Friedhofsspaziergang
Auf den Spuren Ulrich Jasper Seetzens über Friedhöfe in Konstantinopel 1802/3 und 2017
Brockhaus Konversationslexikon: Konstantinopel, 1899. Leipzig
1. Ankunft
2. Wandeln auf dem Friedhof in Eyüp damals und heute
3. Wirkung der Natur auf den Friedhöfen, insbesondere der Zypressen
4. Decodierung osmanischer Grabsteine anhand ihrer Formen und Gravuren
5. Transformationsprozesse Istanbuler Friedhöfe
6. Gedanken zum Wandel und zur Ähnlichkeit
1.Ankunft
,,12. December (Sonntag) […] Es war ¾ auf 10 Uhr als wir die letzte Anhöhe erreichten. Nun waren wir auf einmal vor der großen Kaiserstadt, aber wir sahen nichts, als dunkle Cypressenhaine, welche die unermeßlichen türkischen Begräbnisplätze beschatteten und die sehr alte zwey- und dreyfache Mauer, welche uns den Anblick der Stadt neidisch entzog […]. “ (Seetzen : 1802, S. 3)
Dienstag 12. September 2017,
215 Jahre nach Seetzens Besuch in Konstantinopel begeben wir uns auf seinen Spuren im heutigen Istanbul. Wir stellen uns die Frage, was wir noch vorfinden aus seinen Beschreibungen im Reisetagebuch und was sich in über 200 Jahren verändert hat. Um 11:00 trifft sich unsere Gruppe im Gülhanepark am Topkapi-Palast an einem symbolträchtigen Ort mit der Weltkarte des Kalifen Al-Mamum, 833 in Auftrag gegeben, der eine für seine Zeit erstaunlich genaue Vermessung, zumindest seiner Herrschaftsgebiete, wiedergibt. Weiter geht es durch das Museum für Geschichte der Wissenschaft und Technik im Islam (Islam Bilim ve Teknoloji Müzesi), indem uns Dr. Quintern wissenschaftsgeschichtliche Errungenschaften des islamischen Kulturraumes im 9. -17. Jhd vorstellt und uns die universelle Wissenschaftsgeschichte und deren kontinuierlichen Strom und lebendigen Dialog zwischen den Kulturräumen näher bringt.
Ulrich Jasper Seetzen selbst beschreibt sich als Freimaurer seiner Zeit, welche sich als ein ethischer Bund freier Menschen versteht, mit der Überzeugung, dass die ständige Arbeit an sich selbst zu einem menschlicheren Verhalten führt. Die fünf Grundideale der Freimaurerei sind Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit, Toleranz und Humanität. Mit diesem Ideal bereist er auch das damalige Konstantinopel und notiert akribisch seine Beobachtungen in seinem Tagebuch, u.a. für seinen Expeditionsauftragsgeber dem Großherzog von Gotha. Der Spaziergang auf den Friedhöfen Konstantinopels spielt für Seetzen eine sinnliche, wie wissenschaftliche Rolle, bei Erkundungen der Umgebung, bei denen er unweigerlich über die, wie er sie nennt ,Begräbnisplätze‘ streift, oder aber auch absichtlich, um die Friedhöfe der verschiedenen Konfessionen (Muslime, Armenier, Griechen, türkische Juden) selbst als Beobachtungsobjekt ins Visier zu nehmen und ihre Ähnlichkeiten wie Unterschiede festzuhalten. Seetzens Tagebucheintrag beginnt am 12. Dezember 1802 mit der Beschreibung, wie sie an der byzantinischen Mauer in Richtung Bosporus Konstantinopel erreichen und an einer Anhöhe Ihnen der Anblick zahlreicher ,Begräbnisplätze‘ mit ihren typischen Zypressenhainen eröffnet. So bewegt sich unsere Gruppe gegen Nachmittag am 12. September 2017 vom Gülhanepark aus bis zu einem Anleger in Balat, um von dort aus das Goldene Horn hinauf bis zum Stadtteil Eyüp zu fahren, mit dem Blick des imposanten Friedhofes, selbigen Namens, und dort unsere Expedition am ersten Tag zu beginnen.
Blick auf den Friedhof Eyüp vom Goldenen Horn,12.09.17
Blick vom Friedhof Eyüp auf das Goldene Horn und dem Stadtteil Beyoglu, 12.09.17
,, 12. December (Sonntag) […] Die Begräbnisplätze erstreckten sich vom Marmorameer, bis an den Hafen. Eine unermeßliche Menge von Leichensteinen stand auf den Gräbern. Alle waren mit türkischen Inschriften versehen, welche bey Vielen auf das prächtigste vergoldet waren. Viele hatten oben einen Turban ausgehauen, welcher öfters eine verschiedene Form hatte, ie nachdem der Todte vielleicht eine Militärperson, ein Kaufmann, ein Handwerker und dergleichen war. Gewöhnlich sind die türkischen Leichensteine schmal, lang und oben breiter, als unten. Einzelne waren auch cylindrisch: Indessen sieht man nur wenige, die eine geschmackvolle Form haben. Meistentheils sind sie mit ihrem Unterende in die Erde gegraben; bisweilen aber war auf dem Grabe zuerst ein Stein horizontal gelegt, welcher auf iedem Ende ein vierckiges Loch hatte, in welches ein stehender Grabstein hineingepaßt war. Die stehenden Grabsteine behalten alsdann immer ihre stehende Richtung, statt, daß sie sonst, wenn sie in die bloße Erde gegraben sind, bald eine schiefe Richtung annehmen und mit der Zeit wohl ganz umfallen. Einige Familienbegräbnisplätze waren mit einem hohen einfach oder bunt bemalten oder zum Theil vergoldeten Staquete eingefaßt; solche zeichneten sich dann häufig durch schöner geformte und verzierte Monumente aus; […].‘‘ (Seetzen: 1802, S. 3-4)
Blick durch Zypressen auf dem Friedhof Eyüp auf das Goldene Horn, 12.09.17
Weg zum Friedhof Eyüp vorbei am Bazar, 12.09.17
Springbrunnen am Friedhofseingang, Eyüp, 12.09.17
2. Wandeln auf dem Friedhof in Eyüp damals und heute
15:00h, 12. September 2017,
