Montag, April 12th, 2021...19:56

Interview mit der Polizei – § 238 StGB

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Am 24.03.2021 um 11 Uhr hatten wir einen Interviewtermin mit einer Kriminalkommissarin von der Polizei Bremen.

Bevor wir die Aufzeichnung des Gesprächs starteten erklärte sie uns, dass es seit 2017 eine Neuregelung für die Stalking-Strafbarkeit gibt. Somit ist ein Täter schon strafbar, wenn nur die Möglichkeit einer Gefährdung des Opfers besteht (§ 238 StGB). Davor musste das Leben der betroffenen Person schon negativ beeinflusst sein, damit sich der Täter strafbar machte. Durch die neue Regelung ist auch eine schnellere Verfolgung des Täters möglich.

Nachdem sie uns dies erklärt hatte fingen wir mit dem eigentlichen Interview an:

SPEAKER: Was genau ist Ihr Bereich und womit beschäftigen Sie sich in Ihrer Arbeit?

KRIMINALKOMMISSARIN: Ich mache häusliche Gewalt und Stalking und häusliche Gewalt ist ja mal, wenn die Leute noch zusammen in einer Hausgemeinschaft leben und oder geschieden sind. Häufig geht es dann ja um andere Sachen, wie Umgangsrechte und finanzielles und und und. Da überschneidet sich das. Aber Stalking kann ja auch eine verschmähte Liebe, oder sonst irgendwas sein, oder auch wirklich etwas krankhaftes von dem Täter, der halt meint, „die hat mich ganz besonders angeguckt und deswegen liebt die mich, die zeigt es nur niemanden“. Solche gibt es ja auch leider. Aber hier besteht ja bereits richtiger Kontakt. Im Bereich des digitalen findet häufig zuvor irgendetwas Persönliches statt und dann recherchieren viele Täter und finden dann, oder haben es noch von vorher, Facebook, Instagram und andere und belästigen dann auf diese Weise.

SPEAKER: Und wie häufig sind die Fälle des digitalen Stalkings oder der digitalen Belästigung?

KRIMINALKOMMISSARIN: Ich würde sagen – Zahlen kann ich nicht sagen – aber gefühlt spielen sich in meinem Bereich mindestens 70 Prozent irgendwie digital ab. 70 Prozent von den Stalking-Delikten hat auch irgendwelche Auswüchse im Bereich der digitalen Medien. Also Belästigung und so weiter.

SPEAKER: Das ist auf jeden Fall eine hohe Zahl.

KRIMINALKOMMISSARIN: Das würde ich sagen. Ich habe hier ein Beispiel (Fallakte wird hervorgesucht). Dies sind ein Mann und eine Frau, die zeigen sich immer gegenseitig an. Sie zeigt immer Nachstellung an. Die beiden waren ein Paar, dann waren sie wieder kein Paar, dann waren sie wieder ein Paar, haben alle Anzeigen zurückgezogen und ich wurde ganz feierlich zur Hochzeit eingeladen. Ich habe jedoch nicht zugesagt, weil ich relativ pessimistisch war, was die weitere Zusammenarbeit mit denen betraf und so war es dann auch; Jetzt sind sie aktuell nicht mehr verheiratet. Und sie zeigt an, dass er sie anschreibt, per SMS, WhatsApp und diese Messenger. Was sie nicht will. Dann hat sie sich eine Gewaltschutzverfügung geholt und das sind allein schon jeweils immer ein Delikt. Verstoß gegen richterliche Anordnung, Verstoß, Verstoß, Verstoß (blättert durch die Akte). Und dann Nachstellung und Stalking. Und er geht zum Beispiel so vor, dass er sie entweder anschreibt oder/und Liebesgeständnisse macht. Sie schreibt zurück, dass er sie in Ruhe lassen soll, dann macht er das natürlich nicht und so weiter. Er zeigt dann gelegentlich an, dass es falsch ist, was sie anzeigt. Und wir müssen dann wiederum dem Täter beweisen, dass es so gewesen ist und es muss dann auch die Beweise geben. Und beide werfen mit Beleidigungen und Drohungen um sich. Und so zieht es sich dann immer weiter.

SPEAKER: Es kommt einen fast so vor, wie ein schlechter Krimi.

KRIMINALKOMMISSARIN: Ja, genau, und weil sich sowas dann so in die Länge zieht haben wir auch Opfer die der Anzeigelust auch müde werden. Und dann gibt es extra so ein Opfertagebuch, das wir immer sagen, dass sie führen sollen, was auch als Beweismittel vor Gericht zählt.

