homogenität für heterogene Willkommen im Kopf eines Lehramtsstudenten

5. August 2019

Abschlussreflexion zur Vorlesung

Filed under: Allgemein — Schlagwörter: — Thore @ 12:24

1) Zentrale theoretische Erkenntnisse aus der Ringvorlesung

Die für mich zentralste Erkenntnis, welche in der Ringvorlesung vermittelt wurde, ist, dass es einen bedeutenden Unterschied zwischen Gleichheit und Gerechtigkeit gibt (in der Vorlesung „Equality“ vs. „Equity“). Besonders bezogen auf die Bildungschancen von SuS mit verschiedenen sozio-ökonomischen (Bildungs-) Hintergründen in unserem Bildungssystem. In Deutschland ist es per Gesetz festgelegt, dass alle SuS die gleichen Chancen auf gute Bildung haben sollen und dementsprechend auch innerhalb der Schule gleichbehandelt werden sollen. Genau hier stößt man auf ein Paradoxon: Die Gleichbehandlung einer heterogenen Gruppe führt nicht zu Gerechtigkeit. An einem fiktiven Beispiel lässt sich dies gut erläutern: Ich studiere die beiden Fächer Germanistik und Geschichte. Gehen wir davon aus, dass ich einer Klasse Deutsch-Unterricht gebe, deren Schülerschaft eine sehr heterogene Mischung aus verschiedenen sozialen, ökonomischen, ethnischen und diversen anderen Hintergründen ist. Behandele ich nun alle gleich, herrscht keine Gerechtigkeit, da alle SuS mit unterschiedlichen, von ihrem jeweiligen Hintergrund abhängigen Startbedingungen in die Schule kommen und so bei einer Gleichbehandlung die persönlichen Unterschiede (beispielsweise in Wortschatz, Rechtschreibkenntnis oder Literaturverständnis) bestehen bleiben oder sogar verstärkt werden. Um also Gerechtigkeit hinsichtlich der Bildungschancen zu schaffen, muss ich als Lehrer dafür sorgen, dass alle SuS im Deutschunterricht auf ein ähnliches sprachliches Niveau kommen, auch wenn das heißt, dass ich sie „ungleich“ behandeln muss.

 

1a) Fachdidaktische Aspekte in meinen Unterrichtsfächern

Das Problem der unterschiedlichen Startbedingungen tritt im Deutschunterricht besonders zu Tage bezüglich der SuS, bei denen Deutsch nicht die Erst- oder Muttersprache ist, die mit Migrationshintergrund aufgewachsen sind oder mehrsprachig erzogen wurden. All diese Situationen haben einen Effekt auf die Sprachkenntnisse des Deutschen und damit verbunden, die Leistungen im Deutschunterricht. SuS mit einem solchen Hintergrund erwartet zumeist ein vergleichsweiser höherer Lernaufwand, um ein ähnliches Niveau zu erreichen. Fächerübergreifend spielen zudem die allgemeinen sprachlichen Kompetenzen passiv in die Beurteilung der Lehrkräfte ein: neben dem individuellem, fachlichen Verständnis hat auch die Eloquenz, mit der SuS die gelernten Inhalte mündlich und schriftlich wiedergeben, einen signifikanten Einfluss auf die Leistungswahrnehmung durch die jeweilige Bewertungsinstanz.

Des Weiteren war eine wichtige Erkenntnis, dass nicht nur SuS mit Migrationshintergrund Erfahrungen mit Mehrsprachigkeit haben, sondern auch solche, deren Erstsprache Deutsch ist. Je nach situativem Kontext (Öffentlich oder intim? Formal oder informell? vgl.: Maas 2008: 43) sind verschiedene Sprachrepertoires angebracht. Der Übergang zwischen der intimen alltagssprachlichen Kommunikation mit Gleichaltrigen zu der formaleren Situation des Unterrichts kann allen SuS Probleme bereiten und sollte dementsprechend berücksichtigt und gefördert werden.