unsere Gruppe kommt am Hafen vom Istanbuler Stadtteil Eyüp an, wobei uns eine Anlegestelle mit originalgetreuen Gondeln aus edlem Holz ins Auge sticht. Zu Seetzens Zeit waren die Gondeln das gängige Transportmittel um über das Goldene Horn und den Bosporus zu gelangen. Wir hatten allerdings den Komfort eines großen motorisierten ,,Wassertaxis‘‘ nutzen zu können. Unser Ziel, den Friedhof von Eyüb, erreichten wir fußnah über eine Kreuzung. Nach dieser breitete sich schon das große Areal des Friedhofes aus. Zunächst kamen wir an einer Holzhäuserreihe vorbei zu einer Marktpassage. Hier ließen sich jedmögliche Souvenirs oder heiligen Reliquien erwerben, betreffend des Korans oder der Legende um Abu Ayyub Al-Ansari’s Person. Nachdem die Osmanen 1453 Konstantinopel eroberten, nannten sie diesen Stadtteil vom griechischen Kosmidion in Eyüp (Ayyub) um, in Anlehnung an den hier bereits 647 beigesetzten Gefährten des Propheten Mohammeds, Abu Ayyub Al-Ansari. Der Personenkult um den Weggefährten Mohammeds ist scheinbar auch heute noch ungebrochen und so laden die vielen Marktstände auf dem Friedhofsbazar schon an dessen Mauern mit Blick auf die ersten Grabsteelen die Besucher ein, sich mit Koranversen, Seidentüchern, Gebetsketten, einer Miswack (Zweig, der als Zahnbürste dient und schon Mohammed benutzt haben soll), sowie zahlreichen Kopfbedeckungen in Form eines Fez oder einer Kappe. Am Bazar vorbei geht es auf eine freie Fläche vor der Moschee und zum Eingang zum Grab von Abu Ayyub Al-Ansari. Auf dieser Fläche ist ein großer Springbrunnen, an dem es vor Leben nur so wimmelt, Familien, Paare, Passanten und Kinder erfreuen sich an dem kühlen Nass, umgeben von Holzhäusern auf der einen Seite und Grabsteelen auf der anderen Seite. Wir wollen nun den Friedhof am Hang hinaufsteigen und die verschiedenen Steelen dokumentieren, sowie bis zu einem für die Türken beliebten Ausflugsziel hinaufsteigen, dem Café Pierre Loti. Pierre Loti war ein französischer Marineoffizier und Schriftsteller, der 1850-1923 lebte und mit seinen Werken ein romantisierendes Bild von Ländern im Orient zeichnete, das für seine Leser im 20. Jhd teilweise unreflektiert übernommen wurde. Während des Aufstieges begleiten uns weitere Bazare, Passanten, unzählige Katzen, die zwischen den Gräbern hausen und wohl trostspendenen Sprüchen auf Türkisch und Englisch, wie Folgender: ,, Grave ist he final gate of authorities, positions and materiality in the mortal world. It is the first gate opening to eternal life‘‘
Café ,Pierre Lotis‘ auf dem Friedhof Eyüp, 12.09.17
Am Café und Aussichtspunkt angekommen bietet sich uns ein atemberaubender Blick über das Goldene Horn, den Stadtteilen Beyoglu, Fatih und Eminönü. Die Abendsonne hüllt die Stadt und das Wasser in die goldene Farbe, nachdem der Kanal benannt ist und um uns herum füllt sich das Café auf dem Friedhof in Eyüp. Hier erahnen wir, wie es nach der anstrengenden Reise für Seetzen gewesen sein muss endlich die Stadt zu erblicken ( auch wenn er selbst wohl weiter westlich eingetroffen sein muss.)
Eingang zu dem Kaffehaus ,Pierre Loti‘, 12.09.17
Fotografie Pierre Lotis in dem gleichnamigen Kaffehaus, Eyüp, 12.09.17
Innenansicht des Cafés, Eyüp, 12.09.17
Osmanische Grabsteelen am Eingang zum Friedhof Eyüp, 12.09.17
Osmansiche Grabsteelen, Eyüp, 12.09.17
Grasteelen von weiblichen Osmaninnen, Eyüp, 12.09.17
Grabsteelen, Eyüp, 12.09.17
Umgekippte Steele einer Frau, Eyüp, 12.09.17
3. Wirkung der Natur auf den Friedhöfen, insbesondere der Zypressen
,, 12. December […] auch schien man auf die Cypressengruppen, die sie beschatteten, viele Sorgfalt zu verwenden. Solche Familienbegräbnisplätze haben nicht selten eine Bank. Andere Begräbnisplätze von Vornehmen sind bisweilen mit einer von Quadern und mit Geschmack gebauten kleinen Capellen bedeckt. -Die dunklen Cypressen sind ohne Zweifel eines der schönsten passendsten Zierden für diese Begräbnisplätze. Sie wachsen pyramidalisch und gerade, wie die lombardische Pappel. Ihre dunkle Farbe harmoniert aufs schönste mit dem Trauergefühl der Leidtragenden, aber ihr ewiges Grün dient zugleich zum passendsten Bilde von der Unvergänglichkeit der Urstoffe, woraus der menschliche Körper geformt war, dessen dieser Stein erwähnt. Im ewigen Zirkel werden seine aufgelösten Bestandtheile bald in eine Blume, bald in Gras, bald in ein Thier, bald in einen Vogel, dessen melodischen Töne uns bezaubern, bald in eine schöne schlanke Cypresse durch die Hand der Natur umgemodelt […]. (Seetzen : 1802, S. 4)
Es gibt kaum einen Tagebucheintrag von Seetzen, in Verbindung mit den Begräbnisplätzen, ohne dass er auf ihnen die in den Himmel ragenden Zypressen wahrnimmt. Dieses Bild prägt auch heute noch die Friedhöfe in Istanbul. Die Mitttelmeerzypresse kann bis zu 40 Meter vertikal in die Höhe wachsen, spendet durch das dichte dunkle Grün viel Schatten und verbreitet ein angenehmes Klima auf den Stadtfriedhöfen für Trauernde wie für Spaziergänger. So ist nicht verwunderlich, dass die Zypresse, die schon Seetzen inspirierte, zu einer Spezies gehört, die zu den wichtigsten Figuren in türkischen Novellen, Märchen und Liedern gehört. Die Zypresse auf Friedhöfen soll Allahs Großartigkeit repräsentieren. Die Form des Zypressenmotifs ähnelt dem arabischen Buchstaben ,Elif‘, dem Anfangsbuchstaben von Allah. Zudem hört sich eine sich bei Sturm bewegende Zypresse an wie ein ,,hu‘‘, das ebenfalls Allah bedeutet und so die Toten mit Respekt in Allahs Anwesenheit wiegt. Unter dem Kapitel der weiblichen Grabsteelen kommt die Zypresse nocheinmal zur Sprache.
