1. Welche theoretischen Schwierigkeiten ergeben sich bei dem Versuch, „Differenz“ oder „Heterogenität“ im Schulkontext identifizieren und beobachten zu wollen? Und was hat dies mit „Differenz“ oder „Heterogenität“ als Gegenstand selbst zu tun?

 

Die beiden Begriffe erweisen sich im Schulkontext insofern als problematisch, als dass sie zunächst im kollektiven Verständnis zu unkonkret formuliert werden. Zunächst einmal bezeichnet der Begriff Heterogenität in der allgemeinen Auffassung einen Zustand, den es zu beobachten und mit dem es zu arbeiten gilt. Dass er jedoch vielmehr einen Überbegriff darstellt, der verschiedene Arten der Heterogenität unterschiedlicher Kategorien nebeneinander stellt, ist hierbei eine wichtige Erkenntnis (Rose 2015, S. 192). Sie zeichnet ihn gleichermaßen als zu ungenau für die Verwendung in der Schulpraxis aus, da er die eigentlich wichtigen Differenzierungskategorien außer Acht lässt.

Der Begriff der Differenzierung ist insofern mit Vorsicht zu behandeln, als dass er ebenfalls (ähnlich zum Begriff der Heterogenität) einen allgemeingültigen Zustand der grundsätzlichen Verschiedenheit voraussetzt. Die sogenannte Beobachtung der Differenz stellt jedoch nicht die Differenz als Zustand dar, sondern konstruiert sie regelrecht. Dies liegt darin begründet, dass der Prozess der Differenzierung immer von einer impliziten Norm aus Sicht des Beobachtenden ausgeht und die zu differenzenzierenden Praktiken ins Verhältnis dazu setzt (Rose 2015, S. 193). Es sollte also vielmehr vom Prozess der Differenzierung mit einer expliziten Formulierung der Norm (also wonach differenziert werden soll), als vom Beobachten des Natürlich gegebenen Zustands der Differenz gesprochen werden (Rose 2015, S. 194).

 

  1. Welche Differenz-Kategorien legen Sie vermutlich – eher unbewusst – im Blick auf Ihre zukünftigen Schüler*innen an und welche erweisen sich – nach Ihrem bisherigen Kenntnisstand – warum als eher problematisch als andere?

 

Die Differenzierung nach dem Kriterium der schulische Leistung, so wie sie auch in Roses Beispiel von SuS wird (Rose 2015, S. 206) ist fester Bestandteil des Lehrerberufs und damit in der Ausübung desselben nicht zu umgehen. Der Notengebung können sich Lehrkräfte (zumindest an Regelschulen) nicht entziehen. Weitere Differenzierungen in anderen Kategorien sind aber ebenfalls notwendig um mit der differenten Leistungsfeststellung der SuS umgehen zu können. Dabei ist jedoch stark danach zu unterscheiden welche Kategorien hier zielführend sind und welche nicht. Um Lernschwierigkeiten in einer Klasse begründen und begegnen zu können, kann es beispielsweise sinnvoll sein, SuS nach sozioökonomischem Hintergrund zu differenzieren um daran spezielle Unterstützungsangebote auszurichten. Ebenso ist die Differenzierung nach gesundheitlichen Lernvoraussetzungen sinnvoll.

Nicht zielführend ist aber die Differenzierung nach Kategorien, welche kein explizites Handeln seitens der Lehrkraft zum Verbessern der schulischen Leistung oder Persönlichkeitsentwicklung bieten. Darunter fallen beispielsweise die Differenzierung nach Kategorien wie Gender oder Migrationshintergrund, weil sie in keinem Zusammenhang mit der schulischen Leistung stehen.

 

  1. Würde(n) sich die Interpretation(en) der im Vortrag zugrunde gelegten Szene der „Gruppenarbeit in Klasse P“ aus Ihrer Sicht verändern (und wenn ja, wie), wenn Sie sie explizit unter der Aufmerksamkeitsrichtung der Bedeutung von „Migrationshintergrund“ oder „Gender“ in Unterricht zu lesen versuchten?

 

Prinzipiell ist der Gedanke der übergeordneten Stellung der leistungsorientierten Differenzierung als übernommene institutionalisierte Form der Differenzierung plausibel (Rose 2015, S. 206). Schließlich ist sie in der Institution Schule mit ihrem Rahmen aus Regeln und Ritualen, hier verkörpert durch die Gruppenaufgabe, am leichtesten zu beobachten. Dass sie sämtliche andere Kategorien der Differenzierung, Gender oder Herkunft einschließt ist ebenfalls plausibel dargelegt. Dennoch ist es sinnvoll Überlegungen anzustellen, welche Differenzierung sich ergäbe, würde man andere Kategorien hier an erste Stelle stellen.

Einfacher zu bewerkstelligen ist dies hier noch bei der Kategorie Gender, da diese für denBeobachter noch gut zu durchschauen ist. Auffallend ist, dass die Rollen der sozial „aktiveren“ den als weiblich gelesenen SuS zufallen und die der „inaktiven“ den männlich gelesenen. Dies könnte mit der Atributisierung bestimmter Gender-identitäten verbunden sein, welche hier als Differenzierungsnorm angenommen werden können. Diese Form der Differenzierungskategorie ist jedoch für den Beobachter der Szene schwer zu fassen, da er nur über das Aussehen auf Gender der SuS rückschließen kann.

Noch problematischer ist die Differenzierungskategorie „Herkunft“, da hier alle ausschlaggebenden Merkmale, welche die Herkunft eindeutig identifizieren können, weder dem Beobachter, noch den SuS offensichtlich vorliegen. Der Vorname der Gruppenmitgliedes „Hatif“ impliziert einen möglichen Migrationshintergrund und damit eine mögliche Wertung der beiden „aktiveren“ SuS im Bezug auf die schulische Leistung. Dennoch lässt sich für den Beobachter bei anderen Gruppenmitgliedern kein Migrationshintergrund zweifelsfrei ausschließen. Damit sind die Grenzen dieser Kategorie hier zu ungenau um sie bei der Beobachtung an erste Stelle setzen zu können. Da ergibt der Schulische Rahmen, anhand welchem man zweifelsfreier die Differenzierung festmachen kann, als übergeordnete Kategorie für dem Beobachter durchaus Sinn. Inwiefern diese und die anderen Differenzierungskategorien aber tatsächlich in Beziehung zueinander stehen, ist aus dieser Beobachtungsperspektive nicht einzuschätzen.

 

Verwendete Literatur:

Rose, Nadine. 2015. „Differenzierung unter Schüler_innen im reformorientierten Sekundarschulunterricht – oder: warum wir vorwiegend ‚Leistung‘ beobachten, wenn wir nach ‚Differenz‘ fragen“. Zeitschrift für qualitative Forschung 16(2): 191–210.