Leistungsunterschiede und -kompetenzen: Bereicherung für den Unterricht eines jeden Faches

Kinder/Schüler sollen in der Schule voneinander und miteinander lernen. Die Schule wiederum soll sie auf das ihnen zukommende Berufs- und Alltagsleben vorbereiten. Der Schlüssel zu dieser Qualifikation liegt nahe: Leistung. Um dies möglich zu machen, bedarf es einer inklusiven Gemeinschaft an Schulen, sprich: einer Forderung nach Inklusion, um eben diesem Leistungswettbewerb gerecht zu werden und jedem Schüler möglichst die gleichen Chancen zu gewährleisten. In der Praxis sieht dies allerdings in den meisten Schulen noch immer anders aus, da Inklusion durchaus auch Probleme, sogenannte Dilemma mit sich bringen kann.

Heute Morgen habe ich auf der Homepage der „Welt“ einen Artikel mit dem Titel „Murat bekommt für dasselbe Diktat eine schlechtere Note als Max“ gelesen. Schon bei diesem Titel konnte ich nur den Kopf schütteln. In dem Artikel geht es um eine experimentelle Studie, die beobachten sollte, wie über 200 Lehramtsstudenten die identische Leistung zweier Schüler (abhängig?) von ihrem Namen bewerten. Die beiden Diktate wurden mit jeweils den gleichen Fehlern geschrieben, allerdings wurde das Diktat von Murat schlechter bewertet als das von Max. Durch diese Studie wird deutlich, dass die Herkunft eines Schülers durchaus einen Einfluss auf die Benotung von Leistungen durch die Lehrkraft haben kann. Dieser Artikel ist für mich ein sehr gutes Beispiel für das (meiner Meinung nach) Hauptproblem bezüglich der Inklusion in Schulen: Die Zustimmung. Inklusion erfordert die freie Zustimmung der beteiligten Akteure. Bedeutet also, dass nicht nur die Schüler, die inkludiert werden sollen, dies auch möchten, also dafür bereit sein müssen und grundsätzlich „mitmachen“. Genauso wichtig, wenn nicht sogar noch wichtiger, ist die Zustimmung seitens derjenigen, die die Schüler inkludieren, also sowohl die anderen Schüler als auch die Lehrkräfte. Wenn die Lehrkräfte durch beispielsweise gewisse Vorurteile die Erwartung haben, eine schlechte Leistung der Schüler, die inkludiert werden sollen, zu bekommen, werden diese sehr wahrscheinlich auch als solche bewertet. Das Bild eines schlechten Schülers mit z.B. türkischen Wurzeln im Kontrast zu einem guten Schüler mit z.B. deutschen Wurzeln ist leider noch bei (zu) vielen Lehrkräften verbreitet.

In diesem Kontext werden für mich zwei weitere mir sehr wichtige Probleme deutlich – das sogenannte Differenzstärkungs- und das Kategorisierungsdilemma. Durch die höhere Sichtbarkeit/den stärkeren Fokus auf die Heterogenität in den Schulen werden die Differenzen im Hinblick auf Leistung und Verhalten zwischen einzelnen Schülern immer deutlicher. Das Problem hier liegt darin, dass die Gefahr entstehen kann, dass sich dann potenziell insbesondere die Schüler mit Problemen oder Förderbedarf beschämt oder schlecht fühlen und allgemein abgewertet werden. Schüler werden entsprechend ihrer Leistung kategorisiert (oft sogar über die Leistung hinaus) Auch hier spielt, meiner Meinung nach, die Lehrkraft eine sehr wichtige und entscheidende Rolle, denn ein solches Gefühl seitens der leistungsschwachen Schüler entsteht nur dann, wenn die Differenz auch so negativ (vom Lehrer) vermittelt wird. Aber kann diese Differenz nicht auch positiv genutzt werden?