4. Decodierung osmanischer Grabsteine anhand ihrer Formen und der Gravuren
Die osmanischen Grabsteelen werden auch als Botensteine bezeichnet, da sie uns damals wie heute eine unglaubliche Fülle an wertvollen Informationen über das Leben der Verstorbenen offenbaren. Wer die Symbole der Steine entziffern kann, sowie der arabische Schrift und des Osmanischen mächtig ist, dem entfaltet sich eine eigene literarische Welt auf osmanischen Friedhöfen, die über das ganze ehemalige osmanische Reich mit viel Glück auch in entlegeneren Regionen noch auffindbar ist. Während 37 Sultane von 1299 bis 1923 die sich immer verändernden Grenzen des Reiches regiert haben, haben sich in 600 Jahren der osmanischen Herrschaft auch ihre Lebensstile betreffend Literatur, Kultur, Folklore, Demographie, Politik, Kleidung und weiterer Ansichten Stück für Stück gewandelt. Diese Veränderungen lassen sich für Kenner in den Grabsteinen männlicher und weiblicher OsmanInnen herauslesen. Anhand der Kopfbedeckungen lässt sich oftmals eine ungefähre Regierungszeit ausmachen, sowie Informationen über Lebensbedingungen und Schicksale anhand der Dekore, sowie Grabinschriften.
Männliche Grabsteelen
Die männlichen Grabsteelen sind durch den oberen Kopfpart der Steine erkennbar. Diese werden in Form von Kopfbedeckungen dargestellt, je nach der Berufung des Verstorbenen zu Lebzeiten. Nach der Eroberung Konstantinopels durch Mehmed II, 1453, ließ dieser einen detaillierten Bericht über die Kleidungsvorschrift der osmanischen Untertanen anfertigen. Für jede Tätigkeit, vom Schreiber des Sultans, über die verschiedenen Sektionen der Soldaten hin zu den einfachen Handwerker, erließ Mehmed II genaue Kleidervorschriften. So hatte jeder Bewohner eine Identität, die ihm auf den ersten Blick zugeschrieben werden konnte. Bei den Männern ließ hierbei der ins Auge stechende Turban oder Fez schnell Aufschluss über seine Berufung zu, so wie die Farbe des Turbans, die ihn des Weiteren einer Berufsgruppe oder Sekte einer Unterkategorie zuordnen ließ. Dieses Identifikationsmerkmal behielten die Osmanen ebenso nach ihrem Tod auf den Grabsteelen, um ihnen zu gedenken.
Grabsteelen eines osmanisches Paares in der Nähe der Sultan-Ahmet Moschee, Turban repräsentiert einen Pasali, 13.09.17
Dieses Foto stammt von einem Friedhof östlich der Sultan Ahmed Moschee und stellt ein typisches vertikal stehendes Grab eines männlichen Verstorbenen mit dem erkennbaren Turban und dem schmucklosen Grabstein seiner Ehefrau im Vordergrund in derselben Bodeneinfassung dar. Der Turban lässt sich der Form der Paşali zuordnen. Die Paşali hatten Positionen als ranghohe Militärgeneräle, Protokolloffiziere im Palast oder als weiße Eunuchen im Palastharem inne. Allesamt Positionen, die einer strapaziöse Ausbildung bedurften und sich nah am Regierungsapparat des Sultans bewegten. So hatten diese Paşali, wenn sie einmal eine solche Stellung eingenommen hatten, den Respekt aller Mitmenschen sicher. Wer jedoch in Ungnade des Sultans fiel, wurde sofort des Amtes enthoben und zur Machtdemonstration und Strafe des Sultans vor den Augen der Öffentlichkeit enthauptet.
Die Grabinschrift verrät uns, dass dieser 1735 n.Chr. verstorbene Paşali zu einer Zeit verstorben ist, in der Konstantinopel unter der Sultansherrschaft von Ahmed III. (1703-1730) und Mahmud I. stand. Einer Zeit, in der die Osmanen um die Gebiete auf dem Balkan und gegen Österreich kämpften.
Womöglich gehörte er zu einer Marineflotte, wie sein Titel vermuten lässt ,, Der Kapitän, Ibrahim Pahsha […] Abdurrhaman‘‘.
Entcodierung der Grabinschriften mit Dank an den Übersetzer; Gürsel Aksoy:
,,The date on the stone is hijri and it coincidences to the Gregorian date 1735
Some words on the photo are not clear and well readable. But as far as I understand it is as follows:
مرحوم و مغفور
قابدان …
ابراهيم باشا …
… عبدالرحمان
… الفاتحة
سنة ١١٤٨
رجب
Deceased and pardoned [by God]
The capitain
�brahim Pasha
… Abdurrahman
[Read] Fatiha* [for his soul]
Year: 1148
[The month] rajab
* A chapter of the Qur’an which is read for the soul of the dead.“
See also: Vatin, Nicolas; Eldem, Edhem (2007): L’appel à Fatiha dans L’épitaphe ottoman musulmane XVI-XX siecles. P. 47-58
Örfigrabsteele eines männlichen Osmanen auf dem Friedhof Eyüp, 12.09.17
Örfi – Wissenschaftler und Personen in höheren Ämtern des islamischen Gerichts , wie Minister des islamischen Rechts, Gerichtsminister, Richter, Universitätsprofessoren, Muslimische Priester, Moscheeoffiziere.
-Der Stoff der Örfikopfbedeckungen ist aus wertvoller Baumwolle oder Seide hergestellt worden und größere Exemplare sind bei Zeremonien, Empfängen, religiösen Festen, Krönungen und in den Behörden während Verhören oder am oberen Gerichtshof zu tragen gekommen.
Man unterschied zwischen der Bezeichnung der :
-Seyhülislam – Minister des islamischen Rechts, der nach dem islamischen Recht gelehrt wurde in universitären Einrichtungen oder am oberen Gerichtshof lehrte. Sogar der Sultan musste sich den Entscheidungen des Seyhülislam beugen, da er wie ein gelehrter Philosoph fungierte, der bei gerichtlichen Entscheidungen, das letzte Wort nach den Regeln des islamischen Rechts sprach. So musste eine Exekution nach dem Willen des Sultans in letzter Instanz des Seyhülislam akzeptiert oder abgelehnt werden.
-Muderris – Medreschen Gelehrter, Professor und Tutor. ,Ders‘ heißt auf Arabisch Unterricht und kann von dem Wort Muderris abgeleitet werden, diese Persönlichkeit genoß als gelehrter viel ansehen und war zuständig für ,darul kurra‘, wo die Lehren des Korans gelehrt wurden, ,darul hadis‘, wo die Aussagen und Bedeutungen, die hadits, vom Propheten Mohammed gelernt wurden und in , darut tip‘ wurde Medizinwissenschaft gelehrt.
Mücevezzegrabsteele nahe des Grabes von Abu Ayup al-Ansari, Eyüp, 12.09.17
Mücevezze – Osmanische Prinzen, Reichsräte, Staatschefs, Stadthalter und Sicherheitspersonal.
– Der Mücevezzeturban wurde ebenfalls aus Baumwolle hergestellt und um die unterschiedlichen Ränge zu identifizieren wurden verschiedene Farben benutzt.
Das Wort Mücevveze lässt sich ableiten von dem Wort ,ceviz‘ für Wallnuss, da seine zylindrische Form an eine Wallnuss erinnert.
