Schuljahres alle SuS die gleiche Basis an Lernstoff erlernt haben. Der weiterführende Stoff, den alle SuS individuell je nach Lerntempo und Lernkapazität erlernen können, erlaubt darüber hinaus eine Option für lernstarke Schüler ausreichend gefördert zu werden.

Grundlegend führt der individualisierende Unterricht in vielen Faktoren zu einer positiven Individualisierung, doch die Individualisierung kann auch negative Komponenten haben. Die Kehrseite des individualisierenden Unterrichts, welche in der Vorlesung anhand des Fallbeispiels von Nele und Tarkan veranschaulicht wurde, ist eine gewisse Isolation der einzelnen SuS. Jeder arbeitet für sich an seinen Aufgaben und auch wenn in dem Konzept Austausch und Hilfe zwischen den SuS angedacht ist, muss dies nicht zwingend stattfinden. Dass ein SuS mehr Aufgaben in der gleichen Zeit geschafft im Vergleich zu einem anderen kann auch zu Abgrenzung und Hierachieverhältnissen innerhalb der Lerngruppe führen. Demnach ist individualisierender Unterricht auch kritisch zu betrachten; diese kritische Betrachtung war für mich eine wichtige Einsicht der Vorlesung.

So sehr individualisierender Unterricht jedes Individuum einer Lerngruppe einzeln fordert und fördert, so muss meiner Meinung nach die Gemeinschaft einer Lerngruppe ebenso gefördert sowie gestärkt werden. Im Extremfall könnte der individualisierende Unterricht zu einer vollständigen Isolation aller SuS führen, wo jegliche Interaktion fehlt. Ebenso kann der unterschiedliche Lernfortschritt ein Grund für Mobbing sein. Letzteres scheint eher im Fall des individualisierenden Unterrichts eine naheliegende Idee zu sein, da hier offensichtlich alle SuS auf einem anderen Lernstand sind, doch betrachtet man den Unterricht als Klassengespräch, liegt der Grund für die Ausgrenzung eines Schülers/einer Schülerin ebenso nahe. Hier wird davon ausgegangen, dass alle SuS zur gleichen Zeit auf dem gleichen Lernstand sind. Ist ein Mitglied der Lerngruppe weit hinterher oder weit voraus fällt dies besonders auf. Im Falle des individualisierenden Unterrichts ist es ein Grundsatz, dass alle auf einem unterschiedlichen Lernstand sind. Somit lässt sich die kritische Sichtweise auf den individualisierenden Unterricht, welche in der Vorlesung als “ambivalente kompensatorische Hilfe und interne Ausgrenzung” formuliert wurde, auch in gewisser Weise auf den Unterricht im Klassengespräch übertragen, denn dort fällt es noch mehr auf, wenn einer/eine vom “Standard” abweicht.

Es ist unbestreitbar, dass individualisierender Unterricht eine höhere Komplexität im Bezug auf Unterrichtsplanung und -organisation darstellt. Eine kritische Sichtweise vor allem bezogen auf diese Punkte hilft meiner Meinung nach deutlich die Herausforderung des individualisierenden Unterrichts zu meistern. Die Auseinandersetzung mit individualisierendem Unterricht in beiderlei Weise fördert zudem einen guten Umgang mit Leistungsheterogenität in einer Lerngruppe. Anhand einer solchen Auseinandersetzung ist es möglich zu reflektieren, inwieweit es hilfreich ist, die Leistungsheterogenität innerhalb einer Lerngruppe hervorzuheben oder die Lerngruppe versuchen zu homogenisieren. Daraus kann dann auch eine Mischung aus dem Unterricht als Klassengespräch und individualisierendem Unterricht entwickelt werden. Aus einer kritischen Sichtweise auf individualisierenden Unterricht lässt sich zudem schlussfolgern, was Schule im Hinblick auf individuelle Förderung überhaupt in der Lage ist zu leisten.

 

Fragen für die Beobachtung in Praktika basierend auf einer schul- und unterrichtstheoretischen Sicht auf individualisierenden Unterricht

  • Wie wird der Unterricht durchgeführt?
  • Inwieweit wird hier individualisierender Unterricht praktiziert?
  • Welche Elemente des beobachteten Unterrichts sind individualisierend und welche basieren auf einer Homogenisierung der Lerngruppe?
  • Lässt sich ein Muster in der Motivation der Schüler basierend auf der verwendeten Unterrichtsform/Unterrichtsmethode erkennen?
  • Konnten Ausgrenzungen innerhalb der Lerngruppe aufgrund von Leistungen beobachtet werden?
  • Wie ist der Klassenraum gestaltet und angeordnet? In welcher Form hat dies Auswirkungen auf den Unterricht?
  • Wie ist die Interaktion zwischen den Schülern?
  • Beteiligen sich alle SuS gleichermaßen am Unterrichtsgeschehen? Wie lässt sich die Beobachtung mit den verwendeten Unterrichtsmethoden in Verbindung setzen?

 

 

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