Inklusion oder Exklusion? – Die Kategorisierung von Menschen in Schulen

Der Begriff „Inklusion“ ist theoretisch gesehen als Ziel eines nicht wirklich leichten Weges in die (Schul-)Gemeinschaft zu verstehen, entsteht also nicht einfach so „aus dem Nichts“. Schüler unterscheiden sich nicht nur, wie in den vorherigen Beiträgen ausgeführt, durch ihre kulturellen Herkünfte, sondern können sich auch durch ggf. einer Behinderung von anderen Schülern abgrenzen. Diese Art der Unterschiede ist allerdings meist schwieriger zu bewältigen, als „bloße“ Migrationshintergründe oder Sprachbarrieren. Wenn ein Kind unter einer Behinderung leidet, führt dies oft zu der theoretisch bezeichneten „Exklusion“ des normalen Unterrichtsumfeldes. Oftmals werden solche Kinder abgetrennt in anderen Bildungseinrichtungen unterrichtet. Dies nennt sich „Separation“. Dennoch gibt es in vielen Schulen auch die Möglichkeit für solche Kinder, durch sonderpädagogische Unterstützung an dem normalen Unterricht teilzunehmen und dem normalen Klassenverband anzugehören. Diese Möglichkeit wird bereits in vielen Schulen angeboten, um möglichst alle Schüler in den normalen Klassenverband integrieren zu können. Dies erscheint mir von besonderer Wichtigkeit, da oftmals auch behinderte Kinder überraschenderweise sehr gut dem normalen Unterricht folgen können. Gleichzeitig finde ich diese Integration wichtig, damit die Kinder, die nicht behindert sind, lernen, mit behinderten Menschen zusammenzuarbeiten. Ich würde es als unangebracht erachten, wenn sogar später in den Berufsfeldern eine solche den Behinderungen entsprechende Separation entstehen würde. Spätestens im Beruf sollte es möglich sein, dass alle Menschen, mit und ohne Behinderung, zusammenarbeiten können. Also wieso nicht direkt von klein auf dies anfangen zu lernen? Ein Klassenverband ist garantiert eine gute Möglichkeit für die Kinder, nach und nach zu lernen, wie man mit Behinderungen umgehen sollte. Vielleicht erkennt der ein oder andere Schüler auch, dass ein solcher Unterschied zwischen den Schülern gar kein wirkliches Problem ist. Deshalb finde ich es wichtig, dass jeder Schüler sich mit diesen Begriffen der „Exklusion“ und der „Inklusion“ vertraut macht und diese für sich hinterfragt. Gleichzeitig finde ich es wichtig, dass dabei jeder in einer gewissen Weise die Begriffe ähnlich versteht. Was genau bedeutet Inklusion? Ist die Inklusion ein automatischer Prozess oder wird er manuell durch unsere Einstellungen und unser Verhalten gelenkt? Und was heißt eigentlich „behindert sein“? Was bedeutet für mich „Behinderung“? Wann bin ich behindert? Woran erkennt man das? Warum wird man überhaupt kategorisiert? Diese Fragen sind für mich sehr wichtig, deren Antworten könnten aber nicht individueller ausfallen. Und genau deshalb finde ich es schwierig, allgemeine Definitionen zu finden, die die Vorstellungen aller einbezieht.

 

In einer Vorlesung zum Thema Inklusion wurden uns Studentinnen in dem Modul „Erziehungswissenschaften“ vier Fallbeispiele gegeben. Es geht um Schüler, die alle individuelle Probleme und Verhalten im Unterricht haben. Ein Schüler namens Finn fällt durch Ungeduldigkeit und häufige Angespanntheit auf und verliert schnell die Konzentration. Die Schülerin Hanna bedarf mehrmals die Woche eine gesonderte Förderung im Mathematikunterricht. Dennoch ist sie sehr motiviert, wird aber schnell frustriert, wenn ihr gewisse Aufgaben nicht direkt gelingen. Malik ist ein Schüler, der geistig noch nicht entsprechend entwickelt ist und sich beispielsweise nicht alle Buchstaben merken kann und somit nicht entsprechend lesen kann. Lena ist eine Schülerin mit einer besonderen Behinderung, sie sitzt im Rollstuhl und kommuniziert mithilfe von Mimik und Gestik sowie Bildkarten. Daher benötigt sie immer sehr viel Unterstützung im Unterricht durch eine Assistentin.

