“Kann ich dir weiterhelfen?” – Vor mir steht einer der Organisatoren und bietet mir seine Hilfe an. Ich bin gerade dem Veranstaltungsraum beigetreten und komplett überfordert. Als meine Reaktion ausbleibt, wiederholt der Mann sein Angebot. Hektisch suche ich nach meiner Stimme – „Kann man mich hören?“ – „Ja, ich höre dich!“. Puh, zumindest kann ich schon einmal reden… „Ich bin gerade erst dazugestoßen und muss mich erst einmal zurechtfinden, vielen Dank für das Angebot! Zu Beginn hätte ich jedoch eine grundsätzliche Frage: Wie kann ich meinen Namen ändern?“

 

Ich befinde mich in einer virtuellen Messehalle zu einer VR-Tagung. Thema des Workshops ist die Vorstellung und Erforschung der SocialVR-Plattform „Mozilla Hubs“. Geleitet wird die Veranstaltung von Mitarbeitern der FH Erfurt. Physisch befinde ich mich im VR-Labor des Arbeitsbereiches HCI (Human-Computer-Interaction) des Fachbereiches 3 der Universität Bremen. In dem Raum befindet sich bis auf den Schreibtisch mit dem Computer, der auf einer Seite an einer Wand steht, nicht besonders viel. In der Mitte ist auf dem Boden ein etwa 2×2 Meter großes Quadrat mit Klebeband aufgebracht. Inmitten dieses Quadrates stehe ich, auf der Nase eine VR-Brille und in der Hand einen Controller. Das Quadrat stellt meine „Komfort-Zone“ dar. In ihr kann ich mich frei bewegen, ohne Gefahr zu laufen, eine unerwünschte Bekanntschaft mit dem Mobiliar oder gar der Wand des Raumes zu machen. Das System detektiert die Bewegungen von Brille und Controller im dreidimensionalen Raum und überträgt diese auf den virtuellen Raum. Ich erschrecke mich ein wenig, als ich mich das erste Mal mit der VR-Brille umschaue und beim Herabblicken auf einmal eine Hand auftaucht, genau an der Stelle, wo ich den Controller halte.

 

Nachdem ich der virtuellen Messehalle beigetreten bin und erste technische Schwierigkeiten überwunden habe, blicke ich mich fasziniert um. Die Messehalle ist weiträumig gestaltet, am vorderen Ende gibt es ein Podest und eine Leinwand, auf der die Präsentation der Veranstalter gezeigt wird. In der Mitte des Raums schwebt an der Decke ein riesiger Videowürfel. Darüber ist durch das offene Strebengerüst der Decke das Blätterdach der Bäume zu erkennen , die das Sonnenlicht teilweise noch durchscheinen lassen. Die Präsentation geht los – Ich muss näher an das Podest herantreten, weil ich sonst nichts verstehen kann. Wie im echten Leben muss ich mich dem Vortragenden nähern, weil mit geringer Distanz die Stimme lauter wird. Ein sehr spannender Effekt, der zusätzlich dazu beiträgt, dass alle Sinne sich auf die virtuelle Realität einlassen und der reale Raum um einen herum komplett ausgeblendet wird. An dem Workshop nehmen etwa 30 Teilnehmer teil. Im Vorhinein konnte man sich einen Avatar erstellen und ihn seinem äußeren Erscheinungsbild anpassen. Die Teilnehmer treten als schwebende Köpfe ohne Körper oder in Form von Roboter-Avataren auf. Ich stehe ganz vorne, um den Vortragenden bestmöglich zu hören, habe jedoch gleichzeitig das ungute Gefühl, von den anderen Teilnehmern hinter mir beobachtet zu werden. Um den anderen nicht die Sicht zu nehmen, knie ich mich deshalb hin. Ich muss kurzzeitig dem Drang widerstehen, mich auf die Kante des Podests zu setzen. Auch wenn es in der virtuellen Welt sehr einladend aussieht, in der realen Welt hätte ich eine schöne Bruchlandung hingelegt.

