Zu 1 b.)
Grundsätzlich ist für mich die zentralste theoretische Erkenntnis aus den verschiedenen Vorlesungen, dass es eigentlich vortragsübergreifend immer um das Aufbrechen der eigenen oder anderer, in jedem Fall aber fester Vorstellungen von bestimmten Umständen geht, deren Annahme man einfach kaum mehr in Frage stellt. Sieht man jedoch wieder genauer hin, stellt man fest, dass es sich nur um zumeist soziale (z.B. erweiterter Kulturbegriff, der Kultur theoretisch als Konstrukt, pragmatisch als gemeinsam geteiltes „System von symbolischen Bedeutungen“ ansieht (vgl. Roth, 2002)) oder kognitive Konstruktionen verschiedener Art handelt. So startete die erste Vorlesung überraschenderweise sogar damit Heterogenität selbst als soziale Konstruktion zu „entlarven“.Was wir als `heterogen` wahrnehmen, ist immer eine „soziale Konstruktion, die von expliziten (offenen) oder impliziten (verdeckten) Maßstäben für eine ebenfalls konstruierte Einheitlichkeit bzw. Homogenität (…) abhängt. `Heterogenität` impliziert die Differenz zu und die Streuung um eine Norm (s.o.) und verweist immer auf den Kontext (z.B. in der Organisation Schule institutionalisierte Wertmaßstäbe) als Vergleichsdimension. ( vgl. Gomolla 2009: 22)
An diese Erkenntnis schliesst sich Luhmanns Systemtheorie der Komplexreduktion wunderbar an, da es Heterogenität/ Homogenität einer Lerngruppe kurz gefasst als kognitive Konstruktion der Lehrkraft deutet, die ein Bestreben zur Folge hat, eine Lerngruppe zielgerichtet, komplexreduziert und somit vermeintlich störungsfrei zu unterrichten. Dies führt dazu, dass die Gruppe aktiv dem Lehrsystem angepasst wird. Sich immer wieder darüber bewusst zu werden, dass es keine „natürliche“ Homogenität gibt, sondern Schule selektive und homogenisierende Bewertungsmaßstäbe an die SuS anlegt, die so unter Umständen zu unnötiger Stigmatisierung und Ausgrenzung führen kann, ist Aufgabe angehender Lehrkräfte.
Diese normative Dimension, die sich ausgehend von den homogenisierenden Maßstäben in Schule zeigt, wird besonders im Bereich der Leistungsbewertung deutlich. So wird in der Vorlesung zur Leistungsbewertung „Leistungsbeurteilung“ u.a. drastisch „als Aufrechterhaltung von Ungleichheiten“ (Fend 1980 S. 15) vorgestellt. Natürlich gibt es auch andere Definitionen wie die nach Weinert (1996 u.a.) in denen „Leisten als die Überführung von eigenen Potentialen in Kompetenzen durch Eigentätigkeit“ verstanden wird. Oder in der Definition nach JÜRGENS (2010): die Betrachtung des Zuwachses der Handlungskompetenzen und ein Ausbalancieren von Autonomie und Sozialität (Vgl. Jürgens 2010, S. 455f.)
In jedem Fall wurde einem in der Vorlesung der Einfluss der Lehrkraft auf den schulischen Erfolg nochmals sehr bewusst. (20-25% nach nationalen (z.B.Helmke 2007) und internationalen Studien (Hattie 2009, Zierer 2014)). Wobei auch gezeigt wurde, dass nur ein gemeinsames Tätigwerden aller an Schule Beteiligten (Personen) schulischen Erfolg ermöglicht. Auch eine Leistungswürdigung unabhängig von Leistungsbewertung sollte für mich unbedingt zu den pädagogischen Aufgaben von Lehrkräften gehören. Eine der wichtigsten Aufgaben der Lehrkraft besteht aber vor allem darin „Didaktisch-methodisch differenzierte Lerngelegenheiten anzubieten.“ (vgl. Paradies/Linser 2010). Das erfordert wohl automatisch eine Öffnung des Unterrichts und z.B. den Einsatz von individualisierten und kooperativgestalteten Arbeits-/Wochenplänen, Lerntagebüchern, Schreib- und Rechenkonferenzen, Präsentationen, Portfolios (vgl. Barnitzky/Speck-Hamdan, 2004; Brügelmann, 2004 uvm.). Ein elementarer Baustein von Leistungsrückmeldung ist u.a. das effektive Feedback. Es dient als wichtigstes Mittel der Leistungsrückmeldung. Der Einfluss der Lehrkraft besteht dahingehend, dass der individuelle Lernforschritt des Kindes im Zentrum der Leistungsbewertung stehen sollte. Die Vorlesung hat es für mich sehr anschaulich gemacht, sich dieser vielfältigen Aufgaben bewusst zu werden und die Zusammenhänge der verschiedenen Perspektiven verdeutlicht. Die Leistungsbewertung wird für mich persönlich wohl eines der größten Herausforderungen darstellen.