Damit diesen Schülern eine entsprechend inklusive Bildung erhalten, muss allen voran der Unterricht und das Verhalten der anderen Schüler dieser angepasst werden. Beispielsweise für Lena müsste der Klassenraum zunächst rollstuhlgerecht gemacht werden, gleichzeitig müssten die anderen Schüler, die keine Behinderung haben, darüber aufgeklärt werden, wie sich das eigentlich „normale“ Unterrichtskonzept sehr wahrscheinlich verändern wird. Gleichzeitig sehe ich es wichtig, darauf zu achten, dass trotz dessen die Forderung anderer Schüler nicht vernachlässigt wird. Die Leistung keines Schülers sollte dadurch vernachlässigt werden. Auch sehe ich hier die Schwierigkeit, auf dieser Weise den Lehrplan einhalten zu können. Wenn ich beispielsweise an meine eigene Schulzeit zurückdenke, dann war es zu jeder Zeit durchaus eine Herausforderung für die Lehrer, schon mit Schülern, die (lediglich) kleine Lernschwierigkeiten hatten, den Lehrplan zeitgemäß durchzuziehen und die Inhalte in dem Zeitraum durchzuarbeiten. Oft ist mir aufgefallen, dass gerade dadurch die Lehrer keine Zeit haben, sich mit individuellen Problemen der Schüler*innen zu beschäftigen. Selbst wenn sie es wollten. Mein Mathematiklehrer hat sich beispielsweise viel Zeit für die Mitschüler meiner Klasse genommen, die im Mathematikunterricht eindeutig Förderung benötigten. Er hat sich mehr Zeit genommen als er hatte und hat damit gleichzeitig in Kauf genommen, ein Themengebiet des Lehrplans nicht durchgenommen zu haben. In diesem Fall war es ihm wichtiger, dass wir Schüler das eine komplexe Thema komplett verstehen, als unbedingt alle Themen durchzugehen. Andere Lehrer aus meiner Schulzeit haben sich damit nie beschäftigt und sich auch nicht bemüht, dass wir Schüler alle die Inhalte entsprechend individuell verstehen. Ich habe gemerkt, dass die Einstellung der Lehrer diesbezüglich durchaus unterschiedlich ist. Dies ist aber auf der anderen Seite kein Wunder, denn wenn alle Lehrer den Unterricht entsprechend der individuellen Probleme der Schüler einer jeden Klasse machen würden, bräuchte dann nicht letzten Endes jeder Schüler einen Lehrer für sich, der sich voll und ganz auf die individuellen Bedürfnisse und benötigen Rahmenbedingungen für ein erfolgreiches Lernen beziehen kann? Wenn ich mir überlege, dass ich selber Lehrerin bin und die Klassenlehrerin einer Klasse von 20 Schülern bin, wie kann ich mich auf die einzelnen Bedürfnisse beziehen? Denn, ehrlich gesagt, empfinde ich eine Lernbehinderung nicht nur als eine solche, die sich auf den körperlichen Zustand eines Menschen/Schülers bezieht, sondern allgemein eine persönliche Schwierigkeit, unter normalen Umständen dem Unterrichtsinhalt zu folgen und diesen zu verstehen. Außerdem würde ich es als schwierig auf Seite des Lehrers sehen, alle Schüler transparent und „fair“ zu bewerten bzw. zu benoten. Wie kann man da entsprechend der individuellen Behinderungen fair benoten, ohne, dass sich Schüler ungerecht behandelt fühlen? Entsprechend welcher Maßstäbe müsste da die Bewertung erfolgen? Die Frage könnte ich als Lehrerin nur schwer beantworten. Vor allem, wenn man bedenkt, dass solche Benotungsunterschiede ja schon zwischen normalen Oberschulen und Gymnasien verschiedener Bundesländer in Deutschland vorliegen. Wie können schulische Abschlüsse dann noch vergleichbar sein?

Dennoch finde ich das Thema durchaus interessant und empfinde es als wichtig, sich dennoch mit dem Thema der Inklusion zu beschäftigen. Nach den Sommerferien werde ich für mein Lehramtsstudium ein erstes Orientierungspraktikum machen, um erste Einblicke vom Unterricht aus der Lehrerperspektive zu erhalten. In diesem Praktikumskontext wird es garantiert interessant sein, diesen Prozess der Inklusion zu beobachten. Ich würde dem entsprechend beobachten wollen, ob zum einen Schüler mit Behinderungen in dem normalen Klassenverband integriert wurden und wenn ja, wie die anderen Schüler mit dieser Integration umgehen und wie der Unterricht (trotzdem) fließend weiterläuft oder ob der Unterricht evtl. entsprechend eine andere, angepasste Form erhalten hat. Wie gehen Lehrer und auch die Mitschüler mit der Inklusion um? Sind überwiegend positive Erfahrungen erkennbar? Beeinflusst eine solche Integration ggf. sogar positiv das Klassenklima und die Schulgemeinschaft allgemein? Dies sind Aspekte, die ich im Hinterkopf behalten möchte und auf die ich zum Start meines Orientierungspraktikums nochmal zurückgreifen möchte.

Für mich ist die Schule als Institution durchaus ein Ort, an dem Schüler selektiert werden. Die Kategorien könnten dabei nicht vielfältiger sein. Ungefähr so vielfältig, wie jeder einzelne Schüler tatsächlich auch ist.

Published in: on 27. Mai 2020 at 10:50 Comments (2)
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