Die heterogenen Wissensbestände und Fähigkeiten der SuS sind natürlich nicht nur im Deutschunterricht eine wichtige Variable, sondern auch in allen anderen Fächern. Bezogen auf den Geschichtsunterricht finden sich beispielsweise unterschiedliches Vorwissen über historische Ereignisse und deren Verknüpfung oder im außerschulischen Kontext erlernte Perspektiven.

 

1b) Generelle erziehungswissenschaftliche Erkenntnisse zu Schule und Unterricht

Sprache ist nicht nur hinsichtlich der reinen Äußerungs- und Verständnisfähigkeit eine Dimension von Heterogenität, sondern auch bezüglich der mit bestimmten Wörtern assoziierten Bedeutungen und Wertungen. In der Vorlesung von Herrn Prof. Dr. Andreas Klee besprach ebenjener das Thema im Hinblick auf den Politikunterricht, es lässt sich jedoch auch auf die anderen geistes-/sozialwissenschaftlich oder linguistisch orientierten Fächer übertragen. Auf den Folien fand sich folgendes Zitat: „Sozialwissenschaftliche Begriffe basieren, da sie immer auch mit einem normativen Verständnis von Mensch und Gesellschaft zusammenhängen, notwendigerweise auf einer Pluralität von Anschauungen.“ (vgl. Klee 2008, 41). Das bedeutet, dass auch wenn die SuS abstrakte Begriffe wie Staat, Religion, oder Gerechtigkeit formal definieren können, ihr subjektives Verständnis und ihre Bewertung des Begriffes höchst heterogen ausfallen können. Eben dieses Phänomen sollte im Unterricht konstruktiv reflektiert werden.

Bezüglich der bereits angeschnittenen Problematik von Gleichheit und Gerechtigkeit im Unterricht könnte man den Lösungsansatz verfolgen, Gruppen von SuS nach Leistungsniveaus (andere Heterogenitätsdimensionen werden zunächst ausgeklammert) zu unterteilen, um relativ leistungshomogene Gruppen zu schaffen, in welchen Gleichbehandlung und Gerechtigkeit miteinander vereinbar sind. In der Sitzung von Herrn Dr. Christoph Kulgemeyer wurde zu diesem Thema eine Studie von Hoffer aus dem Jahr 1992 behandelt. In dieser wurde festgestellt, dass innerhalb des Naturwissenschafts- und Mathematik-Unterrichts in 7. Bis 9. Klassen eine Teilung der SuS nach niedrigem, mittlerem und hohem Leistungsniveau einen insgesamt negativen Einfluss auf die Leistung der Klasse hat. Während leistungsstarke Schüler leicht profitieren, erleben leistungsschwache Schüler einen stark negativen Effekt. Folgt man dieser Studie, ist der oben skizzierte Lösungsansatz in der Praxis also wenig empfehlenswert.

 

2. Einflussreiche Faktoren zum schulischen Umgang mit Heterogenität

Ein Problem, welches sowohl in meiner eigenen Schulzeit als auch in den Erzählungen von Freunden & Geschwistern sehr frequent auftaucht, ist die Beschwerde über die an sie gerichtete Anforderung „alle Fächer“ beherrschen zu müssen. Sehr prominent ist zudem der Wunsch, auf bestimmte Fächer verzichten zu dürfen. Genau hier zeigt sich eine Dimension von Heterogenität, welche sich hauptsächlich aus der jeweils subjektiven Affinität (/Affektion) der Schüler zu bestimmten Fächern oder Themen konstituiert. Ob diese nun auf realen Stärken oder Schwächen der Schüler oder „placebo-artig“ aufgrund von Assoziation und Vorerfahrungen entsteht, soll hier erst einmal ausgeklammert werden. Fest steht, dass sowohl die Informationsaufnahme als auch der individuell betriebene Lernaufwand (und damit auch die erbrachten Leistungen) je nach Fach/ Thema und dem damit verbunden Grad an Interesse und Motivation variieren (vgl.: Wellenreuther 2002). Jedoch kann genau diese Heterogenität der SuS durch Individualisierung im Schulprofil direkt adressiert werden. Außer Frage steht natürlich, dass alle SuS zumindest gewisse Standards in sämtlichen Fächern erreichen sollten. Über diese minimalen curricularen Anforderungen hinaus jedoch, können über eine Vielzahl von Wahlmöglichkeiten (Wahlpflichtfächer, Profile, Leistungskurse usw.) die individuellen Stärken der SuS gefördert werden. Wird den SuS die Möglichkeit zur Wahl geboten, so ist ihr Engagement für die von ihnen gewählte Möglichkeit auch potenziell größer (Im Sinne von: „Endlich kann ich das machen, was ich gut kann“).

