Abschlussreflexion

14. August 2019

Als zentrale erziehungswissenschaftliche Erkenntnisse der Ringvorlesung “Umgang mit Heterogenität in der Schule” nehme ich für mich die Aspekte der Heterogenität im Bezug auf das Fachlernen sowie das Konzept der Individualisierung von Unterricht mit. In Vorlesung 3 hat Dr. Christoph Kulgemeyer mit Bezug auf Wellenreuther 2002 Aspekte der Heterogenität genannt, welche Auswirkungen auf das (unterschiedliche) Lernverhalten von SchülerInnen haben. Da alle SchülerInnen über eine unterschiedliche Wissensbasis verfügen, ist die zu lernende Informationsmenge individuell. Außerdem lernen alle SchülerInnen unterschiedlich schnell, da sie, aufgrund individueller kognitiver Fähigkeiten, Informationen unterschiedlich schnell verarbeiten (können). Zudem finden sich Unterschiede in den Bereichen Affektion, d.h Lernlust und Motivation, sowie Meta-Kognition. Letzteres beschreibt die unterschiedlichen Lernstrategien und Herangehensweisen an Aufgaben der SchülerInnen. Meiner Meinung nach ist es wichtig, sich diese Heterogenitätsaspekte im Bezug auf das Lernen bewusst zu machen, denn nur dann ist es möglich Unterricht zu gestalten, von dem die Mehrheit der SchülerInnen profitiert. Außerdem wurde in der Vorlesung von Dr. Kulgemeyer auf den Matthäus Effekt eingegangen: “Es zeigt sich, dass sich bei gleichem Unterrichtsangebot diese Unterschiede automatisch vergrößern.” Somit bedarf es grundsätzlich aufgrund der Heterogenität einer Klasse eine individuelle Förderung, um zu verhindern, dass sich die Leistungsheterogenität weiter vergrößert. In Vorlesung 4 hat Prof. Dr. Till-Sebastian Idel das Konzept der Individualisierung vorgestellt, welches “eine schulpädagogische Antwort auf Leistungsheterogenität” darstellt. Unter Anderem bezieht sich Idel dabei auf Bohl 2013, der Individualisierung wie folgt beschreibt: “Individualisierung  umfasst  das  Auswählen  und  Bereitstellen  individuell  passender  Lernangebote  auf Basis  einer  zuvor  erfolgten  Erfassung  der  Lernvoraussetzungen  der  Schüler/-innen“ (Bohl  2013,  S.  250). Idel beschreibt Individualisierung somit als ein didaktisches Prinzip, woraufhin er anhand des Beispiels Gesamtschule Mitte Ansätze der Individualisierung des Unterrichts darstellt. Beispielsweise den Wochenplan und die Selbstkontrolle als Möglichkeiten der Planarbeit sowie das Kompetenzraster und Freitext als Formen der individualisierten Leistungsbewertung in Form von Lernentwicklungsberichten.

Ich studiere die Fächer Physik und Englisch, wo ich einerseits dem sprachsensiblen Fachunterricht, der Unterscheidung von Fach- und Alltagssprache sowie den geschlechtsbezogenen Unterschieden im Sprach- und Naturwissenschaftsunterricht eine Bedeutung beimesse. In der Vorlesung 10 von Dr. Andrea Daase und der Vorlesung 11 von  Mareike Tödter wurde einerseits sprachsensibler Fachunterricht sowie andererseits der mehrsprachigkeitsdidaktische Ansatz thematisiert. Dabei ist Daase darauf eingegangen, dass sprachsensibler Fachunterricht unter anderem auf den bewussten Umgang mit Sprache beim Lehren und Lernen achtet, da Sprache die Grundvoraussetzung für das Erlernen von Fachinhalten ist (vgl Leisen 2010: 3ff.).  Für Kinder, die Deutsch als Zweitsprache lernen, stellt Englisch eine weitere Sprache dar, welche ihnen unter Verwendung der Sprache Deutsch, welche sie mehr oder weniger gut beherrschen, beigebracht wird. Ist das Verständnis von Deutsch schlecht, wird somit auch das Erlernen der englischen Fachinhalte erschwert bzw vollständig behindert. Als Lösungsansatz kommen hier die Mehrsprachigkeitsdidaktischen Ansätze in Frage, auf die Tödter in ihrer Vorlesung mit Bezugnahme auf Mehlmann und Doff (2019: 26, 27) eingegangen ist. Bei dieser Methode wird das Erlernen des Englischen über andere Sprachen als das Deutsche gemacht. Im Hinblick auf SchülerInnen, die Deutsch als Zweitsprache lernen, sehe ich im Hinblick auf den Englischunterricht klare Herausforderungen, wenn die SchülerInnen hier mit zwei neuen Sprachen konfrontiert werden. Auch für SchülerInnen, deren Muttersprache Deutsch ist, kann der Physikunterricht durch Sprachbarrieren erschwert werden. In Vorlesung 3 ist Dr. Christoph Kulgemeyer auf den Unterschied zwischen Fach- und Alltagssprache eingegangen, was unter anderem im Physikunterricht ein Hindernis darstellt. So haben gewisse Begriffe wie z.B. “Kraft” im Alltag eine andere Bedeutung als im physikalischen Kontext. Folglich muss im Physikunterricht darauf geachtet werden, solche Begriffe hinsichtlich beider Bedeutungen zu behandeln und auf die Bedeutung hinweisen, die für den Physikunterricht entscheidend ist. Hier kann eine Vokabelliste für solche fachsprachliche Begriffe hilfreich sein, um das Verständnis der Schüler zu erleichtern. In der Vorlesung 13 ist Dr. Christoph Fantini auf genderspezifische Unterschiede in Fachunterricht eingegangen. Da sind für mich vor allem die folgenden Aussagen für meine Fächer von Bedeutung: Erstens, dass eine Benachteiligung von Mädchen in MINT-Fächern feststellbar ist (u.a. Faulstich-Wieland 1995, S 128; Gildemeister 2009) und zweitens, dass Jungen Nachteile in sprachlichen Fächern haben (Faulstich-Wieland schon seit 1988). Somit muss in der Didaktik des Physikunterrichts verstärkt auf die Mädchen und in der Englischdidaktik auf die Jungen geachtet werden, sodass es jeweils keine Nachteile für das jeweilige Geschlecht gibt. Eine geschlechtsunspezifische Gleichbehandlung sollte in alle Unterrichtsfächern, auch unabhängig vom Geschlecht der Lehrkraft, stattfinden.

