Doppelte Heterogenität in der Musikpädagogik

Beitrag zu Ringvorlesung03 – Prof. Andreas Klee: Von Tischen, Königen und Politikleuten

  1. Diskutieren Sie die Relevanz der Arbeitshypothese der „doppelten Heterogenität“ für eines Ihrer Fächer und stellen Sie dies anhand eines konkreten Unterrichtsinhaltes dar.
  2. Skizzieren Sie unter Bezugnahme auf einen konkreten Unterrichtsinhalt drei methodische Varianten zur unterrichtspraktischen „Erhebung“ von Schüler*Innenvorstellungen.
  3. Formulieren Sie eine Beobachtungsaufgabe in Bezug auf unterschiedliche Sprachwirklichkeiten von SchülerInnen und LehrerInnen

In dem nachfolgenden Beitrag werde ich die Fragestellung in ihren drei Unterpunkten in Bezug auf den Musikunterricht behandeln.

 

  1. Der Arbeitshypothese der „doppelten Heterogenität“ liegt der Gedanke zugrunde, dass einerseits der zu vermittelnde Schulstoff keine klaren Definitionen oder Eindeutigkeiten liefern kann und andererseits die Vorbildung der einzelnen SuS sehr verschieden ist. In der Vorlesung sind Begriffe wie Freiheit oder Gerechtigkeit diskutiert worden: Die SuS werden zu diesen Abstrakten Begriffen sehr unterschiedliche – und auch unterschiedlich gefestigte – Meinungen haben. Da diese Begriffe so abstrakt sind, wird man auch in der Wissenschaft keine allgemeingültigen Definitionen finden, sondern nur verschiedene Positionen und Ansätze.

 

Mit dieser Problematik ist die Musikpädagogik auf verschiedenen Ebenen ständig konfrontiert. Die Musik ist ein sehr persönliches Medium, da sie die meisten Menschen von der frühen Kindheit an begleitet. Dementsprechend gefestigt sind in der Regel die Meinungen und Ansichten der SuS in Bezug auf verschiedene Musikrichtungen, Künstler oder Stile. Das ist die erste Ebene der Heterogenität von Schülerseite.

Die zweite Ebene sind die unterschiedlichen fachlichen Vorkenntnisse der SuS: Die Leistungen, die ein*e Schüler*in schon zu Beginn des schulischen Musikunterrichts in der Mittelstufe erbringen kann, sind so unterschiedlich wie in keinem anderen Schulfach. Viele SuS haben zu diesem Zeitpunkt schon Instrumentalunterricht gehabt oder gar musikalische Früherziehung, während andere mit Musik nur übers Radio und in der Grundschule in Berührung gekommen sind und zum Beispiel noch keine Noten lesen können.

Die dritte Ebene von Schülerseite ist die der Motivation. Wie motiviert ein*e Schüler*in ist, beeinflusst natürlich den Unterricht in allen Schulfächern, doch insbesondere der Musikunterricht muss sich vor seinen SuS immer wieder von neuem behaupten, da er von vielen SuS nicht als relevantes Schulfach anerkannt wird. Es kommt noch hinzu, dass viele SuS eine grundsätzliche Abneigung gegen Musikunterricht haben, da sie der Meinung sind, die Beschäftigung mit Musik und insbesondere die Analyse von Musik zerstöre den Reiz derselben. Diese Problematik zeigt sich in der Regel seltener bei SuS, die schon außerhalb des regulären Schulunterrichts Musikunterricht genommen haben.

 

Die Wissenschaft befindet sich im Diskurs über die Ziele des Musikunterrichts (sollen Kompetenzen vermittelt werden, soll zeitgeschichtliches Fachwissen vermittelt werden oder sollen die reflexiven Fähigkeiten in Bezug auf individuelle Hörerfahrung geschult werden?) und über die Art der Bewertung von Musik oder die Bewertbarkeit von Musik.

 

Ist der Unterrichtsinhalt nun also eine Analyse und Interpretation eines Musikstückes (beispielsweise eines Ausschnitts aus einer Oper von Wagner), so muss die Lehrerin/der Lehrer sich zunächst im Spannungsfeld grundverschiedener Unterrichtskonzepte positionieren und dann einen Umgang mit der vielfachen Heterogenität der SuS finden, ohne dabei zu vergessen, den musikwissenschaftlichen Diskurs einfließen zu lassen.

