Geboren wurde ich am 6. Juli 2018 in Bad Oeynhausen. Ich bin demnach drei Jahre alt. Die Umstände meiner Geburt wären für andere bestimmt seltsam. Ich erblickte nämlich in einem Kino das Licht der Welt. Die UCI Kinowelt ist eine Kino-Kette und vor allem der Standort in Bad Oeynhausen kommt mir vor wie der schönste Ort der Welt. Wobei ich vielleicht erwähnen sollte, dass ich die anderen Kinos nie besucht habe. Auch mein Aufenthalt am Ort meiner Geburt erwies sich als kurz.
Ich wurde an diesem Sommertag ausgedruckt und verkauft. Wobei es bei diesem Kauf nicht primär um mich ging; Es ging um den Film, den man mit meiner Hilfe berechtigt war, zu sehen. Also wurden viel eher zwei Stunden Spaß erworben als bloß ein Stück Papier.
Über die Person, für die ich ausgedruckt wurde und welche mich anschließend käuflich erwarb, findet man so manches heraus, wenn man mich genauer betrachtet.
Auf mir sind einige interessante Daten bezüglich dieses Menschen vermerkt.
Beispielsweise erfährt eine mich betrachtende Person, dass ich von jemandem gekauft wurde, der studiert. Wenn diese Tatsache auf Tickets vermerkt wird, so bedeutet das meist, dass mein*e Käufer*in mich günstiger erwerben konnte.
Man erfährt außerdem, dass besagter Mensch sich an meinem Geburtstag kurz nach meinem Kauf in Saal Nummer drei begeben haben muss, um sich dort in die zehnte Reihe auf den 18. Platz zu setzen. Nun weiß der Betrachter/die Betrachterin vielleicht nicht, wie der dritte Kinosaal der UCI Kinowelt in Bad Oeynhausen aufgebaut ist, weshalb es schwer ist, im Nachhinein festzustellen, ob der/die Käufer*in gern mittig sitzt, oder es vielleicht bevorzugt, weiter hinten Platz zu nehmen. Menschen haben da für Gewöhnlich Präferenzen.
Wir wissen auch nicht, ob diese studierende Person allein war oder in Begleitung, ob sie während des Films Popcorn hatte oder nicht, ob sie zwischendurch den Saal verließ um die Toilette aufzusuchen, aber wir wissen, welchen Film sie gesehen hat. „Love, Simon“, so der Titel des Films. Fand die Person den Film gut oder schlecht? Vielleicht eher mittelmäßig?
Nun ja, wenn man mich betrachtet, dann sieht man mir mein Alter an. Ich bin ausgeblichen und an den Ecken ein wenig geknickt. An einer Seite bin ich schon leicht gelblich verfärbt.
Die Person, die mich am 6. Juli 2018 erwarb, hat mich seitdem aufbewahrt. Das sind drei lange Jahre. Ohne groß zu spekulieren würde ich meinen, daraus schließen zu können, dass die Person sich mit meiner Hilfe an diesen Kinobesuch erinnern will. Ob es daran lag, dass sie den Film mochte oder an einem anderen Umstand, der bei meiner Betrachtung nicht direkt klar wird, ist egal. Aber dieser Kinobesuch, für den ich sinnbildlich stehe, ist es scheinbar Wert, in Erinnerung zu bleiben.
Vieles über diesen Tag, diese Person und vor allem diesen Ausflug zeigt sich nicht direkt, wenn man mich betrachtet. Aber ich kann euch auch einiges verraten. Es lohnt sich also manchmal, etwas länger hinzugucken und sich zu fragen, was meine Geburt an diesem Sommertag zu bedeuten hatte.
Liebe Carola!
Ich finde es ganz erstaunlich und bemerkenswert, dass du es geschafft hast über einen, auf den ersten Blick recht unscheinbaren Gegenstand, wie ein altes Kinoticket, einen so super Blogeintrag zu schreiben.
Mir gefällt, dass du das Kinoticket, dadurch dass der Text aus dessen Sichtweise geschrieben ist,
quasi zum Leben erweckt hast.
Außerdem gut finde ich wie die Beschreibung des Gegenstandes mit Informationen und Spekulationen über den/die Besitzer*in der Kinokarte verknüpft ist. Manchmal wird es schnell langweilig, wenn man eine stumpfe und plumpe Beschreibung von irgendeinem Ding liest. Das hast du somit gut umgangen und dein Text bekommt richtig coole „Sherlock-Holmes-vibes“.
Ich hatte richtig Spaß beim Lesen!