Fragestellung vom 03.07.
Worin sehen Sie die Hauptziele und Hindernisse der schulischen Inklusion bzw. einer Inklusiven Pädagogik?
Ich denke, das Hauptziel der inklusiven Pädagogik ist es, SchülerInnen mit geistiger
oder körperlicher Behinderung in den Schulalltag einer allgemeinbildenden
Schule einzugliedern, um die soziale Außenseiterrolle, die sich durch das Stigma
der Förderschule ergibt, zu beseitigen. Der Gedanke hierbei ist, dass jede/r
SchülerIn ein Recht auf Bildung hat (vgl. auch UN-Konvention über die Rechte von
Menschen mit Behinderungen), die Realisierung dieses Rechts im schulischen Alltag
aber von der Förderschule nicht oder zumindest in nicht ausreichendem Maße
gewährleistet wird.
Ein Hindernis der Inklusion sehe ich darin, dass sich die oben angesprochene
Außenseiterrolle sogar verstärken könnte, wenn behinderte SchülerInnen von
nicht-behinderten SchülerInnen ausgegrenzt werden. Ich denke nicht,
dass das der Regelfall wäre, aber zumindest in individuellen Fällen wäre die
Ausgrenzungsproblematik wohl noch verstärkter zu sehen als ohnehin schon.
Ein weiteres Hindernis könnten -durch eine Behinderung bedingte- (auto)aggressive
Verhaltensweisen sein. Hier sehe ich das Recht auf körperliche Unversehrtheit
doch deutlich vor dem Recht auf freie Bildung. Dies ist allerdings allein meine
Ansicht – wie dazu der juristische Konsens ist, weiß ich nicht.
Sollte sich inklusive Pädagogik durchsetzen, besteht ein weiteres Hindernis in
der Sensibilisierung der Lehrkräfte. LehrerInnen, die seit Jahrzehnten durch
das dreigliedrige Schulsystem eher homogenisierte Lerngruppen gewohnt sind,
tun sich mit der bildungspolitischen Umstellung erfahrungsgemäß schwer
– ich denke, das ist auch recht leicht nachvollziehbar.
Der Ansatz, dies zu ändern, besteht an der Uni Bremen ja allerdings bereits, wie man
an der Ringvorlesung unschwer erkennen kann.
Ein weiteres Hauptziel ist meiner Meinung nach, den empirisch belegten Gesellschaftslichen Realitaeten Gerecht zu werden. Diese sind z.B., dass trotz des hohen betriebenen Aufwands, Menschen mit Behinderungen -angeblich zu ihrem eigenen Vorteil- bildungsgemeinschaftlich zu isolieren, kaum Erfolge zu verzeichnen sind und lediglich ein Bruchteil der Schueler ihre Schullaufbahn mit einem Abschluss beendet.
Was die zu erwartenden Hindernisse angeht gebe ich dir insofern Recht, als dass die Diskriminierung durch nichtbehinderte Mitschueler_Innen in inklusiven Institutione zum Problem werden koennte. Jedoch halte ich Isolation langfristig fuer eine wenig sinnvolle Alternative, denn auch Behinderte Kinder und Jugendliche muessen als Teil der Gesellschafts lernen, sich in dieser zurechtzufinden und das Bedeutet auch, Anfeindungen zu erkennen und sich ihnen zu stellen.
Letztlich bleibt die Frage, was „normal“ ist und mit welchem Recht Menschen mit bestimmten Eigenschaften aus den regulaeren Instanzen einer Institution ausgeschlossen werden, deren selbsterklaertes Ziel nicht nur die Vermittlung lebenspraktischer und oekonomisch relevanter Faehigkeiten ist, sondern die sich die „Erziehung des Menschen zum Menschen“ und nicht zuletzt die Wahrung des kulturellen Zusammenhalt der Gesellschaft auf die Fahnen geschrieben hat.
Tom said this on 17. Juli 2012 at 11:04