Welche Assoziationen entstehen beim Hören von fremden Sprachen?

von Ellen Fels, Evgenia Fuchs, Maja Lux und Vitória Oliveira Renner

Für unsere Umfrage verwendeten wir eine Audiodatei aus dem Film Hidden Figures (1:14:10 – 1:14:40) mit sechs Sprachen und erstellten einen Fragebogen mit insgesamt vier Fragen, die den ersten Eindruck und eine finale Bewertung des Gehörten konkretisieren sollten.

Möchtest Du selbst testen, wie Du die einzelnen Sprachen bewerten würdest? Nach je 30 Sekunden musst Du die unten angegebenen Fragen zu der gehörten Sprache beantworten. Danach wird eine neue Sprache abgespielt.

 

In den folgenden Abschnitten findest Du eine allgemeine Erläuterung unseres Versuches, einige Erkenntnisse bezüglich unserer Ergebnisse sowie eine Auswertung der einzelnen Sprachen:

Allgemeines zum Versuch

Fragebogen

Die von uns verwendete Audiodatei enthielt den gleichen 30-sekündigen Filmausschnitt in allen von uns ausgewählten Sprachen.

Die Einteilung der Skala unseres Fragebogens von „alltäglich“ zu „dramatisch“ nahmen wir vor, um von den Probanden einen Eindruck zur Filmszene zu bekommen. Dramatisch ist hier als aufregend zu verstehen. Scheint eine alltägliche Situation dargestellt zu sein oder passiert etwas Besonderes?

Zunächst entschieden wir uns für die Einteilung von „ruhig“ zu „emotional“, um den Grad der Emotionalität in den Sprachen einschätzen zu können. Im täglichen Sprachgebrauch hören wir oft das Adjektiv „temperamentvoll“; ein typisches Stereotyp, welches man im Bezug zum Klang von Sprachen hört.  Um jedoch kein negatives Stereotyp wiederaufzunehmen (z.B. „aggressiv“), entschieden wir uns für das Wort emotional.

Partizipanten

Bei der Auswahl der Partizipanten achteten wir ausschließlich darauf, dass sie die ihnen vorgespielten Sprachen selbst nicht sprachen. Natürlich ist es vor allem im europäischen Bereich nicht so einfach, Sprachen zu wählen, welche noch nie zuvor gehört wurden – also legten wir fest, dass keine Muttersprachler oder fortgeschrittene Lernende teilnehmen durften.

Es wurden ihnen mitgeteilt, dass die Hörprobe aus einem Film stammt, jedoch nicht, dass es sich immer um dieselbe Szene handelt. Spannend hierbei ist, dass die meisten Befragten die Ausschnitte für verschiedene Szenen/Situationen hielten.

Ebenfalls bemerkenswert ist, dass in der Szene drei verschiedene Stimmen zu hören sind: zwei männliche und eine weibliche. Zu beobachten war hier, dass viele der Partizipanten je nach Sprache nur zwei Stimmen erkannt haben und das Gespräch somit als eine Konversation zwischen lediglich zwei Personen wahrgenommen wurde.

Einige Partizipanten versuchten den Kontext der Szenen anhand von Stichwörtern zu erkennen, die sie aus der Audiodatei entnehmen/verstehen konnten; so wurde das Wort „Mathematik“ mit einer schulischen Situation verbunden und das italienische Wort „signore“ einem förmlichen Anlass zugeordnet.

Die Auswertung

Ungarisch

Ungarisch wurde von den meisten Befragten als alltäglich und ruhig wahrgenommen und 50% behaupteten, das Gehörte sei eher emotional geladen. Bei der Szene könnte es sich laut den befragten Personen um ein alltägliches, familieninternes Gespräch zwischen einem Ehepaar handeln. Dies machten die Befragten an der Tonlage der Stimme aus, die leicht emotional sei.

Im Ungarischen, welches zum ugrischen Zweig der finno-ugrischen Sprachen innerhalb der uralischen Sprachfamilie gehört, werden alle Wörter auf der ersten Silbe betont, unabhängig von der Länge des Wortes. Dabei wird genau zwischen kurzen und langen Vokalen unterschieden. Die stete Betonung des ersten Vokals kann der Grund sein, warum die Sprache von den Partizipanten als eher ruhig und alltäglich mit einem Hauch von Emotionalität wahrgenommen wurde.

