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Beobachtung im Supermarkt

Meine Beobachtung findet am 9.12.2020 gegen 13.05-13.20 Uhr in der Aldi-Filiale in Hastedt statt.

Der Laden ist im Verhältnis zur Größe und im Vergleich zu anderen Supermärkten dieser Größe auffällig voll. Dies kann ich bereits außerhalb des Ladens daran erkennen, dass die Anzahl der noch verfügbaren Einkaufswagen, die mutmaßlich und wie es in anderen Läden häufig auf großen Plakaten steht aufgrund der Coronapandemie ohnehin reduziert ist, gering erscheint. Direkt hinter der elektrischen Schiebetür, die nur für das Betreten, nicht aber das Verlassen, genutzt wird, ist ein Desinfektionsspender aufgestellt. Er ist durch Verschraubung an einer Metallsäule befestigt. Das Desinfektionsmittel riecht intensiv und unangenehm fruchtig und gleichzeitig künstlich.

Die Nikoläuse sind reduziert. In vielen Aufstellern, in denen sich für gewöhnlich die Angebote der Woche befinden, befinden sich weihnachtliche Produkte.

Ein Mann (vermutlich) mit (seinem) Kind sind vor mir. Das Kind ist weiter vorne, er hingegen schaut links bei dem Backwaren. Da neben ihm im Gang ein anderer Wagen steht, der wohl einer Person gehört, die anderswo ist, komme ich nicht vorbei. Ohne dass ich etwas sage, geht der Mann samt Einkaufswagen einen Schritt vor und lässt mich vorbei.

In der Gemüseabteilung schiebt eine alt aussehende Dame ihren Einkaufswagen. Sie scheint nicht besonders gut laufen zu können. Ihr wird der Weg wieder von einem „verlassenen“ Einkaufswagen versperrt. Eine junge Frau, die selber einen Wagen hat bewegt den „fremden“ Wagen ein Stück vor und sie kommt an die Weißkohle.

Ein Mann, mutmaßlich Anfang 50, fragt eine Mitarbeiterin nach Blätterteig. Sie zeigt auf das entsprechende Regal ca. 3 Meter entfernt. Er sagt: „Ach so, ja! Ich Blindfisch. Stehe direkt daneben. Wo ist meine Brille? Haha.“ Nachdem er den Blätterteig in seine Hand nimmt – er hat keinen Einkaufswagen bei sich – fängt er an die verbliebenen Punkte auf seiner Einkaufsliste hörbar vorzulesen.

An der Kasse vor mir ist eine Frau und ein Mann. Sie werden abkassiert und die Kassiererin lehnt sich aus ihrem mit dickem, durchsichtigem Plastik umgebenen Bereich heraus in den Wagen und bittet darum gezeigt zu bekommen was für Weinflaschen sich in den Kartons befinden. Im Wagen sind zwei sechser Kartons Weinflaschen und drei separat. Eine befand sich auf dem Kassenband und wurde abgescannt. Die Kassiererin bittet darum, da es sich um verschiedene Sorten handelt. Der Mann bringt zum Ausdruck, dass er davon ausging, dass es sich um die gleiche Sorte bei allen Weinflaschen handelt. Weiter sagt er, dass er natürlich nur die eine Sorte kaufen wollte. Während die Kassiererin recht genervt zu sein scheint, sagt er, dass die anderen Sorten „natürlich da bleiben“ sollen. Dabei wird er von der Frau, die bei ihm ist, unterbrochen und sie meint, dass er doch alle kaufen solle und, dass es egal sei.

Der Mann lässt mich vermutlich ungefragt vorbei, da er mich im Augenwinkel sieht. Es scheint mir ein normales Verhalten zu sein. Ich habe bei anderen Personen im Laden ein ähnliches Verhalten beobachtet. Wohl ist es eine Art Regel, dass, wenn man sich im Laden aufhält, man stets die Umgebung im Auge behält, um in Situationen wie dieser zu reagieren, und dafür sorgt, dass andere Kund*innen, in den allermeisten Fällen fremde Menschen, so bequem wie möglich einkaufen können. Man erwartet dieses Verhalten wohl auch von anderen und ist verwundert, wenn es nicht an den Tag gelegt wird. Wohl möchte man nicht auffallen an diesem Ort, obwohl dort eine große Anonymität herrscht. Menschen könnten nach Zugehörigkeit streben. In dem Moment, in dem ihr Verhalten nicht dem der Norm entspricht – hier: wenn nicht ohne Aufforderung Platz gemacht wird – ist diese gefährdet.

