Der Bremer Stadtteil Walle besteht aus sieben Ortsteilen und hat aktuell etwa 30.000 EinwohnerInnen. Erstmalige wurde Walle 1139 urkundlich erwähnt, damals bestand es nur aus einem großen Hof und ist Sitz der Adelsfamilie Walle. Im frühen 19. Jahrhundert gewinnt Walle an Bedeutung und hat um die 500 Einwohner. Besondere Merkmale sind der Galgenberg, welcher lange Zeit als Richtstätte dient und das, anstelle dessen errichtete, Pulverlager. Ende des 19. Jahrhunderts wird Walle in die Stadt Bremen eingemeindet und floriert dank der Ansiedlung von Häfen und Industrie. Die Einwohnerzahl steigt auf 3500 Menschen im Jahre 1905 an. Auch in den folgenden Jahrzehnten wächst der Stadtteil, aufgrund des Baus eines Bahnhofes, Schulen oder des Seebads, immer weiter (Lehmkühler, 2020).
Im Laufe des zweiten Weltkrieges wird Walle, angesichts seiner Hafennähe, besonders stark bombardiert. Gerade der Ortsteil Steffensweg wird dabei fast komplett zerstört. Es handelt sich hierbei zwar um den kleinsten Ortsteil in Walle, aber gleichzeitig auch den, mit der höchsten Bevölkerungsdichte. Nach 1945 wurden hier diverse kleine Reihenhäuser erbaut, die bis heute den Ortsteil prägen. Dazu gehört auch das von seinen BewohnerInnen benannte „Heimatviertel“ oder auch Waller Wied. Es besteht aus sechs Straßen mit unzähligen winzigen Reihenhäusern. Direkt an den Ortsteil Steffensweg grenzt der Hafen, welcher lange Jahre als Arbeitsplatz für die BewohnerInnen Walles diente (WFB, 2020).
Das Waller Wied hat eine besonders wechselhafte Geschichte, die nunmehr über 130 Jahre andauert. Mehrmals stand es kurz vor seinem Ende und konnte diesem nur knapp entrinnen (Velten, 2014).
Die Geschichte des Waller Wied beginnt am Ende des 19. Jahrhunderts, zwischen der Weser und dem Dorf Walle. Wied ist die plattdeutsche Bedeutung für Weide. Bis in die 1880er Jahre befand sich nämlich genau an diesem Ort eine Weidelandschaft. Zu jener Zeit wurde in Bremen der Freihafen eröffnet, um den Handel mit der Schifffahrt in die Hansestadt zu holen. Gleichzeitig wurde die Jute Spinnerei und die Weberei Bremen im Gebiet des Steffensweg gegründet. Die ArbeiterInnen, zumeist Frauen aus Osteuropa, ließen sich mit ihren Angehörigen in den Straßenzügen um zu nieder. Kurz vor der Eröffnung der Jute Spinnerei und Weberei, gründete unteranderem der Bremer Konsul Johann Smidt den Gemeinnützigen Bremer Bauverein. Dieser erwarb in Folge dessen die meisten Grundstücke westlich der „Jute“, also im Waller Wied und baute unter Anleitung des Architekten Eduard Gildenmeister, dort Wohnungen für die ArbeiterInnen. Die charakteristischen kleinen einstöckigen Häuser, wurden von bis zu 14 Personen bewohnt. Einige findet man bis heute in diesem Viertel. Da davon abgesehen wurde, wie in anderen Städten auf mehrstöckige Mietshäuser zu setzen, entstand eine besondere nachbarschaftliche Verbundenheit. Die Jute Fabrik und viele angrenzende Häuser wurden allerdings im Feuersturm des 18. und 19. August 1944 völlig zerstört (Wankerl, 2016).
