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Wann haben Sie sich beim schulischen
Fremdsprachenlernen in ihrer Individualität gesehen und
ernstgenommen gefühlt?

Im Englischunterricht in der Mittelstufe habe ich mehrmals als Arbeitsauftrag erhalten, ein englischsprachiges Medium vorzustellen, zumeist Bücher, aber auch Filme. Die nur durch geringe Vorgaben eingeschränkte, relativ freie Wahl des Textes/Films erlaubte mir, die Vorbereitung auf den Englischunterricht teilweise in meinen normalen Medienkonsum zu integrieren. Ich konnte die Sprache damit nutzen und zwar einigermaßen so, wie es mir gefiel. Die Wahl des Mediums erlaubte mir, nach meinen Neigungen und (eingeschränkt) auch nach meinem Leistungsstand, Englisch zu üben. Dies schien mir eine willkommene Abwechslung zum Lernen von Vokabeln und Diskutieren von Schulbuchtexten zu sein, die sich vor allem auf die Lebenswelt von zehn Jahren vor mir jugendlich Gewesenen zu beziehen schienen.

Reflektieren sie die Stärken und Schwächen eines
hochgradig individualisierten Fremdsprachenunterrichts.

Im individualisierten Unterricht sollen sich Schüler*innen zum den eigenen Lernprozess steuernden Subjekt entwickeln, sie arbeiten selbständig an unterschiedlichen Aufgaben, nicht an den gleichen im Klassenverband. (vgl. Tyagunova/Raggl 2023, 136) Im regulären Englischunterricht stehen vor allem Aspekte der mündlichen Kommunikation im Mittelpunkt. (vgl. Giesler/Schuett/Wolter 2016, 71) Eher textbezogene Kompetenzen und Fähigkeiten wurden indes im regulären Unterricht weniger behandelt, sondern wohl zumeist in den Bereich der Hausaufgaben geschoben. (vgl. Giesler/Schuett/Wolter 2016, 71) Der individualisierte Fremdsprachenunterricht kann durch seine Fokussierung auf den einzelnen Schüler Inhalte, die vornehmlich in Einzelarbeit vermittelt werden, besser vermitteln als der kommunikativer ausgelegte Klassenunterricht. Die sehr relevante mündliche Kommunikation jedoch wird bei hochgradig individualisiertem Unterricht nahezu zwangsläufig vernachlässigt – mit wem soll der selbstständig Lernende sich austauschen, wenn seine Peers ebenfalls individuelle Inhalte erarbeiten?

Welche Entwicklungen erwarten Sie bezüglich der
Implementation künstlicher Intelligenz im
Fremdsprachenunterricht?

Die für den Sprachunterricht am geeignetsten erscheinenden, künstlichen Intelligenzen dürften Large Language Models (LLM) sein. Diese Modelle können sprachliche Kommunikation simulieren, indem sie Muster und Regeln aus vorliegenden Texten ermitteln und diese anwenden. (vgl. Serpico 2023) Jedoch geraten sie inhaltlich schnell an Grenzen, wie das Beispiel der Antwort auf die Frage nach dem longest 5-letter word zeigt, die die LLM oft mit der Nennung eines Wortes eindeutig und damit falsch beantworten. Auch eigene Versuche haben mir gezeigt, dass zumindest zur Zeit KI-Modelle oft falsche und irreführende Antworten geben. Für den Fremdsprachenunterrricht produktiv nutzbar könnte jedoch die Fähigkeit sein, einen sprachlich korrekten Satz zu erzeugen, der in Bezug zum eingegebenen Befehl steht. Möglicherweise könnte ein für den Fremdsprachenunterricht spezialisiertes Modell Schüler*innen als jederzeit erreichbarer Gesprächspartner zur Verfügung stehen, um kommunikative Fähigkeiten zu erlernen. Die inhaltliche Ungenauigkeit der Antworten scheint hierfür jedoch eine sehr große, möglicherweise unüberwindbare Hürde darzustellen.

 

Tyagunova, Tanya/Raggl, Andrea, Didaktische Formatierungen ‚selbständiger‘ Lernprozesse im ‚individualisierten‘ Unterricht. Zur Vereindeutigung und Stabilisierung schulischen Wissens, in: ZfG 16, 135–152 (2023)

Giesler, Tim/Schuett, Lena/Wolter, Fatou Julia, Wie können Lernziele und Rahmenbedingungen
im differenzierenden Englischunterricht (besser) aufeinander abgestimmt werden?, in: Doff, Sabine (Hg.) Heterogenität im Fremdsprachenunterricht. Impulse – Rahmenbedingungen – Kernfragen – Perspektiven, Tübingen 2016, S. 61-76

Serpico, Ryan: Here’s what ChatGPT gets wrong about the S.F. Bay Area — and why it matters, San Francisco Chronicle 4.9.2023


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