Berliner Modell

In den 1950er Jahren entwickelte der Pädagoge und Hochschullehrer Paul Heimann ein Konzept für Unterrichtsanalyse und Unterrichtsplanung und beanspruchte eine erfahrungswissenschaftliche Grundlegung der Didaktik.
1962 – 4 Jahre nach Klafkis Publikation der Bildungstheoretischen Didaktik – erschien Heimanns grundlegende Publikation zu diesem Konzept.
Das auf diesem Konzept basierende Berliner Modell wurde 1965 von Heimanns akademischem Schüler und Mitarbeiter Wolfgang Schulz in Zusammenarbeit mit Gunter Otto und unter Beteiligung von Heimann veröffentlicht.
Konzeptionell ging Schulz nur in wenigen Aspekten über die Publikation von Heimann hinaus, aber das Modell wurde durch ihn deutlich systematischer dargestellt.
Heimann setzte sich mit großem Engagement für eine sowohl theoretische als auch unterrichtspraktisch fundierte Ausbildung ein deren grundlegende Intention es war, „das Theoretisieren zu lehren“. Damit rückte der Vorgang des theoriebasierten Interpretierens von Lehr-Lernsituationen zum Treffen von hinreichend begründeten Entscheidungen in den Vordergrund.
Hintergrund von Heimanns lerntheoretisch ausgerichteter Didaktik war die kritische Auseinandersetzung mit den seinerzeit bestehenden didaktischen Theorieansätzen. Reformpädagogische damals verbreitete Systeme wie die Waldorf-Schule oder Montessori-Schule beschrieb Heimann aufgrund ihrer Steuerung über bestimmte didaktische Grundsätze und Materialen als „geschlossene Systeme“, bildungstheoretische und lerntheoretische Ansätze jedoch bezeichnete er wegen ihres Allgemeinheitsanspruchs als „offene Systeme“.
Auch kritisierte Heimann die sogenannten Bildungstheoretiker wegen ihres „bildungsphilosophischen Stratosphärendenkens“ und ihrem „ideologisch“ ausgerichteten Bildungsbegriff, den er als für die didaktische Praxis wenig fruchtbar einschätzte.

In der lerntheoretischen Didaktik sind die Möglichkeiten der wissenschaftlichen Kontrollierbarkeit sehr wichtig. Heimann verwies hier auf die Ergebnisse der amerikanischen Lernforschung und auf die empirische Unterrichtsanalyse nach Winnefeld.
Das lerntheoretische fundierte Konzept sollte die Unterrichtsanalyse der hospitierenden Student:innen sowie deren Unterrichtsversuche leiten, indem beobachteter Unterricht analysiert wird und die Unterrichtsplanung auf Basis wissenschaftlich begründeter didaktischer Entscheidungen geschieht.
Dies sind zwei Situationen in denen die Studierenden zur Reflexion angehalten waren.
Für beide Stufen gab es zwei Stufen: Die Struktur-Analyse und die Faktoren-Analyse.

Die Struktur-Analyse hat die Funktion der ordnenden Beschreibung, das heißt, sie richtet sich auf den formalen Aufbau und die Bedingungen von Unterricht. Sie bildet die Grundlage für die Faktoren-Analyse und besteht aus sechs Strukturelementen: Den vier Entscheidungsfeldern Ziele/Absichten, Inhalte/Themen, Methoden/Wege und Medien/Mittel und den zwei Bedingungsfeldern „anthropologisch-psychologischer Art“ (zum Beispiel Lernfähigkeiten, Lernkapazitäten usw.) und „situativ-sozial-kultureller Art“(Klassenzusammensetzung, Schulprofil, Schultyp usw.).
Jedes dieser Strukturelemente steht in einem Wechselwirkungsverhältnis zu den anderen und jedes dieser Strukturelemente sieht sich zudem in Abhängigkeit zu den soziokulturellen und anthropologisch-psychologischen Voraussetzungen, die dem Unterricht vorausgehen und gleichzeitig auch folgen.
So entsteht ein fortdauernder Kreislauf.