 

  1. Ich bleibe bei der Beispielaufgabe „Werkanalyse einer Wagneroper“. Auf verschiedenen Niveaus ist diese Aufgabe in allen Klassenstufen vorstellbar. Wagner wird bei den wenigsten SuS der Hörgewohnheit entsprechen. Um einen intuitiven Zugang zur Musik zu fördern bietet sich als erster Berührungspunkt die Aufgabe an, verschiedene Passagen oder Sequenzen auf ihre emotionale Wirkung zu untersuchen. Dazu notieren die SuS für sich zu jeder Passage in einem Graphen, ob diese auf sie fröhlich oder traurig/hell oder dunkel beziehungsweise energisch oder ruhig wirkt. Anschließend wird im Plenum verglichen und diskutiert, wie diese Emotionen von der Musik hervorgerufen werden, warum sie oft bei verschiedenen Menschen ähnlich sind und warum sie sich auch manchmal unterscheiden. Auf diese Weise kann ein erster Eindruck des Umgangs der Schüler mit ästhetisch-musikalischer Erfahrung eingeholt werden. Anschließend sollte mit den SuS über ihre bisherigen Erfahrungen mit dieser Art von Musik gesprochen werden. Schon der bloße Meinungsaustausch über die bisherigen Berührungspunkte der einzelnen SuS mit Musik kann sehr aufschlussreich sein. Eine weitere Möglichkeit, etwas über die Hörerfahrung der SuS herauszufinden, ist ein freies graphisches Zeichnen. Das Hörbeispiel wird vorgespielt und die SuS müssen dabei auf einem Papier die sukzessive Entwicklung der Musik „aufmalen“. Dabei haben die SuS jede Freiheit von Kringeln und Zickzack über Punkte oder verschiedene Buntstifte, ihre musikalische Erfahrung auszudrücken. Danach kann verglichen und interpretiert werden.

 

  1. Da Musik ein Medium ist, zu dem alle Menschen einen zunächst unbewussten Zugang über Gefühle und Emotionen haben, ist es oft schwierig, die richtigen Worte für die Beschreibung von Musik zu finden. Die Musikwissenschaft hat selbstverständlich eine Fachsprache und die Funktionstheorie beispielsweise beschreibt musikalische Phänomene im Hinblick auf den harmonischen Zusammenhang, doch eine differenzierte Beschreibung von Musik kann von SuS nur in den seltensten Fällen erwartet werden, wenn dies nicht zuvor geübt wurde. Die SuS verschiedene Phänomene aus der Musiktheorie vergleichen und (rein intuitiv) beschreiben zu lassen, um dann die Ergebnisse mit der Betrachtung in der Fachwissenschaft zu vergleichen, wäre ein interessanter Ansatz für eine Beobachtungsaufgabe.

About the author: Tony

Has one comment to “Doppelte Heterogenität in der Musikpädagogik”

You can leave a reply or Trackback this post.

  1. Noemi - 23. April 2018 at 13:17 Reply

    Hallo Tony,
    Ich selbst studiereMathe und Physik, da sieht das mit der doppelten Heterogenität natürlich etwas anders aus. SuS diskutieren in diesen Fächern vermutlich hauptsächlich darüber, ob sie diese Fächer wirklich brauchen und warum sie die Fächer belegen müssen. Es geht also weniger um die Wahrnehmung des Faches an sich oder des Inhaltes, sondern eher darum das man es nicht lernen will.
    Das ist natürlich, wie du es beschreibst in Musik oder aber zum Beispiel auch in Kunst ganz anders. Mit beiden Themengebieten wird man unumgänglich im Leben Konfrontiert, in der Werbung, im Fernsehen, im Radio auf der Straße und an vielen anderen Stellen konfrontiert. Dementsprechend haben natürlich, wie du sehr schön beschrieben hast SuS sehr unterschiedliche Meinungen und Erfahrungen mit diesen beiden Fächern, welche dann auch die schulische Laufbahn beeinflussen. Vorallem das unterschiedliche Vorwissen und können spielt dabei natürlich eine elementare Rolle. Von daher finde ich persönlich auch sehr interessant zu beobachten, wie eine Bewertung in diesen Fächern stattfindet. Schließlich kann man nicht so einfach ein Kind wie das andere bewerten, wenn das eine schon fünf Jahre Klavierunterricht hat. Gleichzeitig ist es auch nicht fair ein Kind zu benachteiligen, nur weil es etwas kann. Daher finde ichin diesen Fächern die bewertung sehr interessant, da man das Konzept der doppelten Heterogenität berücksichtigen muss.

Leave a Reply

Your email address will not be published.