 

Nach einer kurzen Einführung bekommen die Teilnehmenden die Gelegenheit, sich in der Messehalle frei zu bewegen und die verschiedenen Funktionen auszutesten. Da der Raum im Labor natürlich bei weitem nicht so groß ist wie die virtuelle Messehalle, gibt es die Möglichkeit, mit dem Controller durch zielen auf einen bestimmten Punkt dorthin zu springen. An Ort und Stelle kann ich mich dann auf meinen 2×2 Metern frei bewegen. Komme ich den Grenzen meines Quadrats zu nahe, leuchtet in der virtuellen Welt um mich herum ein Quader auf, der mir die Begrenzung meiner Bewegungsfreiheit anzeigt. Voller Begeisterung teste ich die verschiedenen Funktionen. Nicht alles klappt auf Anhieb, Einiges funktioniert ganz intuitiv, bei anderen Aktionen bedarf es ein wenig Geduld und Probe. Sehr spannend finde ich die folgenden zwei Möglichkeiten: Über dem Kopf schwebt permanent eine Tool-Leiste, in der man verschiedene Optionen auswählen kann. Eine davon ist der Stift. Nachdem ich herausgefunden habe, wie man nach dem Stift greift, kann ich an Wänden oder auch einfach wild in der Luft herummalen. Ein Vorteil an der virtuellen Welt ist die Tatsache, dass die physikalischen Gesetzmäßigkeiten wie die Schwerkraft ausgehebelt werden können. Nachdem ich also mein Kunstwerk, den klassischen „Hallo“-Schriftzug, vollendet habe, laufe ich einmal um mein Werk herum, welches mitten im Raum schwebt, und begutachte es fasziniert von allen Seiten. Eine weitere spannende Anwendungsmöglichkeit ist das erstellen von 3D-Elementen. Aus einer Datenbank kann man aus den unterschiedlichsten Körpern wählen – ich entscheide mich für eine Trompete. Sie schwebt vor mir im Raum. Mit der Hand kann ich nach ihr greifen. Als wenn ich es real in der Hand halten würde, so kann ich das Instrument drehen und wenden und von allen Seiten begutachten. Einzig darauf zu spielen ist leider nicht möglich. Mir kommt ein Gedanke – ob ich das Objekt wohl auch werfen kann? Ich hole Schwung und lasse das Instrument los – es fliegt quer durch den Raum. Gut, das hier in der virtuellen Welt nichts kaputt gehen und niemand verletzt werden kann…

 

Der Vortrag geht in die nächste Runde. Die Organisatoren geben eine Einführung, wie man solche virtuellen Veranstaltungsräume erstellen kann und welche Möglichkeiten Mozilla Hubs dabei bietet. Im Anschluss geben sie uns die Möglichkeit, in andere Räume zu schnuppern, die bereits im Rahmen verschiedener Anwendungsmöglichkeiten zum Einsatz kamen. Sehr interessant finde ich den Raum zum „virtuellen Hochschulinformationstag“. Dieser virtuelle Veranstaltungsraum, ebenfalls im Design einer Messehalle, kam an der FH Erfurt dieses Jahr bereits in Form einer Informationsveranstaltung zum Einsatz. An verschiedenen Ständen kann man zu den einzelnen Studiengängen Informationen erhalten und sich Videos dazu anschauen. Eine VR-Ausrüstung ist im Übrigen nicht notwendig, um sich die Veranstaltungsräume anzuschauen und zu erleben. Man kann auch einfach in der Desktop-Ansicht auf Erkundungstour gehen. Der offizielle Teil der Veranstaltung ist nun vorbei. Der Raum wird zur weiteren Erkundung und zum Austausch untereinander noch ein bisschen offen gelassen. Nach anderthalb Stunden nehme ich die VR-Brille ab und kehre zurück in die reale Welt. Das war ein sehr spannender und interessanter Ausflug, ich merke allerdings, dass es auch anstrengend war.

