Unwissenheit

Du hattest einen langen Tag im Geschäft, einen wirklich langen Tag. Jetzt sitzt du gerade in der U-Bahnstation und wartest auf deine Bahn. Um dich herum ist der normale Trubel des Feierabendverkehrs, viele Menschen wollen nur noch so schnell es geht nach Hause, während andere sich jetzt erst zur Arbeit aufgemacht haben. Du sitzt erschöpft auf einer Bank und starrst auf die Anzeige, in wenigen Minuten ist die Bahn endlich da und dann nur noch die quälenden Minuten bis du endlich zu Hause bist. Die Bahn fährt ein, endlich kannst du dich mit den anderen Menschen in die Bahn setzen, so weit hast du es ja nicht mehr. Du setzt dich hin und malst dir in Gedanken schon aus, wie du in Ruhe den Tag ausklingen lassen willst. Verdienst hast du es dir heute auf jeden Fall. Ruckelnd setzt sich die U-Bahn in Bewegung, du wunderst dich kurz, wieso der Fahrer so merkwürdig losfährt, aber die die Züge sind ja auch nicht mehr die Neusten. Du starrst aus dem Fenster, die Lampen, die den Tunnel erhellen sollen rauschen an dir vorbei. Bahnhof um Bahnhof zieht an dir herüber, genauso wie so vieles im Großstadtdschungel einfach an einem vorbei zieht. Deine Gedanken machen sich kurz selbstständig, als der Zug plötzlich außerplanmäßig anhält.

Du wirst aus deinen Gedanken gerissen und schaust dich erst einmal um. Die Menschen sitzen ganz ruhig da, schließlich kann so etwas ja durchaus mal vorkommen und auch für dich ist es nicht das erste mal. – Wieso bist du plötzlich so nervös? – Du schaust wieder aus dem Fenster, draußen flackern die Lampen. Du schaust wie zufällig in einen der anderen Tunnel hinein. – Was siehst du da? – Der Tunnel sieht uralt aus, die Träger sind vom Rost verzehrt und auch das Licht wirkt irgendwie anders. In den zahlreichen flackernden Schatten scheinst du Bewegungen wahr zu nehmen.Du schaust dich nochmal nervös in der Bahn um, aber die anderen Menschen sitzen immer noch ruhig da und lesen oder dösen vor sich hin. Da ist etwas, du bist dir ganz sicher, als du genauer hinschaust siehst du im Tunnel tatsächlich einen gewaltigen Schatten lang schlurfen. Er sieht aus wie eine groteske Sammlung aus allem, was in den Tunneln unter der Stadt herumliegt, diverse metallene Gegenstände von Rädern, über Stahlrohre bis zu den Resten eines Kinderwagens. Jetzt siehst du es genauer, es sieht wirklich so aus, als wenn dieses Sammelsurium durch Fleisch zusammengewachsen wäre und nun an einen extrem verzehrten, drei Schritt großen Humanoiden erinnern würde. Du bist entsetzt und gefesselt zugleich. Das Wesen schlurft durch den Tunnel und da siehst du, dass überall die Kadaver von diversen Lebewesen mit dem Wesen verwachsen sind. Auf seinem Rücken siehst du sogar den halb verwachsenen Körper einer Frau. Plötzlich wirst du dir bewusst, dass die leeren Augenhöhlen der Frau dich anzustarren scheinen und dann geschieht das wohl grauenvollste, sie bewegt ihren verzehrten Arm nach oben und zeigt auf dich. – Das Licht flackert, eine Sekunde bist du in völliger Dunkelheit, dein Puls rast, so eine Angst hast du in deinem Leben noch nicht gespürt. Kalter Schweiß steht dir auf der Stirn. Dann wie aus heiterem Himmel hörst du ein hysterischen Lachen das dir in den Ohren widerhallt. Dann ist das Licht wieder da und du siehst weder das Wesen noch den rostigen Tunnel vor dir.

Die U-Bahn setzt sich in Bewegung und aus dem knackenden Lautsprecher ertönt eine Ansage, dass sich die U-Bahngesellschaft für die kurze Verspätung entschuldigt. Dein Puls rast immer noch und schaust dich in der Bahn um, niemand verhält sich merkwürdig, niemand scheint das gesehen zu haben, was du gesehen hast. Du erreichst nach kurzer Fahrt deine Station, steigst aus und rennst förmlich nach draußen. Da wirst du ein wenig ruhiger, jeder Schritt der dich von der U-Bahn weg bringt scheint wie ein Stein zu sein, der dir vom Herzen fällt. Als du endlich daheim bist, nimmst du dir ein Glas Wein und setzt dich auf die Couch. Es war bestimmt alles nur ein böser Traum. Erst als du im Bett liegt und wieder das furchtbare Lachen in deinen Ohren hörst wird dir eins bewusst, das alles war kein Traum, nein was du gesehen hast war die Wahrheit, die ganze nackte Wahrheit. Du bekommst Schweißausbrüche und eine panische Angst packt dich, du wünscht dir nichts weiter, als deine glückliche Unwissenheit zurück!

– Hier wieder eine kleine Kursgeschichte, die ich schon länger im Kopf hatte, sie aber nun endlich auch zu Papier (oder in den Rechner) gebracht habe. Ich freue mich über Anregungen und Kritik

3 Responses to “Unwissenheit”

  1. Stefan Says:

    Der Soundtrack zu deinen ‚Year-Zero‘ Geschichten 😉

  2. Stefan Says:

    http://rutube.ru/tracks/109926.html?v=106245bc1f549a695417ce22412f6007

  3. manuel Says:

    Moin Stefan,

    Ja auf jeden Fall ein nettes Lied dazu 🙂

    Ich habe mich unter anderem hier von inspirieren lassen:

    http://www.youtube.com/watch?v=p5BDGr1gAdw

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