Zu dieser mir selbst gestellten, wohl rhetorischen Frage fällt mir als positives Beispiel wieder mein Mathelehrer aus der Sekundarstufe ein. Diesen hatte ich ja bereits im Kontext eines anderen Blogthemas erwähnt. Meine Schule war keine offizielle Inklusionsschule, war und ist noch immer Teil eines Projekts mit dem Titel „Schule ohne Rassismus – Schule mit Courage“ und setzt sich für Menschen aus unterschiedlichen Nationen, mit unterschiedlicher Hautfarbe, Religion und Kultur ein. Dieses Projekt brachte mein Mathelehrer sogar in unseren Matheunterricht ein. Er machte sich stets Gedanken darüber, wie wir alle den (meist schweren) Mathestoff am besten verstehen können. Ihm war der Leistungsunterschied zwischen einzelnen Schülern durchaus bewusst und hat sich dem entsprechend eine spezielle Gruppen-Sitzordnung explizit für seinen Matheunterricht überlegt. An jedem der vier oder fünf Gruppentische setzte er zunächst einen leistungsstarken und einen förderbedürftigen Schüler. Die durchschnittlichen Schüler verteilte er zum Schluss auf die übrigen freien Plätze. In meiner Klasse wurde diese Sitzordnung mit Begeisterung aufgenommen und dadurch, dass bei uns stets ein tolles Klassenklima herrschte, fühlte sich niemand abgewertet, ganz im Gegenteil. Wir haben verstanden, dass mein Mathelehrer mit dieser Methode auf keinen Fall jemanden abwerten wollte oder die Differenzen zwischen uns betonen wollte. Er wollte die Leistung der Schüler ohne Matheprobleme nutzen, um den Schülern mit Problemen besser helfen zu können. Wir sollten uns gegenseitig helfen, miteinander und voneinander lernen. Und dies merkte sich durchaus bei einigen der leistungsschwächeren Schüler von uns. Wir haben uns, wenn auch nicht alle, merklich verbessert, auch ich. Vor dieser Sitzordnung war ich mit meiner Leistung im Mittelfeld, dann wurde meine Leistung aber besser und ich schrieb tatsächlich Zweien. Meinem Lehrer ist es also gelungen, einen Weg zu finden, den Mathematikunterricht entlang der Individualforderung und -förderung zu gestalten. Wir wurden von ihm zwar entsprechend unserer Leistung kategorisiert, allerdings tat er dies lediglich zu unseren Gunsten und nur, weil es wichtig war, um uns entsprechend auf die Gruppentische aufzuteilen. Ohne dem Leistungsbewusstsein, sei diese auch noch so unterschiedlich zwischen Schülern, kann auch nicht entsprechend einer Inklusion gehandelt werden. Denn wie soll man sowohl als Lehrkraft als auch als Schüler eine Inklusion für leistungsschwache Schüler bereitstellen, wenn man keine Leistungsrichtlinien hat, entlang denen man die Schüler einstufen kann? Gerade dies ist meiner Meinung wichtig. Wenn mein Mathelehrer sich damals unsere gute/schlechte Leistung nicht bewusst gemacht hätte oder diese Differenzen ignoriert hätte, um niemanden abzugrenzen, hätte er uns nur sehr eingeschränkt helfen können und sehr wahrscheinlich keinen so großen Erfolg in der Verbesserung unserer individuellen Leistung gehabt.

 

Auch in anderen Fächern kann ein Bewusstsein über die Differenzen einzelner sowohl auf Seite der Schüler als auch seitens der Lehrkraft von Vorteil sein. Da ich Spanisch und Englisch studiere, mache ich mir natürlich insbesondere Gedanken darüber, wie ich später meinen Sprachunterricht entsprechend der Inklusion gestalten kann und den Schülern helfen kann, die Sprachen einfacher und besser zu verstehen. Gerade beim Erlernen von Fremdsprachen sehe ich die Heterogenität, die in den Schulen herrscht, mehr als vorteilhaft. Wenn ich mir vorstelle, eine Klasse zu unterrichten, die nur aus Schülern besteht, die Deutsch als Muttersprache haben, würde ich dies durchaus als deren Nachteil sehen, denn Vielsprachigkeit innerhalb einer Schul- oder auch Klassengemeinschaft kann Schülern dabei helfen, andere Sprachen schneller oder besser zu verstehen und sich gegenseitig oder auch der Lehrkraft zu helfen. Im Spanisch/Englischunterricht kann es durchaus hilfreich sein, wenn man z.B. italienische oder französische Wurzeln hat oder grundsätzlich schon eine zweite Sprache sprechen kann, denn diesen Schülern wird es dann sehr wahrscheinlich einfacher fallen, eine neue Sprache zu lernen. Gleichzeitig kann ein Schüler/eine Schülerin, die Spanisch als Muttersprache hat, sowohl den Mitschülern als auch der Lehrkraft eine Hilfe sein, da sie z.B. bei neuen Vokabeln gute Satzbeispiele liefern kann oder eine bessere, genauere Übersetzung geben kann. Dies habe ich in meiner eigenen Schulzeit ebenfalls erlebt. Während der Oberstufe hatte ich Spanisch als Leistungskurs gewählt. Zufällig saß im gleichen Kurs ein Mädchen, die eine spanische Mutter hat, somit Spanisch und Deutsch ihre Muttersprachen sind und ihr Spanisch dementsprechend sehr gut war. Sie war stets hilfsbereit und hat uns in Gruppenarbeiten, bei Textanalysen etc. Auch hat sie uns oft geholfen, Wörter zu übersetzen, die selbst unser Spanischlehrer nicht gut übersetzen konnte. Das war wirklich hilfreich.

