Ein Projekt von Margherita Sbrogiò und Luna Liebermann
Im Rahmen unseres Bachelor-Studiengangs Linguistik, innerhalb des Moduls Angewandte Linguistik (FB10), haben wir uns in diesem Sommersemester in Arbeitsgruppen mit jeweils einem eigenen Forschungsprojekt beschäftigt. Der Arbeitsauftrag bestand darin – nach Festlegung des Themas und der Forschungsfrage – die Forschung gemäß einer geeigneten Methode zu realisieren, diese Ergebnisse dann auszuwerten und das gesamte Forschungsprojekt auf ein wissenschaftliches Poster zu bringen.
Dabei haben wir uns für das Thema Sprache und Identität entschieden. Wir leben beide mittlerweile in einem bilingualen Kontext und durch die Erfahrungen, die wir gemacht haben, interessiert uns dieses Thema besonders. Außerdem wollten wir herausfinden, ob sich andere bilinguale bzw. multilinguale Student:innen, ähnlich fühlen wie wir oder nicht.
Im Folgenden zeigen wir nun noch einmal ausführlicher, welche unsere genauen Arbeitsschritte waren, wie wir vorgegangen sind und was unsere Ergebnisse sind.
Für Nachfragen zu unserem Projekt oder einer Einsicht in die Forschungsmaterialien stehen wir gerne zur Verfügung. Den Kontakt finden Sie am Ende dieser Seite.
Thema: Sprache und Identität
Am Anfang war dies unsere Forschungsfrage: Inwiefern verändern Sprachen die kulturelle Identität multilingualer Student:innen?
Endgültige Forschungsfrage: Inwiefern beeinflusst der multilinguale Sprachgebrauch ost-europäischer Studierender ihre kulturelle Identität?
Methode: (Leitfaden-)Interview, qualitative Auswertungsmethode (qualitative Inhaltsanalyse)
(Leitfaden-)Interview:
Einleitung: Fragen zu Name, Alter, L1, L2
- Wie heißt du?
- Wie alt bist du?
- Welche ist deine L1 und welche deine L2?
Inhalt: Offene Fragen
- Hast du das Gefühl, dass andere dich anders wahrnehmen, je nach Sprache, die du sprichst?
- Inwiefern hat das Erlernen einer zweiten Sprache deine Beziehung zu anderen verändert?
- Kannst du ein Beispiel dafür nennen, wie deine kulturelle Identität, aufgrund deiner bilingualen Fähigkeiten verändert wurde?
Interview-partner*in | Alter | L1 | L2 | L3 | Kennzahl Auswertung (Vereinfachung) |
Julind | 20 | Albanisch, Kroatisch | Deutsch | Englisch | 1 |
Farzona | 30 | Usbekisch, Russisch | Deutsch | Englisch | 2 |
Julian | 27 | Kroatisch | Deutsch | Englisch | 3 |
Jürgen | 34 | Russisch | Deutsch | Englisch, Französisch | 4 |
Erster Schritt: Material auswählen: Wir nutzen unsere Interviews, welche wir aufgenommen haben und als Audiodatei gespeichert haben.
Zweiter Schritt: Richtung der Analyse festlegen: Wir möchten das Gesagte bzw. den Inhalt untersuchen, daher entscheiden wir uns für den Objektbereich des untersuchten Materials.
Dritter Schritt: Form der Inhaltsanalyse auswählen: Wir haben uns für die zusammenfassende Inhaltsanalyse entschieden, da diese am Besten zu unserem Forschungsinteresse passt.
Nächster Schritt: Transkribieren der aufgenommenen Interviews bzw. der Audiodateien der Interviews.
Vierter Schritt: Ergebnisse auswerten: Kategorien für die qualitative Inhaltsanalyse:
Kategorien | 1 | 2 | 3 | 4 |
Persönliches Verständnis von kultureller Identität | – Keine eindeutige kulturelle Identität
=> er kann sie nicht identifizieren – Fühlt sich weder ganz albanisch, noch deutsch. |
– kein Kulturschock => kulturelle Identität nicht im Bezug auf den Ort, sondern auf die Personen an diesem Ort, welche sie schätzt | – Ansicht, dass jede Kultur bestimmte Werte hat, die man wertschätzen sollte
– Identifiziert sich mit beiden Kulturen |
Identifiziert sich mit allen „seiner“ 4 Kulturen
=> Deutschland, Russland, Frankreich, USA |
Persönliche gefühlte Wahrnehmung von anderen Personen | Merkt eine unterschiedliche Wahrnehmung von anderen Menschen
=> nicht negativ, sondern eher eine Überraschung |
Merkt keine unterschiedliche Wahrnehmung, wenn sie die Sprache wechselt, sondern Überraschung | – Merkt keine unterschiedliche Wahrnehmung
– In Deutschland als Deutscher wahrgenommen und in Kroatien als Kroate |
Merkt keine unterschiedliche Wahrnehmung, wenn er die Sprache wechselt, sondern bemerkt ein positives Feedback von anderen. |
Beispiel persönlicher Entwicklung der eigenen kulturellen Identität | Aufgrund des Mangels seiner kulturellen Identität, wurde kein Beispiel genannt | Sie hat ihre Oma und Eltern genannt und meinte: „egal wo sie sind (…), das ist mein Zuhause“. | – Weltoffene Ansicht => direkt 2 Perspektiven, wie man auf andere Kulturen schaut
– Höhere Akzeptanz anderen gegenüber |
– Er hat Dinge (wie Uhrzeit etc.) aus Frankreich & Russland übernommen.