– Shezadeler ist die Bezeichnung für die Kinder des Sultans und dessen Dynastie. Die älteren wurden , Emir‘ genannt und die jüngeren Kinder , chalabi‘. Nach der Eroberung Konstantinopels bezeichnete man sie alle als ,Sehzade‘.
Mit der Geburt eines osmanischen Prinzen wurde ihm ein öffentliches großes Aufgebot gemacht. Er bekam 20 Kindermädchen bis zu seinem 3. Lebensjahr, die nach ihm schauten, und seiner Mutter wurde ein Kiosk gewidmet. Ab dem 2. Lebensjahr kümmerten sich 3 männliche Diener um den Jungen, der älteste von ihnen wurde ,Lala‘ genannt und musste dem Prinzen bis zu seinem Tod an seiner Seite stehen. Nun begann bis seinem 14. Lebensjahr ein strenges erzieherisches Programm. Er bekam Unterricht in Koran rezitieren, Fremdsprachen, Algebra, Sport, sowie Tischmanieren, Protokolletikette am Hof und später wurde ihm auch Steuerungs- und Managementpraktiken, Staatsaufgaben, gelehrt. Osmanische Sultane hatten für gewöhnlich viele Kinder, sodass mit dem nahenden Tode eines Sultans ein mächtiger Konkurrenzkampf unter den Prinzen ausbrach. Wenn der amtierende Sultan einen seiner Söhne als Nachfolder ausgewählt hat, wurden alle anderen exekutiert, um die Thronfolge zu sichern.
– Beylerbeyi war die Bezeichnung für Staatsgouverneure für die verschiedenen Regierungsdistrikte. Um ein Beylerbeyi zu werden, mussten diese im Alter zwischen 8-18 als Ausbildungsmitglied der Janissaries auserwählt werden, der Leibgarde der Sultane. Die talentiertesten unter den jungen Männern wurden in der Militärakademie von Gallipoli zur königlichen Akademie ,Enderun‘ für 4-5 Jahre geschickt und dannach mit einer Konkubine aus dem Harem verheiratet. Nachdem sie zum Vezir aufgestiegen sind und genügend Erfahrung am Hof gesammelt hatten, wurden wiederum die leistungsstärksten und vor allem die loyalsten Männer auserwählt, um in die entlegenen Provinzen als Gouverneure des osmanischen Reiches zu dienen und dort den Sultan zu repräsentieren.
Katibigrabsteele nahe der Sultan Ahmed Moschee, 13.09.17
Katibigrabsteele nahe der Sultan Ahmed Moschee, 13.09.17
Katibi – Schreiber-, Kalligraphen, Staatsbeamte, Chronisten
-Der Katibiturban wurde aus dicker Baumwolle hergestellt und betrug 4cm vertikaler Länge, um die der Turban herumgewickelt wurde. Da die meisten Staatsbeamte diese Turbane trugen, findet sich diese Kopfbedeckung auf fast jedem Friedhof und an fast jeder Moschee.
Es war zu unterscheiden zwischen:
-Vak’anüvis– Chronisten, Beamte, die die osmanische Geschichte und Oden zu Ehren der Wesire und Sultane in derem Sinne aufschreiben sollte. Der Chronistenberuf wurde von den Seldschuken an die Osmanen vererbt und direkt im 14. Jhd als offizielle Anstellung des königlichen Hofes anerkannt. Es gab jedoch auch einige frei arbeitende Chronisten, die neutraler und realitätsnaher die geschichtlichen Ereignisse festhielten.
Man unterschied zwischen den Staatschronisten, den Chronisten, die für die Wesire, Pashas und betuchten Leute Geschichten schrieben und den Freelancechronisten.
– Sir Katibi– Staatssekretären
Angehende Staatssekretäre im osmanischen Reich hielten regelmäßig Kalligraphie und Gedichts- Wettkämpfe ab, um den besten unter ihnen auszumachen, der dann direkt für den Sultan arbeiten durfte. Verstarb ein Chronist, so wurde der Beruf an seinen Sohn vererbt. Vorausgesetzt, er war eine loyale, diskrete und wohl erzogene Person. Der erste bekannte Staatssekretär kann als ‚‘‘Katib-i sirri-padisahi‘‘ unter Bayezit II ausgemacht werden. Sie mussten tägliche Pflichten organisieren, Besuche, Vorladungen und sie mussten die Besuche des Sultans vorab interviewen. Darüberhinaus hielten sie alle Geheimnisse des Sultans fest und organisierten diese in Archieven. Ebenso musste der private Staatssekretär den Sultan mit auf Reisen und in den Krieg folgen, um auch diese Ereignisse festzuhalten und als oberste Priorität dem Hof davon im Sinne des Sultans berichten.
Während der Exkursion sind die Aufnahmen der Örfi, Mücevezze und Kitabisteelen am lesbarsten geworden. Darüberhinaus gab es aber noch zahlreiche weitere Turbane, die den Beruf ihres Trägers bestimmt haben und das Stadtbild, Alltagsleben und schließlich auch die Friedhöfe ,,bekleideten‘‘. Diese sind von Mahmut Ökcesiz wunderbar auf seiner Website http://www.turkeygravestones.com/male.html ausgearbeitet und detailreich beschrieben. Alle obigen Informationen stammen ebenfalls von Herrn Ökcesiz.
Weibliche Grabsteelen
Die weiblichen Grabsteelen sind nicht durch Kopfbedeckungen gekennzeichnet, auch wenn sie auf Gräbern vertikal in die Höhe ragen, wie die der männlichen Steine. Osmaninnen wurden nach ihrem Tod auf den Steinen durch florale Dekore geehrt und die Grabinschrift gab oftmals viel detaillierter über den Gemütszustand zu Lebzeiten der Frau Auskunft wie die der Männer. Da Frauen in der konservativen Gesellschaft der muslimischen Osmanen nicht arbeiten durften und das Haus nur mit Erlaubnis verlassen durften, so blieben sie im Haus und kümmerten sich um die Erziehung der Kinder. Allerdings gab es auch bei den Frauenkleidern wechselnde Moden und zumindest zu Lebzeiten ließen sich diese Moden auch einer bestimmten Periode im osmanischen Reich zuordnen. Dabei waren die Roben in der Regel reich an floralem Muster, das die osmanische Frau entweder selbst auf die Kleider stickte oder bei reicheren Leuten, besticken ließ (z.B. ließen sich reiche Osmaninnen als einzige Frauengruppen, sogenannte Hotoz als Kopfbedeckung anbringen, der Hotoz stammt noch aus Prä-osmanischer Zeit aus dem heutigen Turkmenistan. Ab der Regierungszeit Mahmud II (ab 1808), kam der Hotoz allerdings aus der Mode und wohlhabende Frauen ließen sich, wie die Männer, kleine Fez auf die Grabsteine setzen). Trotz der restriktiveren Lebensbedingungen für Frauen galt im osmanischen Reich eine Art Verherrlichung der Frau als heilige Mutter, die von Allah den Männern geschenkt wurde. Diese Ehrerbietung, zumindest Müttern gegenüber, sollte in den floralen Kleidern Ausdruck finden, sowie, nach dem Tod den Charakter der Frau widerspiegeln. So hatte auch jedes Muster seine spezifische Bedeutung, die es zu entziffern gilt:
Rose: Symbol der Schönheit und Reinheit, bedeutet, dass die Frau in den Himmel gehen will, da die Rose auch das Symbol aus dem paradiesischen Garten ist.