SPEAKER: Und das Opfertagebuch wird verwendet, damit man alles auf einmal vor sich hat?

KRIMINALKOMMISSARIN: Ja, genau, sodass wir es anders haben, als bei dem Beispiel von eben. Anstatt die vielen Anzeigen wird dann eine Anzeige im Zeitraum von „…“ bis „…“ verfasst und dann wird angegeben „er hat so und so viele Male geschrieben“ und so weiter. Dass man alles zusammenfasst.

SPEAKER: Haben Sie denn auch Fälle wo alles komplett digital abläuft oder kannten die sich meistens vorher persönlich?

KRIMINALKOMMISSARIN: Wenn persönlich, dann eher, dass sie sich über solche Plattformen wie Tinder und Lovoo und was weiß ich noch kennen gelernt haben und geschrieben haben. Man hat sich vielleicht noch einmal getroffen und einer sagt dann, „das ist nichts für mich“ und der andere kann dann mit dieser Schmach schwer leben und beschuldigt die Person dann. Manche kommen auch auf ganz absurde Ideen, wie zum Beispiel eine Internetseite für die Person zu erstellen im Sinne von „ruft mich an, ich mache alles fürs kleine Geld“ und dann kriegt sie 400 Anrufe am Tag, ob sie irgendwelche sexuellen Handlungen anbietet. Und leider ist die Verfolgung von solchen Internetseiten nicht so einfach. Was es auch schwer macht, ist, dass die meisten wenig gewillt sind Social Media dann aufzugeben. Jeder hat Facebook und Instagram und niemand will es löschen. Wir raten immer dazu, aber das ist für die Leute schwer möglich. Das Leben spielt sich schon sehr viel online ab. Ich glaube die würden lieber ihre Wohnung aufgeben, als da ihren Instagram Account zu löschen. Und das gibt der Belästigung guten Boden, weil die Leute ja auch interessanterweise viel offener sind im Internet, als wenn man sich gegenüber sitzen würde und das öffnet zum Teil Tür und Tor für solche Situationen.

SPEAKER: Das Internet gibt einen eine bestimmte Anonymität und man ist doch seinen eigenen Raum geschützt.

KRIMINALKOMMISSARIN: Ja, und man meint ja auch, man kennt die andere Person, weil man lange mit der gechattet hat.

SPEAKER: Wir hatten ja auch eine Umfrage an unserer Universität durchgeführt und wir haben auch die Frage gestellt „Stellst du Bilder online? Und wenn ja/nein, warum/warum nicht?“ und ganz viele haben geschrieben, dass sie denken, es ist sicher, weil ihr Leben ja auch nicht so interessant ist.

KRIMINALKOMMISSARIN: Ja, und wenn das schon einer von sich glaubt – man muss das ja auch noch mal anders herum sehen – wenn die jetzt irgendwen kennen lernen und der sagt, „dich soll keine haben, ich liebe dich so sehr, dich soll keiner außer mir haben“ ist das ja zunächst schmeichelhaft. Und gerade für die Leute, die sagen, so spannend ist ihr Leben gar nicht, ist es schmeichelhaft. Das ist es auch, aber das kann Auswüchse annehmen und eine komische Dynamik bekommen, wodurch sich alles auch ins Negative entwickeln kann.

SPEAKER: Wie läuft denn der Prozess ab, wenn jemand dann Anzeige erstattet?

KRIMINALKOMMISSARIN: Derjenige geht zu einem Polizeirevier und die Beamten dort nehmen die Anzeige auf und dann wird geguckt, was das für ein Bereich ist. In diesem Fall dann ja „Häusliche Gewalt und Stalking“ und dann wird noch nach dem Bereich geguckt. Wir sind hier mit drei Frauen für den gesamten Bremer Osten zuständig, der geht Horn, Oberneuland, Borgfeld, Tenever, Sebaldsbrück, Hemelingen bis Hastedt. Das ist schon eine ganze Menge, wir sind ein großer Bereich. Und wir kriegen dann wie gesagt die Anzeigen, entsprechend verteilt, je nachdem ob wir den Geschädigten oder den Beschuldigten schon einmal hatten. Und dann kriegt man eine Akte und nimmt die Ermittlung auf. Man ruft die Geschädigten eigentlich sofort an und dann habe ich irgendwann mal was zusammengefasst, was wir fragen (Suche nach einem Dokument auf dem Computerbildschirm)… . Hier, sowas; Wir fragen dann wie die aktuelle Situation ist, wie viele Verstöße es auch nach dieser Anzeige gab, sodass ich die auch direkt anfordern und in einem Stück mit abarbeiten kann. Dann noch sowas wie, ob weiter Kontakt zum Beschuldigten besteht, was tatsächlich häufig noch der Fall ist aus irgendwelchen Gründen. Auch erfragen wir dann noch Sachen über den Beschuldigten, wie ob schon Bedrohungen kamen oder andere lebensgefährlichen Situationen. Manchmal siehst du ja auch schon an den Texten, wie jemand schreibt, ob an der Geschichte etwas falsch ist.