Die beiden Bedingungsfelder sind in dem Berliner Modell in grün als „persönliche und soziokulturelle Voraussetzungen aller Beteiligten“ und als „persönliche und soziokulturelle Folgen aller Beteiligten“ dargestellt.
Die vier Entscheidungsfelder sind miteinander durch die „durchgehende Interpendenzverknüpft, welche im Modell durch schwarze Pfeile dargestellt wird.
So sind Methoden/Wege und Medien/Mittel beispielsweise eng miteinander verbunden.
Unterrichtsinhalte können nicht mit jeder Methode gleich lernwirksam unterrichtet werden. So sind beispielsweise chemische oder physikalische Zusammenhänge kaum ohne Experimente im naturwissenschaftlichen Unterricht zu erarbeiten.

Hier kommt die Faktoren-Analyse ins Spiel, die die tatsächlich vorliegenden unterrichtlichen Gegebenheiten, das heißt die situativen Aspekte, behandelt.
Diese situativen Aspekte beziehen auch die beteiligten Personen (Lehrer und Schüler) mit ihren entwicklungs- und lernbezogenen Hintergründen ein.
Hierzu zählen die Individuallage des Schülers (häusliches Milieu), die Klassensituationen mit ihrem Klassenklima, die Schulsituation und die Zeitsituation (gesellschaftliche und kulturelle Faktoren).
Diese situativen Aspekte sind in den Planungsentscheidungen für Unterricht (Intentionen, Inhalte, Methoden, Medien (Bedingungsfelder)) zu berücksichtigen.

Im Rahmen der retrospektiven Unterrichtsanalyse lassen sich so Gründe für bestimmte didaktische Entscheidungen bzw. den Verlauf des durchgeführten Unterrichts herausarbeiten.
Die Betrachtung kann strukturiert unter den Perspektiven von „Normenkritik“, „Faktenbeurteilung“ und „Formverständnis“ erfolgen.
Dies wird als Bedingungsprüfungbezeichnet.

Heimann ging übrigens davon aus, dass Lehrpersonen einem ideologischen Druck ausgesetzt sind, der sich – von gesellschaftlich einflussreichen Gruppen wie Kirche, Staat, Institutionen etc. – bis in den Unterricht hinein auswirkt, weswegen er eine „kritische (Selbst)reflexion“ der Lehrkräfte für unabdingbar hielt. Er vertrat außerdem die Position, dass sich die empirische Unterrichtswissenschaft an dem Postulat der Wertefreiheit orientieren sollte.
Ein letzter wichtiger Grundbaustein des Berliner Modells sind die Prinzipien der Planung: Interdependenz, Variabilität und Kontrollierbarkeit.
Auf die Interdependenz sind wir weiter oben im Text bereits eingegangen, sie bezeichnet widerspruchsfreie Wechselwirkung und Kombination der Strukturelemente.
Das Prinzip der Variabilität trägt den anthropologischen Einflüssen Rechnung und bezieht sich auf ungeplante Situationen, die sich im Unterricht ergeben können und auf die Lehrende adaptiv reagieren müssen. Das Prinzip umfasst außerdem auch fähigkeits- oder interessenangepasste geplante Unterrichtsvarianten für Teilgruppen einer Klasse, bezeichnet als Binnendifferenzierung“.
Das Prinzip der Kontrollierbarkeit verweise darauf, den geplanten Unterricht mit dessen Durchführung abzugleichen.
So soll das Ausmaß an Erreichtem oder an Diskrepanzen zwischen Planung und Durchführung festgestellt werden.
Damit überprüft die Lehrperson auch die Wirkung ihres eigenen Tuns.

(Abbildung 1)

Fragen:

Was kritisierte Heimann an den reformpädagogischen Modellen?
a) Sie seien zu theoretisch.
b) Sie widersprächen einander zu sehr.
c) Sie seien zu stark über bestimmte didaktische Grundsätze und Materialen gesteuert.
d) Sie seien nicht mehr zeitgemäß und zu stark orientiert an religiösen Grundsätzen.

Was ist die Struktur-Analyse?
a) Sie richtet sich auf den formalen Aufbau und die Bedingungen von Unterricht.
b) Sie erfasst die Struktur einer didaktisch wertvollen Reflexion.
c) Sie strukturiert das Verhältnis zwischen Berliner und Hamburger Modell zueinander.
d) Eine Lernforschungsmethode.