Somit war die Entwicklung des Waller Wieds eigentlich besiegelt und es gab zunächst auch keinen Wiederaufbau. Geplant war, dass die übriggeblieben Wohnhäuser des Viertels abgerissen werden und an Stelle dessen Hafenareal entstehen sollte. Doch Anfang der 1950er Jahre, schlichtweg im letzten Moment, konnte durch das Engagement eines Anwohners, Peter Falck, die Finanzierung des Wiederaufbaus gewonnen werden. Mithilfe der Bewohner konnte das Viertel wiederaufgebaut werden. Anders als zuvor, wurden die nur fünf Meter breiten Neubauten nun dreigeschossig und von lediglich zwei Familien bewohnt. So war es möglich, eine Etage an Fremde zu vermieten (Velten, 2014).
Aufgrund der Nähe zum Hafen entwickelte sich viele Geschäfte und Kneipen, Anlaufpunkte für Matrosen und Hafenarbeiter. Ein Großteil der Bewohner arbeitet zu der Zeit im Hafen, welcher praktischerweise fußläufig erreichbar war.
Doch schon in den 1970er Jahren endete der Aufschwung des Waller Wieds. Durch die neuen Containerschiffe ging der Stückgutumschlag deutlich zurück und viele Arbeiter verloren ihren Job im Hafen. Auch die Kundschaft für die Kneipen und Geschäfte bleibt aus, weswegen immer mehr schließen müssen. Die Bewohnerstruktur ändert sich zwangsläufig, doch der Waller Wied starb nicht aus. Immer mehr junge Familien und Studenten entdecken das Quartier, auch aufgrund geringer Mieten für sich. Doch mit der endgültigen Schließung des Hafens in den 1990ern und einer geplanten Verkehrsanbindung durch das Viertel, steht es erneut schlecht um das Waller Wied. Ähnlich wie nach dem 2. Weltkrieg schließen sich die Bewohner zusammen und gründen eine Bürgerinitiative, die das Viertel retten sollte. Die attraktive Lage des Waller Wieds, wird zu jener Zeit von StudentInnen der Hochschule für Künste und ArbeiterInnen der Firmen in der Überseestadt genutzt (Wankerl, 2016).
Heute wohnen rund 800 Menschen im kleinen Wohnquartier Waller Wied. Direkt angrenzend ist eine Grünfläche mit mehr als 13.000 Quadratmetern, die zur Attraktivität des Viertels beiträgt. Diese Fläche ist auch eine natürliche Abgrenzung zum Überseetor und bietet ein gutes Naherholungsgebiet für die AnwohnerInnen (Gerling, 2019). Aufgrund seiner Lage gilt das Waller Wied mittlerweile als Brücke zwischen der Überseestadt und Walle. Es bleibt als eine Art isolierte Insel bestehen, obwohl die Öffnung zur Überseestadt großzügig ausfällt. Diese nach wie vor außergewöhnlichen Lage stärkt den Zusammenhalt der BewohnerInnen und macht den besonderen Charakter des Waller Wieds aus (Syring, 2018).
Wie schon einige Male zuvor steht das Viertel auch in den letzten Jahren immer wieder vor verzwickten Problemlagen. So will die Stadt etwa mit der sogenannten Maßnahme S8, die Konsul-Schmidt-Straße in der Überseestadt entlasten. Dafür soll ein Durchstrich direkt am Waller Wied entlang entstehen, auf dem die LKW zwischen Überseestadt und Walle verkehren können. Um das einzige historisch gewachsene Wohnquartier der Überseestadt zu schützen, ist eine Lärmschutzwand geplant. Es droht die Gefahr einer „bewohnten Verkehrsinsel“ für das Waller Wied, befürchten die AnwohnerInnen. Die Lärm- und Abgasbelastung im Falle eines Durchstriches würde definitiv steigen und somit das Viertel an Attraktivität verlieren. Auch bleibt die Frage offen, ob jener Durchstrich überhaupt zu einer Entlastung des Verkehrs führen würde, da er am Ende sowieso wieder zum Hansator geführt werde (Bollmann, 2018). Eine weitere Gefahr für das besondere Ambiente des Waller Wieds, sind die Neubaupläne der Gewoba. Diese will in direkter Nachbarschaft mehrstöckige Wohnhäuser bauen, um der aktuellen Wohnungsnot entgegenzutreten. Die neuen achtstöckigen Gebäude drohen das kleine Viertel, mit den nur zweigeschossigen Häuschen, zu erdrücken. In beiden Fällen haben sich, wie schon oft in der Vergangenheit, die BewohnerInnen des Waller Wieds zusammengetan und für ihr Viertel stark gemacht. So haben sie erreicht, dass die Pläne für die Bebauung nur noch viergeschossige Wohnungen vorsehen. Auch der geplante Durchstrich wurde bisher nicht verwirklicht, da der Protest der AnwohnerInnen zu groß ist (Meyer-Schilf, 2017).