Zypresse: Die Mittelmeer-Zypresse kann bis zu 35 Meter hoch werden und steht in einigen Mythologien für ein langes Leben. Durch die bis in den Himmel ragenden Bäume soll eine Leiter symbolisiert werden, durch die die Frau als Unsterbliche direkt in den Himmel gelangen könne. Die Person charakterisiert die Zypresse als mündig.
Trauben: Im muslimischen Glauben wird geglaubt, dass der Koran mit Traubensaft geschrieben wurde. Die Trauben auf den Grabsteinen sollen dadurch von Respekt vor dem Koran zeugen während des Lebens der Verstorbenen und Sie erhofft auf Vergebung vor Allah am Tag des Gerichts.
Palmenzweig: Als Baum, der wie die Zypresse sehr hoch wachsen kann und den Himmel zu berühren scheint, symbolisiert die Palme auch ihre Verbindung zum Himmel und dem Leben danach. Das Ziel einer jeden muslimisch osmanischen Frau ist es in den Himmel zu kommen, wo das Paradies auf sie wartet.
Weitere Symbole auf den Grabsteinen:
Dolch: die Dame in dem Grab hatte ein kurzes Leben und ist womöglich durch eine Krankheit verstorben.
Glücksrad: drückt aus, dass die Dame während ihres Lebens großes Leid erlitt.
Brautschleier: Die Verstorbene war eine Jungfrau und konnte niemanden zum Heiraten finden.
Öllampe: die Dame brauchte ein Licht um ihren Weg ins Grab und ins Paradies zu finden.
Salomonssiegel: drückt aus, dass die Frau eine echte Sufi-Muslimin war. Das nach unten zeigende Dreieck symbolisiert, dass sie von Allah aus der Erde kommt und das nach oben zeigende, dass Sie wieder zu Allah zurück geht in den Himmel (Mitte 11. Jhd. Bis Mitte 13. Jhd., erst danach verband man das Hexagramm verstärkt mit dem Glauben an ein mystisches Judentum).
Ebenfalls auf Herrn Ökcesiz Website nachzulesen: http://www.turkeygravestones.com/female.html
Weibliche Grabsteelen mit floraler Verzierung (rechts Rose; siehe die Beschr. oben), Eyüp, 12.09.17
Weibliche Grabsteelen mit Versen aus der Fatiha, Eyüp, 12.09.17
5. Transformationsprozesse Istanbuler Friedhöfen
Wie jede Region ist auch die Metropole Istanbul von stetigem Wandel ihres Stadtbildes betroffen. Die Gründe hierfür ähneln sich auf der ganzen Welt, seien es politische, soziale oder geologische Gründe. Die Friedhöfe Istanbuls haben ihren Standort jedoch größtenteils beibehalten, wie Eyüp, der jüdische Friedhof in Beyoglu, der Friedhof in Kasimpasa, in Feriköy, wo er sogar noch gewachsen ist, auf der asiatischen Seite der Friedhof Karacaahmet, sowie die meisten weiteren Friedhöfe bestehen immer noch aufgrund von Respekt zu den Toten, sowie schier Platzmangel in der stetig wachsenden Metropole. Wandel der Regierungsstile und soziale Trends spiegelten sich dafür jedoch, wie bereits beschrieben, in der Gestaltung der Grabsteelen, der Turbane oder seit dem Ende des osmanischen Reiches auch in der Form der Grabsteine wieder. Der Trend der stehenden Steelen ist so gut wie verschwunden, da mit der Amtseinführung von Mustafa Kemal Atatürk 1923 die Bekleidungsvorschriften abgeschafft und der rote Fez sogar von Atatürk als zivilisatorisch rückständig gebrandmarkt wurde und schon 1828 wurde unter Sultan Mahmud II in einer Welle von Staatsreformen der Turban als zu rückständig deklariert und das Tragen des Fez verordnet. Diese Anordnung spiegelt sich daher auch auf den Grabsteelen wider, wenn man Sterbedaten vor den Reformen mit jenen hinter ihr vergleicht.
Seetzen erkundet ebenfalls nicht nur die muslimischen Friedhöfe mit ihren besonderen Grabsteelen, sondern spaziert auch über zahlreiche armenische Begräbnisplätze, türkischer Juden oder der der Griechen. Dabei hält er unter Anderem diesese Eindrücke fest:
,,[…] 21. April (Donnerstag) Tour nach Tschiftlick und längs dem Canal. Die Luft war bezogen und es regnigte stark. Nachmittags hellte es wieder auf. Wäre die Witterung gut gewesen: so würden wir das Vergnügen gehabt haben eine große Menschenmenge auf den armenischen Begräbnisplätzen anzutreffen. Jetzt trafen wir bloß einzelne Gruppen, größtentheils Weiber. Ein wohlhabender Armenier speisete neben den Grabstellen seiner Vorangegangenen eine Gesellschaft unbemittelter Personen, männlichen und weiblichen Geschlechts, doch letztere in einiger Entfernung von erstern. Ein langes Tischtuch wurde auf den Rasen ausgebreitet; rund umher hockten die Gäste, Alt und Jung nieder. Jeder Erwachsene bekam zuerst ein Gläschen Branntwein; Kleinen gebe ich nichts, sagte ein dienender Armenier; Ihr würdet nur trunken werden!‘‘ Dann erhielt Jeder ein Stückchen Helwa und eine Messerspitze von Kaimack. Ein großer Kessel enthielt die Hauptspeise vielleicht Pillau. Die Armenier begehen die Todtenfeier mit viel Gewissenhaftigkeit. Nach iedem Feste besuchen sie die Gräber so viele Tage, als das Fest währte, also diesmal 3 Tage, weil Ostern 3 Tage dauerte. Einige speisen für sich stille auf den Grabstätten. Andere bewirthen Arme mit einem Male. Weiber erheben zwischen dem Essen ein lautes Klagegeschrey ‘‘ Warum verließest du mich, deine Kinder etc. ? Du warst ein so guter Mann; was thaten wir dir zu leide? Was helfen dir ietzt deine Bemühungen, deine Arbeit, Pläne? Jetzt liegst du im Grabe und kannst nichts von dem Erworbenen des Fleißes genießen! etc.‘‘ – Wir verfolgten eine Strecke den Weg nach Läwändtschischlik, und bogen alsdann rechts vom Wege nach Beschicktasch zu, um eine kleine Kaiserliche Gartenanlage, Oglamuhr, zu besehen. […]‘‘ (Seetzen, 1803, S.285)