Eine weitere Norm scheint zu sein, dass sich jüngere Menschen gegenüber älteren Menschen hilfsbereit zeigen. Dies ließe sich an meiner nächsten Beobachtung erkennen. Vergleichbar damit, dass jüngere Personen in der Straßenbahn aufstehen, wenn ältere Personen die Bahn betreten und keine freien Plätze übrig sind, entlastet die junge Frau die ältere, nicht indem sie sie vor dem mühsamen Stehen bewahrt, sondern indem sie ihr das mühsame Laufen um den fremden Wagen, um eben diesen bei Seite zu schieben, erspart. Denkbar ist auch, dass von solchen sehr fest verankerten Normen (als Kind habe ich wie wohl viele andere gelernt, dass älteren Personen Hilfsbereitschaft gegenüber zu bringen ist) ein Druck ausgeht, dessen Wirkung sich negativ erst zeigt wenn die jüngeren Menschen, auf die er einwirkt, später darüber nachdenken und Schuldgefühle entwickeln. Diese junge Frau hier könnte unter Umständen eine derartige Erfahrung gemacht haben, weshalb sie versucht zu vermeiden eine weitere derartige zu machen. Womöglich steht dieser Druck, der häufig ignoriert werden könnte, unter dem Deckmantel der Hilfsbereitschaft. Personen handeln vielleicht nicht aus dem Motiv dieser, sondern eher, um jenes negative Gefühl zu vermeiden, das durch das Unterlassen der Hilfe entsteht.

Der Mann, der nach dem Blätterteig sucht, könnte sich damit konfrontiert sehen, auffällig auf seine Mitmenschen zu wirken und somit aus der Reihe zu tanzen. Für gewöhnlich kaufen alle Leute ihre Produkte verhältnismäßig still, speziell dann, wenn sie alleine sind, ein. Obwohl es zu einer Vielzahl an Menschen auf begrenztem Raum kommen kann – bspw. hier in meiner Beobachtung – sprechen die Wenigsten miteinander. Still ist auch das Publikum eines Theaters. Der Mann erregt gewisse Aufmerksamkeit dadurch, dass er eine Frage stellt, anstatt ruhig zu suchen, und in der Folge meint er vielleicht diese noch vergrößert zu haben, als er bemerkt tollpatschig gewesen zu sein, weil er nicht gründlich genug geschaut hat bevor er Hilfe anfragte, und so wirken zu können. Er spricht von sich als „Blindfisch“, mutmaßlich um anderen zu zeigen, dass ihm so etwas für gewöhnlich nicht passiert. Der „richtige Er“ beleidigt (mehr oder weniger) den „falschen Er“, der noch wenige Augenblicke zuvor peinlich aufgefallen ist. Im Anschluss findet und äußert er eine Begründung wie es dazu kam: Das Fehlen seiner Brille. Ich denke, da er lacht, dass er es nicht ernst meint und versucht mit diesem Witz zu überspielen, dass es ihm alles recht unangenehm ist. Dass er im Weiteren seine Einkaufsliste hörbar vorliest, könnte als Versuch gedeutet werden diese Peinlichkeit nicht für sich stehen zu lassen. Womöglich würde sich eine KundIn an den Mann, der zu blöd war im Regal neben sich den Blätterteig zu finden, erinnern. Vielleicht ist es also ein Versuch das Negative in dieser Aufmerksamkeit abzuschwächen. Die Menschen sehen nun nicht mehr nur den Mann, der zu blöd war im Regal neben sich den Blätterteig zu finden, sondern auch den Mann, der seine Einkaufsliste abarbeitet und vielleicht in Hektik ist. Diese Situation könnte wieder zeigen, dass es ein Streben danach gibt in der Masse unterzugehen, um nicht Gefahr zu laufen ausgeschlossen zu sein. Daneben wäre für mich plausibel, dass unterbewusst davon ausgegangen wird, dass Menschen bei fremden Menschen anhand einzelner Verhaltensweisen, die sie präsentiert bekommen, auf den Charakter dieser schließen.

