von Lee Wittig – Bild: Lee Wittig (Collage aus Fotos von Kelli McClintock, Vitaly Gariev, Dylann Hendricks, Negley Stockman und Georg Eiermann / Unsplash)
Die Studierendenschaft an Universitäten wird zunehmend heterogener. Diese Vielfalt bringt neue Chancen mit sich, stellt die Hochschullehre jedoch auch vor Herausforderungen. Der folgende Artikel schafft einen Einblick in die Unterschiedlichkeit der Studierenden und bietet eine Bewusstmachung von Heterogenitätsmerkmalen und deren Bedeutung für die Hochschullehre an. Der Schwerpunkt dieses Artikels liegt auf der Betrachtung von Heterogenität als didaktischer Herausforderung und der Frage, mit welcher Haltung dieser begegnet werden kann.
In den letzten Jahrzehnten hat sich die Studierendenschaft an deutschen Universitäten gewandelt. Studierende weisen heute eine breite Vielfalt an Bildungswegen auf. Sie unterscheiden sich hinsichtlich ihrer sprachlichen, kulturellen und sozioökonomischen Hintergründe und Zugehörigkeiten, ihrer psychischen und physischen Beeinträchtigungen, sowie der bisherigen Lernerfahrungen. Die vielfältigen Lebensrealitäten der Studierenden bringen diverse Perspektiven in den fachlichen Diskurs und das gemeinsame Lernen. Mit dem wachsenden Bewusstsein für diese Unterschiede hat sich eine wertschätzende und auf Inklusion ausgerichtete Betrachtung von Heterogenität entwickelt (Bank et al. 2011).
Heterogenität der Studierenden
Lange Zeit galten junge Vollzeitstudierende ohne jegliche Beeinträchtigung und mit akademischen Bildungshintergrund als die Norm an deutschen Hochschulen (Wielepp 2013). Diesem „Normal-Typus“ entspricht heute weniger als die Hälfte der Studierenden (Kerst et al. 2024). Inzwischen gibt es neben dem Weg über das Abitur vermehrt weitere Zugänge zu einem Hochschulstudium. Vorherige Berufserfahrungen sind häufiger als zuvor (Kerst et al. 2024). Mehr als 60 % der Studierenden in Deutschland sind neben dem Studium erwerbstätig (Bundesministerium für Bildung und Forschung 2021). Damit bringen die Studienanfänger*innen zunehmend unterschiedlichere Bildungsbiografien und Vorkenntnisse mit (Bosse et al. 2019). Zudem nimmt die Zahl der Studierenden mit familiären Verpflichtungen (eigenen Kindern oder Versorgung pflegebedürftiger Personen) zu.
Auch hinsichtlich kultureller Identität und Sprachkenntnissen wird die Studierendenschaft vielfältiger. Im Jahr 2021 wiesen 17,3 % der Studierenden aus Deutschland einen Migrationshintergrund auf (Bundesministerium für Bildung und Forschung 2021). Im Wintersemester 2023/24 waren rund 469.000 ausländische Studierende an deutschen Hochschulen eingeschrieben., Das entspricht einen Anstieg von 2,4 % im Vergleich zum Vorjahr. Seit der Corona-Pandemie steigt zudem der Anteil von Studierenden mit gesundheitlichen Beeinträchtigungen, die das Studium erschweren. Im Sommersemester 2021 lag dieser bei 16 % (Kerst et al. 2024).
Heterogenität als Herausforderung
Barrierefreie Hochschullehre bedeutet, dass alle Studierenden, unabhängig von ihrem Bildungsweg, ihrer Herkunft und von individuellen Einschränkungen, dieselben Chancen bekommen. Dafür muss die Universität Möglichkeiten bieten, die unterschiedlichen Situationen der Studierenden in die Gestaltung der Lehrveranstaltungen einfließen zu lassen. Hierbei geht nicht darum, Heterogenität zu verringern, sondern die Verschiedenheit anzuerkennen, zu schätzen und die Lehre auf diese auszurichten.