 

Mein Fazit:

Virtual Reality bietet für digitale Präsentations- und Informationsveranstaltungen ganz neue Möglichkeiten. Mit einer VR-Ausrüstung (Brille + Controller) besteht die Möglichkeit, das Messeerlebnis auf eine völlig neue Art zu gestalten. Es stehen eine Vielzahl an Werkzeugen zur Verfügung, mit denen sich Sachverhalte und Objekte detailreich veranschaulichen lassen. Sehr spannend finde ich beispielsweise das „räumliche Präsentieren“: Es kann mit dreidimensionalen Objekten gearbeitet werden, die von den Zuschauern wortwörtlich „angefasst“ und untersucht werden können. Darüber hinaus lässt sich im virtuellen Raum aktiv miteinander agieren, der Kreativität sind an dieser Stelle keine Grenzen gesetzt (eine kleine Spielerei beim Workshop: Man konnte sich per Selfie-Kamera zusammen mit anderen verewigen). Durch VR wird eine Veranstaltung auch persönlicher. Wird aktuell in Vorlesungen oder Informationsveranstaltungen über Videokonferenz-Systeme häufig auf das Einschalten der Kamera verzichtet und meist nur über den Chat kommuniziert, so drängt VR einen heraus aus der Anonymität. Dadurch, dass man selbst in Form seines persönlichen Avatars in die virtuelle Welt einsteigt, wird man vom passiven und unsichtbaren zum aktiven und sichtbaren Teilnehmer. Durch das Steuern seines eigenen Charakters und die Sichtbarkeit durch andere fühlt man sich gleichzeitig wie im Realen von anderen wahrgenommen und beobachtet. So hielt ich es für keine gute Idee, mich während der Präsentation mit auf die Rednerbühne zu stellen. Das wäre mir in dem Moment doch peinlich gewesen (das wäre es mir übrigens im echten Leben auch). Des Weiteren bietet gerade diese persönliche Komponente die Möglichkeit zum Austausch. So kann man sich zu zweit abseits der restlichen Teilnehmenden zusammenstellen und recht ungestört ein Gespräch führen.

Ein solches VR-Format kann vielseitig und spannend gestaltet werden. Es stellt sich jedoch die Frage, in welchen Situationen eine solche Veranstaltung Anwendung finden kann. Für die meisten Lehr- und Lernszenarien erfüllen die digitalen Formate wie Videokonferenzen und aufgezeichnete Videos die Anforderungen momentan im ausreichenden Maße. Der Mehrwert durch ein VR-Format rechtfertigt aktuell noch nicht den Mehraufwand an Arbeit, der dafür nötig wäre. Virtual Reality hat sich daher noch nicht etabliert. Es gilt bisher mehr als Spielerei, jedoch mit erheblichem Potential. Eine weitere Hemmschwelle stellt zudem die notwendige technische Ausrüstung dar. Eine komplette VR-Ausstattung ist sehr kostspielig. Ein Zugang für die breite Masse im alltäglichen Gebrauch ist daher bisher nicht denkbar. Die Universität hat ein paar Labore mit VR-Equipment, diese können allerdings nur partiell und für wenige Personen zu ausgewählten Anlässen zum Einsatz kommen. Um den Gebrauch von Virtual Reality in der Lehre großflächig zu gewährleisten, müssen daher Ressourcen (finanziell und Know-How) eingesetzt werden.

 

VR ist ein sehr spannendes Feld im Bezug auf Lehren und Lernen, es bedarf jedoch noch Einiges an Arbeit, um diese Methode zu etablieren.

 

VR-Workshop zu „Mozilla Hubs“ am Mittwoch, 09.12.2020, 14-16 Uhr; MZH – Uni Bremen