SPEAKER: Wie oft passiert es denn, dass Täter oder Opfer männlich/weiblich sind?

KRIMINALKOMMISSARIN: Frauen kommen in solchen Fällen tatsächlich häufiger vor, als man denkt, allerdings ist es da dann eher verschmähte Liebe, was sie antreibt. Die Frauen sind dann meistens richtig kreativ um Sachen über die Männer herauszufinden, sei es nun ein Werbesticker auf einem geschickten Foto oder sowas. Doch grundsätzlich sind es doch die Frauen, die häufiger Anzeige erstatten.

SPEAKER: Und ab wann würden Sie sagen, sollte die betroffene Person Anzeige erstatten?

KRIMINALKOMMISSARIN: Immer sofort. Ich glaube je schneller etwas aktenkundig ist, wir machen ja auch Gefährderansprachen, das heißt, wenn ich manchmal eine Akte kriege, dann rufe ich ja nicht nur die Geschädigte an, sondern auch den Beschuldigten und sage ihm, er soll es sein lassen. Wir fahren auch mit Kollegen vom Streifendienst hin zur Arbeit und sagen denen, sie sollen es sein lassen, wenn es massiv wird. Wir werden da schon aktiv und machen diese Gefährderansprachen. Bei einigen hilft es, bei anderen nicht.

SPEAKER: Und helfen diese Gefährderansprachen den wirklich?

KRIMINALKOMMISSARIN: Ich wurde sagen zu 50 Prozent helfen sie. Meistens bei den Leuten, die etwas zu verlieren haben, weil sie durch die Ansprache von der Polizei merken, dass es ernst wird, da wollen sie keine rechtlichen Konsequenzen riskieren. Bei anderen habe ich dagegen schon 20 Ansprachen gemacht und das interessiert die nicht. Wir arbeiten ja sowieso in verschiedenen Bereichen. Einmal sind wir ja im Strafrecht unterwegs, mit den Anzeigen, § 238, Nachstellung, Bedrohung, Nötigung sind Straftaten. Dann arbeiten wir natürlich auch im Bereich der Gefahrenabwehr, das ist Prävention bei uns und läuft nach dem Polizeigesetz. Da können wir zum Beispiel Platzverweise erteilen, dass einer sich da nicht mehr aufhalten darf und so weiter. Und dann haben wir noch den Bereich des Zivilrechts, der ja eigentlich nicht Polizeisache ist, sondern das Zivilrecht kommt dann bei uns mit ins Spiel, wenn die Geschädigte – sagen wir mal, eine weibliche Geschädigte – sich eine Gewaltschutzverfügung holt. Das heißt, sie geht zum Amtsgericht, wir kennen den Täter dann schon und sie stellt einen Antrag auf den Erlass einer einstweiligen Verfügung, ein Annäherungsverbot. Dann geht das zum Richter – der sagt ja oder nein – und der erlässt einen Beschluss. Dies ist dann meistens ein halbes Jahr gültig. Interessant wird es dann, wenn der Beschuldigte gegen diesen Beschluss verstößt. Denn dann muss sie tatsächlich wieder zum Gericht gehen und einen Antrag stellen auf Ordnungsgeld/Ordnungshaft.

SPEAKER: Werden die Verfügungen denn auch eingehalten?

KRIMINALKOMMISSARIN: Tatsächlich würde ich sagen, ich denke, die meisten Verfügungen werden eingehalten. Manchmal ist es so, die sind ja nur ein halbes Jahr gültig, und dann direkt nach diesem halben Jahr geht es sofort weiter. Interesse hält lange.

SPEAKER: Was raten sie denn den betroffenen Personen? Was sollen sie tun?