,,8. April […] Nachmittags machte ich einen Spaziergang nach den Begräbnisplätzen von Pera. Geht man die Hauptstraße hinauf, so hat man rechts schon gleich Begräbnisplätze. Verfolgt man den Weg nach Bujükdärä weiter: so hat man rechts am Wege ein Brunnenhaus und darüber das steinerne bedachte lange Wasserbassin, woraus das Wasser hier vertheilt wird. Weiterhin kommt man an die Begräbnisplätze der Protestanten und Katholiken rechts am Wege; die Grabmonumente derselben sind schändlich vernachlässigt, von einander geworfen und die Steine, die aus schönem weißem Marmor bestehen, zum Theil gestohlen. Auch sind hier keine Bäume gepflanzt. Hier werden viele Grabsteine aus weißem Marmor zum voraus bereitet, theils für die Armenier, theils für die Franken. Noch weiter hinab folgen die armenischen Begräbnisplätze, die einen großen Raum einnehmen und überall dicht mit orientalischen Platanen bepflanzt sind. Die armenischen Leichensteine, deren Zahl so groß ist, daß alle Räume zwischen den Bäumen damit belegt sind, sind alle von weißem Marmor, und liegen platt, statt daß die Türkischen stehen. Die armenische Schrift nimmt sich auf denselben sehr sauber aus, besonders auf den neuern Monumenten, worauf die Buchstaben mit großem Fleiße und ungemeiner Zierlichkeit eingegraben sind. Einige Armenier haben Brunnen neben ihren Grabsteinen graben und ausmauern lassen, welche aber zugedeckt sind und nicht gebraucht werden […]. (Seetzen, 1803,S. 242)
Da Seetzen verschiedene Adressen im Stadtteil von Pera bezog, beobachtet er auch des Öfteren Leichenzüge in seiner Wohngegend. Darunter sind viele Pesttote und meistens meint er, bei der Konfession der Toten Armenier zu erkennen:
,, […] 6. Januar […] Heute morgen hatten wir ein Schauspiel trauriger Art. Es wurde eine Leiche durch unsere Gasse zum Grabe getragen. Sie lag in einem offenen Sarge, welche von 4 gemeinen Männern durch 2 quer darunter durchgestreckte Stöcke getragen wurde. Ihr Gesicht war unbedeckt und darnach schien es ein bejahrter Mann zu seyn. Ueber den Sarg waren 2 kleine Bogen gespannt, an iedem Ende, einen, welche mit Blumen dicht umwickelt waren. Schon von weitem hörten wir ein heftiges Geschrey, wodurch unsere Nachbarn alle an die Fenster und Thüren gelockt wurden. Wie die Träger näher kamen, sahen wir, daß es die Frau des Verstorbenen war, welche seinen Sarg mit den Asubrüchen des heftigsten Schmerzes begleitete, Sie rang ihre Hände, hob sie mit lautem Klagen in die Höhe; dann faßte sie mit dem erschütterndsten Geschrey den Sarg und beugte sich über die Leiche, als wenn sie dieselbe nicht von sich lassen wollte. Staunend standen die Träger einige Augenblicke zögerns stille, als wären sie unschlüssig, ob sie vor- oder rückwärts gehen sollten. Einige Minuten nachher kam die Frau allein wieder zurück. Ihr Schmerz war noch nichts gemildert. In der Nähe unserer Wohnung setzte sie sich auf der Gasse nieder, weil ihre Kräfte erschöpft schienen. Allein, wenn der innere Schmerz sie überwältigte: so schrie sie, ihre Hunde ringend und in die Höhe streckend, fürchterlich, so daß ihr zuletzt der Ton ausging. Kein Geistlicher begleitet die Leiche. Ich weiß also nicht : ob es ein Christ oder ein Jude war? (Es war ein Armenier, der an einem bösartigem Fieber, doch nicht an der Pest starb.)‘‘ (Seetzen:1803S. 71/72)
Im muslimisch, osmanisch regierten Konstantinopel stellten die Armenier eine geduldete Minderheit dar, die bisweilen erst durch aufkommenden Nationalismus im 19. Jahrhundert mit Diskriminierung und Anschlägen auf ihr Leben kämpfen mussten, bis diese Xenophobie unter Sultan Abdülhamid II im Völkermord an den Armeniern gipfelte. Armenier, wie weitere Minderheiten, mussten im osmanischen Reich eigene Stadtteile bewohnen, sowie seperate Friedhöfe benutzen. Der armenische Friedhof Pangalti wurde von Sultan Süleyman I 1560 genehmigt und stetig ausgebaut, sodass er zum größten nichtmuslimischen Friedhof in Konstantinopels heranwuchs. Dieser befand sich bis zu seiner teilweisen Schließung nach einer Cholera Epidemie 1865 auf dem Gebiet der Hotels Divan, Hilton und Hyatt, sowie einem Teil des Geziparks. Nach Bemühen der Armenier wurde der stillgelegte Friedhofsteil zum Gezipark umgebaut. Der heutige Gezipark befindet sich allerdings nicht auf dem ehemaligen Friedhofsgelände Pangalti, sondern wurde ab 1939 von dem Stadtplaner Henri Prost im Auftrage Atatürks auf dem ehemaligen Gelände der Topcu Kaserne errichtet, diese diente ab 1921 als Fußballstadion. Armenische Leichensteine und weitere Materialien des Friedhofes wurden nach seiner vollständigen Zerstörung 1930 zum Bau des Parks, wie in dem Fall des Springbrunnens oder des Eminönüplatzes, wiederbenutzt. (Im Vorfeld der Geziproteste wurden im Jahre 2013 bei Bauarbeiten noch armenische Grabsteine auf dem Areal gefunden.
Seetzen fand während seines Besuches in Konstantinopel 1802/3 den armenischen Pangalti Friedhof noch unverändert vor. Dies könnte auch der Grund sein, weshalb er in seinem Wohnviertel in Pera des Öfteren armenische Leichenzüge beobachtete, wie die von anderen Konfessionen. Ein weiterer Grund ist natürlich die größtenteils europäisch-christliche Bevölkerung Peras in der Nachbarschaft des armenischen Pangalti Friedhofs.