Trotz aller Widrigkeiten besteht das Waller Wied nun schon seit über 130 Jahren. Seine für Bremen einzigartige Bebauung blieb, dank ihrer engagierten BewohnerInnen, über die Jahre fast unverändert. Der große Zusammenhalt unter den AnwohnerInnen schaffte es immer wieder, das Viertel vor äußeren Umständen zu schützen und es zu bewahren.
Literatur:
- Bollmann, Martin (2018): Viele Fragen zum Durchbruch (Online) https://weserreport.de/2018/02/bremen-bremen/stadtteile/west/viele-fragen-zum-durchstich/ 1
- Gerling, Anne (2019): Bürgerinitative will Grünfläche im Waller Wied erhalten (Online) https://www.weser-kurier.de/bremen/stadtteile/stadtteile-bremen-west_artikel,-buergerinitiative-will-gruenflaeche-im-waller-wied-erhalten-_arid,1865754.html 1
- Lehmkühler, Jens (2020): Walle aus der Geschichte (Online) https://www.bremen.de/leben-in-bremen/wohnen/stadtteile/stadtteilgeschichte-walle 3
- Meyer-Schilf, Karolina (2017): Neue Heimat Übersee (Online) https://taz.de/Neubauplaene-der-Gewoba/!5448168/ 4
- Syring, Eberhard (2018): Wiederaufbau Waller Wied (Onine) http://www.architekturfuehrer-bremen.de/n_anzeigen.php?id=104 1
- Velten, Anke (2014): 125 Jahren Wohnen im Waller Wied (Online) https://www.weser-kurier.de/bremen/stadtteile/stadtteile-bremen-mitte_artikel,-125-Jahre-Wohnen-im-Waller-Wied-_arid,899987.html 3
- WFB Wirtschaftsförderung Bremen GmbH (2020): Typisch Walle (Online) https://www.bremen.de/leben-in-bremen/wohnen/stadtteile/walle 1
- Wankerl, Erik (2016): Heimatviertel Geschichte (Online) http://heimatviertel.de/geschichte 8
Bildquellen
Just, Ann-Kathrin (2017): Liegt wie eine Insel im Industriegebiet: Das Waller Heimatviertel (Online) https://taz.de/Neubauplaene-der-Gewoba/!5448168/ 1
Die Häuser im ursprünglichen Wiedviertel, das vom Gemeinnützigen Bremer Bauverein errichtet wurde, wurden übrigens durch Mietkauf oft zum Eigentum der Arbeiter*innenfamilien. Im Buch von Cecilie Eckler-von Gleich über Walle und die Überseestadt gibt es eine tolle historische Aufnahme von der Heimatstraße.
Wie schätzen denn die Bewohner des Wied ihre Erfolgschancen ein, die beschriebenen Einschränkungen zu verhindern?
War jemand schonmal dort? Wir könnten das vielleicht noch mit auf die Route für die Radtour nehmen.
Ich denke, dass im Wied überdurchschnittlich vier engagierte Bewohner leben, die aus der Vergangenheit gelernt haben, wie erfolgreich eine Bürgerinitiative sein kann. Deswegen werden sie wohl auch dieses Mal versuchen, die Einschränkungen zu verhindern. Soweit ich weiß gibt es auch schon eine Initiative, in der die Interessen der Wied Bewohner veröffentlich wurden.
Allerdings will die Stadt die Überseestadt unbedingt aufwerten und wird sich nur schwerlich von diesem Plan abbringen lassen. Deswegen kann ich mir vorstellen, dass die Anwohner des Waller Wieds, wenigstens einige Einschränkungen, wie den Durchstich, nicht verhindern werden können.