Quellen:

Ciorba, Melinda. “Sprachensteckbrief Ungarisch“, Sprachensteckbriefe, Bundesministerium Bildung Wissenschaft und Forschung, 2011 https://www.schule-mehrsprachig.at/fileadmin/Redaktion/Sprachensteckbriefe/PDF/ungarisch.pdf

Portugiesisch

Im Vergleich zum Ungarischen wurde Portugiesisch (aus Brasilien) von den Befragten als angespannter und dramatischer wahrgenommen, jedoch empfand der Großteil mit jeweils 40% die Szene dennoch als „eher ruhig“ und „eher alltäglich“. Die meisten Befragten waren sich einig, dass sich die Szene in einem öffentlichen bzw. beruflichen Setting abspielt, wobei das im Laufe der Szene zunehmende Gesprächsgeschwindigkeit auf eine Diskussion deuten könnte.

Das Sprechtempo könnte auf den Sprachrhythmus zurückgeführt werden. Das brasilianische Portugiesisch gilt als silbenzählend, wobei der Unterschied zwischen akzentuierten und nicht-akzentuierten Silben minimal ist und der zeitliche Abstand zwischen zwei Silben, die akzentuiert werden, beinahe gleich ist.

Quellen:

Reinke, Kerstin. „Portugiesisch“, Universität Leipzig. https://research.uni-leipzig.de/agintern/phonetik/Downloads/Portugiesisch.pdf

 

Türkisch

Türkisch wurde insgesamt als alltäglich, aber auch emotional wahrgenommen. Manche vermuteten ein familiäres Setting, eine Geschäftssituation oder eine Unterhaltung zwischen Arzt und Patient, Kellner und Gast.

Türkisch ist eine (Ton)Akzentsprache, in der Regel wird die letzte Silbe eines Wortes hervorgehoben. Im Deutschen liegt eine Betonung des Wortes meist am Wortanfang. Betonungen am Satzende indizieren eine Frage. Durch diese Endbetonung in türkischen Worten, könnte die hörende Person eine vermeintliche Frage heraushören – was auf die beschriebenen Situationen hinweisen könnte. Jedoch ist fraglich, inwieweit die Personen dies heraushören können, mit Hinblick auf „Stress-deafness“ im Bezug zu unbekannten Sprachen.

Die Phonotaktik beinhaltet selten Konsonanten Cluster (CVCV), deshalb wird die Sprache vermutlich etwas ruhiger wahrgenommen → 30% der befragten empfanden die Szene als „eher ruhig“, 50% als „etwas emotional“ und je 10% gaben „ruhig“ und „emotional“ an.

Man kann die Wahrnehmung einer Alltäglichkeit auch darauf zurückführen, da Türkisch in Deutschland weit verbreitet gesprochen wird und somit vermutlich schon von jedem Partizipanten gehört wurde. Außerdem gibt es im Türkischen europäische Lehnwörter (Englisch, Französisch), welche dem deutschen Ohr bekannt vorkommen können und die Vokale [ö] und [ü], welche uns ebenfalls geläufig sind und sich in die akustische Landschaft eingliedern.

Quellen:

Kabak, Barış (2016), “Refin(d)ing Turkish stress as a multifaceted phenomenon”, Second Conference on Central Asian Languages and Linguistics (ConCALL52)., Indiana University

Japanisch

Japanisch wurde von den Partizipanten unterschiedlich wahrgenommen. Während 40% der Teilnehmer das Gehörte auf unserer Skala als „alltäglich“ bewerteten, stuften auf der anderen Seite 40% die Szene als „eher dramatisch“ ein. Auch bezüglich der Emotionalität war die Wahrnehmung umstritten, denn 30% nahmen die Szene als „eher ruhig“ wahr, 30% empfanden es als „eher emotional“ und 20% als „emotional“.