KRIMINALKOMMISSARIN: Also insgesamt, und das würde ich auch immer raten fürs gesamte Leben: Eierrei bringt nichts. „Wir wollen nochmal reden, warum wir uns getrennt haben“, man hat sich getrennt, man hat sich so entschieden, es bringt nichts darüber noch einmal zu sprechen. Herumeiern bringt nichts. Man gibt ihnen den kleinen Finger und sie reißen einen den Arm heraus. Genau so ist das mit den Rechtfertigungen: „Er hat ja nur…“, „das war ja nicht so schlimm…“ und so weiter. Also ne, entweder man zieht einen Schlussstrich oder nicht. Immer wieder anzufangen mit der Person zu schreiben und zu diskutieren bestärkt diese Person nur. Ich hatte jetzt einen Mann, der hat eine ganz lange SMS geschrieben und hat dabei aber jedes einzelne Wort einzeln verschickt. Wir konnten das gar nicht ausdrucken, denn das wäre ein Buch geworden. Und so sollte man lieber einmal klipp und klar „Nein“ sagen und diese Personen blockieren. Und dann noch etwas: Immer alles aufbewahren. Nicht sofort den Chatverlauf löschen, weil man die Nachrichten nicht mehr sehen will. Immer alles aufheben, was bei einer Anzeige nützlich sein könnte.

[…]

SPEAKER: Was würden sie denn sagen, kann man präventiv machen um solche Fälle zu verhindern? Reicht es zum Teil schon sein Profil auf privat zu stellen?

KRIMINALKOMMISSARIN: Ich glaube schon, dass es hilft, klar. Und vielleicht auch einfach mal diese Leichtgläubigkeit ablegen. Dieses „Handynummer nach Lust und Laune vergeben“. Nicht jedem sofort die Handynummer geben. Nun muss ich auch sagen, dass ihr die Generation seid, die jetzt durch diese Corona-Geschichte ziemlich blöd dasteht. Jetzt für die Uni tauscht ihr wahrscheinlich tausendfach die Handynummer durch, weil es nicht anders geht. Es ist ja alles digital. Deswegen ist das „sich ausziehen“ digital sprichwörtlich durch Corona verstärkt. […]

SPEAKER: Betrifft sowas denn eher junge Leute?

KRIMINALKOMMISSARIN: Euer Alter tatsächlich weniger. Im Moment habe ich eher die, die ein bisschen verzweifelter sind, einsam. Immer eher so im Alter um die 30 oder 40 Jahre. Aber ich glaube es ist möglich, dass viele in dem Alter, in dem ihr jetzt seid, nicht zur Polizei gehen mit solchen Geschichten

SPEAKER: Denken Sie denn, dass das Thema digitales Stalking normalisiert wird, dadurch das heutzutage jeder die Social Media Plattformen nutzt?

KRIMINALKOMMISSARIN: Ja, ich glaube schon. Ich bekomme das ja mit bei Kollegen, die selbst Facebook oder Instagram haben, viele regeln das auch einfach alleine, wenn ihnen etwas komisch vorkommt. Und man weiß es ja selber, wie schnell eine Nachricht auch falsch verstanden wird.

SPEAKER: Würden Sie denn sagen, dass eine Plattform besonders häufig bei solchen Fällen auftaucht?

KRIMINALKOMMISSARIN: Also, Instagram und Facebook sind sowieso die Klassiker und dann natürlich vor allem noch diese kostenlosen Kontaktplattform wie Lovoo oder Tinder. Da lernen die sich halt kennen, tauschen natürlich die privaten Nummern aus und von da an entwickelt sich das dann weiter. Bei den Seiten, wo die Anmeldung was kostet ist das Risiko nicht so hoch, weil die Leute es dort halt ernster nehmen, wenn sie dafür Geld zahlen müssen. Es gibt auch mal die ganz seltenen Fälle, wo wir wirklich mal gar nicht wissen, wer der Täter sein könnte. Da hatten wir jetzt eine, die bekommt seit einem Jahr täglich SMS, wenn man die aber anguckt, ist die gleich wieder weg. Und sie wollte dann auch nicht ihr Handy aufgeben, sodass unsere Techniker da mit drauf schauen können. Und jeden Abend hat sie so einen Text bekommen, wie „du hattest ja heute einen schönen roten Pullover an“ oder „hat der Kaffee geschmeckt?“, etwas richtig Persönliches. Irgendwann hat es dann einfach aufgehört, aber bis heute wissen wir nicht, wer es war.

SPEAKER: Das ist gruselig. Noch mal etwas anderes, als wenn man die Bedrohung kennt.

KRIMINALKOMMISSARIN: Ja, genau. Und bei sowas weiß man halt auch, dass es jedem passieren kann. Bei den meisten ist es ja so, dass man einiges vermeiden könnte, wenn man etwas konsequenter ist, aber hier gibt es nichts, was die Person tun kann. Aber naja, mein nächster Termin wartet, wenn ihr noch irgendetwas braucht, dann sagt Bescheid.

[Aufnahme beendet]



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