TP 1b: Berufspädagogik

Berufliche Bildung im Web 2.0 – Engagement, Identität und Employability (Prof. Dr. Michael Gessler, ITB)

Teilprojekt 1b verantwortet die didaktische Gestaltung und empirische Überprüfung hinsichtlich der Entwicklung der beruflichen Identität, des Engagements sowie der Employability der teilnehmenden Jugendliche und jungen Erwachsenen.

Zentrale Fragestellungen

  1. Wird etwas im beruflichen Kontext genauso attraktiv wahrgenommen wie in anderen Performance Areas z.B. auf YouTube (Extrem-Sportarten, Musizieren etc.)?
  2. Wird ein berufliches Selbstkonzept bzw. eine Berufsorientierung auch bei berufsfernen Jugendlichen entwickelt?
  3. Unterstützt die Darbietung beruflicher Fertigkeiten im Videoportal die Entwicklung beruflichen Engagements und beruflicher Identität?
  4. Inwieweit fördert die Darstellung der eigenen Kompetenzen in einem ePortfolio die Chancen des Berufseinstiegs und die Integration in den Arbeitsmarkt?
  5. Lässt sich eine informell angelegte Video-Community-Plattform mit dem formalen Kontext (Schule, Aus- und Weiterbildung) so koppeln, dass ein didaktischer Mehrwert entsteht (z.B. Lehrerrolle, Unterrichtseinbindung)?

Hintergrund

Die Entwicklung beruflicher Identität und Engagements ist ein zentrales Anliegen der beruflichen Bildung. So ist eine berufliche Kompetenzentwicklung zwingend auf eine berufliche Identitätsbildung verwiesen (Blankertz 1983), wobei aufgezeigt werden kann, dass der Prozess der Entwicklung einer beruflichen Identität mit dem Hineinwachsen in eine berufliche Praxisgemeinschaft einher geht (Lempert 2006).
Im Handwerk bestehen günstige Bedingungen für die Entwicklung einer identifizierenden Beziehung zwischen dem Arbeitenden mit dem Arbeitsgegenstand (Sennett 2008). In stärker arbeitsteilig-organisierten Arbeitskontexten wird dieser Bezug hingegen oftmals von Partikularinteressen überlagert – der Arbeitsgegenstand verflüchtigt sich (Sennet 1998).
Die bisherigen Ansätze zur Untersuchung von beruflicher Identität und Engagements gehen von folgender Annahme aus: Die Entwicklung beruflicher Identität und Engagements ist „in Beziehung zu setzen zu den Potentialen, die die Arbeitsorganisation für ihre Entwicklung und Betätigung bietet.“ (Heinemann & Rauner 2008: 5). Diese Begrenzung auf formale Ausbildungsbezüge wird im Projekt draufhaber.tv erweitert um informelle Bezüge in einer virtuellen Praxisgemeinschaft. Angenommen wird, dass die Entwicklung beruflicher Identität und Engagement einerseits in Beziehung zu setzen ist zu den Potentialen, die eine Community für ihre Entwicklung bietet und dass andererseits in der Handlung selbst ein weiteres zentrales Entwicklungselement für die Identitätsbildung liegt. Es besteht berechtigte Hoffnung für die Annahme, dass virtuelle Gemeinschaften einen günstigen Rahmen für die Entwicklung beruflicher Identität bieten (siehe Teilprojekt Wolf).
Carlo Jäger unterscheidet Arbeitsmoral und Berufsethik als zwei zentrale normative Felder im Arbeitsprozess. Arbeitsmoral sei demnach „eine Verfassung des Gewissens, die verlangt, dass die Arbeit – gleichviel ob mühselig oder im Kern unverstanden – auftragsgemäß, gehorsam, speditiv, präzis, pünktlich etc. ausgeführt wird“ (Jäger, Bieri und Dürrenberger 1987: 75). In Abgrenzung hierzu besteht ein weiteres normatives Feld, „welches am Berufsleben nicht so sehr den Charakter einer entbehrungsvollen Pflicht als vielmehr die Qualitäten von Kooperation und Kommunikation betont. Wir bezeichnen dieses normative Feld als Berufsethik“ (Jäger 1989: 567). Während Arbeitsmoral die Form der Arbeit meint, bezieht sich Berufsethik auf den Inhalt bzw. die Gegenstände der Arbeit. Draufhaber.tv konzentriert sich auf die Arbeitsinhalte an sich, während bedeutsame und teilweise formale Aspekte der Arbeit (z.B. Arbeitssicherheit) in Draufhaber.tv. ausschließlich inhaltlich eingebettet werden. Es ist anzunehmen, dass durch diese medial erzwungene Aufmerksamkeitsverschiebung die Herausbildung einer berufsethischen Haltung gefördert werden kann, insofern die Plattform neben der Darbietung von Inhalten, Prozesse der Kooperation und Kommunikation unterstützt und fördert. Durch den wechselseitigen Bezug von z.B. „Draufhabern“ und „Durchblickern“ sind solche für die Entwicklung von Berufsethik wichtigen Bezüge angelegt. Welche weiteren Angebote erforderlich sind, gilt es im Projekt zu klären.
Experten orientieren ihr Handeln am spezifischen Fall und beziehen diesen auf frühere Fälle. Sie haben eine Theorie über Wirkzusammenhänge entwickelt und deren Regel-, als auch Ausnahmecharakter identifiziert. Experten arbeiten fall- und theoriegeleitet. Dreyfus und Dreyfus (1987) haben ein Modell der Entwicklung vom Novizen zum Experten entwickelt, das den Fähigkeitszuwachs des Experten veranschaulicht. Dieser Prozess der Entwicklung vom Novizen zum Experten soll auf Basis vergleichender Analyse der Performanz- und Re-Mix-Videos sowie der beschreibenden und reflexiven Kommentierungen untersucht werden.
Der Diskurs „Employability“ basiert auf vier konzeptionellen Verschiebungen. Die gesellschaftlichen Kontextbedingungen umfassen eine Neubestimmung des „Konzepts des Individuums“. In diesem Prozess der Individualisierung wird Verantwortung nicht mehr den Institutionen, sondern den Fähigkeiten der Person selbst zugerechnet. Die zweite Verschiebung bezieht sich auf den sozial-ökonomischen Kontext. Beschäftigungsfähigkeit wird als Ergebnis von Wettbewerbsfähigkeit und Wettbewerbsfähigkeit als Voraussetzung für Beschäftigungsfähigkeit betrachtet. Die dritte Verschiebung betrifft den (bildungs-) politischen Kontext. Beschäftigungsfähigkeit bildet eine Nahtstelle für die Verknüpfung verschiedener Politikbereiche wie Sozialpolitik, Arbeitsmarkt-, Beschäftigungs-, Wirtschafts- und Bildungspolitik. Die vierte Verschiebung betrifft den berufspädagogischen Diskurs. Employability wird in der berufspädagogischen Diskussion als Angriff auf das Berufskonzept verstanden, das es zu verteidigen gelte (vgl. Kraus 2007). Nicht beachtet wird hierbei, dass die hohen Zuwächse in den sog. „Übergangsbereichen“ bzw. die „Ausbildungslosigkeit“ als deutlicher Ausdruck der Krise des Berufsbildungssystems darstellen. Insofern diese Analyse zutreffend ist, stellen sich die in draufhaber.tv. vorgesehenen Tools wie z.B. ePortfolios als Maßgabe einer zunehmenden Individualisierung oder Auszeichnungen (z.B. vom „Grünschnabel“ bis zum „Vollchecker“) als Ausdruck einer zunehmenden Wettbewerbsorientierung dar. Inwiefern die Teilnahme am Videoportal drauhaber.tv hilfreich ist, um die Förderung von Employability zu unterstützen, wird in einem Vergleich der fortlaufenden Teilnehmerrückmeldungen ermittelt.