Zu 1.a)
Konkret bedeutet dies in der Praxis beispielsweise für das Fach Deutsch auch, wie es in der fachdidaktischen Vorlesung über „Erlesene Geschlechter“ kommuniziert wurde, dass man als angehende Lehrkraft „übergeneralisierende Allgemeinplätze kritisch und mit Bezugnahme auf Studienergebnisse hinterfragen sollte, um keine Klischees zu reproduzieren“. Es besteht also immer die Gefahr, voreilige Annahmen als Grundlage für das eigene Handeln zu nehmen. So gilt es verallgemeinernde Aussagen wie z.B. „Mädchen lesen lieber als Jungen“ kritisch zu hinterfragen. So zeigt sich bei genauer Betrachtung: „Leseleistungen von Mädchen und Jungen (unterscheiden sich) statistisch bedeutsam nach Textsorten (…) Zusammenfassend lässt sich (…)schlussfolgern, dass der Vorteil der Mädchen im Lesen insbesondere auf ihre deutlich höheren Leistungen bei literarischen Textsorten zurückzuführen ist, wohingegen sich beim informierenden Lesen kaum Unterschiede zwischen Jungen und Mädchen zeigen“ ( IGLU 2016) Konkret kann ich als Lehrkraft also z.B. Einfluss nehmen durch die Auswahl der Bücher, die ich im Unterricht anbiete. Dabei gilt es immer wieder Klischees aufzubrechen und vor allem die SuS mit einzubeziehen und, im Sinne einer Dramatisierung und Entdramatisierung von Geschlecht, ein Bewusstsein für dieses Thema auch bei den SuS selbst zu schaffen. Dabei kann und sollte die Möglichkeit literarischer Texte zur Identitätsfindung genutzt werden. Durch das Angebot an Bildern und Texten (eines symbolischen Vorrats an z.B. Genderentwürfen) sollte somit Heranwachsenden Diverstität zur freiheitlichen Menschbildung im Literaturunterricht angeboten werden (vgl. S.28 f.). Denn zur Aufgabe angehender Lehrkräfte gehört eben unbedingt auch die Persönlichkeitsbildung und die Entwicklung eines positiven Selbstkonzepts der SuS.
Auch wenn es keinen Bezug zu meinem eigenen Fach gibt, hat mir inhaltlich trotzdem besonders gut die Vorstellung des Projekts von Frau Dr. Böning zur Förderung des sprachsensiblen Matheunterricht gefallen, weil dort sehr praxisnah konkrete Anregungen für den Umgang mit Heterogenität in Schule/Kita gegeben wurden. Besonders beeindruckend fand ich dabei die gelungene Einbindung der Eltern in dem Projekt, in Form von Eltern- Nachmittagen zum Dialogischen Vorlesen, zur Projektvorstellung oder zum Spielen. Da die Familie nachweislich zum einen „zentraler Einflussfaktor auf die Sprachentwicklung“ (vgl. Tizard & Hughes 1964 et.al. 1993; Nickel 2007) ist, zum anderen ein enger Zusammenhang zwischen der Qualität familiärer Anregungsbedingungen und numerischer Fähigkeiten besteht. (vgl. z.B. Anders et al. 2012, Schuchardt et al. 2014) ist eine Einbindung in Schule doch besonders wertvoll. In dem Enter-Projekt wurde dies scheinbar mit Leichtigkeit und zudem spielerisch motiviert umgesetzt.
Zu 2.:
Sicherlich ist die Komplexreduktion ein großer Einflussfaktor, der auf das Bestreben nach Homogenität aus Sicht der Schule/ der Lehrkraft wirkt. Die normative Dimension von Schule wird sicherlich stark dadurch geprägt, dass eine Heterogenität der Lerngruppe nur begrenzt erwünscht ist. Eine „zu große“ Heterogenität aus schulischer Sicht, führt automatisch zu einer Art Selektion, ob durch Förderunterricht im Rahmen einer Lerngruppe oder in anderen Formen. Dies lässt sich im aktuellen Unterricht an den Schulen ( Praktikum ) nach wie vor beobachten. Darum werden SuS nach wie vor in Differenzierungsräumen oder in Sprachlernklassen unterrichtet. Dass eigentlich der individuelle Lernforschritt des Kindes im Zentrum der Leistungsbewertung steht, ist für mich ein anzustrebendes Ziel.
Noch trauriger finde ich aber die Tatsache, dass es in Schule vielfach immer noch, trotz besseren Wissens aller an Schule Beteiligten /Forschung in normierenden Leistungsvergleichen gedacht wird. Wie sehr sogar Potenziale beschnitten und im Keim erstickt werden, weil sie der normativen Dimension von Schule nicht entsprechen. Das hat vor allem Auswirkungen auf das Selbstkonzept von Kindern.
Zu 3.
Im weiteren Studium würde ich unbedingt mehr erfahren wollen über den Umgang mit Mehrsprachigkeit im Unterricht und würde gerne verschiedene Möglichkeiten eines sprachsensiblen Unterrichts kennenlernen. In der Vorlesung zur Mehrsprachigkeit haben wir schon einige Anregungen bekommen, wie z.B. die Mehrsprachigkeit der SuS eher in den Unterricht einzubinden, als sie als Hindernis wahrzunehmen. Gleichzeitig ein anderes Bewusstsein für Mehrsprachigkeit zu entwickeln. Auch dabei geht es wieder um das Aufbrechen der eigenen Vorstellungen. Ganz konkret würde ich aber z.B. gerne mehr über den „richtigen“ Einsatz von „scaffolding“ wissen.
Desweiteren würde mich das Thema alternativer Leistungswahrnehmung, -bewertung und -rückmeldung interessieren. Es gibt internationale Schulen, die mithilfe digitaler Medien sehr viel individueller und kompetenzorientierter arbeiten und so beispielsweise halbjährlich individuelle Lehrpläne für jedes Kind gemeinsam mit den Eltern erstellen (Steve Jobs Schule (Niederlande) oder „School of One“ (NY)).