Aus allen Vorlesungen nehme ich die zentrale Frage mit, wie Unterricht gestaltet werden kann, sodass alle SchülerInnen davon profitieren? Ist es überhaupt möglich, den Unterricht so zu gestalten, dass alle SchülerInnen einer heterogenen Klassengemeinschaft gleichermaßen einen Lernerfolg haben? Ich denke diese Fragen sind zentral für das Lehrerhandeln, da grundsätzlich ja erstmal der Wunsch ist, dass alle SchülerInnen auf gleiche Weise von den Unterrichtsmethoden profitieren. Doch inwieweit ist Differenzierung innerhalb des Unterrichts möglich? Was kann eine Lehrkraft dahingehend leisten? In den verschiedenen Vorlesungen wurden bereits einige Methoden genannt, wie eine Individualisierung und Differenzierung innerhalb des Unterrichts erfolgen kann, doch möchte ich diesbezüglich gerne mehr erfahren. Abgesehen von der Thematik der Unterrichtsanpassung an Leistungsheterogenität, interessiert mich die Fragestellung wie geschlechterspezifische Unterschiede bzw die Bevorzugung von einem Geschlecht  in gewissen Fächern überwunden werden kann. Mit diesem Thema wurde ich selbst aufgrund meinem Interesse an Physik teilweise konfrontiert, da es scheinbar noch viele Menschen gibt, die physikbegeisterte Mädchen und Mädchen, die leistungsstark in Physik sind, für untypisch halten.

Ich denke, allgemein ist es als Lehrkraft eine Herausforderung mit der Heterogenität einer Lerngruppe so umzugehen, dass alle individuelle Förderung erhalten und das in der Vorlesung 1 (Referentin: Dr. Prof. Dr. Yasemin Karakaşoğlu) erklärte Prinzip von Equity umgesetzt wird. Als Lehrkraft, die meistens alleine für eine große Gruppe von SchülerInnen verantwortlich ist, ist es aus meiner Sicht eine große Herausforderung jedem Schüler gleichermaßen gerecht zu werden und somit alle am Ende einer Lerneinheit auf den gleichen Wissensstand gebracht zu haben. Leistungsheterogenität, was aus meiner Sicht auch Sprachdifferenzen beinhaltet, sehe ich als größte Herausforderung. Im Bezug auf Heterogenität im Sinne von ethnischer Herkunft, Religion etc sehe ich das unbewusste Diskriminieren von gewissen Kulturen als problematisch an. In Ringvorlesung 2 (Referentin: Dr. Prof. Dr. Yasemin Karakaşoğlu) wurde vor diesem Hintergrund der Begriff “Doing Culture” eingeführt und anhand eines Beispiels verdeutlicht. Ich denke jeder Mensch hat, wenn auch ungewollt und unbewusst, Vorurteile und Stereotype gegenüber Kulturen, die dessen Verhalten gegenüber anderen Menschen (unbewusst) beeinflussen. Sich komplett von Vorurteilen und stereotypischen Denken zu lösen, ist aus meiner Sicht sehr schwer, wenn nicht sogar nahezu unmöglich. Als Lehrkraft sehe ich daher die Herausforderung, Situationen von “Doing Culture” zu vermeiden und vollkommen frei von stereotypischen Denken im Klassenraum zu sein. Um sich auf diese Herausforderungen des LehrerInnenalltags vorzubereiten, ist er meiner Meinung nach hilfreich sich verstärkt mit Möglichkeiten des Umgangs mit Leistungsheterogenität zu befassen und auch im Rahmen von Praktika einen Einblick in den Schulalltag zu gewinnen und zu beobachten, wie LehrerInnen damit umgehen. Im Bezug auf stereotypisches Denken kann es helfen, sich selbst kritisch zu reflektieren, wenn man auf der Straße im Alltag anderen Menschen begegnet. Welche Gedanken kommen mir, wenn ich gewisse Begegnungen habe oder Situationen erlebe? Eine selbstkritische Reflexion kann helfen, eigene Stereotypisierungen aufzudecken und in Zukunft zu vermeiden. Ebenso sehe ich den Austausch mit anderen als hilfreich an.