Im heutigen Gezipark, mit Blick auf das Hyatt Hotel und in etwa dem Gebiet des ehemaligen Pangaltifriedhofes, 19.09.17
6. Gedanken zum Wandel und zur Ähnlichkeit
Die Frage um ‚Ähnlichkeit‘ auf Basis der Sekundärlektüre ,, Ähnlichkeit. Ein Kulturtheoretisches Paradigma“, herausgegeben 2015 von Anil Bhatti und Dorothee Kimmich, leitete unsere Exkursion im September 2017 auf den Spuren Ulrich Jasper Seetzens einerseits mit dem Gedanken an, was wir nach 215 Jahren noch vorfinden, in etwa wie es Seetzen 1802/1803 beschrieben hat. Andererseits beschäftigte uns die Frage nach der Ähnlichkeit zwischen Kulturen, so wie deren Transformationsprozessen durch Raum und Zeit. Bereits zum Start der Exkursion haben wir uns mit den greifbaren Überlieferungen des Wissens und Kulturaustausches im ,Museum für Geschichte der Wissenschaft und Technik im Islam‘ im Gülhanepark in Istanbul, diesen stetig durch Raum und Zeit sich in Bewegung befindlichen Austausches auf der Welt, vergegenwärtigt. In Bezug auf die Istanbuler Gräber lässt sich anhand der Bestattungskultur im Vergleich einzelner Konfessionen feststellen, dass jede Konfession ähnliche Bestattungsriten, sowie Grabkulte auslebt. Anhand der in diesem Artikel näher beschriebenen Gräber der osmanischen Muslime lässt sich darüberhinaus der Wandel im Bestattungskult anhand der Sterbedaten und den so einzuordnenden Regierungszeiten der osmanischen Sultane und deren Reformbestrebungen feststellen wie zum Beispiel diejenige Fez-Reform unter Sultan Mahmud II 1828. Die Regierungsperioden der osmanischen Sultane waren je nach Stil mehr oder weniger autoritär, beziehungsweise mehr oder weniger tolerant gegenüber Nichtmuslimen in ihrer Gesellschaft. Überall dort, wo es in der Geschichte und Gegenwart zu einer Negierung von Ähnlichem zwischen Menschen in komplexen plurikulturellen Gesellschaften und ihrer Bräuche und ihrem kulturell bedingtem Verhalten kommt, entstehen Rassismus und Ausgrenzung als sichtbares Verhalten schnell stetig an. Diese gesellschaftsübergreifend, ähnliche Reaktion auf die Betonung von Differenz in der Sprache, die zu systematischer Ausgrenzung und Gewalt führen kann, ließ und lässt sich auf allen Erdteilen beobachten, ob es das Südafrikanische Apartheidssystem war, die Epoche der europäischen Diktaturen von Franco über Hitler bis Mielke oder heutige Regime, wie das unter Kim Jong-Un in Nordkorea, sowie zahlreiche weitere autoritär und totalitär geführte Staaten des 21. Jahrhunderts. Bhatti verweist in der Einleitung zu ,Ähnlichkeit. Ein Kulturtheoretisches Paradigma“ auf das Potenzial der Betonung von Ähnlichkeiten im Dialog in plurikulturellen Gesellschaften, wie Europa oder Indien:
,, Das zerstörerische Gewaltpotential fundamentalistischer Bewegungen in Indien und in ganz Europa und die Notwendigkeit, neue Wege der Toleranzdiskussion und in der Integrationspolitik in Migrationswelten zu finden, bilden den Hintergrund für die Aktualität des Themas >Ähnlichkeit<. […] In offen plurikulturellen Welten ergibt sich zunehmend so etwas wie ein Habitus der Gleichgültigkeit gegenüber der angeblichen Relevanz von sichtbaren Unterschieden: eine >Indifferenz gegenüber Differenz< also. Denn Differenz ist man in plurikulturellen Situationen gewissermaßen immer schon gewöhnt und sie muss nicht weiter betont oder gar theoretisch […] abgesichert werden. Ähnlichkeiten dagegen werden in der gesellschaftlichen Praxis virulent und bewusst gemacht. Im Ähnlichkeitsdenken werden Zusammenhänge und Netzwerke betont. Es kommt auf das Gesamtgewebe an.“ ( Bhatti/Kimmisch: Einleitung. Ähnlichkeit. Ein Kulturtheoretisches Paradigma. 2015, S, 15-17)
Dieses Gedankenkonzept trieb schon Goethe an, wie es in seinem Werk der ,,West-Östlicher Divan“ von 1819nachzulesen ist, indem er festhält, was die Kulturen vereint und nicht, was sie unterscheidet:
Zitat aus ,,West-Östlicher Divan“ von Goethe im Museum für Geschichte der Wissenschaft und Technik im Islam in Istanbul, 12.09.17
,,Wer sich selbst und andere kennt
Wird auch hier erkennen
Orient und Occident
Sind nicht mehr zu trennen. “
Den Gedanken eines Gewebes, in dem jeder Mensch miteinander verbunden ist, nimmt ebenso Jan Assmann in seinem Essai , Zum Humanismus der Ähnlichkeit‘ nach der Idee Ludwig Wittgensteins auf, ebenfalls erschienen im Band , Ähnlichkeit. Ein Kulturtheoretisches Paradigma“:
,,[…]Wittgenstein illustriert sein Konzept der Familienähnlichkeit unter anderem mit dem Bild des Seils. Das Seil ist aus vielen einzelnen Fäden geflochten, von denen kein einziger von Anfang bis Ende durchläuft, und das doch unter Umständen größtem Zug standhält. So sind auch die Größen, die einander ähnlich sind miteinander verbunden, nicht durch etwas, was allen gemein ist, sondern durch nachbarschaftliche Verflechtung. Es scheint mir, dass der Begriff der Ähnlichkeit hier Aporien lösen könnte, in die sich die Suche nach der Aufklärung nach dem, was allen Menschen, Religionen, Kulturen gemein ist, verrannt hat […]“ (Assmann 2015: Zum Humanismus der Ähnlichkeit. In: Ähnlichkeit. Ein Kulturtheoretisches Paradigma. University Press, Konstanz. S. 47)
wie weiter:
,,[…] In diesem Sinne empfiehlt Anil Bhatti >hermeneutische Abstinenz<: >>Wichtiger als den Anderen zu verstehen und eine dichotomisierende Hermeneutik des Verhältnisses zwischen dem Eigenen und dem Fremden zu entwickeln, wäre die bewusste Entwicklung einer Praxis, die und erlaubt, mit dem Anderen auszukommen<< (Bhatti: Heterogenität, Homogenität, Ähnlichkeit. S. 263). Als Beispiel einer solchen Praxis gilt ihm Goethes West-Östlicher Divan, dem es gerade nicht darum geht, das Fremde – in diesem Fall das Werk des persisch-islamischen Dichters Schams-ed-Din, genannten Hafis zu vereinnahmen, weder ins Gemeinsame noch ins Eigene, sondern mit ihm >>ins Gespräch zu kommen<<. […] Goethe folgte in seiner poetischen Anverwandlung (in einem Gespräch 1804 mit Crabb Robinson) seinem Gefühl und nicht einer Idee von Humanität oder Weltliteratur, die man nicht lieben oder hassen, sondern nur konzipieren kann. Seine orientalisierende Dichtung entsprang einer Empathie, und Empathie ist wohl, anders als Toleranz, die Kraft, die das Wittgensteinsche Seil zusammenbindet. In diesem Sinne kann man auch Goethes West-Östlichen Divan als eine solche Praxis begreifen, die den Anderen nicht verstehend vereinnahmen, sondern mit ihm kooperieren will, z.B. dichten, oder wie im Fall von Edward Saids und Daniel Barenboims West-östlichem-Divan-Orchester miteinander muizieren oder auch wie in dem FilmFootball under Cover, miteinander Fußball spielen.“ (Assmann; 2015: Zum Humanismus der Ähnlichkeit. In: Ähnlichkeit. Ein Kulturtheoretisches Paradigma. University Press, Konstanz. S. 57/58)
Seetzen selbst hätte sich in den Gedanken von Bhatti, Assmann, Wittgenstein, sowie Goethe als Humanist wiedergefunden. Er fühlte sich darüberhinaus den Derwischen, besonders denen aus dem Mevlanaorden in Istanbul sehr zugeneigt. Die Derwische des Mevlanaordens vertraten eine relativ humanistische Weltsicht, die denen der Freimaurer mit dem Konzept von Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit, Toleranz und Humanität sehr ähnlich waren. Zum Thema der Derwische biete sich ein weiterer Blog an, da dieser genug Fülle für einen eigenständigen Artikel auf Ulrich Jasper Seetzens Reise nach Konstantinopel darbietet.