Ein weiteres Beispiel ist ein anderer Mitschüler aus dem gleichen Spanischkurs, der rumänische Wurzeln hatte. Er gehörte zu den leistungsstärksten Schülern in dem Kurs. Es fiel ihm sehr leicht, Spanisch zu lernen und sich spanische Wörter zu merken, da die spanische Sprache und die romanische Sprache sehr ähnlich sind. Ihm hat seine Vielsprachigkeit ein Vorteil gebracht und dabei geholfen, eine weitere Sprache fast problemlos zu lernen. Ich, die Deutsch als Muttersprache habe, brauche deutlich länger, um auf den gleichen Leistungsstand zu kommen.

 

Wenn ich also später als Spanisch- und Englischlehrerin anfange zu arbeiten, würde ich mich freuen, wenn ich viele vielsprachige Schüler in meiner Klasse hätte, denn dies ist in jedem Falle eine Bereicherung für alle. Gleichzeitig möchte ich auch auf etwas anderes besonders achten: genderbewusstes Unterrichten. Schon alleine beim Schreiben dieses Blogeintrags werde ich immer wieder vor die Herausforderung gestellt, möglichst gender-neutral zu schreiben. Statt Lehrer*in zu schreiben, habe ich mir nun seit nicht mal allzu langer Zeit angewöhnt, Begriffe wie Lehrperson oder Lehrkraft zu verwenden. Bei solchen leicht austauschbaren Begriffen scheint dies ja weniger ein Problem. Doch wie kann ich meinen Unterricht dementsprechend gestalten? Ich als Lehrkraft habe da nur in einem geringen Maß Einfluss drauf und kann dies nur sehr gering bestimmen. Wenn man sich allein die Lehrbücher anschaut, wird man merken, wie sehr noch immer gegendert wird. Bei den Vokabeln im Sprachunterricht wird dies sehr deutlich. Bestimmte Berufe werden als Männerberuf definiert, andere wiederum als Frauenberuf. Beispiele sind Arzt, Kassiererin, Arzthelferin, Koch, Polizist, Auch die vielen Bilder in z.B. Spanischlernbüchern weisen darauf hin. In dem Spanischbuch aus meinem Spanischunterricht, daran erinnere ich mich noch gut, wurden diese Berufe mit Bildern dargestellt, dabei wurden der Polizist, der Koch und der Arzt jeweils männlich dargestellt, Lehrerin, Arzthelferin und Hausfrau als weiblich. Auch die Nationen wurden den Stereotypen entsprechend Cartoon-artig dargestellt. Dementsprechend werde ich auf so etwas kaum Einfluss haben, allerdings kann ich versuchen, meine eigenen zusätzlichen Aufgaben so zu gestalten, dass weder bestimmte Dinge nur entsprechend des einen oder des anderen Geschlechtes gelernt und mit diesem assoziiert werden. Wörter wie „Kindermädchen“ oder „Mutterschutz“ würde ich allgemein vermeiden und den Inhalt mit anderen Wörtern, auf einer anderen Weise beschreiben. Auch Assoziationen mit bestimmten Nationen, wie deutsch (=Bratwurst?), türkisch (=Kopftuch?), französisch (=Baguette?) würde ich versuchen zu vermeiden. Denn mit diesen Assoziationen verhält es sich am Ende genauso wie mit den Schülern. Es gibt nicht nur den EINEN deutschen Menschen, der Bratwurst isst. Deutsche Personen sind genauso vielfältig und verschieden, wie türkische, französische. So ist es auch bei Schülern. Leistungsstarke Schüler sind nicht direkt deutsch, leistungsschwache Schüler haben nicht alle einen Migrationshintergrund. Vielen von denen, die in meiner Klasse damals Förderbedarf in Mathe hatten, waren deutsch. Eine der sehr guten Matheschüler war dagegen türkisch.

Leistungs-, Verhaltens- und sonstige Unterschiede sind somit weder auf die verschiedenen kulturellen Hintergründe zurückzuführen, noch sind sie grundsätzlich als etwas Schlechtes anzusehen. Ganz im Gegenteil. Solche Unterschiede können für jeden einzelnen Schüler durchaus von Vorteil sein und sich positiv auf die Leistung aller Schüler auswirken. Wichtig ist dabei nur, dass die Lehrkraft entsprechend handelt und ein angemessenes Bewusstsein über die Differenzen der einzelnen Schüler hat bzw. entwickelt. Und genau das stelle ich mir als persönliche Herausforderung und als Ziel. Mein Mathelehrer wird dabei garantiert als Vorbild in meiner Erinnerung bleiben.

Published in: on 10. Juni 2020 at 13:10 Comments (0)
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