– Hat viele „kleine“ Facetten aus allen 4 Kulturen übernommen |
Mit welcher Sprache identifiziert man sich eher? L1/L2/L3? | L2 = Deutsch | L3 = Englisch | L2, also Deutsch. Dennoch stolz auf L1 (Kroatisch) | – L2 = Deutsch (Kann er besser als Russisch sprechen)
– Ansonsten fällt es ihm fast leichter Englisch (L3) zu sprechen. |
Fünfter Schritt: Gütekriterien sicherstellen:
Gütekriterien bei qualitativer Inhaltsanalyse (keine standardisierten Gütekriterien):
- Transparenz: Die Forschung ist transparent, sobald alle wichtigen Arbeitsschritte ausführlich dokumentiert und für Außenstehende nachvollziehbar gemacht werden (-> Validität bei quantitativer Forschung).
- Intersubjektivität: Die Forschung ist intersubjektiv, wenn die subjektiv gewonnenen Daten diskutiert und reflektiert werden (-> Objektivität bei quantitativer Forschung).
- Reichweite: Die Reichweite einer qualitativen Forschung ist gegeben, wenn bei Wiederholung eines ähnlichen Verfahrens ähnliche Ergebnisse erzielt werden können (-> Reliabilität bei quantitativer Forschung).
Anwendung der vorher genannten Gütekriterien auf unsere Forschung/Analyse:
- Transparenz: ist gegeben, da wir alle Arbeitsschritte ausführlich dokumentiert haben. Alle Daten sind zugänglich und leicht nachzuvollziehen.
- Intersubjektivität: unsere Forschung ist intersubjektiv, da die von uns gewonnenen Daten diskutiert, in einen Zusammenhang und reflektiert werden.
- Reichweite: die Reichweite unserer qualitativen Forschung ist gegeben, da man bei Wiederholung dieses oder eines ähnlichen Verfahrens ähnliche Ergebnisse erzielen würde. Die Ergebnisse verändern sich von Person zu Person. Die Einschätzung der kulturellen Identität variiert individuell und das würde bei einer Wiederholung unseres Forschungsverfahrens nicht anders sein.
Fazit unserer Forschung:
Basierend auf den Ergebnissen unserer Forschung, können wir feststellen, dass:
- das Alter scheinbar die Wahrnehmung und Veränderung der kulturellen Identität beeinflusst, da die älteren Personen der Befragten ein höheres Bewusstsein und Akzeptanz für ihre kulturelle Identität zeigen, die von den verschiedenen, von ihnen gesprochenen Sprachen beeinflusst wird.
- 3 von 4 Teilnehmer:innen geben an, dass ihre kulturelle Identität durch die Sprachen, die sie sprechen, beeinflusst wird: Sie definieren dies als Vielfalt der Kulturen, dessen Sprache sie beherrschen. Einer der vier Teilnehmer:innen konnte jedoch seine eigene kulturelle Identität nicht identifizieren.
- 4 von 4 Teilnehmer:innen geben an, dass sie keine unterschiedliche Wahrnehmung ihrer eigenen Persönlichkeit seitens anderer Personen wahrnehmen. Die Resonanz, die bei einem Sprachwechsel der Befragten folgt, fällt eher positiv aus bzw. sind die Personen meist überrascht, dass eine/r der Befragten noch eine weitere oder genau diese Sprache spricht.
Abschließend zu unserer Forschung stellen wir fest, dass der Sprachgebrauch der Befragten ihre kulturelle Identität auf unterschiedliche Art und Weise beeinflusst. Vor allem im Hinblick darauf, inwiefern sie ihre eigenen Kulturen lernen wertzuschätzen und gelernt haben, wertzuschätzen.
Kontakt:
Luna Liebermann: luli@uni-bremen.de
Margherita Sbrogiò: sbrogiom@uni-bremen.de