 

3. Erziehungswissenschaftlichen Fragestellungen zu denen ich gerne mehr erfahren würde

Ich würde im weiteren Lehramts-Studium gerne etwas über die Affektion von SuS zu bestimmten Fächern lernen. Und das sowohl hinsichtlich der Auswirkungen dieser (Welchen Einfluss haben Selbst-/ Fremdeinschätzungen, Interessenlagen und Motivation auf die Leistungen von SuS?) als auch der Entstehung dieser. Begründet ist dieses Interesse in meinem vorherigen Studium der Soziologie, in welchem ich eine Menge Interessantes über den Zusammenhang von sozialen Normen und persönlicher Entwicklung eines Individuums gelernt habe. Ich hoffe, dieses Wissen mit pädagogischen Erkenntnissen verknüpfen zu können. Eine ehemalige Kommilitonin von mir schrieb beispielsweise ihre (sehr lesenswerte) Bachelorarbeit über Geschlechterklischees im Mathematikunterricht. Aufhänger dieser Arbeit war ein auf junge Mädchen zugeschnittenes T-Shirt mit dem Aufdruck „Ich bin in Mathe nur Deko“. Wie entstehen solche und andere Klischees und wie beeinflussen sie SuS?

Sehr interessant fand ich zudem die Informationen über den Umgang mit abstrakten sozialwissenschaftlichen Begriffen im Unterricht (Politikdidaktik bei Herrn Prof. Dr. Klee) und über die „Sprachbarriere“ zwischen der Alltagssprache der Schüler und der „Unterrichtssprache“ (Mehrsprachigkeit bei Frau Dr. Daase). Vor allem aus einem linguistischen, diskurstheoretischen Blickwinkel heraus, sind die Fragestellungen im Sinne von „Inwiefern prägt schulisch vermittelter Sprachgebrauch das Denken und Handeln von SuS“ ungemein spannend.

 

Quellen:

Hoffer, T. B. (1992). Middle School Ability Grouping and Student Achievement in Science and Mathematics. Educational Evaluation and Policy Analysis, 14(3), 205–227. https://doi.org/10.3102/01623737014003205

 

Klee, A. (2008): Entzauberung des politischen Urteils. Eine didaktische Rekonstruktion zum Politikbewusstsein von Politiklehrerinnen und Politiklehrern. Wiesbaden.

 

Maas, Utz (2008), Sprache und Sprachen in der Migrationsgesellschaft. Göttingen: V&R unipress.

 

Rossbach HG., Wellenreuther M. (2002) Empirische Forschungen zur Wirksamkeit von Methoden der Leistungsdifferenzierung in der Grundschule. In: Heinzel F., Prengel A. (eds) Heterogenität, Integration und Differenzierung in der Primarstufe. Jahrbuch Grundschulforschung, vol 6. VS Verlag für Sozialwissenschaften, Wiesbaden.

 

Ein Kommentar »

  1. Lieber Thore,
    dieser theoretisch sehr fundierte, auf viele,miteinander verbundene Aspekte der Vorlesungseinheite eingehende Abschlussblog verdeutlicht, inwiefern die Vorlesung Sie hat inspirieren können, Querverbindungen zwischen den einzelnen Sitzungen herzustellen und hier eigenständige weitere Fragen zu entwickeln. GAnz offenkundig stellt das Thema ´Sprache´ einen Schwerpunkt Ihres Interesses da und hier haben – wie Sie ja zeigen – viele Beiträge Erkenntnisse zur Bedeutsamkeit von Sprache im Kontext des Unterrichtens unter Bedingungen von Heterogenität liefern können.

    Bestanden.
    Yasemin Karakasoglu

    Kommentar by Yasemin Karakasoglu — 24. September 2019 @ 21:46

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