Das Konzept „Lifesharing“

Das Konzept „Lifesharing“ anhand meiner Auslandserfahrung.

von Jette Höft.

 

Lifesharing – was ist das eigentlich?

Lifesharing bedeutet, dass das Pflegepersonal mit Menschen mit Lernbehinderungen in einem Haushalt zusammenlebt und sie Lebenserfahrungen teilen. Es bietet den Menschen mit Lernbehinderungen die Möglichkeit, Teil einer Familie zu sein und am Gemeinschaftsleben teilzunehmen. (Department of Human Services, o. J.)

So habe ich mein Leben in meinem Auslandsjahr nach dem Abitur verbracht. Ich habe ein Jahr in einer Community in Schottland gelebt und gearbeitet. In diesem Text setze ich mich mit meiner Erfahrung auseinander und nicht mit dem Konzept und Strukturen der Community. Um den Datenschutz zu wahren werde ich in diesem Text die Lifesharinggemeinschaft, in der ich mein Auslandsjahr absolvierte, nicht namentlich benennen, sondern austauschbar die Begriffe Community und Gemeinschaft verwenden.

In der Community haben die Menschen mit Lernbehinderung mit dem primären Pflegepersonal, häufig deren Kindern und Freiwilligen zusammengelebt. In der Gemeinschaft gab es ca. 15 von diesen Häusern. Zusätzlich gab es noch Workshops, wie zum Beispiel die Farms, die Bakery, die Confectionary, den Store, das Café, den Metalworkshop und die Gardens. Jeder Bewohner des Dorfes, also die Menschen mit Lernbehinderungen, die Freiwilligen und die meisten des ansässigen Pflegepersonals, haben in diesen Workshops gearbeitet. Jeder, also auch die Menschen mit Lernbehinderungen, hat somit zum Wohl des Dorfes und zur Gemeinschaft einen Beitrag geleistet. In den Häusern herrscht ein familiäres Gefühl und man verbringt viel Zeit zusammen. Der Tages- Wochenablauf ist strikt durchgeplant, da es den Bewohnern hilft, wenn sie eine Feste Routine haben. Die Community baut also auf das Konzept von Lifesharing, bei dem es darum geht sich als Teil dieser Gemeinschaft zu sehen.

Ich habe diese Art zu leben für mich in vielen Aspekten sehr positiv wahrgenommen, sehe aber auch einige kritische Punkte.

Es hat sich gut angefühlt, Teil einer Community zu sein. Ein starkes Gemeinschaftsgefühl war spürbar und man wusste stets, dass man nicht alleine ist und sich alle gegenseitig unterstützen. Ich hatte auch das Gefühl etwas Gutes zu tun, in dem ich anderen Menschen helfe und meine eigenen Bedürfnisse eher zurückstelle. Durch diese Lebensweise hat man schnell enge freundschaftliche oder familiäre Beziehungen zu den Bewohnern, dem ansässigen Pflegepersonal und den anderen Freiwilligen aufgebaut. Diese Beziehungen habe ich in der Zeit sehr wertgeschätzt und mit einigen stehe ich durch diese enge Bindung immer noch im Kontakt.

Kritisch sehe ich jedoch, dass den Freiwilligen ohne jegliche Pflegeerfahrung und Fachwissen so schnell so viel Verantwortung zugeschrieben wird. Wir haben nur ein einfaches und sehr oberflächliches Training bekommen und mussten dann mit dieser Grundlage arbeiten. Ein Fachkräfte- und Pflegepersonalmangel wird sozusagen mit günstigen unerfahrenen Arbeitskräften gefüllt. Obwohl die Freiwilligen ein wichtiger Teil des Konzepts Lifesharing sind, da sie in den sehr strikten Tages-, Wochen-, Monats- und Jahresablauf jedes Jahr wieder „frischen Wind“ und neue Ideen einbringen, sind sie in vielen Pflegesituationen nicht ausreichend ausgebildet. Aufgrund des sehr durchstrukturierten Alltags blieb mir kaum Freizeit. Man soll für die Gemeinschaft leben und seine eigenen Bedürfnisse so weit wie es geht zurückstellen, das empfand ich aber oft als schwierig. Man arbeitet den ganzen Tag und ist dabei immer unter Menschen. Oft hätte ich eine Pause gebraucht und einfach etwas Zeit für mich. Das war aber nicht möglich, da mein Tag für mich geplant wurde und die Aufgaben erledigt werden mussten. Wenn ich dann Freizeit hatte, war es schwer abzuschalten, da ich sozusagen in meinem Arbeitsumfeld gelebt habe. Ich habe die Villager durch die Wände gehört und auch wenn ich frei hatte, hat mich das Gefühl der Verantwortung für die Menschen mit Lernbehinderungen nie komplett verlassen.

Um in einer Community zu leben und Lifesharing zu betreiben, muss man also bereit sein, seine eigenen Bedürfnisse zurückzustellen und sich komplett darauf einlassen. Wenn man sich darauf einlässt kann es einem auch viel zurückgeben, wie das Gefühl der Gemeinschaft und die besonderen Beziehungen, die man aufbaut.

Für die Kulturwissenschaft bieten solche Communities und das Konzept von Lifesharing ein vielschichtiges Forschungsfeld. Sie unterscheiden sich von den klassischen Gesellschaftsstrukturen und es gibt viele Aspekte, die man gut erforschen kann, wie zum Beispiel die Dynamiken in der Gemeinschaft, die gelebte Inklusion und die Alltagsstrukturen.

 

Quellen:

Department of Human Services (o. J.): Lifesharing and Everyday Living Options. Commonwealth of Pennsylvania. Verfügbar unter: https://www.pa.gov/agencies/dhs/resources/intellectual-disabilities-autism/lifesharing.html (Zugriff am 7. Mai 2025).

1 thought on “Das Konzept „Lifesharing“

  1. Ich finde es sehr schön, dass der Gewinn an gemeinschaftlichen Erfahrungen bei einer so wertvollen sozialen Arbeit auch in den Gegensatz der Rahmenbedingungen gestellt wird. Das auch die besondere Herausforderung der begrenzten beruflichen Erfahrung und die der Freizeit deutlich gemacht wurde.

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