Die Vielfalt an Lebensrealitäten bringt eine Menge unterschiedlicher Lernbedarfe mit sich. Studierende mit wenigen akademischen Vorerfahrungen können Schwierigkeiten haben, sich in den universitären Strukturen und Anforderungen zurecht zu finden, und sich bezüglich ihrer Selbstorganisation und Arbeitshaltung von Studierenden aus akademischen Familien unterscheiden. Gesundheitliche Beeinträchtigungen gehen mit besonderen Bedarfen einher. Studierende mit familiären Verpflichtungen oder Nebenerwerbstätigkeiten können eingeschränkte zeitliche Kapazitäten für das Studium und weniger Partizipationsmöglichkeiten haben.
Heterogenität wird besonders dann zu einer Herausforderung für alle Beteiligten, wenn Lehr-Lern-Szenarien so gestaltet sind, dass sie für alle Studierenden gleich ablaufen und funktionieren (Bank et al. 2011). Wird Lehre auf die Vorstellung eines „Normal-Typus“ der Studierenden ausgerichtet, erscheinen all jene, die davon abweichen, Defizite zu haben, die das Lehren und Lernen erschweren oder behindern. Daraus folgt oft die Annahme, auf die zunehmende Vielfalt von Lernbedürfnissen eine Vielzahl an Einzellösungen mit Studierenden vereinbaren oder Individualbetreuung anbieten zu müssen. Dies würde die Kapazitäten von Lehrenden überschreiten und entspricht auch nicht der Idee des gemeinsamen Lernens in Großgruppenkonstellationen.
Stattdessen kann eine Perspektive eingenommen werden, die die Vorstellung von einer homogenen Gruppe Lernender beiseitelegt. Der Fokus liegt dann auf der Offenheit für die verschiedenen Voraussetzungen und Zugänge zu Lerninhalten. Mit der zunehmenden Heterogenität der Studierendenschaft bringen Lernende immer vielfältigere Potentiale und Perspektiven in die Hochschullehre ein. Wenn Studierende aktiv an der Gestaltung ihrer Lernprozesse beteiligt sind, können Studierende und Lehrende gemeinsam Neues entdecken, entwickeln und Innovationen in der Hochschullehre entstehen lassen.
Eine diversitätsgerechte Hochschullehre kann deswegen besonders mit der Flexibilisierung von Lehre und Prüfungen auf die zunehmende Heterogenität der Studierendenschaft reagieren. Lehrende müssen nicht bereits vor Beginn einer Veranstaltung einen für alle Teilnehmenden passenden Lehrplan ausarbeiten. Sie können die Studierenden bei der Auswahl der Lerninhalte, Methoden und Tools einbinden, indem sie eine Vielfalt an Materialien und Lernszenarien anbieten und die Studierenden selbst wählen lassen.
Fazit
Veränderungen in der Studierendenschaft, die Anpassungen der eigenen Lehrpraxis und -pläne notwendig machen, sind ressourcenzehrend. Mit der zunehmenden Heterogenität der Studierenden an deutschen Hochschulen gehen auch didaktische Herausforderungen einher. Bei einer diversitätsgerechten Hochschuldidaktik geht es nicht nur um die Sicherstellung von gleichberechtigter Teilhabe, sondern auch um die Weiterentwicklung von didaktischen Methoden und Lehrkonzepten mit einer anerkennenden und wertschätzenden Perspektive auf die Unterschiedlichkeit der Lernenden. So kann ein Prozess entstehen, in dem die Vorstellung von einem „Normal-Typus“ eines Studierendens schrittweise abgelegt wird. An Stelle dessen tritt eine Anerkennung und Wertschätzung von Vielfalt und Unterschiedlichkeit als gegeben und normal. Eine Lehrgestaltung, die nicht davon ausgeht, dass Studierende und Lehrende bestimmte, zur Norm passende Merkmale aufweisen sollten, kann Wege bereiten, unabhängig von Gruppenzugehörigkeiten zu inkludieren.
Literatur
Wielepp, F. (2013). Studentische Heterogenität. WZW Wissenschaftszentrum Sachsen-Anhalt Lutherstadt Wittenberg e. V.