Die Kassiererin wird genervt sein, da sie vermutlich sehr viel zu tun hat. Der Laden ist voll und die Schlange an der Kasse ist sehr lang. Dass die Schlange an der Kasse sehr lang ist könnte auch Grund dafür sein, dass die Frau darauf drängt, dass sie, obwohl es nicht die erwartete Sorte Wein ist, alle Flaschen mitnehmen. Vielleicht hat ihr die Erfahrung gezeigt, dass es häufig zu ziemlicher Verzögerung für die anderen Kunden kommt, wenn derartige „Probleme“ an der Kasse auftauchen. Einerseits eben durch die lange Schlange, andererseits durch die genervte Reaktion der Kassiererin könnte sie den Mann bitten die Flaschen zu kaufen, einfach um zu vermeiden, dass die Mitmenschen – die anderen Kunden, sowie die Kassiererin – anfangen Groll zu hegen. Wieder ließe sich interpretieren, dass es darum geht den Mitmenschen gerecht zu werden und zu versuchen jeden möglichen Konflikt, obwohl er noch nicht vorhanden ist, und er sich vermutlich auch nicht offen zeigen wird, vorzubeugen. Dafür wird in Kauf genommen sich stark persönlich einzuschränken, in diesem Fall indem Geld für den falschen Wein ausgegeben wird.

Ich denke bei dieser Beobachtung gesehen zu haben, dass es sehr viele Verhaltensregeln gibt, die es zu befolgen gilt. Jedoch gilt es diese zu befolgen nicht, weil es die anderen Menschen aktiv verlangen, nein, in den seltensten Fällen kommt es zu offenen Konfrontation zwischen Menschen aufgrund von „Fehlverhalten“, sondern viel mehr, weil es Teil der Normen ist, denen man im Bereich um die Aldi-Filiale in Hastedt ausgesetzt ist. Wie groß dieser Bereich ist, ob er sogar ganz Deutschland umfasst oder größer ist, ist vermutlich eine Frage nach der Reichweite gewisser Aspekte gewisser Kultur und kann ich anhand meiner Beobachtung natürlich nicht abschätzen. Sicher halten sich verschiedene Gruppen (z.B. Altersgruppen) verschieden stark an diese Regeln und in den beschriebenen Situationen handelte es sich stets um Menschen, die mutmaßlich älter als 40 Jahre alt sind.

Was im Endeffekt für mich am auffälligsten gewesen ist war, dass die Menschen, anstatt sich einzig auf ihren Einkauf zu konzentrieren, immer auch auf ihr Mitmenschen geachtet haben. Es scheint häufig so als würde jede Person ihr „Ding machen“, da verbale Kommunikation in den seltensten Fällen auftritt, jedoch scheinen viele Menschen non-verbal zwischenmenschlich sehr stark zu kommunizieren. Obwohl sich die Menschen einander nicht kennen sind ihnen diese nicht egal.

 

Timo

Eine Antwort auf „Beobachtung im Supermarkt“

Ich habe wenn ich das so lese ein sehr lustiges Bild in meinem Kopf, davon wie du durch den Supermarkt läufst und die Einkäufer*innen beobachtest.
Ich finde dein Beobachtungsprotokoll spannend zu lesen und vor allem deine am Ende beschriebene Erkenntnis hat mich dazu motiviert bei meinem nächsten Einkauf auch mal darauf zu achten wie stark ich eigentlich die anderen Personen um mich herum wahr nehme und ob da nicht auch jemand zwischen den Regalen oder an der Kasse steht der gerade eine Feldforschung macht.

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