Zumeist waren sich die Befragten einig, dass es sich in der Szene entweder um eine alltägliche Ehesituation oder um ein Gespräch unter Kollegen handele. Dabei erwähnten die Befragten, dass die Tonlage der männlichen Stimme(n) im Laufe des Gesprächs entspannter wird.

Eine Begründung für die Einschätzung der Szene als alltäglich könnte die im Japanischen vergleichsweise unveränderliche Mundöffnung sein. Im Vergleich dazu bewegen sich unsere Lippen im Deutschen mehr, wobei die Mundöffnung vor allem bei Vokalen wie [a] auffälliger ist. Es wäre vorstellbar, dass das Gespräch durch diese Merkmale für die Partizipanten, die hauptsächlich Deutsch im Alltag sprechen, ruhiger, alltäglicher und etwas monotoner wirkt.

 

Quellen:

Albrecht, Irmtraud & Barbara Lausch. „Japanisch“, Universität Leipzig https://research.uni-leipzig.de/agintern/phonetik/Downloads/Japanisch.pdf

Tschechisch

Der Klang der tschechischen Sprache hat bei den Befragten den Eindruck eines freundlichen Gesprächs erweckt. Die Szene wurde als ruhig, entspannt und sachlich wahrgenommen, sodass das Gespräch in einem schulischen Kontext vermutet wurde. Grund hierfür war vor allem, dass viele das Wort „Mathematik“ wiedererkannt haben. Dass sich die Stimmen eher emotionslos und ruhig angehört hätten, ließe sich damit begründen, dass der Kieferöffnungswinkel im Tschechischen größer als im Deutschen ist und die Vokale somit dumpf klingen. Die Betonung liegt auf der ersten Silbe und wird im Vergleich zum Deutschen und Italienischen als schwach beschrieben.

Quellen:

Müller, Ursula. „Tschechisch“, Universität Leipzig https://research.uni-leipzig.de/agintern/phonetik/Downloads/Tschechisch.pdf

Italienisch

Italienisch hingegen wurde von den Befragten als ernster wahrgenommen. Als Hintergrund des Gesprächs wurde zumeist ein Arbeitsgespräch oder aber ein Gespräch zwischen Eltern und Lehrkräften vermutet. Bei diesem Hörbeispiel wurde nicht nur „Mathematik“ von den Befragten herausgehört, sondern es wurde auch „Signore“ erkannt. Letzteres ließ die meisten darauf schließen, dass es sich um ein förmliches Gespräch handeln müsse, in dem kein persönliches Verhältnis zwischen den Charakteren besteht. Die Ursache für eine solche Bewertung der Sprache ließe sich in der klaren und reinen Artikulation der Vokale finden. Zudem liegt die Betonung meist auf der vorletzten Silbe und die Melodie nimmt bei Aussagen zum Satzende hin ab, sodass bei dem Hörspiel der Eindruck entstanden sein könnte, dass die Charaktere wenig emotional und eher förmlich miteinander sprechen.

Quellen:

Keßler, Christian. “Italienisch”, Universität Leipzig https://research.uni-leipzig.de/agintern/phonetik/Downloads/Italienisch.pdf

 

Unser Fazit

Die stark variierende Wahrnehmung der einzelnen Sprachen deutet darauf, dass Stereotypen nicht haltbar sind. In unserer Umfrage konnten wir keine validen Rückschlüsse auf Stereotypen bezüglich der ausgewählten Fragen ziehen.

Zum Beispiel werden den Ländern am Mittelmeer wird ein temperamentvoller Charakter nachgesagt. Das Italienische wurde zwar von 40% der Befragten als „emotional“ wahrgenommen, dennoch bei den offenen Fragen von einigen als ernst und formell bewertet. Ob der Klang einer Sprache sein Stereotyp erfüllt, lässt sich hier nur zu einem gewissen Anteil beantworten.

Die japanische Kultur wird als besonders höflich, sogar als zurückhaltend umschrieben; in unserer Umfrage ist eine fast gleichmäßige Verteilung auf der Skala von „ruhig“ zu „emotional“ zu beobachten. Auch hier kann das Stereotyp nicht eindeutig nachgewiesen werden.

rd eine neue Sprache abgespielt.