Abschließen soll diesen Artikel Seetzens Gedanken zum Tod, in denen sich wiederum humanistische, friedfertige Weltsichten herauslesen lassen. Dieses Zitat rundet ebenfalls das Thema rund um Wandel, Transformationsprzesse, Tod und Leben auf Istanbuler Friedhöfen ab.
S. 722-24, Am 7.11.1802, in Antakia ,,[…] Obgleich ich mich ganz und gar nicht von einer Fortdauer nach dem Tode überzeugen kann, nämlich wie die meisten Menschen glauben, und die meisten Religionslehren sie schildern: so fand ich mich dadurch doch nicht beunruhiget. Ich wurde weder durch die Aussicht in ein künftiges Elysium erfreuet, noch durch den Anblick eines Fegefeuer, Tartarus, Hölle u.s.w. erschreckt; ich war gleichgültig. Ich war nicht unglücklicher, als die Menschen in diesen Augenblicken im Durchschnitte sind, die eine Fortdauer nach dem Tode glauben; denn obgleich einige vielleicht durch die sichere Hoffnung, ins Paradies überzugehen, alsdann erfreuet werden, so giebt es auch wieder andere, welche in ungewisser Erwartung stehen und noch andere, welche den Höllenschlund vor sich geöffnet sehen. Die Gefühle des Sterbenden scheinen mir im ganzen genommen nicht so schrecklich, als der lebende Mann sie sich vielleicht einbildet, wenn er den Kranken in seinen letzten Stunden beobachtet. – Der Nachruhm ist dem Sterbenden eine Chimaere; aber der Wunsch, dass seine Familie und seine Freude, die er schätzt, sich seiner immer freundschaftlich erinnern mögen, steigt mit ihm ins Grab. – Obgleich ich mich auf keine Art von einer Fortdauer nach dem Tode überzeugen kann, wie man sich dieselbe für gewöhnlich denkt: so bin ich im Gegentheile von unserer Fortdauer in der Natur aufs festeste überzeugt; denn von dieser Belehren uns unsere Sinne; die einzigen Mittel unserer Belehrung, unserer Kennntnisse, unserer Weisheit, indem Alles, was ausser ihrer Erreichkraft liegt, nichts weiter als luftige Phänomene und Chimären ist. Ich bin fest überzeugt, dass die Grundstoffe unseres Körpers wieder zur Bildung anderer Wesen angewendet werden und dass sie von neuem in den ewigen Kreislauf der schaffenden Natur kommen. So wandern und wanderten sie in Millionen Iahren in Thieren, Pflanzen, Minderalien, Luftarten, Wasser, Feuer u.s.w. Ob diese Grundstoffe einen Anfang und ein Ende haben, ob ein Wesen einst ihr Urheber war etc. Dies liegt ausser den Gränzen menschlicher Untersuchungen, und darf also nie der Gegenstand unserer ernsthaften Untersuchungen werden. Für uns, deren Geschichte in dem Vergleich der Zeit (Vergangenheit und Zukunft) nicht einmal einem Tropfen in der vorhandenen Wassermasse gleicht, für uns sind sie ewig. Ein Schöpfer nach gewöhnlichen Begriffen ist für uns ein Nonens, ein Phantom, indem es nicht möglich ist, uns ein solches Wesen deutlich zu denken. Was heisst Allwissend, Allweise u.s.w., wenn wir diese Wörter mit unserem Verstande fassen wollen? Nichts! gar nichts! Denn bemühen wir uns, etwas bey diesen Wörtern zu denken: so ist das Product unserer Bemühungen immer etwas Menschliches, und dann ist es ia eine Eigenschaft, die nicht auf die Gottheit anpassend ist. Was ist Gott? Ein Despot mit Scepter und Krone? Ein Mann? Ein Weib? Ein Iupiter, Apoll, Venus, Bacchus? Alt? Iung? Womit beschäftigt er sich? U.s.w. Man sieht, wie absurd iedes Betreben sey, sich über die Grenzen unserer Sinne hinauszuwagen. (Die Gedanken müssen weiter ausgeführt werden S. ) […].“ (Seetzen: 1803. Tagebuch des Aufenthalts in Konstantinopel und der Reise nach Aleppo 1802-3, S. 722-724)
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Primärliteratur:
• Seetzen, Ulrich Jasper (2012): Tagebuch des Aufenthalts in Konstantinopel und der Reise nach Aleppo 1802 – 1803.
bearb. von Volkmar Enderlein, Documenta Arabica, Teil 1: Reiseliteratur, Hildesheim, Zürich, New York: Georg
Olms.
Sekundärliteratur:
Debold-Kritter, Astrid (2012): Mellings Darstellung des multi-ethnischen Lebens in Konstantinopel um 1800. Voyage pittoresque de Constantinopel et des Rives du Bosphore. EOTHEN Sonderdruck, Münchner Beiträge zur Geschichte der Islamischen Kunst und Kultur. Band V, München: Scaneg Verlag
Bhatti, Anil / Kimmich, Dorothee (2015): Ähnlichkeit. Ein Kulturtheoretisches Paradigma. Konstanz: University Press.
Eldem, Edhem; Vatin, Nicolas: L’épitaphe Ottoman musulmane (XVIe-XXe): contribution à une histoire. Paris: Peeters.
Said, Edward W. (2003): Orientalism, New York: Vintage Books.
Tertiärliteratur:
http://www.turkeygravestones.com/
(C) by Sophia-Elisa Segler