  • Blankertz, H. (1983): Sekundarstufen II – Didaktik und Identitätsbildung im Jugendalter. In: Benner, D.; Heid, H.; Thiersch, H. (Hrsg.): Beiträge zum 8. Kongress der Deutschen Gesellschaft für Erziehungswissenschaft. ZfPäd, Beiheft 18: 139
  • Dreyfus, H.L. / Dreyfus, S.E. (1987): Künstliche Intelligenz. Von den Grenzen der Denkmaschine und dem Wert der Intuition. Reinbek beim Hamburg.
  • Heinemann, L. & Rauner, F. (2008): Identität und Engagement: Konstruktion eines Instruments zur Beschreibung der Entwicklung beruflichen Engagements und beruflicher Identität. A+B Forschungsberichte Nr. 1/2008. Bremen, Heidelberg, Karlsruhe.
  • Jäger, C., Bieri, L. & Dürrenberger, G. (1987): Berufsethik und Humanisierung der Arbeit. Schweizerische Zeitschrift für Soziologie 13 (1): 47-62. Zürich.
  • Jäger, C. (1989): Die kulturelle Einbettung des Europäischen Marktes. In: Haller, M./Hoffmann-Novottny, H.-J./Zapf, W. (Hrsg.): Kultur und Gesellschaft. Frankfurt/ Main. 556-574.
  • Kraus, K. (2007): Vom Beruf zur Employability? Zur Theorie einer Pädagogik des Erwerbs. Wiesbaden.
  • Lempert, W. (2006): Berufliche Sozialisation. Persönlichkeitsentwicklung in der betrieblichen Ausbildung und Arbeit. Baltmannsweiler.
  • Sennett, R. (1998): Der flexible Mensch: die Kultur des neuen Kapitalismus. Berlin.
  • Sennett, R. (2008): Das Handwerk. Berlin.
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